6.10.15

Wie umgehen mit Migranten?

Jens Schneider*, Migrationsforscher an der Universität Osnabrück, schreibt einen bedenkenswerten Artikel in der Frankfurter Rundschau vom 6.10.15, S.30/31.

Darin heißt es u.a.:
Erfahrene Einwanderungsgesellschaften [...] machen sich keine Gedanken über "Parallelgesellschaften" oder "Integrationsverweigerer", weil sie wissen, dass die Erwartungen an die erste Generation nicht allzu hoch sein können. [...]
Ganz anders ist dagegen die Haltung gegenüber der zweiten Generation: Die im Land groß werdenden Kinder sollen sich zugehörig fühlen. Es wird auf sie gewissermaßen ein Anspruch erhoben, weil mit dem Zugeständnis der ungeteilten Zugehörigkeit auch Forderungen und Erwartungen einhergehen können [...]
Ich stimme zu, empfehle die Lektüre des gesamten Artikels und möchte doch dem gegenüber einen etwas andere Analyse anbieten. Die liefere ich in der Fortsetzung dieses Artikels nach (sieh unten!).

Nur eins schon jetzt: Je geringer die Erwartungen an die erste Generation sind, desto problematischer sind deutlich höhere an die zweite. Die Schule kann nur bedingt gegen eine häusliche Kultur der Fremdheit Erfolg haben. Das gilt besonders für die sogenannten "bildungsfernen" Migranten.
Natürlich ist die vorbildliche Rolle, die Navid Kermani in der Bundesrepublik als Angehöriger der zweiten Generation spielt, so und so eine extreme Ausnahme. Aber alles, was nur in diese Richtung geht, setzt im Regelfall voraus, dass schon die erste Generation aufgeschlossen war und sich nicht ganz abgeschottet hat.

*  sieh auch: Jens Schneider, Maurice Crul, Frans Lelie: generation mix. Die superdiverse Zukunft unserer Städte und was wir daraus machen.

In einer Vorstellung des Buches heißt es:
[...] Im Zentrum steht einmal die Frage, unter welchen Umständen sich die zweite Generation am wirkungsvollsten entfalten kann. Zum anderen geht es um die Frage nach der sozio-kulturellen Integration. Wie stark fühlen sich die Angehörigen der zweiten Generation mit der Gesellschaft verbunden, in der sie leben, wie sehen die sozialen Beziehungen in den immer diverser werdenden Städten aus und welche Sichtweisen auf interethnische und interreligiöse Beziehungen herrschen vor? [...]
Während im Buch noch Fragen zur Beschreibung gestellt werden, werden im Artikel schon "Forderungen und Erwartungen" an die zweite Generation gestellt. Sind diese ohne weiteres berechtigt, nur weil es um die zweite Generation geht? Kann nicht "Migrationshintergrund" eben doch ein entscheidender Faktor für unzureichende Integration der zweiten Generation sein?

Bei Personen mit guten Bildungsvoraussetzungen wird schon in der ersten Generation eine befriedigende Integration gelingen. So ist bei Flüchtlingen aus der DDR, die in die BRD kamen, fast ausnahmsweise die Integration gut gelungen. Entsprechendes gilt praktisch durchweg für die Generation von DDR-Bürgern, die als Kinder oder in der Ausbildungsphase die Einigung erlebten. Entsprechendes sehe ich im Bekannten- und Verwandtenkreis hinsichtlich der Integration in nicht allzu fremde Kulturen im Laufe weniger Jahre.
(Ein Sonderbeispiel sind die Brüder Thomas und Heinrich Mann, für die sich ein eigener Artikel lohnen würde.)
Aber wie steht es mit Bauern aus Anatolien, die nach Istanbul zogen? Sie ziehen nur innerhalb ihres Landes um, aber integrierte Großstädter werden sie nicht, häufig auch nicht die zweite Generation. Wie es mit darauf folgenden Generationen steht, mag die darauf spezialisierte Forschung beantworten. Entsprechendes gilt aufgrund der Erfahrungen, die Deutschland mit den "Gastarbeitern" gemacht hat. - Lag es immer nur daran, dass ihnen das Stigma Migrationshintergrund anhing?
Gelingt es denn allen nativen Deutschen, sich auf die Einwanderungsgesellschaft einzustellen? Ist allein Schulunterricht für das Gelingen oder Nichtgelingen verantwortlich zu machen?
(zur Fortsetzung dieses Artikels)

Grundlegende Probleme im Zusammenhang mit Flüchtlingen und Flucht schneidet der Friedensforscher Harald Müller (bis Ende September Leiter der HSFK) in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau vom 4.10.2015 an.

1 Kommentar:

Hauptschulblues hat gesagt…

Ich denke auch, dass die Erwartungen an die erste Generation durchaus formuliert werden müssen, dazu siehe:
http://hauptschulblues.blogspot.de/2015/10/fluchtlinge-1.html