28.1.14

Leningrader Blockade

Ich kann mich nicht besinnen, davon in einem Schulbuch gelesen zu haben, schon gar nicht in der Deutlichkeit, mit der sie inzwischen in der Wikipedia beschrieben wird:
Schätzungen gehen von etwa 1,1 Millionen zivilen Bewohnern der Stadt aus, die infolge der Blockade ihr Leben verloren. Die meisten dieser Opfer verhungerten. Der Massentod durch Verhungern wurde von den Deutschen gezielt herbeigeführt und ist in diesem Ausmaß weltweit beispiellos.
Die Einschließung der Stadt durch die deutschen Truppen mit dem Ziel, die Leningrader Bevölkerung systematisch verhungern zu lassen, war eines der eklatantesten Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht während des Krieges gegen die Sowjetunion. (Seite „Leningrader Blockade“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 27. Januar 2014, 20:38 UTC. URL:http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Leningrader_Blockade&oldid=126938386 (Abgerufen: 28. Januar 2014, 07:40 UTC)
Was ich bis gestern wusste, war in etwas das, was der Wikipedianer Obersachse dankenswerterweise am 31.1.2005 in die Wikipedia einstellte:
Alle Versorgungswege waren abgeschnitten. Nur die "Straße des Lebens", die über das Eis des zugefrorenen Ladogasees führte, konnte zeitweise zur Versorgung Leningrads genutzt werden. 900 Tage lang waren die Einwohner der Stadt schlimmsten Entbehrungen ausgesetzt. Hunger und Kälte rafften ganze Familien dahin. Insgesamt starben etwa 1 Million Menschen. (Version 31.1.05, 7:52)

Nur wenige Minuten vorher hatte es bei ihm noch gehießen:
600 Tage lang waren die Einwohner der Stadt schlimmsten Entbehrungen ausgesetzt. Hunger und Kälte rafften ganze Familien dahin. Insgesamt starben etwa 900 000 Menschen. (Version 31.1.05 7:29)
Im dtv-Lexikon von 1992 hieß es noch:
Im 2. Weltkrieg lag L. im Kampfbereich (zeitweise völlig abgeriegelt). Es wurde stark zerstört, die Verluste an Menschen waren hoch.  
Zur Aktualität des Beitrages ist zu sagen, dass allein am 27.1.2014  20 Veränderungen vorgenommen wurden. Die Reaktion auf das Gedenken im Bundestag kam ziemlich rasch. (vgl. Bericht der FR)
Zum Gedenken in St.Petersburg (70 Jahre Ende der Leningrader Blockade: Putin gedenkt verstorbenen Bruders) ist für die jüngeren Leser darauf hinzuweisen, dass Sankt Petersburg von 1924 bis 1991 Leningrad hieß. (Wann und wie lange es Petrograd hieß, 1914-24, werde ich bald wieder vergessen.)


Literaturhinweis:
  • Daniil Alexandrowitsch GraninAles AdamowitschБлокадная книга. Chronik der Belagerung Leningrads. 1977–1982.  dt. Das Blockadebuch. 1985–1987, Volk und Welt, Berlin 1987. (In der Wikipedia sind noch 18 weitere Titel angeführt.)

22.1.14

Neues aus dem Lehrerzimmer, will sagen vom bayerischen Kultusministerium

Herr Rau berichtet in seinem Lehrerzimmer
Einige Bundesländer – Bayern, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Schleswig-Holstein – bereiten sich in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik auf ein länderübergreifendes Abitur vor. Schon dieses Schuljahr ist ein Aufgabenteil zentral gestellt. Dazu müssen die Aufgabenformen in den Ländern natürlich bekannt sein. [Weiteres sieh: Link] (EINE LEHRREICHE UND KOSTENNEUTRALE ERFAHRUNG)

Leider kommt mir das sehr bekannt vor. Als Informatiker (ich bin keiner) liest man ja öfter Dilbert. Dessen Chef scheint nicht nur im hessischen Kultusministerium zugange zu sein.
Was das Schöne ist: Auch Kultusministerien sind lernende Organisationen. Sonst hätte das bayerische ja nicht auf Proteste reagiert.
Ich bin sicher, es wird weiterhin lernen, freilich so, wie Ministerien halt lernen. (vgl. Yes Minister)

19.1.14

An einen Lehrer in Ausbildung

oder korrekter und reichlich steif: Ratschläge für LuLs in der Ausbildungsphase

Brecht [Es war Arfried Astel - sieh Kommentare] hat einmal gesagt: "Ich hatte schlechte Lehrer. Das war eine gute Schule."
Das kann man umformulieren in: "Ich hatte schlechte Ausbilder. Das zwang mich, meine eigene (auf mich zugeschneiderte) Konzeption zu entwickeln."

