Die, die die Flüchtlinge draußen halten wollen, fürchten, dass weniger für sie übrig bleibt, wenn viel Geld für die Integration der Flüchtlinge ausgegeben wird.
Die Unternehmer fürchten, dass die Gewerkschaften Oberwasser bekommen, wenn nicht mehr genügend Arbeitslose zur Verfügung stehen, die jede Jobmöglichkeit annehmen müssen, ob Zeitarbeit, Ein-Euro-Job oder unbezahlte Praktikumsstelle.
Die Politiker fürchten, dass ihre Klientel unzufrieden mit ihnen wird.
Für jede Furcht gibt es eine Begründung. Es bleibt nur die Frage, wie groß die Gefahr ist, die da droht. Ist die existenziell oder nur ein stets vorhandenes Risiko, das aufgrund einer veränderten Situation zwischenzeitlich größer wird?
Welche Risiken sind wirklich existenziell? Klimawandel? Krieg? Atomunfall oder unsichere Endlagerung?
"Ein Deutscher verfügt heute zum Beispiel über etwa 45 Quadratmeter Wohnraum pro Person. 1991 waren es noch 35. Um 1920 gab der Durchschnittsbürger etwa die Hälfte seines Einkommens für die Miete aus.* Heute sind es etwas über 30 Prozent. Bei deutlich gewachsenem Wohnkomfort. Das sind alles Durchschnittszahlen, die kaum etwas aussagen über die akute Lage des Einzelnen. Aber sowie man sie vergleicht mit denen anderer Länder, begreift man, wie privilegiert wir leben." (FR vom 17.5.16, S.11)Woher kommt die Angst?
Es ist das Gefühl, dass es nicht dauerhaft so weitergehen kann und dass - wenn ein existenzielles Problem kommt - wir nicht genügend zusammenhalten, um es abzuwenden.
Je länger es so weiter geht wie bisher, desto begründeter wird diese Angst werden.
Wir sollten umsteuern.
Dafür hat jeder Rezepte, die seiner eigenen Interessenlage entsprechen. Jetzt gilt es nur noch, Demokratie ernst zu nehmen und einen Interessenausgleich auszuhandeln.
Warum ist das so schwer? Welche konkrete Furcht hält jede der oben genannten Gruppen davor zurück?
Der Friede ist der Ernstfall, in dem Demokratie sich bewähren muss, meinte Gustav Heinemann.
Der Wohlstand offenbar auch.
Für die, die einen konkreteren Hinweis brauchen, schreibt Arno Widmann in der FR (sieh oben!) noch:
"Wenn Deutschland seine Freiheit am Hindukusch verteidigen muss, darf es nicht wundern, wenn die Afghanen in Deutschland ihre Freiheit suchen."
Man könnte auch konkret anklagen: Wenn es so wichtig war, nach Afghanistan zu gehen, warum sind wir dann abgezogen, bevor unser Ziel erreicht war? Und wenn das Ziel erreicht war, warum haben wir dann so viele der Helfer (Übersetzer, Lieferanten, Informanten ...) schutzlos zurückgelassen, den Taliban ausgeliefert?
Aber das Hauptproblem liegt bei uns. Was stimmt nicht bei unserer Demokratie? Weshalb lösen wir nicht unsere Probleme, sondern exportieren sie?
Für das Problem der Verteilung der Flüchtlinge innerhalb von Europa liegt jetzt ein von Gesine Schwan und anderen entwickelter Vorschlag (ZEIT 22/2016, S.21) vor, den inzwischen auch Sigmar Gabriel unterstützt: Statt dass von oben nach festgelegtem Schlüssel verteilt wird (und dann die Kosten, die entstehen, irgendwie zwischen den einzelnen politischen Ebenen verteilt werden), sollten die Bürgermeister von Städten, die einen Bedarf an Stabilisierung der Bevölkerungszahl in ihrem Raum haben, sich um Zuweisung von Flüchtlingen bemühen können, was ihnen durch entsprechende Unterstützung attraktiv gemacht werden sollte.
Dazu gehörte freilich, dass den Flüchtlingen für eine Zeit der Wohnort vorgeschrieben werden müsste. Das passiert gegenwärtig freilich ohnehin, so lange sie noch in den Erstaufnahmelagern sind.
Andererseits wäre damit auch das fatale Problem vermieden, dass eine Gemeinde völlig unvorbereitet Wohnraum schaffen muss. (Das führt dann dazu, dass dieselbe Firma - wegen ihrer Zwangslage - von ihnen dreimal so hohe Mieten verlangen kann wie von anderen Gemeinden, die sich vorbereitet haben.)*
Anmerkungen
* 1920 standen durchschnittlich pro Person nur 5 Quadratmeter zur Verfügung, 1959 12 Quadratmeter.
* Dieser Artikel wurde im Blog Fonty entworfen. Inzwischen ist er wesentlich ergänzt, was aber dort übersehen würde. Deshalb habe ich ihn jetzt hier aufgenommen.
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