4.3.14

Blogparade: “Versager im Staatsdienst”

Bob Blume ruft zu einer Blogparade “Versager im Staatsdienst” auf. Es soll eine sachliche, möglichst statistisch untermauerte Diskussion werden. Ich bin gegenwärtig ein wenig abgelenkt, möchte aber trotz anderer sehr informativer Beiträge (z.B. hier und da und insbesondere hier) auf einige der Fragen aus Sicht eines Kollegen und ehemaligen Mitgliedes einer Schulleitung kurz etwas schreiben, weil ich von der Frage mehr, als mir lieb war, persönlich betroffen war.
Hier die Diskussion auf Twitter mit Verlinkung anderer Beiträge der Blogparade.

A) Gibt es an deutschen Schulen generell zu viele schlechte Lehrer?
Mit Sicherheit. Genauso wie zu viele schlechte Ärzte, Maurer, Politiker ...
B) Woran erkennt man, ob ein Lehrer seinem Job nicht gerecht wird?
Es gibt viele Erkennungsmerkmale wie Vernachlässigung von Dienstpflichten in großem Umfang und über längere Zeit, Demotivierung von an sich lernfähigen und lernmotivierten Schülern in großem Umfang, Erblindung, Ertaubung, sonstige schwere Behinderungen gegen Ende der Karriere, wo es für eine Umschulung zu spät ist,  usw. 
Wie man das quantifiziert festlegen soll, versuche ich nicht, zu beantworten. 
C) Wie sollte man mit solchen Lehrern verfahren (dürfen)?
Arbeitsplätze bereitstellen, auf denen sie ihre Fähigkeiten einbringen können.* 
D) Welchen Anteil hat das Lehramtsstudium?
M.E. einen relativ geringen. Mehr als in vielen anderen Berufen hängt beim Lehrer von der Persönlichkeit ab. Doch einerseits erscheint die Ausbildung nicht immer zweckdienlich (Beispiel) und  nicht selten genug fragt sich, ob der/die Betreffende wirklich geeignet ist, SuS auf das Abitur vorzubereiten. Manchmal scheint unsicher, ob nicht schon am Anfang der Karriere keine ausreichenden Fachkenntnisse vorlagen.** Andererseits gibt es hochqualifizierte Lehramtskandidaten, die Schwierigkeiten haben, angesichts der hohen zeitlichen Beanspruchung in der Referendarzeit auch nur ihren eigenen fachlichen Ansprüchen gerecht zu werden. 
E) Was sollte verändert/ verbessert werden?
Unterstützung statt Druck und andere Arbeitsplätze (sieh C). Dazu ist als Ergänzung wichtig der Kommentar von Hauptschulblues unten (mit meiner Antwort) und  sein Beitrag zur Blogparade.

Auf die folgenden Fragen könnte ich nur ausführlicher antworten, als ich es mir jetzt leisten will. Doch werde ich weiter unten andeuten, in welche Richtung meine Argumentation laufen würde.
F) Sollten die Schulen die Lehrer selbst aussuchen dürfen?
G) Sollte der Beamtenstatus abgeschafft werden?
H) Sollte es eine Art „Belohnungssystem“ wie in der freien Wirtschaft geben?
I) Woran gehen die Kollegen denn kaputt?
J) Wie entstehen die 30% Lehrer, die laut Schaarschmidt quasi dissoziiert sind? 

*Als ich bei zunehmender Schwerhörigkeit nachfragte, ob ich bei Ertaubung eine andere Aufgabe als Unterricht wahrnehmen könnte, wurde mir gesagt, dafür gebe es zu wenige Beschäftigungsmöglichkeiten. Zum Glück hat sich das Problem dann dank der Möglichkeit der Altersteilzeit nicht gestellt.


**Ich bin mir nicht sicher, ob die Ausbildung von Gemeinschaftslehrern das Problem nicht verschärfen könnte. Deshalb finde ich Kritik daran erfrischend, auch wenn sie dem guten Willen derer, die - wieder einmal - eine Reform versuchen, nicht gerecht wird. 


Eine Beispielgeschichte
Ein hochqualifizierter Gymnasiallehrer glaubte, er sollte keine ungerechtfertigten Privilegien genießen, und wechselte an eine Hauptschule (zur Einstimmung ein Blog und ein zweiter). Binnen eines Jahres (oder waren es zwei?) war er verzweifelt. Er, der an seiner früheren Schule nie Disziplinprobleme hatte und wegen seiner Motivationskünste besonders beliebt war, sah sich außerstande, die SuS zu motivieren, geschweige denn die vorgeschriebenen Lernziele zu erreichen.
Er kam in ärztliche Behandlung und war monatelang unfähig, vor einer Klasse zu stehen. Ein Versager.