Dabei kann man heute als Lehrer in Ausbildung ja nicht behaupten, man hätte keine Vorbilder. Selbst wenn man in der gesamten Ausbildungsphase nie ein Vorbild entdecken können sollte, auch nicht unter den ebenfalls in Ausbildung befindlichen Kollegen, so kann man über Blogs die unterschiedlichsten Typen in den unterschiedlichen Entwicklungsstufen ihrer pädagogischen Karriere kennen lernen und sich an ihnen zu orientieren versuchen.
Hier könnte ich viele Beispiele nennen, nenne aber zunächst nur einen Beitrag von Lisa Rosa*: Lernen auf individuellen Königswegen. Ich selbst finde vieles falsch, was sie schreibt, und vieles goldrichtig. (Das scheint anderen* auch so zu gehen.)
Jean-Pol Martin* hat das Problem für sich - und andere - so gelöst, dass er gar nicht mehr unterrichtet hat, sondern die Schüler unterrichten lässt. Das hat Schule gemacht.
Liegt dabei nicht aber auch eine Gefahr? Richtig, aber ...

Das beste Vorbild ist vielleicht das, das einen dazu anregt, alles anders zu machen als das Vorbild.

Es gibt dafür ein historisches Beispiel, das das so deutlich exemplifiziert, dass es erfunden zu sein scheint:

Sokrates, der Lehrer Platos, sagte: "Ich weiß, dass ich nichts weiß." Sein Schüler Plato war davon überzeugt, so viel zu wissen, dass er der glaubte, der bestmögliche Politiker zu sein ("die Philosophen Könige"). Platos Schüler Aristoteles fand dessen Ideenlehre so falsch, dass er sich ganz der Realität zuwandte. Kaum hatte er das getan, hielten sich seine Schüler nur noch an seine Lehren und nicht mehr an die Realität.

Irgendwo in dieser Reihe hat die Methode freilich nicht funktioniert. Deshalb: Das beste Vorbild ist vielleicht das, das einen dazu anregt, alles anders zu machen als das Vorbild.

*Für die, die sich mit Twitter nicht auskennen: Bei der Twitterseite einer Person ist meist der Blog verlinkt, auf dem man die Person anders (besser?) kennen lernt als aus ihren Tweets.

Wer statt einzelnen Vorbildern gleich ein ganzes Kollektiv als Vorbild haben will, kann sich ans #EdchatDE halten. Ich würde freilich sagen: Vorsicht: In solche Diskussionen steigt man besser erst ein, wenn man sich schon eine Meinung gebildet hat und sie weiter entwickeln will. 

13.1.14

Gegen Homophobie, aber nicht für das Ausleben jeder sexuellen Orientierung

In der Süddeutschen Zeitung vom 11.1.14 heißt es in dem Artikel "Zur Vielfalt ermutigen":
Sexuelle Orientierung frei leben zu können, ist keine Frage des "Lebensstils", sondern ein Menschenrecht. 
Dieses angebliche Menschenrecht wird Pädophilen (und weniger geläufig Paraphilen ganz allgemein) aus guten Gründen nicht zugestanden. "Zur Vielfalt ermutigen" kann sich nicht sinnvoll an einzelne Schüler richten. Sinnvoll ist es, zur Akzeptanz von Vielfalt zu ermutigen. Aber auch dazu gehört, dass klar wird, dass auch beim Ausleben von Sexualität nicht verantwortungslos gehandelt werden darf. 

