25.12.16

Notwendige Erinnerung

Die Aufregung über den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin lässt wie vorher die über die sexuellen Übergriffe in Köln etwas aus dem Blick geraten, dass der Versuch einer offeneren Flüchtlingspolitik gestartet wurde, um die Folgen der rigiden Abschottung Europas gegen Flüchtlinge aus Afrika und Asien ein wenig abzuschwächen. Immer noch gibt es für Flüchtlinge von dort kaum einen legalen Zugang nach Europa, immer noch sterben auf dem illegalen Weg Tausende. (Eine tägliche Durchschnittsrate wage ich aufgrund der mir zur Verfügung stehenden Zahlen nicht zu berechnen.)
Über der Aufregung über den Versuch einer ein wenig menschlicheren Politik gegenüber Flüchtlingen ist fast vergessen, dass - mit den Worten Noam Chomskys - "Griechenlands gesellschaftliches Gefüge zerschlagen wurde" und auf "das Ansinnen, das griechische Volk über das Schicksal seiner Gesellschaft mitbestimmen zu lassen, die von der brutalen Austeritätspolitik der Troika zugrunde gerichtet worden war" "die Brüsseler Bürokratie" 2015  eine "wütende Reaktion" zeigte (Zitate alle von Chomsky).
mehr dazu:

„Die Wirtschaft wird kollabieren“


Der menschengemachte Anteil des Klimawandels wird zum Glück immer wieder einmal durch Berichte (zuletzt über das Abschmelzen des Eises an den Polkappen) in Erinnerung gerufen.

Aber über den notwendigen Erinnerungen an Missstände sollen die Aufbrüche, die immer wieder einmal geschehen (hier nenne ich nur das 2. Vatikanische Konzil, die Wahl Obamas und die von Franziskus) und die durchaus nicht folgenlos geblieben sind, nicht vergessen werden.

An "Da machte sich auch auf Joseph aus Galiläa ..." werden wir immer wieder zu Weihnachten erinnert, an seine Flucht nach Ägypten schon weniger. Und die Mahnung "Was bleiben immer wir daheim, lasst uns auch ..." hören die meisten von uns lieber gesungen, als dass wir uns dadurch dazu gedrängt fühlen wollen, den Kreis derer, die wir lieben, zeitweilig zu verlassen, um denen zu helfen, die unsere Unterstützung doch auch nötig haben. (Ich selbst gehöre auch so gut wie immer zu dieser überwältigenden Mehrheit.)

Wenn wir uns von Katastrophenmeldungen in die Opferrolle drängen lassen, statt gegen bestehende Missstände das zu tun, was wir  können, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn wir unter unseren Möglichkeiten bleiben. (Wobei ich bei Möglichkeiten primär nicht an die möglichst lukrative Verwendung unserer Arbeitskraft denke.)

17.12.16

Digitale Bildung?

Google hat als ZEIT-Beilage ein Heft "Aufbruch Lernen. Ein Magazin zur digitalen Bildung" herausgebracht. 
Was mich daran stört? - Dass das Lernen des Umgangs mit Programmen und digitalen Medien als "Aufbruch des Lernens" bezeichnet wird, obwohl es doch nur um einen neuen (sehr wichtigen) Lernbereich geht. Und dass von digitaler Bildung gesprochen wird, als ob Bildung digital sein könnte. Mit digital ist ja nicht die Bildung, sondern nur der Bereich, um den es geht, bezeichnet.
(Mit dieser Kritik an einem üblich gewordenen Sprachgebrauch kritisiere ich mich durchaus auch selbst; denn ich selbst habe im ZUM-Wiki einen Artikel Digitales Lernen eingefügt. - Wenn man will, dass etwas gefunden wird, passt man sich dem Sprachgebrauch an, und der ist relativ häufig unlogisch. Das ist freilich nur so lange unproblematisch, wie darüber nicht die Differenzierung im Denken verloren geht.)

Jetzt aber zum Inhalt des Heftes: 
In den Artikeln wird zu Recht hervorgehoben, wie viel Möglichkeiten digitale Instrumente und Medien für Lernen bieten. Es wird aber nicht genügend berücksichtigt, dass diese Möglichkeiten primär den besonders Lernbegünstigten helfen und dass die durch äußere oder innere Umstände Lernbehinderten durch die Digitalisierung benachteiligt werden, so lange kein Schwerpunkt darauf gelegt wird, wie die Entstehung von Lerndefiziten aufgrund der Ausdehnung dieses Bereichs eingedämmt werden kann.  
Dazu:
Zum einen ist aufgrund des hohen Innovationsgrades im Bereich der Digitalisierung jeweils die ältere Generation benachteiligt, weil sie sich neue Bereiche in einer Phase erschließen soll, wo diese spezifische Lernfähigkeit gerade abnimmt. (Nur ein Beispiel: Ich selbst habe bisher den Umstieg vom Laptop zu mobileren Geräten nicht geschafft.)
Zum anderen ist aufgrund des höheren Abstraktionsgrades des digitalen Bereichs nicht nur der verständnisvolle Umgang mit den Instrumenten und Medien schwieriger, sondern auch das Verständnis für die Gefahren, die dort für den Einzelnen (aber auch die Gesellschaft) lauern. 
Wenn man bedenkt, wie zentrale gesellschaftliche Institutionen wie Regierung und Parlament mit dem Umgang mit digitalen Instrumenten hinterher hinken (unzureichende Absicherung gegen Hackerangriffe) und wie zeitverzögert auf die neuen Entwicklungen reagiert wird, dann sollte man sich auch klar machen können, dass ein Verständnis für die Gefahren der digitalen Welt (Sucht, Datenmissbrauch, Identitätsdiebstahl) und die Einübung in die Fertigkeiten, die man braucht, ihnen zu begegnen, weniger Lernbegünstigten stark erschwert ist.

Schließlich sollte man nicht ausblenden, dass nicht nur die Lernenden, sondern auch die gegenwärtigen Lehrer zu großen Teilen durch die neuen Anforderungen überfordert sind. 
Wie groß ist der Prozentsatz  der Lehrer, die sich schon ein funktionierendes persönliches Lernnetzwerk aufgebaut haben, und der Lernenden, die die technischen Geräte und notwendige Unterstützung haben, sich eins zu erarbeiten?
Dabei denke ich auch an den nicht geringen Anteil der Flüchtlinge, die schon mit Alphabetisierung und Spracherwerb extrem gefordert sind und gleichzeitig auch digitale Innovationen mitvollziehen können sollen, um in die Arbeitswelt integriert zu werden. 

Da scheint es fragwürdig, wenn 5 Milliarden für die Versorgung der Schulen mit digitalen Instrumenten bereitgestellt werden, aber die Finanzierung von Alphabetisierung und Spracherwerb der Flüchtlinge noch nicht sichergestellt ist. 

Sieh jetzt auch:
Digitale Strategie der KMK (Dezember 2016), ein kritischer Blogbeitrag in Lehrerzimmer vom 18.12.16
News4Teachers 21.12.16
Bildung in der digitalen Welt & Schulinternes Curriculum 3.1.17
Der Blog: Bildung digital

Lässt sich schon im Kindergartenalter Medienkompetenz erlernen?  Bildungsklick 16.1.17
Die Verfasserin antwortet mit ja. 
Aber auch sie bemerkt:
"Der pädagogisch verantwortete und kreative Einsatz von Tablets im Kitalltag ist für die meisten pädagogischen Fachkräfte Neuland, so dass nicht nur in die Ausstattung mit technischen Endgeräten, sondern vor allem auch die entsprechende Qualifizierung und Unterstützung des pädagogischen Personals eine weitere zu bewältigende bildungspolitische Herausforderung ist." 
Zu den Gefahren des Internets meint sie:
"Die aktive Mediennutzung in der Kita bietet viele Anknüpfungspunkte, mit Kindern Gespräche über Sicherheitsthemen im Internet zu führen, wie sie Hilfe holen, mit Gefühlen umgehen, eigene Grenzen einschätzen, mit eigenen Passwörtern umgehen sowie das Recht am eigenen Bild oder das Urheberrecht kennen lernen. Sie ermöglicht auch, mit Kindern Regeln über die Mediennutzung aufzustellen und sie in ihrem Bewusstsein zu stärken, was gute und schlechte Medieninhalte sind. Durch solche Herangehensweisen legt frühe Bildung den Grundstein für eine sichere und verantwortungsvolle Internetnutzung. Dann entwickeln bereits junge Kinder Kompetenzen, die für sie später in problematischen Situationen im Netz hilfreich sind. Bevor jedoch Tablets in Kinderhand gegeben werden, sind die von Fachleuten empfohlenen Sicherheitsvorkehrungen und eine Vorauswahl geeigneter Medieninhalte zu treffen."
Wie man sicherstellt, dass der "pädagogisch verantwortete und kreative Einsatz" gelernt wird und  genügend Geld nicht nur für die Geräte, sondern auch für die Schulung der Lehrkräfte bereitsteht, das hat sie nicht zu verantworten. Das ist aber genau der Punkt, an dem die bisherige Strategie, Medienkompetenz im digitalen Raum zu schaffen, gescheitert ist. 

13.12.16

Bekommen Schüler wirklich immer bessere Noten?

An den Schulen, bei denen ich das beobachten konnte, hat sich mit der Einführung des Punktesystems für die Spitzenschüler der Notenschnitt verbessert. Das ist nahe liegend, weil man mit 15 Punkten die deutlich schwächeren 11 Punkte (eine ehemalige 2) zu 13 Punkten (also 1) "ausgleichen" kann.
Entsprechend verbesserte sich mit Einführung des Zentralabiturs wiederum der Notenschnitt der landesweit besten Schüler. Da Lehrer für den Leistungsvergleich nur die Leistungen innerhalb der Lerngruppe (also höchstens die der eigenen Schule, nie die innerhalb des gesamten Bundeslandes) zur Verfügung haben, werden sie in besonders guten Lerngruppen daher eher weniger Spitzennoten vergeben als in schwächeren. Für die in solchen Gruppen als "nur" gut eingeschätzten Schüler führt das dazu, dass sie im Landesdurchschnitt zur Gruppe mit sehr gut gehören.
Wie weit dieser allgemein geltende Effekt noch durch weitere Veränderungen begünstigt wurde, vermag man als einzelner Lehrer nicht zu beurteilen. Dazu muss eine größere Gruppe als er beobachten kann, untersucht werden.

Der Faktencheck des Spiegel (Faktencheck: Bekommen Schüler wirklich immer bessere Noten?, 12.12.16) scheint meine allgemeinen Vorüberlegungen zu bestätigen. Was die weiteren Veränderungen (Stichwort: Kompetenzorientierung) betrifft, liegen offenbar noch keine Untersuchungen vor, die belastbare Aussagen für das gesamte Bundesgebiet ermöglichen. Da die Testergebnisse deutscher Schüler sich aber im internationalen Vergleich seit der ersten PISA-Untersuchung verbessert haben, wäre von daher eine Verbesserung des Notendurchschnitts durchaus gerechtfertigt. - Das besagt freilich noch nicht, dass die Entwicklung des Notendurchschnitts in allen Bundesländern genau der Entwicklung des Leistungsstandes entspricht.