Dann ging er zurück an seine alte Schule, übernahm nur einen halben Lehrauftrag, bekam nur Klassen, in denen alle Kollegen gerne unterrichteten. Innerhalb von ein, zwei Jahren war er genauso belastbar wie zuvor und wieder einer der anerkanntesten Lehrer.


Die Versuchsanordnung, die aus einem hochqualifizierten Lehrer einen Versager gemacht hat, könnte noch mehr Versager produzieren. Für durchschnittliche Lehrer könnte schon das Zusammentreffen von Krankheit, drei "schwierigen" Klassen und eine undifferenziert Druck ausübende Schulleitung genügen. 

Meine Beispielgeschichte ist zwar sehr gut verbürgt, aber sie spielt nicht in meinem persönlichen Umfeld.

Aus meinem persönlichen Umfeld zwei Kurzbeispiele:

Ein Schulrat zum Geschichtslehrer: "Sie haben behauptet, die Römer hätten regelmäßig am Ende eines Tagesmarsches noch ein Lager aufgebaut, mit Wall, Graben und Palisaden. Das ist doch Unsinn."

Gegen Ende meiner Karriere kam ein junger Kollege an die Schule, den ich schon als Freund meines Sohnes sehr zu schätzen gelernt hatte. Im Nu erwies er sich für die Schule als so wertvoll, dass ich als Schulleiter, wenn meine Schule ein Produktionsbetrieb gewesen wäre, sofort mich entlassen hätte, wenn ich auch nur einen halb so wertvollen Lehrer wie diesen dafür hätte gewinnen können. (So viel zu den Möglichkeiten in der freien Wirtschaft: Frage H.)


Es gibt nicht nur zu viele schlechte, sondern auch zu wenige gute Lehrer. Auch das gilt genauso für alle anderen Berufe. Aber besonders schlimm ist es, wenn Personen an Positionen festhalten (oder festgehalten werden), an denen sie ihre Fähigkeiten nicht einbringen können. (Frage I und J)

Zu Frage I und J gibt auch meine Beispielgeschichte eine Antwort. Aber eine quantifizierte Studie ersetzt sie natürlich nicht. (Nur: Was wird in solchen Studien gemessen?)

Übrigens: Weshalb ist es gerade an der Hauptschule so leicht als Lehrer (und Schüler) zum Versager zu werden? Frau Feynberg weiß die Antwort:
Frau Feynberg ist nur Lehrerin. Sie hat kein Plan vom Leben, jaaa. Ich guckte mich also letzte Woche um. Mehr als mir lieb ist. Und merkte: ich habe wirklich keinen Plan vom Leben. Ich verlange nämlich von meinen Schülern Höflichkeit, Zuverlässigkeit, Pünktlich, Respekt und all die anderen schrecklichen Dinge, die so oft so wenig zählen. (Dinge, die oft so wenig zählen)

Weil Fastnachtsdienstag ist:
Das Problem “Versager im Staatsdienst” ließe sich für Lehrer genauso gut lösen wie für Politiker. Man brauchte sie bloß als Lobbyisten einzustellen. Es gibt genügend Eltern, die lieber dafür Geld ausgäben als für Nachhilfeunterricht. 

Nachtrag vom 25.6.14:
Unfähige Lehrer verhindernDas Recht kennt keinen Trottelparagrafen Joachim Güntner NZZ, 24. Juni 2014

8 Kommentare:

Hauptschulblues hat gesagt…

Sie können gerne verlinken.
Das Problem bei Frau Feynberg
(http://ichwerdesowiesorapper.blogspot.de) ist meiner Meinug nach, dass sie Einzelkämpferin ist und von Schulleitung und Kollegium nicht entsprechend unterstützt wird.
Dass an den Mittelschulen anderer Unterricht (möglich) ist, liegt daran, dass die Kollegien sich Werkzeuge überlegt haben, um unterrichten zu können. Wissensvermittlung ist nur ein Teil davon. Über kurz oder lang kommen dieser Problematik die Realschulen und Gymnasien auch nicht aus, spätestens in 10-15 Jahren, nämlich Schule planvoll und professionell zu entwickeln, um guten Unterricht wieder möglich zu machen.

Walter Böhme hat gesagt…

@Hauptschulblues: Ich danke für diese deutlichere Formulierung der Art der notwendigen Veränderung.
Meine Formulierung "Unterstützung statt Druck und andere Arbeitsplätze" formuliert noch nicht die Notwendigkeit der Zusammenarbeit an der Schule und der Umgestaltung jeder einzelnen Schule, statt abstrakter Vorgaben von der Schulverwaltung.

