7.10.15

Wie umgehen mit Migranten? (2)

Fortsetzung des Artikels Wie umgehen mit Migranten?

Jens Schneider, Migrationsforscher an der Universität Osnabrück, schreibt in seinem  Artikel in der Frankfurter Rundschau vom 6.10.15 auf Seite 31 auch Folgendes:
"Auf alle Ebenen trifft man auf Menschen, die in wichtigen Aspekten "anders" sind als man selbst und mit denen man gleichzeitig auch vieles gemeinsam hat [...]Unterschiede und Gemeinsamkeiten sind nicht mehr allgemein, sondern kontext- und situationsgebunden. Das zu lernen und souverän zu meistern ist eine Herausforderung, die die Noch-Mehrheitsgesellschaft nicht weniger betrifft als Migranten und Flüchtlinge." (Hervorhebung von mir)

Hier stimme ich Schneider unbedingt zu. Vielleicht berücksichtigt er aber nicht genug, dass die Flüchtlinge sich für die Situation, in die sie hineinkommen entschieden haben (freilich meist aufgrund einer völlig unerträglichen Alternative).

Umso wichtiger ist es, dass Migranten im Gastland auf Personen treffen, die sich ihrerseits bewusst entscheiden, auf Menschen, die anders sind, zuzugehen. 
Dazu möchte ich auf eine Studie von Misun Han-Broich hinweisen, die in ihrem Aufsatz 

"Engagement in der Flüchtlingshilfe – eine Erfolg versprechende Integrationshilfe" auf die besondere Bedeutung der Motivation der ehrenamtlichen Helfer hinweist:

 "Durch den Aufbau persönlicher Beziehungen stehen die Ehrenamtlichen den Flüchtlingen insbesondere bei der Überwindung ihrer seelisch belastenden Vergangenheits- und Gegenwartsprobleme zur Seite. Obwohl Ehrenamtliche nach ursprünglicher Aufgabenvereinbarung keine therapeutische beziehungsweise psychosoziale Arbeit explizit zu leisten haben, sondern eher konkrete Hilfestellungen (Bildungs- und Betreuungsarbeit, Begegnung, praktische Lebenshilfe und so weiter) geben sollen, zeigt sich die größte Wirkung ihrer Arbeit gerade nicht in diesen (die praktische Integration betreffenden) kognitiv-kulturellen und sozial-strukturellen Bereichen, sondern vielmehr im seelisch-emotionalen Bereich. [...] Sie können durch die persönliche Art ihrer Kontakte eine einzigartige Beziehung zu Flüchtlingen aufbauen, indem sie gezielt auf Menschen zugehen, persönliche Berührungspunkte herstellen und mit den Flüchtlingen eine ganzheitliche Begegnung [10] erleben. So tragen sie zur seelisch-emotionalen Stabilisierung und Integration insbesondere auch der traumatisierten Flüchtlinge bei. In der Ehrenamtsbeziehung findet eine Begegnung statt, in der sich Ich und Du als gleichberechtigte Subjekte begegnen und keiner dem anderen bewertend gegenübersteht. [...] Intrinsisch motivierte Ehrenamtliche können nachhaltige patenschaftsähnliche Beziehungen – im Sinne der Ersatz- und Therapiebeziehung – zu jungen Flüchtlingen aufbauen, sie seelisch-emotional stabilisieren und dann auf allen weiteren Stufen des Integrationsprozesses wirkungsvoll begleiten und unterstützen. Hierfür muss ein konzeptioneller Rahmen geschaffen werden, der eine professionelle Zusammenarbeit der Ehrenamtlichen mit den hauptamtlichen Flüchtlingsbetreuern ermöglicht."
Auch sie tendiert dazu, die Möglichkeiten der Helfer etwas zu optimistisch zu sehen. In nicht wenigen Fällen dürften Personen ohne professionellen Hintergrund und ein professionelles Umfeld überfordert sein. Deshalb plädiere ich dafür, dem Ausbau dieser Strukturen eine weit höhere Priorität zu geben, als bisher erkennbar ist. 
Ohne eine in die Breite gehende Bereitschaft, auf Flüchtlinge zuzugehen, wird die Aufgabe aber auch nicht gelöst werden können.


"Man muss die Integrationssysteme Bildung und Arbeitsmarkt öffnen [...] Hier besteht die Möglichkeit, der problematischen demographischen Entwicklung in Deutschland, der Überalterung der Gesellschaft, entgegenzusteuern." fordert Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln.
Diese Möglichkeit, eine wirklich großartige Chance, besteht aber nur, wenn die personellen Voraussetzungen dafür geschaffen sind, dass sich die Menschen in diesen "Integrationssystemen" nicht permanent überfordert fühlen. Die Inklusion aller Behinderten und die Integration aller eintreffenden Flüchtlinge wird nicht gelingen, wenn das Bildungssystem unter dem Diktat der schwarzen Null und der Minimalsteuern für Unternehmen ausgehungert wird. 

Chrismon: Migration


1 Kommentar:

Hauptschulblues hat gesagt…

Ich weiß es nicht.
Heute war ich zu Besuch beim Neffen, der unmittelbar an der deutsch-österreichischen Grenze wohnt.
Beim Kaffee, auf Augenhöhe, sahen wir auf dem Inndamm einen Zug von etwa 100 Flüchtlingen, eskortiert von der Polizei, die sie in die Zelte des THW eskortierte, von wo aus sie mit Bundespolizeibussen nach Deggendorf in den Hotspot gebracht werden. Vorne weg lauter junge Leute, sagen wir mal 13-14 Jahre alt. Unbegleitet.
Danach Familien mit kleinen Kindern, Babys. Kranke. Eine Frau im Rollstuhl.
Gemeinsam war allen: Von Leid gezeichnete Gesichter. Dieser Zug findet mehrmals am Tag statt.
Was für ein Glück, dass die FPÖ in Wien nur 1/3 der Wählerstimmen bekam, obwohl andererseits: Wenn die NPD in Deutschland so viele Stimmen bekäme? Die FPÖ ist stramm rechtsradikal. Ein Wiener DJ bekam vor Gericht Recht, als er behauptete, Strache hetze wie Hitler.
Beängstigend.
(Und jetzt auch noch Pizzas auswählen!?)