Seid mißtrauisch gegen ihre Macht, die sie vorgeben für euch erwerben zu müssen!
Das 'ß' lässt heutige Leser erkennen, dass diese Aufrufe wohl doch nicht im Blick auf Google formuliert worden sind.
Am Schluss dieser Verse steht, was besser im Gedächtnis geblieben sein dürfte:
"[...] seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!"*
Die Verse stehen am Schluss von Günter Eichs: Hörspiel "Träume" von 1950.
Soll man bedauern, dass Zeilen wie "Wer möchte leben ohne den Trost der Bäume!" fast vergessen sind?
Sind Eichs Maulwürfe zu Recht vergessen, obwohl darin Sätze zu finden sind wie
"Ich wache auf und bin gleich im Notstand. Die Gründe weiß ich nicht genau, verhafte aber vorsorglich meine Kinder, Verhaftungen müssen sein. [...] Um zwei umstellte Gendarmerie das Haus und verhaftete uns alle.
So gemütlich ist es immer noch."
Freilich, wer versteht noch die Aufregung über die Notstandsgesetze, wer die Empörung über die Datensammlung durch die Volkszählung von 1987?
Die Notstandsgesetze von 1968 wurden meines Wissens noch nie eingesetzt, die Vorratsdatenspeicherung sammelt sehr viel intimere Daten als die 1987 von weiten Kreisen kritisierte und von nicht wenigen boykottierte Volkszählung.
"Seid mißtrauisch gegen ihre Macht, die sie vorgeben für euch erwerben zu müssen!" Das ist freilich heute so aktuell wie damals. Entsprechend die Aufforderung, Sand zu sein.
Unabhängig von Eich: Sollten Schnurre, der frühe Böll, ja der Klassiker der Moderne, Brecht, uns geläufiger sein, als sie es heute sind?
Wird von Grass außer der Blechtrommel hauptsächlich im Gedächtnis bleiben, dass er Mitglied der Waffen-SS war und wegen eines die Politik Israels kritisierenden Gedichts als Antisemit einzustufen sei?
Ich bin misstrauisch, wo ich den Eindruck habe, dass literarische Bewertungen, ja sogar ethische Standards Moden zu folgen scheinen. Freilich, Zeitgeist* muss sein, aber eben immer wieder auch Widerstand dagegen.
*Eine Googlesuche zeigt freilich, dass dieser letzte Vers mit 15900 Belegen nur wenig vor "während die Ordner der Welt geschäftig" mit 15200 Belegen liegt. Sobald man aber auf "seid Sand, nicht das Öl" verkürzt, ergeben sich 107000 Belege. Wenn man das weniger spezifische "Ordner der Welt" sucht, freilich 470000.
*"Was ihr den Geist der Zeiten heißt,/ Das ist im Grund der Herren eigner Geist,/In dem die Zeiten sich bespiegeln.“ (Goethe: Faust I, Vers 577-79) - „Etwas Bornierteres als den Zeitgeist gibt es nicht. Wer nur die Gegenwart kennt, muß verblöden.“ – Hans Magnus Enzensberger
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1 Kommentar:
"[...] seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!"
Das war unser Schulmotto.
Und es hängt immer noch neben dem Kopiergerät.
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