Ich stelle mir vor, Dietrich Bonhoeffer hätte Steuern hinterzogen. - - -
"Ja und?" werden Sie jetzt wohl fragen. Soll das an meinem moralischen Urteil etwas über ihn ändern? Er hätte die Steuern doch einem Unrechtsregime hinterzogen. Eben.
Weil er aber an andere hohe moralische Ansprüche gestellt hat, hat er sich durchaus Gedanken gemacht, ob er nicht bei seinem Widerstandskampf große Fehler macht. Er ist zum Schluss gekommen, dass er mit diesem Kampf Schuld auf sich lädt, aber dass seine Schuld noch größer wäre, wenn er ihn unterließe.
Gegenüber dem Kant'schen kategorischen Imperativ hat er sich damit gerechtfertigt, dass Wahrheit sagen im moralischen Sinne nicht bedeute, Aussagen zu machen, deren Inhalt mit der Realität übereinstimmt, sondern Aussagen, die den menschlichen Verhältnissen gerecht werden. (Präziser formuliert findet es sich in Bonhoeffers Aufsatz.)
Was hat das mit Steuerhinterziehern von heute zu tun?
Wenn Steuerhinterzieher aufgrund einer Selbstanzeige straffrei ausgehen, aber trotzdem dem Hohn und der Verachtung der Menge preisgegeben werden, dann passiert ihnen nichts Schlimmeres, als es den Widerstandskämpfern des 20. Juli geschah: Öffentliche Herabsetzung, Verfolgung der Familienangehörigen, Entfernung ihrer Kinder aus der Familie und Verbringung in nationalsozialistische "Obhut".
All das kam zu der erwartenden Todesstrafe hinzu. Doch sie hatten ein gutes Gewissen angesichts der Güterabwägung. Ihnen konnte das moralische Urteil der Menge, ihr guter Ruf, - vergleichsweise - gleichgültig sein, vor ihrem Gewissen konnten sie bestehen.
Bei den heutigen prominenten Steuerhinterziehern sieht es anders aus.
Was nützen mir alle Erfolge meines Vereins, wenn mir mein guter Ruf doch wichtiger ist als die?
Deshalb fühle ich mit den Steuerhinterziehern mit: Wenn fast alle aus meinen Kreisen es machen und fast alle straffrei ausgehen, warum gerade ich? Und noch dazu gerade dann, wenn ich mit der Angst vor dem Entdecktwerden endlich Schluss machen wollte?
Ja, es ist ungerecht.
Aber der Stachel im Fleisch ist, dass man selbst gerecht behandelt wird und nur die anderen bevorzugt.
Insofern war ein Widerstandskämpfer besser dran, auch wenn er gefoltert wurde und seine Familienangehörigen einem ungewissen Schicksal ausgesetzt sah. Er konnte sich für schuldig im Sinne der Anklage erklären und doch für moralisch gerechtfertigt.
Ja, was soll das alles?
Es soll rechtfertigen, dass ich mit den Steuerhinterziehern, die jetzt am Pranger stehen, Mitleid empfinde.
Man wird nicht erwarten, dass ich sie - wie die Widerstandskämpfer - auch noch bewundere.
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