Eine Buchvorstellung ist in diesem Blog etwas ungewöhnlich. Das Buch scheint mir so bemerkenswert, dass ich ihm eine größere Bekanntheit wünsche. Es geht um "Als Adolf in die Falle ging"
von Brigitte
Endres.
Brigitte Endres schreibt über ihren Roman für Kinder:
James Krüss hat einmal über sich und Erich Kästner gesagt, da sie beide Lehramt studiert hatten:
„Wir wurden den Lehrern untreu und hielten den Kindern die Treue.“
Was mich angeht, möchte ich weder den Lehrern noch den Kindern untreu werden.
So kam ich auf die Idee, Kinderbücher zu schreiben, die sich als Klassenlektüren eignen und dazu Lehrerhandbücher zu entwickeln, die Ihnen die Arbeit erleichtern.
Diese
Absicht merkt man dem Buch an. Es ist aus der Perspektive eines
Kindes leicht verständlich geschrieben.
Die Handlung ist klar strukturiert.
Die
Hauptperson, der Pimpf Heinz, ist von dem Eintritt in die Welt der
Älteren fasziniert. Er findet dort Vorbilder in den Gruppenleitern
beim Jungvolk und Anreize durch die gesellschaftlichen Symbole der
höheren Reifestufen: Uniform, Teilhabe an den Ritualen der Älteren
und ein ambivalentes Symbol, das Messer mit der Inschrift "Blut
und Ehre".
Noch älter ist freilich sein Vorbild
seit früher Kindheit, sein Großvater, der immer Zeit für ihn hatte
und in dessen Garten er spielerisch Verantwortung lernte.
Verantwortung hat er freilich auch
durch die häuslichen Pflichten in seiner Familie. Dazu gehört für
ihn als den Jüngsten auch die Fürsorge für ein noch jüngeres
Nachbarskind, die kleine Marie, die er immer wieder einmal, wenn ihre
alleinerziehende Mutter sich nicht um sie kümmern kann, zu seinem
Opa bringt, für den der Umgang mit dem kleinen Kind eine wahre
Freude ist. Eifersucht entwickelt Heinz gegenüber Marie nicht. Da
sie selbst für ihre drei Jahre noch zurückgeblieben ist, ist sie
keine Konkurrenz für ihn.
Dagegen ist er auf seine ältere
Schwester sehr wohl eifersüchtig, weil sie schon mehr Rechte und
Freiheiten hat als er und weil sie den Großvater auch dort versteht,
wo er aus Sicht von Heinz unverständlich reagiert. Richtig wütend
werden kann er, wenn nicht nur die Erwachsenen, sondern auch seine
Schwester ihm eine Erklärung für das Verhalten der Älteren
verweigert mit dem Hinweis, dafür sei er noch zu jung.
Sein Weg zu den Älteren verläuft beim
Jungvolk und der Hitlerjugend in klaren Bahnen mit wachsenden
Anforderungen und ehrenvollen Bestätigungen für ihre Bewältigung,
wird aber unübersichtlich dadurch, dass sein Großvater die
gesellschaftlichen Normen des Systems ablehnt und seine Eltern zwar
an das System angepasst sind, aber nicht aus innerer Überzeugung.
Sein Veter akzeptiert die Forderungen als gesellschaftlich
vorgegeben, seine Mutter folgt ihnen aus Furcht vor den Sanktionen,
die sonst drohen. Freilich für den Ankauf von Uniform und Messer
Geld aufzubringen, sind sie nicht bereit. Bei der Uniform ergibt sich
ein Ersatz durch Braunfärben eines Kleidungsstückes, beim Messer
hilft sich Heinz, indem er das notwendige Geld aus seiner Sparbüchse
herausangelt, obwohl ihm das verboten ist.
Doch dann bricht von zwei Seiten das
System auf ihn ein, wo er keinen rechten Frieden mit ihm machen kann:
Zum einen erfährt er im Jugendlager, das ihm zwar Anerkennung und
Erfolge im gesellschaftlichen Umfeld bringt, dass Vorgesetzte ihn
und seine Kameraden mit willkürlichen Schleifereien und ständiger
Herabsetzung begenen. Zum anderen erfährt er, dass sein Schützling
Marie ein Opfer des Systems werden soll. Hier versagt die
Anpassungsstrategie seiner Eltern. Seine Mutter ergreift klar Partei
für das Kind, und alle sind ganz froh, als der Großvater, der dem
System von Anfang an mit Widerstand begegnet ist, Marie bei sich vor
Verfolgung beschützt und einen dauerhaften Weg zu ihrer Rettung
findet: die Auswanderung von Mutter und Kind in die USA, wo der
Bruder der Mutter lebt.
