31.10.14

Die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) und die Tarifeinheit

Flächentarife und Tarifeinheit scheinen mir ein deutliches Plus der deutschen Gewerkschaftslandschaft. Wir verdanken sie der britischen Labour Party, die nach 1945 versuchte, Deutschland die Zersplitterung in viele kleine Berufsgewerkschaften, wie sie in Großbritannien im Zuge der frühen Gewerkschaftsentwicklung im 19. Jh. entstanden sind, zu ersparen.

Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer erschwert durch ihre Auseinandersetzung mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) diese Tarifeinheit im Bereich der Deutschen Bahn.  Wie ist das zu bewerten?

Als die Privatisierung der Deutschen Bahn von Mehdorn vorangetrieben wurde, widersetzte sich die GDL diesem Vorhaben, während die Vorgängerin der EVG, die Transnet, sie unterstützte. 

Dazu Jens Berger auf den NachDenkSeiten:

Zum großen Zusammenstoß mit der GDL kam es 2007, als Transnet einen Tarifvertrag mit der Deutschen Bahn unterzeichnete, der es der Bahn gestattete, über fragwürdige Vertragsbedingungen neue Lokführer zu Stundenlöhnen von 7,50 Euro einzustellen. Nicht die „Lokführergewerkschaft“, sondern Transnet war laut Vertrag für diese „Lokführer zweiter Klasse“ verantwortlich, die formaljuristisch als „Mitarbeiter mit eisenbahnspezifischer Ausrichtung“ bezeichnet wurden. [...] Durch einen langwierigen Arbeitskampf konnte die GDL 2008 ihren ersten großen Sieg erringen und musste von der Deutschen Bahn in einem eigenständigen Tarifvertrag als vollwertige Arbeitnehmervertreterin anerkannt werden. Im gleichen Jahr unterzeichnete die Konkurrenz von Transnet ihren moralischen Offenbarungseid – der Gewerkschaftsvorsitzende Norbert Hansen wechselte ohne jegliche Übergangszeit mit fliegenden Fahnen die Seiten und heuerte im Vorstand der Deutschen Bahn AG als neuer Arbeitsdirektor an. Der Gewerkschafter, der zuvor seine Kollegen an die Deutsche Bahn verraten hatte, kassierte nun auf der Arbeitgeberseite seinen Judaslohn. Für die nicht einmal zwei Jahre, die er im Vorstand der Deutschen Bahn AG verbrachte, überwies ihm das Staatsunternehmen inkl. Abfindung stolze 3,3 Millionen Euro. Einen derart massiven Fall von Korruption (nicht juristisch, aber sehr wohl moralisch) hat es in der deutschen Gewerkschaftsgeschichte wohl noch nie gegeben.(Jens Berger: Bahnstreik – Ich bin ein GDL-Versteher!)
Mehr dazu bei Stephan Hebel: Tarifeinheit von oben geht nicht, FR vom 31.10, 14, S.11
"Es ist ein großer Unterschied, ob man einen Mindestlohn gesetzlich erzwingt oder die Einheit der Arbeiterbewegung. Den Mindestlohn selbst durchzusetzen, waren die Gewerkschaften objektiv zu schwach. Die Einheit in den Betrieben selbst herzustellen, waren und sind sie zu verblendet und manchmal zu dumm. [...] Hier geht staatliches Eingreifen zu weit."
Ergänzungen 
Jakob Augstein: Bahn-Streik: Ein Dank an die Lokführer, Spiegel online, 6.11.14
Der Philosoph Byung-Chul Han hat geschrieben: "Der Neoliberalismus formt aus dem unterdrückten Arbeiter einen freien Unternehmer, einen Unternehmer seiner selbst. Jeder ist heute ein selbstausbeutender Arbeiter seines eigenen Unternehmers. Jeder ist Herr und Knecht in einer Person. Auch der Klassenkampf verwandelt sich in einen inneren Kampf mit sich selbst. Wer heute scheitert, beschuldigt sich selbst und schämt sich. Man problematisiert sich selbst statt die Gesellschaft."
 Der Klassenkampf findet nicht mehr auf der Straße statt, sondern im Inneren. Margaret Thatcher musste die Gewerkschaften noch mit Polizeigewalt bekämpfen. Das übernehmen bei uns heute die Medien.
Jens Berger: Worum geht es im GDL-Streik eigentlich? NachDenkSeiten 7.11.14
Um den Hintergrund des GDL-Streiks zu verstehen, ist es zunächst wichtig, die Begriffe Tarifeinheit und Tarifpluralität zu definieren. Die Tarifeinheit wird im Kern durch den Satz „Ein Betrieb, ein Tarif“ beschrieben. Der Grundsatz der Tarifeinheit wird vor allem dann bemüht, wenn es aus verschiedenen Gründen innerhalb eines Betriebes mehrere gültige Tarife gibt. In einem solchen Fall wurde bis 2010 von den Arbeitsgerichten der Fall nach dem Grundsatz der „Spezialität“ behandelt: Danach gilt der Tarifvertrag, der dem Betrieb räumlich und fachlich am nächsten steht. Diesen Zwang zur Tarifeinheit hat das Bundesarbeitsgericht jedoch im Jahre 2010 unter Berufung auf die im Grundgesetz zugesicherte Koalitionsfreiheit abgeschafft. Heute gilt stattdessen der Grundsatz der Tarifpluralität, nach dem in einem Betrieb verschiedene Tarifverträge gestattet sind. Ein Arzt kann also z.B. nach dem Tarifvertrag von ver.di oder nach dem Tarifvertrag des Marburger Bundes entlohnt werden – je nachdem, in welcher Gewerkschaft er ist.
Das Gleiche gilt für Lokführer, die entweder in der GDL oder in der EVG organisiert sein können. Nun will die GDL erstmals diesen Grundsatz auch auf die in der GDL organisierten Mitarbeiter des Zugpersonals geltend machen. Dazu zählen unter anderem Zugbegleiter (also Schaffner) und Mitarbeiter in der Bordgastronomie. Die Deutsche Bahn beschäftigt in diesem Bereich 37.000 Mitarbeiter, von denen 10.000 keiner Gewerkschaft angehören und 8.000 Mitglied der EVG sind. Die GDL will nun für die ihre 19.000 Mitarbeiter in diesem Bereich (die 51%, von denen seitens der GDL immer die Rede ist) Tarifverhandlungen führen. 

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