27.4.10

Wörterleuchten

"Willst du in meinem Himmel mit mir leben, So oft du kommst, er soll dir offen sein." - "Hier geht es um Betrug."
"Sah ein Knab ein Röslein stehn, ..." - "Es ist ein schauerlich barbarischer Gesang. Schönheit und Schändung sind darin gepaart, so selbstverständlich, als handelte es sich um ein Weltgesetz."
"Die Magier kamen, doch keiner verstand Zu deuten die Flammenschrift an der Wand." - "Wunderbar, wie hier des Lehrers eigenstes Medium zur Apotheose findet. Die Tafel an der Wand, auf die er selbst täglich die Wahrheit in hellen Zeichen setzt, an der von seiner Hand erscheint, was gilt und was Gesetz ist und notfalls ein Strafmaß festhält, sie wird zum numinosen Ort verklärt, ..."
"Gestern liebt' ich, Heute leid' ich, Morgen sterb' ich: Dennoch denk' ich ..." - "'Dennoch denk' ich' - man kann das auch isoliert lesen. Dann wird das Denken, der höchste Akt des vernünftigen Menschen, zum Zeichen seiner Unanfechtbarkeit. Und weil es ein Denken an die Liebe ist, fügt sich zum Intellekt das starke Gefühl. Der Einklang beider macht den ganzen Menschen."
"Da streiten sich die Leut herum Oft um den Wert des Glücks, ..." - "eine harte Philosophie. Hier ermöglicht sie [...] das Äußerste, was Philosophie überhaupt erreichen kann, die vorsichtige Freundschaft mit dem eigenen Tod."

Man braucht mit Peter von Matts Deutungen nicht immer übereinzustimmen. Sie bieten immer wieder einen unerwarteten, neuen Blick auf vertraute Gedichte, so dass diese in neuem Licht Konturen preisgeben, die sonst verborgen bleiben.
Es ist ein Buch, das man als kleine Literaturgeschichte lesen könnte und das mir die Unvollständigkeit meiner kleinen Literaturgeschichte von vertrauten und geliebten Gedichten aufgezeigt hat. Ja, es hat meiner Sammlung einige neue Gedichte hinzugefügt (nicht das Heidenröslein oder Belsatzar, eher das "Willkommen" von Lenz, eines Scheiternden, an die Tochter der gescheiterten Cornelia Goethe).
Es ist auch ein philosophisches Buch über Wahrheit, Ich, Liebe, Glück, Schönheit, Tod ...

18.4.10

Sexueller Missbrauch?

Heideröslein

Sah ein Knab' ein Röslein stehn,
Röslein auf der Heiden,
war so jung und morgenschön,
lief er schnell, es nah zu sehn,
sah's mit vielen Freuden.
Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein auf der Heiden.

Knabe sprach: Ich breche dich,
Röslein auf der Heiden!
Röslein sprach: Ich steche dich,
daß du ewig denkst an mich,
und ich will's nicht leiden.
Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein auf der Heiden.

Und der wilde Knabe brach
's Röslein auf der Heiden;
Röslein wehrte sich und stach,
half ihr doch kein Weh und Ach,
mußt' es eben leiden.
Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein auf der Heiden.

Ist es die Tatsache, dass dies Gedicht von Heinrich Werner so rührend vertont worden ist, ist es die Autorschaft Goethes oder das Gefühl, dass ja "nur" ein Röslein (Fräulein/Jungfrau) Gewalt erleidet, die uns dazu betimmen, diese matter-of-fact-Darstellung von sexuellem Missbrauch nicht zynisch zu finden? Oder sehen wir wirklich so wenig hin, dass wir uns erfolgreich vormachen, das Lied handele wirklich von einem Blumen pflückenden Jungen (wo Jungen doch so bekannt dafür sind, dass sie am liebsten Blumen pflücken!)?
Einfühlung in die Opferrolle hat uns die Kunst auf diesem Gebiet wohl kaum gelehrt. (Man achte in der ausdrucksvollen Vertonung Schuberts auf die Begleitung.)

Es lohnt sich, verschiedene Interpretationen zu vergleichen:
die Geschwister Hoffmann
Andre Rieux mit Susan Erans, Carmen Monacha und Carla Maffioletti
Schubert Vertonung in der Version der Don Kosaken mit passenden(?) Postkarten
Männergesangverein mit Dirigentin
John Kelly mit der Kelly Family
derselbe etwas älter zusammen mit Maite Itoiz
ein russischer Kinderchor
und schließlich im Zusammenhang mit "Kein schöner Land in dieser Zeit als hier das unsre" das Lied in höchsten rührendsten Tönen von lieblichen Knaben gesungen, fast so schön wie von den Regensburger Domspatzen. (Hier eine Aufnahme von 2005, wo die Dame die Rose fortwirft. Daran könnte eine Interpreation ansetzen.)

Wer denkt dabei an sexuellen Missbrauch? Es geschieht doch alles nur mit Einverständnis. In Herders "Stimmen der Völker in Liedern" lauteten die letzten Zeilen noch "aber er vergaß darnach beim Genuß das Leiden". Wer vergisst? Gewiss nicht der Missbrauchte.

Jetzt hören wir mehr und mehr darüber, was selbst einvernehmlicher Sex für die schwächere Seite bedeutet. Goethe hat es im Faust gestaltet, Lenz im Hofmeister. Die Opfer blieben stumm.

14.4.10

Wie genau uns nicht nur Google beobachtet

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