24.2.16

Blauäugigkeit ist kein Ersatz für Tatkraft

Die allgemeine Euphorie, die in den Medien ausbrach, als deutlich wurde, wie groß die Bereitschaft zu ehrenamtlicher Hilfe für Flüchtlinge war, war kein gutes Zeichen; denn sie übertönte den Ruf nach Aufstockung des professionellen Personals für diesen Bereich.
Die Forderung, die Polizei muss den Schutz von Flüchtlingen sicherstellen, Punktum, ist kein gutes Zeichen, denn sie verschließt die Augen davor, dass die Polizei in der gegenwärtigen Situation insgesamt, vor allem aber in einzelnen Krisensituation wegen Personalmangels überfordert ist.

Die simple Forderung "Stellt mehr Lehrer für Deutsch als Fremdsprache ein!" wäre auch kein gutes Zeichen, denn die systematische Sparpolitik im Bildungsbereich hat dazu geführt, dass ausgebildete Deutsch- und Fremdsprachenlehrer in andere Berufe abgewandert sind. Lehrer für Deutsch als Fremdsprache gab es schon vorher nicht reichlich, für die jetzigen Bedürfnisse  aber sind sie selbst für eine Notversorgung zu wenige. Ehrenamtliche reichen nicht einmal aus, den allerdringlichsten Bedarf zu decken.

Zu viele unter uns haben die Flüchtlingskrise, die schon vor dem August 2015 bestand, nicht wahrgenommen und glauben deshalb an fehlenden guten Willen.
Zwar ist es völlig richtig, dass jetzt erheblich mehr in den Bildungsbereich investiert werden muss, dass mehr Polizisten eingestellt werden müssen und dass der Einsatz von Ehrenamtlichen unverzichtbar ist. Doch auch dann wird immer wieder einmal eine Überlastungssituation eintreten, für die man nicht einzelne Personen verantwortlich machen darf, sondern die auf unzureichende Vorbereitung zurückzuführen ist.

Nicht nur Blauäugigkeit, sondern geradezu Blindheit ist es, wenn man den Sachsen vorwirft, sie hätten nicht genügend gegen Rechtsradikale und Rechtspopulisten in ihrem Land getan.
Ist der nationalsozialistische Untergrund (NSU) etwa nur in Sachsen nicht zureichend verfolgt worden? Hat man die Vielzahl von Meldungen über "befreite Zonen" in den neuen Bundesländern ganz übersehen, wo nur noch kleine Minderheiten von Demokraten gegen überwältigende Mehrheiten von Rechtsradikalen stehen? Gab es bundesweite Förderprogramme zur Unterstützung der Regionen beim Kampf gegen Rechtsradikale, als das Problem in den frühen 90er Jahren deutlich wurde?
Nein, man hat das Asylrecht eingeschränkt, ja nahezu abgeschafft  und gab vor, das wäre eine Problemlösung.

Wir stehen vor einem Problem unserer Gesamtgesellschaft, und die Sachsen oder die Polizei oder sonst eine Gruppe unserer Gesellschaft zu Sündenböcken abzustempeln, hilft nicht weiter.

Schließlich: Wie sieht die Situation in Europa aus? Immer wieder hört und liest man in den Medien, es fehle die europäische Solidarität in der Flüchtlingskrise. Was will man von Esten und Litauern erwarten, wenn wir im wohlhabenden Deutschland nicht genügend Ressourcen aufbringen, um einzelne Gemeinden und Regionen zureichend zu unterstützen, dass sie mit den anfallenden Aufgaben fertig werden?
Und wie stand es und steht es um unsere Solidarität mit Griechenland?
Massiv waren die Forderungen nach Personalabbau in der öffentlichen Verwaltung; aber mit den Flüchtlingsströmen hätten die Griechen besser fertig werden sollen. Wie viel guter Wille ist dennoch immer noch auf den griechischen Inseln zu finden, wo jetzt Hotspots eingerichtet werden. Aber kann der erhalten bleiben, wenn die Bewohner keinerlei Solidarität von Deutschland erfahren, sondern statt dessen durch zwangsweisen Souveränitätsverzicht durch Frontexkommandos beglückt werden?

Zum Glück gibt es aber nicht nur Blauäugigkeit, sondern daneben auch ein hohes Engagement für Flüchtlinge und ihre Integration. Statt vieler Beispiele nur ein Link.

In diesen Kontext gehören auch:
Kriminalisierung von Fluchthelfern ersetzt nicht die Beseitigung von Fluchtursachen

Clausnitz: Deutschland dezivilisiert sich. von Andrea Hanna Hünniger ZEIT online 26.2.2016
"Sachsen abschieben oder lieber auswandern, weil man mit den Menschenfeinden ja nichts zu tun hat: Woher kommt die selbstgefällige Barbarei der Gutsituierten?"

Clausnitz: Wir Sachsen und die Wut.  Sieben Vorschläge von Einheimischen, Zugereisten und Ausgewanderten. Von Jana Hensel, Anne Hähnig, Robert Koall, Stefan Schirmer, Thomas Rosenlöcher, Patrik Schwarz und Martin Machowecz 25.2. 2016
"Nach den Ausschreitungen von Clausnitz ist dies das unbeliebteste Bundesland der Republik – und zwar völlig zu Recht. Was können die Sachsen jetzt tun?"

Aus dem insgesamt sehr sachsen-selbstkritischen Text möchte ich ein Zitat hervorheben:
"Auf Sachsen blickt der Rest der Republik in Zeiten politischer Radikalisierung mit unfassbarer Hysterie. Sachsen tut natürlich das Übrige dafür, von Hoyerswerda bis Clausnitz. Dennoch ist es auffällig, wie schnell der Reflex ist, Sachsen am Nasenring durch die Manege zu führen, während gleichzeitig auch in der übrigen Republik Asylbewerberheime brennen, in Köln die Oberbürgermeisterin von einem Neonazi fast getötet wird, die AfD Höchstwerte erzielt und die sogenannte bürgerliche Mitte schon längst nur noch ein romantischer Begriff ist."

dazu auch:
Unser Ruf steht auf dem Spiel von ZEIT online 29.2.16
"Das Vertrauen in die Medien schwindet, nicht nur bei Pegida und der AfD. Es ist Zeit für Selbstkritik – und jede Menge Mut!"
(Die "Dresdner Rede")

Bloß keine Kritik! von Thomas E. Schmidt DIE ZEIT Nr. 9/2016, 18.2. 2016 (online am 5.3.16)
"Fast alle Qualitätsmedien schwangen sich in der Flüchtlingskrise zu einseitigen gesellschaftspolitischen Akteuren auf. Das vergiftete die Debatten enorm."

Zu Th.E.Schmidt:
So sehr ich die anfängliche Euphorie über das ehrenamtliche Engagement kritisiere. Eine einzelne Zeitung darf durchaus eine deutliche Position vertreten. Fragwürdig war nur die von allen zur Schau gestellte (vorgetäuschte?) Blauäugigkeit. Die allein freilich "vergiftete" die Debatten noch nicht.

1 Kommentar:

Hauptschulblues hat gesagt…

Ich fange wieder an, einen Tag in der Woche zu unterrichten, in einer Flüchtlingsklasse. Mehr will ich nicht.