Dieser Weg erfordert den vollen Einsatz
des Großvaters und erweist sich nur deshalb als gangbar, weil die
Mutter, wie sie befriedigt feststellt, "Arierin" ist. Juden
gelingt die Ausreise, wie Heinz bei dieser Gelegenheit bemrkt, nur
selten.
Dass Heinz bei dieser Gelegenheit
Zweifel am NS-Regime entwickelt und einen Ausweg aus seinen
unmenschlichen Forderungen sucht, ist psychologisch verständlich und
überzeugend. Ebenso, dass ein Kind über Identifikation mit Heinz
(oder, falls die Geschlechterrolle das Mädchen schlechter
ermöglicht, mit seiner älteren Schwester) nachzuvollziehen und
abzulehnen lernt.
Es gilt aber dennoch einige Einwände
zu bedenken, die gegen diesen Handlungsverlaufs eines Romanes für
Kinder sprechen.
Besonders stört mich, dass der Opa
seinerseits Hitler und seine Anhänger mit Ratten vergleicht und dass
er die letzte Ratte, die es zu fangen gilt, Adolf nennt. Als Otto,
der Onkel von Heinz kriegsverletzt in die Heimat zurückkehrt und für
alle glaubhaft versichert, dass der "Führer" von den
Schandtaten des Regimes weiß und die Bevölkerung bewusst belügt,
beschließt Heinz, sein Ehrenzeichen, das Messer, wegzugeben. Das ist
symbolisch bedeutsam, weil es für die Bereitschaft zu töten steht
und er sich damit vom Regime löst.
Der Großvater sagt dazu "Adolf
ist heute in die Falle gegangen". Damit meint er, dass der Nazi
in Heinz beseitigt worden ist, und klärt damit über die Bedeutung
des vorher unverständlich gebliebenen Titel des Buches auf. Das ist
wirkungsvoll, auch wenn Kinder wohl nur unbestimmt fühlen können,
dass das Böse überwunden ist.
Aber darf man für diesen Effekt den
Großvater dasselbe tun lassen wie die Nazis, nämlich den Gegner zum
Ungeziefer erklären, das es um jeden Preis zu beseitigen gilt?
Dann ist zu fragen, wieso das System
der systematischen Ermordung von Menschen nur am Beispiel der
Behinderten dargestellt wird, das Schicksal der Juden aber nur vage
angedeutet wird. Zu erklären ist es damit, dass Heinz nur für ein
jüngeres Kind Verantwortung übernehmen kann. Juden im Versteck wie
Anne Frank im Amsterdamer Hinterhaus hätten einen weit
unübersichtlicheren Handlungsaufbau erfordert. Und der Holocaust
kann im Unterrichtsgespräch in Analogie mit der Ermorderung von
Behinderten besprochen werden.
Schließlich aber kann man bezweifeln,
dass die Behandlung des systematischen Massenmordes von Kindern
überhaupt bewältigt werden kann, auch wenn sie nur am Beispiel
eines einzelnen behinderten Kindes erfolgt.
Dazu habe ich in meiner eigenen Familie
Erfahrungen gesammelt: Meine jüngste Tochter hat sich von 8 Jahren
mit dem Schicksal von Anne Frankl beschäftigt und deshalb bei einem
Museumsbesuch alle eindrucksvollen Ausstellungsstücke unbeachtet
gelassen, um sich auf eine Sonderausstellung zum Schicksal der Juden
dieses Ortes zu konzentrieren, obwohl diese weitgehend nur aus
Schriftzeugnissen bestand.
Die ältere Tochter hat mit 9 Jahren -
ohne unser Wissen - Eugen Kogons SS-Staat gelesen. Die dort
geschilderten Gräuel haben sie weniger in Angst versetzt als später
die Romane von Stephen King.
Beide Töchter aber haben die spätere
Behandlung der NS-Zeit im Unterricht als weniger aufschlussreich
empfunden als ihren kindlichen Umgang mit dem Problem.
Dennoch wird die Beschäftigung mit
diesem Themenkomplex problematisch bleiben, wenn sie nicht von einer
Besprechung der aufkommenden Fragen begleitet wird.
Deshalb hat Brigitte Endres ihrem Roman
auch ergänzendes Material zur Seite gestellt: Kurzinformationen für
die Leser und umfangreiches Begleitmaterial für die Hand des
Lehrers.
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