Götz Hamann äußert die Ansicht, Texte, die über Soziale Netzwerke vermittelt würden bezögen ihre Glaubwürdigkeit vom Vermittler, nicht vom Autor. Das sehe ich ganz anders.
Dagegen sehe ich mit Bernhard Pörksen (sieh weiter unten) durchaus ein Problem darin, wenn die Texte, die umfangreiche Recherchen, insbesondere Investigation, erfordern und in Redaktionen einer Qualitätskontrolle unterliegen, ganz durch ehrenamtlichen Freizeitjournalismus abgelöst würden. Texte von Heribert Prantl oder Habermas gewinnen für mich Autorität über den Autor, Texte, deren Autoren ich nicht einschätzen kann, über das Publikationsorgan. (Was nicht heißt, dass ich sie nicht aufgrund meiner politischen Einstellung und meines persönlichen Grundverständnisses einordnen würde.) Ich weiß, was ich bewirke, wenn ich mich auf eine einseitige Auswahl von Publikationsorganen stütze.
Problematisch wird es, wenn ich mich für die Beurteilung von Texten allein auf mein Grundverständnis verlassen muss und über die Art der Textauswahl keine Ahnung habe (besonders, wenn sie sich - wie bei Google - an meinen vorhergegangenen Vorlieben orientiert). Dass Pörsken diese Gefahr deutlich herausarbeitet, scheint mir wichtig.
Pöbeleien im Netz ersticken Debatten. Wir brauchen endlich Regeln! Ein Appell von Bernhard Pörksen
"In einem solchen Zusammenwirken der unterschiedlichsten Kräfte zeigt sich eine Neuverteilung der publizistischen Machtverhältnisse. Einerseits verlieren die traditionellen Gatekeeper des Journalismus an Macht, aber damit beginnt nicht das Reich totaler Freiheit, sondern es gewinnen Gatekeeper neuen Typs an Einfluss, die ihre publizistische Mitverantwortung bislang offensiv ignorieren. Auf eine Formel gebracht: Beobachtbar ist eine Disintermediation bei gleichzeitiger Hyperintermediation*.
(*It's the proliferation—not elimination—of intermediaries that has made blogging so widespread. The right term here is “hyperintermediation,” not “disintermediation.” - Intermediaries online are more powerful, and more subtle, than ever before.)
Das sind, zugegebenermaßen, ziemlich scheußliche Ausdrücke aus dem Begriffsarsenal der Medienwissenschaft. Sie zeigen jedoch, warum die Ausweitung der Verantwortungszone in all den Debatten über die Macht der Medien und die Veränderung der Öffentlichkeit unbedingt geleistet werden muss und warum die allgemeinen Appelle in Richtung einer Publikumsethik ins Leere gehen. [...] Und schließlich bedeutet dies, dass der klassische Journalismus an Deutungsautorität verliert (und damit die Agenda der Allgemeinheit an Strahlkraft und Verbindlichkeit einbüßt). Der gesamte Mechanismus der Weltaneignung und Wirklichkeitskonstruktion, den Disintermediation ermöglicht, ist also zwiespältig: Er kann uns befreien, weil auf einmal für jeden sichtbar die Diktatur der Mono-Perspektive zerbröselt. Und er kann uns in eine neue Verbiesterung und ideologische Verhärtung hineinlocken, weil sich nun der Einzelne – ohne offizielles Korrektiv, ohne die Irritation durch einen allgemein anerkannten Glaubwürdigkeitsfilter – seine Weltsicht zusammenbasteln und in seine höchstpersönliche Wirklichkeitsblase hineingoogeln kann.
[...] Worauf es insgesamt ankommt, ebendies meint Disintermediation bei gleichzeitiger Hyperintermediation: Es entstehen, parallel zur publizistischen Selbstermächtigung des Einzelnen, Nachrichten- und Weltbildmaschinen eigener Art, globale Monopole der Wirklichkeitskonstruktion, die längst mächtiger sind als die klassischen Nachrichtenmacher. [...] Diese Gesellschaft braucht also, will sie nicht ihre liberal-aufklärerische Tradition verlassen, Denkräume und Wertedebatten, um die Frage nach der publizistischen Verantwortung in der öffentlichen Sphäre neu zu stellen, sie überhaupt erst zu behandeln. [...] Die neuen Player in der Erregungsarena der Gegenwart sind längst mitten unter uns, und es wäre fatal, die Frage nach der publizistischen Verantwortung aller weiterhin zu ignorieren."
Dass man sich "in seine höchstpersönliche Wirklichkeitsblase hineingoogeln kann" sehe ich als gesellschaftliche Gefahr, wenn es keine Konkurrenz von anspruchsvollen Redaktionen mehr gibt. (Deshalb sehe ich auch im Monopol der Wikipedia eine Gefahr, ohne das hier weiter zu begründen.)
Freilich, da ich in der Ukrainekrise wie der griechischen Finanzkrise weitgehend eine unkritische Übernahme der EU-Perspektive durch die Medien beobachtet habe, befürchte ich, dass auch die traditionellen Medien - aufgrund welcher Mechanismen auch immer - keine zureichende Meinungsvielfalt mehr generieren können.
(Der Vorläufer dieses Textes findet sich auf Fontanefans Schnipsel.)
9.7.15
Brauchen wir neue Verantwortlichkeitsregeln für die Publikation im Internet?
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