11.12.13

Alphabet - der Film

Der Film Alphabet wird beworben mit dem Satz "Bei ihrer Geburt sind 98% der Menschen hochbegabt."

Natürlich ist das eine unbegründbare Aussage, denn es gibt keine Möglichkeit, unter der Geburt einen Intelligenztest durchzuführen. 
Im Film wird dann auch nur noch berichtet, dass Kinder, je jünger sie sind, desto unangepasster denken. Danach wird Unangepasstheit als Hochbegabung definiert und danach auch noch mit Genialität gleichgesetzt.

Der Film enthielt aber wunderschöne Natur- und Kinderbilder und zeigte einen lebensprühenden Hochschulabsolventen mit Down Syndrom.

Die Erwachsenen denken - nach Durchlaufen von Schule und Ausbildung - zu 98% angepasst, berichtet der Film.

Der Film war freilich zu mindestens 99% auf eine Meinung ausgerichtet und bot Argumenten der Gegenseite weniger als 1% der Zeit.

Wenn aber Zuschauer durch die schönen Bilder und durch die sympathischen Menschen von einer wichtigen Aussage im Film überzeugt werden, soll es mir recht sein.

"Die Verkürzung des Lebens auf die Ökonomie ist eine der schlimmsten Entwicklungen in unserer heutigen Welt", sagt  (dem Sinne nach) der Telekom-Manager Thomas Sattelberger mit jahrzehntelanger Erfahrung als Personalchef. 

Man könnte dafür triftigere Argumente finden als der Manager und als der Film. Aber schließlich ist der Film ein Medium der Überwältigung, nicht der Argumentation.

Und ich erspare es mir am späten Abend, die Argumente, die ich in meinen Blogs verstreut dafür genannt habe, zusammenzusuchen, und wiederhole nur:

"Die Verkürzung des Lebens auf die Ökonomie ist eine der schlimmsten Entwicklungen in unserer heutigen Welt."

Übrigens war das Kino gerammelt voll. Hoffentlich kommt die Botschaft an, trotz aller Defizite des Films.

Vielleicht hilft dazu das Unterrichtsmaterial (pdf), das Presseheft mit Interviews mit  Gerald Hüther und Thomas Sattelberger, einem Statement des Regisseurs Erwin Wagenhofer und manchen anderen Infos oder gar das Rundschreiben eines Ministeriums oder das Lob einer Ministerin.

Bemerkenswert erscheint mir, was unter dem Label "Worum geht es?" erscheint: 
... neuerdings weht an den Schulen ein rauer Wind. „Leistung“ als Fetisch der Wettbewerbsgesellschaft ist weltweit zum unerbittlichen Maß aller Dinge geworden. Doch die einseitige Ausrichtung auf technokratische Lernziele und auf die fehlerfreie Wiedergabe isolierter Wissensinhalte lässt genau jene spielerische Kreativität verkümmern, die uns helfen könnte, ohne Angst vor dem Scheitern nach neuen Lösungen zu suchen. [...] Fast alle Bildungsdiskussionen sind darauf verkürzt, in einem von Konkurrenzdenken geprägten Umfeld jene Schulform zu propagieren, in der die Schüler die beste Performance erbringen. Wagenhofer hingegen begibt sich auf die Suche nach den Denkstrukturen, die dahinter stecken. [...] wie wir lernen, prägt unser Denken.

Diese Art von Kritik an bürokratischem Denken und an Ökonomisierung hat m.E. Sinn. Indoktinierung schreckt mich ab.

Ausführlicher kritisiert Der Tagesspiegel.

Die Süddeutsche ergänzt:
In "Alphabet" erzählt der spanische Lehrer und Schauspieler Pablo Pineda Ferrer, der trotz Down-Syndrom einen Hochschulabschluss geschafft hat, charmant vom Widerstand dagegen, sich "hinten anzustellen"; und von denen, die ihm auf seinem Weg geholfen haben.
Er ging auf eine Standardschule.

Wer wird es Pablo Pineda Ferrer übelnehmen, dass auch er in Konkurrenzkategorien denkt und sich nicht damit zufrieden gibt, das zu tun, was er kann, sondern auch gesellschaftliche Anerkennung dafür fordert?

Ergänzung vom 18.12.13:
Die Kritik an der Überbewertung des Dauervergleichs durch die PISA-Studien erscheint umso berechtigter, wenn man berücksichtigt, dass die seit 10 Jahren diskutierten Ergebnisse für Deutschland so wenig abgesichert sind, dass alle Veränderungen, die in diesem Jahrzehnt festgestellt worden sind, streng genommen nichts aussagen, da sie innerhalb des Messfehlerbereiches liegen. (vgl. dazu TeachersNews: Unstatistik des Monats)

1 Kommentar:

TomJork hat gesagt…

Ich haben wegen der merkwürdigen Überwältigungsparolen auf den Filmgenuss bisher verzichtet (und wenn ich den Namen Gerald Hüther lese, dann weiß ich auch nicht, ob ich etwas von ihm hören möchte: http://blog.psiram.com/2012/09/gerald-huther-eine-ubersicht-fur-journalisten/). Aber vielleicht werde ich mir den Film wegen seiner Grundaussage (Bildung vs. Wirtschaft) doch mal ansehen.