30.7.14

"Es war Gorbatschows Revolution"

Was in der Aufregung über Putin oft vergessen wird: 
Weshalb traut man sich heute von Russland die Einhaltung des Völkerrechts zu fordern? 
Weshalb kann die EU mit - beschränkter - Aussicht auf Erfolg Sanktionen beschließen, um Russland auf einen anderen politischen Kurs zu drängen? 
Zur Zeit des Mauerbaus 1961 haben die USA keine ernsthafte Konfrontation mit der DDR versucht. Was ist heute grundlegend anders?

Es gibt keine Sowjetunion mehr. Die Gefahr eines Weltkrieges, die in der Kubakrise 1962 unmittelbar drohte, liegt - scheinbar? - in weiter Ferne. Denn der Kalte Krieg ist beendet. 
Das war Gorbatschows Leistung. 

Tony Judt sieht in "Postwar" Gorbatsschows Leistung durchaus kritisch. Er spricht davon, seine Kritiker seien hellsichtiger gewesen. Taktisch habe Gorbatschow geglaubt, die deutsche Wiedervereinigung verhindern zu können, obwohl er alle kommunistischen Satellitenregierungen bewusst aufgegeben habe mit der offenen Aussage, die Völker müssten selbst über ihren Weg entscheiden. 
Ganz deutlich erkennt er aber Gorbatschows strategische Leistung an, die Auflösung des großen Imperiums so unblutig und so schnell bewältigt zu haben, und fasst seine Einschätzung der Demokratisierung Osteuropas zusammen mit dem Satz: "Es war Gorbatschows Revolution."


Meine eigene Sicht auf Gorbatschow möchte ich zunächst anhand meiner Einschätzung von 1991 beschreiben:
Die Folgewirkungen dessen, was Hitler und Stalin an Unheil über die Welt gebracht haben, hat er in einem Ausmaß beseitigt, wie man es zuvor wohl nicht für möglich gehalten hätte. Er hat vorgeführt, daß das Blocksystem von einer Seite her aufzulösen war, ohne daß das den Gegner zur Übernahme des anderen Blocks bringen würde. (Ob das von der westlichen Seite her auch hätte funktionieren können, wird, da das Experiment nicht gelaufen ist, vermutlich historisch umstritten bleiben.) […] Fazit: ein großer Mann, der mir umso größer erscheint, je mehr von den Schwierigkeiten, die auf ihn zukamen, [er] vorausgesehen haben sollte, gerade deswegen, weil seine Größe in seinem Mut bestand, das Mögliche, aber unmöglich Scheinende zu wagen. Je geringer sein Mut gewesen sein sollte, umso stärker muß die Reformkraft in der Sowjetunion gewesen sein. (1991)
23 Jahre darauf möchte ich Folgendes ergänzen:
Bei aller Anerkennung von Gorbatschows Leistung bleibt festzuhalten, dass es ihm nicht gelungen ist, die Sowjetunion und ihre sozialstaatlichen Elemente zu erhalten. Er hat die Blöcke also auf Kosten des sozialen Friedens im eigenen Land beseitigt, was er freilich durchaus nicht beabsichtigt hatte.
Aus dem Europäischen Haus und aus der Friedensdividende ist nicht viel geworden. Das kann man freilich nicht ihm zuschreiben, auch wenn er in dieser Hinsicht im Nachhinein - wie so viele damals - historisch gesehen zu optimistisch war. 

Die rabiaten Wirtschaftsreformen führten dann aber zu einer solchen Diskrepanz zwischen dem Reichtum und Einfluss der Oligarchen und der Hilflosigkeit der notleidenden Bevölkerung, dass es zwingend wurde, die staatliche Autorität wieder zu stärken. Die Mittel, mit denen das Putin gelang, wird man nicht billigen, dass etwas in dieser Richtung geschehen musste, scheint mir unzweifelhaft.
Im Nachhinein ist insofern manches von Putins rechtsstaats- und menschenrechtswidrigen Methoden (vgl. z.B. Klaus Staeckeine Folge des partiellen Scheiterns von Gorbatschow. 
Doch wenn man vergleicht, was George W. Bush aus den innenpolitisch wie außenpolitisch relativ solide aufgestellten USA gemacht hat, wie viele Kriege und Kriegsverbrechen er zu verantworten hat, wird aus der Außensicht Putins Politik der Überwindung der politischen und wirtschaftlichen Krise Russlands als maßvoll angesehen werden können. 

Wenn man Obamas Wirken mit dem Gorbatschows vergleicht, so hat Obama wohl auch nicht mehr von seinen Zielen erreicht als Gorbatschow. Dagegen war Putins Erfolgsquote gewiss höher. Freilich hat er ethische Maßstäbe noch weit eher verleugnet, als Obama es im Laufe seiner Amtszeit zum Entsetzen seiner Anhänger - nur gezwungenermaßen? - getan hat.

Ich wüsste keinen Politiker zu benennen, der sich ein so gewaltiges politisches Ziel gesetzt hat, wie Gorbatschow und so konsequent bei seinen ethischen Maßstäben geblieben ist. (Nelson Mandela hat seine weltweit vorbildlichen ethischen Maßstäbe in 27 Jahren Haftzeit entwickelt und sein Ziel war im Weltmaßstab bescheidener.)

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