Mehr zu dieser Diskussion auf der Seite SWR Landesschau aktuell
(und etwas heiterer hier)

Auch in einem Aufruf der verdienstvollen Organisation Campact heißt es:
Tatsächlich kann sexuelle Orientierung weder an- noch aberzogen werden. Sie auszuleben ist keine Frage des Lebensstils, sondern ein Menschenrecht.
Ich befürchte sehr stark, dass Pädophilie nicht aberzogen werden kann und dass die Versuche, es zu tun, allzu blauäugig sind. Dennoch kann ich nicht akzeptieren, dass das Ausleben jeder sexuellen Orientierung ein Menschenrecht wäre.  Und das, obwohl ich darin eine bedenkliche Ungleichbehandlung sehe. Denn etwas, was ich für mich in Anspruch nehme, möchte ich niemandem anders verweigern. Es ist doch hochproblematisch, wenn wir Menschen Askese abverlangen. 
Aber dürfen wir darauf verzichten, wenn wir an die Opfer denken?

Falls es jemandem nicht klar sein sollte: Die Diskriminierung von Homosexualität und anderen sexuellen Orientierungen halte ich für falsch. 
Das gilt m.E. sogar auch für sexuelle Orientierungen, die nicht ausgelebt werden können, ohne dem Sexualpartner zu schaden. 
Aber das Ausleben solcher Orientierung muss leider im Sinne des Menschenrechtsschutzes strafbar bleiben. 

Die undifferenzierte Empörung über kritische Anmerkungen zum Arbeitspapier zur Verankerung von Leitprinzipien des Bildungsplans in Baden-Württemberg halte ich für einen Rückfall in das Niveau der Pädophiliediskussion der 80er Jahre.

Originell zu diesem Thema jetzt Jan Fleischhauer in SPON (16.1.14):
Die eigentliche Pointe des grün-roten Bildungsplans ist auch seinen Verfechtern bislang entgangen. Die Vorgaben zur "Akzeptanz sexueller Vielfalt" gehen davon aus, dass Sexualität ein soziales Konstrukt sei, wie es die Gender-Forschung lehrt, kein genetisches Schicksal. Das aber ist ziemlich genau das, was auch die Vertreter der Konversionstherapie behaupten, die Homosexualität für etwas halten, das nicht natürlich sei und das man deshalb auch wieder ändern könne.
Der Fehler der Schwulenbewegung ist der Schulterschluss mit den Anhängern der Queer-Theorie. Wer die Biologie leugnet, eröffnet Fragen, die längst als beantwortet galten.

Arbeitspapier zur Verankerung von Leitprinzipien des Bildungsplans in Baden-Württemberg

Kritik an Lehrplänen Baden-Württembergs als orientiert an der "Ideologie des Regenbogens"
Stellungnahme des Kultusministeriums zu dieser Kritik
Stellungnahme des Netzwerks LSBTTIQ zu dieser Kritik
Stellungnahme der Kirchen
LSBTTIQ Was ist es? Was sind die Ziele?


Intersex im Internet: Eine Blog-Umschau 30.10.16

10.1.14

Streit um die Kosten der Inklusion und darum, wer sie tragen soll

Am 23.13.13 berichtete Christian Füller in SPON über ein Gutachten zu den Inklusionskosten und den Streit darum.
Dass politische Entscheidungsträger besonders reformfreudig sind, wenn sie meinen, die Reform sei kostenlos zu haben, ist bekannt. Dass die Kritiker der Reformen die Kosten eher höher als niedriger ansetzen liegt nahe.


Bemerkenswert ist an Füllers Bericht freilich, dass er folgendes behauptet:
Im Gutachten (hier als pdf) steht, es gebe kein einziges Kind mit Seh- oder Hörschwierigkeiten in der Gegend.
Als Gegenbeweis gegen das genannte Gutachten führt er die Zählung einer Mutter an, wonach im Kreis Borken "fast 120 Kinder mit Seh- oder Hörschwierigkeiten" leben.

Dabei heißt es in diesem Gutachten:
Zusätzliche Kosten für die Schülerbeförderung haben dann insbesondere die Städte und Gemeinden zu tragen, die selbst nicht Träger einer Förderschule sind, also auch nicht durch die geringere Nachfrage nach Förderschulen entlastet werden. Diese Kommunen stehen – dies hat sich ebenfalls am Beispiel des Kreises Borken gezeigt – auch insgesamt vor neuen Aufgaben. Wenn Schüler, die bislang Förderschulen in benachbarten Städten besucht haben, in Zukunft wohnortnah in allgemeinen Schulen beschult werden, dann müssen die Wohngemeinden zukünftig mit den personellen, sächlichen und räumlichen Erfordernissen des Gemeinsamen Unterrichts befasst sein. (S.2)
Es wird also gerade davon gesprochen, dass es die dort lebenden behinderten Kinder in Kommunen unterrichtet werden müssen, die bisher keine Förderschulen unterhalten.

Dass nach diesem Gutachten für den Kreis Borken dadurch 34 Millionen Investitionskosten entstehen würden, spricht dafür, dass sogar eine relativ hohe Zahl von Schülern gerechnet wird, die aufgrund der Inklusion umgeschult werden müssten.

Ergänzung vom 15.1.:
Entscheidung des Landessozialgerichts von NRW: Kommunen müssen die Inklusion mitfinanzieren (dpa 14.1.14)

9.1.14

Lehren des Ersten Weltkrieges?

Plötzlich entdeckt die deutsche öffentliche Meinung: Wir waren nicht schuld am 1. Weltkrieg, der Zweite Weltkrieg ist "bewältigt". An der deutschen Wirtschaftspolitik soll Europa genesen. [Früher hieß es noch: "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen." - Übrigens haben nicht die Nazis den Spruch erfunden, sondern Emanuel Geibel.]

So einfach ist es nicht:
1. Fritz Fischer hat festgestellt, dass wesentliche Teile der deutschen Führung (notwendigerweise schwammig ausgedrückt, Präziseres würde zu ausführlich) den Krieg zumindest billigend in Kauf genommen haben oder doch gemeint haben, da er sowieso nicht zu verhindern sei, dann besser früher als später.

Clark hat - mit umfangreicherem Quellenhintergrund - in "Die Schlafwandler" festgestellt (was in der Debatte über Fischers Thesen schon als Möglichkeit angedeutet wurde), dass das nicht nur auf deutscher Seite so war, sondern mehr oder minder für alle europäischen Großmächte galt.

Deutschland war nicht "unschuldig", nur: die anderen waren es auch nicht.

2. Die Fehler der europäischen Mächte von vor 1914 sind von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges zum Teil revidiert worden, auch die Fehler des Vertrages von Versailles. Aber wesentliche Fehler werden beibehalten.

3. Der Zweite Weltkrieg und was zum Holocaust geführt hat, ist mitnichten "bewältigt". Noch weniger als der Erste Weltkrieg und was zu ihm geführt hat.

Im Augenblick will ich hier nicht mehr dazu sagen. Ich würde mich aber freuen, wenn kritische Kommentare mir Anlass gäben, manches genauer zu erläutern.

Anlass zu diesem Einwurf ist der Leitartikel Jahrhundertkrieg von Jens Jessen  in der ZEIT vom 9.1.14


7.1.14

Hatties neues Buch auf Deutsch

In "Visible Learning for Teachers" - Ein Navi für die Lehrkräfte stellen die Übersetzer des Buches (Zierer und Beywl) die Hauptaussagen in einem Interview vor.


Daraus zitiere ich:

"Die Kernbotschaft lautet: Lehrerinnen und Lehrer sollen evidenzbasiert unterrichten. Damit meint Hattie, dass Pädagogen nach Belegen für die Wirksamkeit des eigenen Handelns suchen und ihre eigene Arbeit auf den Prüfstand stellen sollen: Wie ist mein Einfluss? Wie wirke ich? Kommt das, was ich den Schülerinnen und Schülern vermitteln will, bei ihnen an? Was muss ich eventuell ändern? [...]
 Das Revolutionäre ist, dass es [das Buch] Lehrpersonen anregen will, nicht den Abstand der Klasse oder der einzelnen Lernenden zu Mindest- oder Regelstandards in den Mittelpunkt zu rücken, sondern den Lernfortschritt, der in einer bestimmten Zeitperiode, z. B. einem Schulhalbjahr, geschafft wird." (mehr)