17.7.14

Die Lehnspyramide – ein Wiedergänger des Geschichtsunterrichts

Die Fehlinterpretation der Lehenspyramide als Abbild einer Gesellschaftsordnung anstatt einer Rechtsbeziehung geht laut Boockmann auf die seit dem späten 18. Jahrhundert geführte Feudalismus-Diskussion zurück, also den Versuch, “die mittelalterliche Sozialordnung insgesamt als feudal zu verstehen”. Er zieht daraus den Schluss, dass die Lehnspyramiden in den Schulbüchern unter Einschluss der Bauern nicht die mittelalterliche Gesellschaft illustrierten, “sondern vielmehr ein Bild von dieser, das seine Wurzeln im ausgehenden 18. Jahrhundert hat und nach heutiger Auffassung ein Mißverständnis ist” (Bernhardt, Markus: Die Lehnspyramide – ein Wiedergänger des Geschichtsunterrichts. In: Public History Weekly 2 (2014) 23, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-2164.)

Den Artikel zur Lehnspyramide benutze ich hauptsächlich als Aufhänger, um für eine neudeutsch betitelte Zeitschrift zu werben, ohne mit ihrem Titel abzuschrecken, für die public history weekly.de.
Dennoch möchte ich auch Interesse für diesen Aufsatz zu wecken versuchen, indem ich ein Zitat vom Ende des Aufsatzes hinzufüge:

Warum also ist die Lehnspyramide ein Wiedergänger des Geschichtsunterrichts? Ich denke, das hängt mit dem Metanarrativ unserer Lehrpläne und Geschichtsschulbücher zusammen, das wir eigentlich seit den 1970er Jahren überwunden glaubten. Natürlich gibt es heute nicht mehr die nationale Meistererzählung, aber es gibt eine andere “Geschichte”, die den Schülerinnen und Schülern als Metanarrativ präsentiert wird: die Fortschrittserzählung der westlichen Moderne, die etwa mit der Französischen Revolution beginnt und dann vom unaufhaltsamen Aufstieg der westlichen Werte berichtet: Menschenrechte, Demokratie, Emanzipation, Pluralismus, Innovation, Fortschritt. [...] Wäre es nicht an der Zeit, dieses Narrativ über Bord zu werfen und den älteren Epochen ihre Geschichte wiederzugeben?
So ganz leicht macht es der Aufsatz es dem Lehrer freilich nicht, der Schülern ein korrekteres Bild zeichnen möchte. Zu der bekannten Schwierigkeit, dass die Quellen so unvollständig sind, dass wir für keinen Zeitpunkt ein Szenario vorstellen können, das auch nur für den Kernbereich des Heiligen Römischen Reiches repräsentativ wäre, weil die Verhältnisse von Ort zu Ort weit unterschiedlicher gewesen sein dürften als heute, stellt sich jetzt noch die Forderung, dieses Szenario auch in seiner historischen Dimension zu zeichnen.
Da bleibt realistischerweise für den Lehrer nur die Formulierung Martin Lintzels, der eine scharfsinnige Untersuchung mit dem treffenden Hinweis schloss: "Das Ergebnis bleibt ein ignoramus."
Ob das nicht vielleicht doch einmal dazu führt, dass man das Mittelalter als die uns fremdeste Zeit erst am Ende des Geschichtsunterrichts behandelt, wenn die methodischen Voraussetzungen für ein differenziertes Geschichtsverständnis bereits in ihren Grundlagen erarbeitet sind?



Keine Kommentare: