Es ist schon in dem gegensätzlichen Ansatz von Platon und Aristoteles vorgebildet: Platon, der den Lehrer für so wichtig hält, dass er seine gesamte Philosophie seinem Lehrer Sokrates in den Mund legt, so dass wir die Mühe haben, zu unterscheiden: wo spricht Platon und wo spricht Sokrates?
Und andererseits Aristoteles, der die Erfahrungswelt betrachtet und sie zu ordnen und verstehen sucht.
Platon kommt zum Ergebnis, dass Philosophen die Könige sein sollten (vgl. dazu Poppers Kritik, der Platon totalitäre Züge unterstellt), und Aristoteles schließt, dass Sklaven keine Menschen sind, weil ihnen die Freiheit nicht über alles geht.
Ein ähnlich unterschiedliches Paar finden wir an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert in Wilhelm von Humboldt und Georg Forster. Wilhelm kennt schon als Kind keine größere Freude, als die alten Griechen zu studieren, Georg, den sein Vater erst nach Russland und dann nach England mitnimmt, übersetzt als Dreizehnjähriger Lomonossows Kurze Russische Geschichte vom Russischen ins Englische, was "in wissenschaftlichen Kreisen lobende Anerkennung fand" (Wikipedia), und segelt als Siebzehnjähriger mit James Cook um die Welt und begründet bei dieser Gelegenheit die deutsche Ethnologie. Ja, er "verirrt" sich als revolutionärer deutscher Jakobiner so weit in die Praxis, dass er in der Zeit des beginnenden Terreur in Paris stirbt (freilich nicht unter der Guillotine, sondern an Lungenentzündung).
Alexander von Humboldt nimmt sich nicht seinen großen Bruder Wilhelm zum Vorbild, sondern Georg Forster, den er auf seiner Reise an den Niederrhein, Frankreich und England begleitet und dann seinen großen Lehrer nennt. Wilhelm vertieft sich in die Sprachwissenschaft als die Grundlage des Denkens, Alexander studiert Geographie durch Reisen.
Wilhelm von Humboldt betont die Einheit von Forschung und Lehre, Jean-Pol Martin meint man lerne nur recht durch Lehren und lässt sich deshalb in New York von seinen Schülern sagen, was er dort tun soll. Möglich wird das erst durch Telekommunikation, wie überhaupt das Erfahrungslernen im Team, das Martin propagiert, wesentlich von den Möglichkeiten des Internets profitiert.
Freilich - und hier hebt sich der Gegensatz Lernen vom Lehrer und Erfahrungslernen wieder ein Stück auf - er organisiert als Lehrer die Lehrsituationen, an denen die Schüler lernen sollen.*
Eine lange Einleitung für die Vorstellung des Circle, in dem das Leben in der Community der vom Rousseauschen Bildungsideal geprägten Selbstfindung gegenübergestellt wird.
Worauf ich hinaus will, ist, dass es einseitig wäre, Allgemeinbildung unter Berufung auf Bildung zu verdammen oder der Reformpädagogik abzuschwören, weil wir das Internet haben, oder auf digitale Medien zu verzichten, weil wir ohne Lehrer nicht auskommen. Doch dazu mehr bei anderer Gelegenheit.
Hier nur eine Andeutung.
Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt schreiben in ZEIT online unter der Überschrift Humboldt gegen Orwell
"Die Digitalisierung verändert die Bildung so stark wie zuvor nur der Buchdruck und die Schulpflicht. [...]
Humboldt hätte an der Digitalisierung Gefallen gefunden. Der große Reformer des 19. Jahrhunderts wollte "Bildung für alle" als Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben und schuf in Deutschland das allgemeine Schulwesen. Sein lange unerfülltes Ideal: Wer gut ist, kommt weiter, egal, wo er herkommt. Diese Demokratisierung wird jetzt möglich. Dank digitaler Hilfsmittel erhalten bisher Abgehängte Zugang zu günstiger und personalisierter Bildung, Können wird wichtiger als Herkunft oder Titel. [...]
Jeder hier brauchte eigentlich seinen auf ihn persönlich zugeschnittenen Unterricht. Seit vier Jahren bekommen alle Schüler genau das. New Classrooms heißt das Konzept, das auf digitalisierte Lerneinheiten statt Frontalunterricht setzt, um jeden bei seinem Wissensniveau abzuholen. In einem riesigen Raum, der sich über ein ganzes Stockwerk erstreckt, lernen etwa neunzig Schüler Mathe an wechselnden Stationen: Die einen schauen Videos, die anderen nutzen Lernsoftware, andere arbeiten in Gruppen oder sprechen mit dem Lehrer. Das Besondere ist allerdings nicht, wie vielfältig die Lernmethoden sind, sondern die automatisierte Personalisierung: Am Ende eines Tages legt jeder Schüler einen kurzen Onlinetest ab. So kann ein Zentralcomputer in Manhattan über Nacht errechnen, welcher Schüler noch nacharbeiten muss und welche Methode die beste dafür ist. Daraus entsteht ein individueller Lernplan für den nächsten Tag, den die Schüler morgens über große Monitore an den Wänden erfahren. Die Technik macht den Lehrer hier nicht überflüssig, sie verändert aber seine Rolle: vom Wissensvermittler zum Lernbegleiter."
Ich zweifle daran, ob die Verfasser jemals einen MOOC und im Vergleich dazu einen cMOOC mitgemacht, dass sie ein Barcamp mitgestaltet haben. Zu Recht?
*Georg Forsters Vater hat (ähnlich wie und anders als Martin) für seinen Sohn ungewöhnlich anregende Lernsituationen geschaffen. Nur weil Georg schon als Vierzehnjähriger sich intensiv in die deutsche, die russische und die englische Kultur eingelebt hatte, konnte er als Siebzehnjähriger die Weltreise dafür nutzen, Ethnologe zu werden. - Freilich James Cook war dabei als Lehrmeister unersetzlich. Denn einerseits schuf er als erfolgreicher Weltumsegler auf seiner zweiten Weltreise Lernsituationen, wie sie damals kein anderer bieten konnte, andererseits ist kaum vorstellbar, dass Georg (und sei es auch nur durch Vermittlung seines Vaters) nicht vom Wissen Cooks profitiert hat. Sein Aufsatz über Cook zeugt jedenfalls davon, dass er sich bewusst war, mit welcher Ausnahmepersönlichkeit er da unterwegs war.
vergleiche auch:
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