Hauptschulblues hat gesagt…

Wir befinden uns jetzt in einem 13 Jahre währenden Prozess, der noch lange nicht abgeschlossen sein wird. Erste Früchte konnten wir schon vor 10 Jahren ernten. Da wir Schulverwaltungen eher als hinderlich oder zumindest wenig unterstützend erleben, sind wir auf uns allein gestellt. Und das tut uns gut.

Anonym hat gesagt…

Ich finde schon, dass die Lehrerbildung einen nicht unerheblichen Teil des Problems ausmacht. Habe ich ja ausführlich geschildert in meinem Beitrag zu der Parade.
Nur leider wüsste ich auch nicht, wie man eine Vorauswahl gestalten sollte und ob überhaupt.

Ganz sicher aber muss das Bild vom Beruf selbst gerade gerückt werden und zusätzlich Motive, diesen Beruf anzustreben, hinterfragt werden.

Ich habe nicht selten von Erstsemestern Aussagen wie "Ja, ach, ich dachte, ich werde Grundschullehrerin; da ist man verbeamtet und hat nicht viel zu tun, das lässt sich gut mit der Familienplanung vereinbaren" oder auch "In Medizin bin ich nicht reingekommen; dann eben Lehramt" gehört.
- Es beginnt also teilweise sicherlich schon mit einer fragwürdigen Motivation, dieses Studium anzutreten.
Aber das alles ist natürlich ein kleiner Bereich von vielen Bereichen, an denen es hakt.

Frau Feynberg hat gesagt…

Ich denke, ich werde hier falsch verstanden. Ich und auch meine Kollegen- wir alle verlangen von unseren Schülern Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Respekt, etc... Es ist die Welt da draußen, die mir Sorgen bereitet. Da gibt es zu viele Menschen, die respektlos, unhöflich sind und die ihren Aufgaben nicht so nachgehen, wie sie das sollten. Der Schüler, dem ich das alles beigebracht habe, geht also raus, raus aus der behüteten Schule und merkt: Ups, es gibt genug andere, die unhöflich, respektlos und unfähig sind. Und die alle kommen irgendwie im Leben weiter. Diese Werte, die ich also mühevoll versucht habe, diesen Jugendlichen beizubringen, spielen also plötzlich keine Rolle mehr. Gar keine. Denn es geht ja auch ohne. Und einfacher ist es auch noch. Bei dieser Lehrer-Versager- Diskussion fehlt mir der entscheidende Punkt. Die Verwaltung. Hat sich irgendjemand die genauen Umstände angeschaut, unter denen wir arbeiten? Inklusion ohne Sozialpädagogen? Nur Lehrer, die nicht dafür ausgebildet sind. Interessiert es irgendjemanden, dass ein Sonderpädagogikstudium ein eigenständiges Studium mit einer Dauer von mindestens 8 Semestern ist? Schwerige Schüler mit abscolut grausamen Familiengeschichten. Ohne genügend Sozialpädagogen. Differenzierter Unterricht ohne Geld für Kopien und gescheite Bücher. Reformen, die ohne Rücksicht auf Verluste durchgeührt werden. "Sie sind schon Lehrer, Sie werden das irgendwie schaukeln!" Also bitte, nicht immer auf die Lehrer! Einen Halbtagsjob haben wir nämlich schon lange nicht!

Walter Böhme hat gesagt…

@Frau Feynberg: Sie arbeiten sehr gut heraus, was auch mein Punkt ist:
Wenn der gute Lehrer plötzlich nicht mehr zurecht kam, so lag es nicht an ihm, sondern an den Arbeitsverhältnissen.
Man muss also die Arbeitsverhältnisse ändern. Bei der Arbeit vor Ort muss der Lehrer Unterstützung finden durch Kollegen, Schulleitung an die Arbeitssituation angepasste Strukturen.
Sonst werden aus erfolgreichen Lehrern "Versager" produziert.

Frau Feynberg hat gesagt…

So gut die Kooperation mit Kollegen und Unterstützung durch die Schulleitung auch gegeben sein mag... Auch die müssen sich an bestimmte Vorgaben anpassen. Wenn die äußeren Umstände nicht stimmen, dann hilft auch das längerfristig nicht. Wenn es draußen schneit, kann ich mir den ganzen Tag die Sonne vorstellen. Warm wird es mir dadurch nicht.

Walter Böhme hat gesagt…

Richtig! Damit ist dank Ihrer Mithilfe die Antwort zu Frage E schon deutlich substantieller geworden.