22.12.14

Zwei Seelen

"Wenn man sich als Mensch verstehen will, wenn man mit Menschen umgeht und sie anleiten will, muss man wissen, dass sie als Systeme nie im Gleichgewicht sind." (jeanpol: Antinomische Bedürfnisse)

"Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust." (Goethe: Faust)

Jean-Pol Martin fährt fort:
 "Psychologisch übersetzt heißt es, dass sie nie zufrieden sein können, denn die Befriedigung eines Bedürfnisses enthält potenziell die Nichtbefriedigung des gegenteiligen. Der Einblick in die Grundbedürfnisse des Menschen und in die antinomische Struktur von Bedürfnistendenzen erleichtert das Verständnis menschlichen Handelns und erhöht die Kontrollkompetenz des Einzelnen im Umgang mit sich selbst und mit anderen Menschen." (jeanpol: Antinomische Bedürfnisse)
 "Kontrollkompetenz des Einzelnen im Umgang [...] mit anderen Menschen" klingt nach Anweisung für  Folterersatz, d.h. danach, dass man die Menschen danach zwingen kann, zu tun, was man will. Das ist aber nicht gemeint, sondern, dass man lernt, selbstgesteuert und zielführend zu handeln. (vgl. jeanpol zu Kontrollkompetenz)
Es geht also um Selbstvertrauen, Selbstwirksamkeit, Ichstärke.

Was bei Jean-Pol Martins These über Goethe hinausführt, ist der Gedanke, dass jeder Mensch "kein ausgeklügelt Buch, sondern ein Mensch mit seinem Widerspruch" ist und dass es für jeden der Normalzustand sei, nicht die Ausnahmesituation.
Dass dieser "Normalzustand" durch Frustrationserfahrungen im Normalmenschen meist längst verschüttet ist, macht die Aufgabe des Lehrens so mühsam und reizvoll.

Meine These dazu: Es ist nicht Schuld "der Schule", sondern des Normallebens in normalen Gesellschaften, dass Normalmenschen nur ausnahmsweise Selbstwirksamkeit in so hohem Maße erfahren, dass sie in Flow geraten. (zu Flow bei jeanpol)
Als Pädagoge lässt sich Jean-Pol Martin aber nicht davon abschrecken. Andere Pädagogen sollten sich auch nicht abschrecken lassen. 
Dafür kann man immer wieder Vorbilder gebrauchen, an denen man sieht, dass man Menschen dazu bringen kann, ihr "fehlendes Gleichgewicht" produktiv für sich und andere zu nutzen. 
Eine Weise, wie das geht, beschreibt LdL.

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