10.12.15

Als Adolf in die Falle ging

Eine Buchvorstellung ist  in diesem Blog etwas ungewöhnlich. Das Buch scheint mir so bemerkenswert, dass ich ihm eine größere Bekanntheit wünsche. Es geht um "Als Adolf in die Falle ging" von Brigitte Endres.

Brigitte Endres schreibt über ihren Roman für Kinder:
James Krüss hat einmal über sich und Erich Kästner gesagt, da sie beide Lehramt studiert hatten:
„Wir wurden den Lehrern untreu und hielten den Kindern die Treue.“
Was mich angeht, möchte ich weder den Lehrern noch den Kindern untreu werden.
So kam ich auf die Idee, Kinderbücher zu schreiben, die sich als Klassenlektüren eignen und dazu Lehrerhandbücher zu entwickeln, die Ihnen die Arbeit erleichtern.
 Diese Absicht merkt man dem Buch an. Es ist aus der Perspektive eines Kindes leicht verständlich geschrieben. Die Handlung ist klar strukturiert.


Die Hauptperson, der Pimpf Heinz, ist von dem Eintritt in die Welt der Älteren fasziniert. Er findet dort Vorbilder in den Gruppenleitern beim Jungvolk und Anreize durch die gesellschaftlichen Symbole der höheren Reifestufen: Uniform, Teilhabe an den Ritualen der Älteren und ein ambivalentes Symbol, das Messer mit der Inschrift "Blut und Ehre".
Noch älter ist freilich sein Vorbild seit früher Kindheit, sein Großvater, der immer Zeit für ihn hatte und in dessen Garten er spielerisch Verantwortung lernte.
Verantwortung hat er freilich auch durch die häuslichen Pflichten in seiner Familie. Dazu gehört für ihn als den Jüngsten auch die Fürsorge für ein noch jüngeres Nachbarskind, die kleine Marie, die er immer wieder einmal, wenn ihre alleinerziehende Mutter sich nicht um sie kümmern kann, zu seinem Opa bringt, für den der Umgang mit dem kleinen Kind eine wahre Freude ist. Eifersucht entwickelt Heinz gegenüber Marie nicht. Da sie selbst für ihre drei Jahre noch zurückgeblieben ist, ist sie keine Konkurrenz für ihn.
Dagegen ist er auf seine ältere Schwester sehr wohl eifersüchtig, weil sie schon mehr Rechte und Freiheiten hat als er und weil sie den Großvater auch dort versteht, wo er aus Sicht von Heinz unverständlich reagiert. Richtig wütend werden kann er, wenn nicht nur die Erwachsenen, sondern auch seine Schwester ihm eine Erklärung für das Verhalten der Älteren verweigert mit dem Hinweis, dafür sei er noch zu jung.
Sein Weg zu den Älteren verläuft beim Jungvolk und der Hitlerjugend in klaren Bahnen mit wachsenden Anforderungen und ehrenvollen Bestätigungen für ihre Bewältigung, wird aber unübersichtlich dadurch, dass sein Großvater die gesellschaftlichen Normen des Systems ablehnt und seine Eltern zwar an das System angepasst sind, aber nicht aus innerer Überzeugung. Sein Veter akzeptiert die Forderungen als gesellschaftlich vorgegeben, seine Mutter folgt ihnen aus Furcht vor den Sanktionen, die sonst drohen. Freilich für den Ankauf von Uniform und Messer Geld aufzubringen, sind sie nicht bereit. Bei der Uniform ergibt sich ein Ersatz durch Braunfärben eines Kleidungsstückes, beim Messer hilft sich Heinz, indem er das notwendige Geld aus seiner Sparbüchse herausangelt, obwohl ihm das verboten ist.
Doch dann bricht von zwei Seiten das System auf ihn ein, wo er keinen rechten Frieden mit ihm machen kann: Zum einen erfährt er im Jugendlager, das ihm zwar Anerkennung und Erfolge im gesellschaftlichen Umfeld bringt, dass Vorgesetzte ihn und seine Kameraden mit willkürlichen Schleifereien und ständiger Herabsetzung begenen. Zum anderen erfährt er, dass sein Schützling Marie ein Opfer des Systems werden soll. Hier versagt die Anpassungsstrategie seiner Eltern. Seine Mutter ergreift klar Partei für das Kind, und alle sind ganz froh, als der Großvater, der dem System von Anfang an mit Widerstand begegnet ist, Marie bei sich vor Verfolgung beschützt und einen dauerhaften Weg zu ihrer Rettung findet: die Auswanderung von Mutter und Kind in die USA, wo der Bruder der Mutter lebt.
Dieser Weg erfordert den vollen Einsatz des Großvaters und erweist sich nur deshalb als gangbar, weil die Mutter, wie sie befriedigt feststellt, "Arierin" ist. Juden gelingt die Ausreise, wie Heinz bei dieser Gelegenheit bemrkt, nur selten.
Dass Heinz bei dieser Gelegenheit Zweifel am NS-Regime entwickelt und einen Ausweg aus seinen unmenschlichen Forderungen sucht, ist psychologisch verständlich und überzeugend. Ebenso, dass ein Kind über Identifikation mit Heinz (oder, falls die Geschlechterrolle das Mädchen schlechter ermöglicht, mit seiner älteren Schwester) nachzuvollziehen und abzulehnen lernt.
Es gilt aber dennoch einige Einwände zu bedenken, die gegen diesen Handlungsverlaufs eines Romanes für Kinder sprechen.
Besonders stört mich, dass der Opa seinerseits Hitler und seine Anhänger mit Ratten vergleicht und dass er die letzte Ratte, die es zu fangen gilt, Adolf nennt. Als Otto, der Onkel von Heinz kriegsverletzt in die Heimat zurückkehrt und für alle glaubhaft versichert, dass der "Führer" von den Schandtaten des Regimes weiß und die Bevölkerung bewusst belügt, beschließt Heinz, sein Ehrenzeichen, das Messer, wegzugeben. Das ist symbolisch bedeutsam, weil es für die Bereitschaft zu töten steht und er sich damit vom Regime löst.
Der Großvater sagt dazu "Adolf ist heute in die Falle gegangen". Damit meint er, dass der Nazi in Heinz beseitigt worden ist, und klärt damit über die Bedeutung des vorher unverständlich gebliebenen Titel des Buches auf. Das ist wirkungsvoll, auch wenn Kinder wohl nur unbestimmt fühlen können, dass das Böse überwunden ist.
Aber darf man für diesen Effekt den Großvater dasselbe tun lassen wie die Nazis, nämlich den Gegner zum Ungeziefer erklären, das es um jeden Preis zu beseitigen gilt?

Dann ist zu fragen, wieso das System der systematischen Ermordung von Menschen nur am Beispiel der Behinderten dargestellt wird, das Schicksal der Juden aber nur vage angedeutet wird. Zu erklären ist es damit, dass Heinz nur für ein jüngeres Kind Verantwortung übernehmen kann. Juden im Versteck wie Anne Frank im Amsterdamer Hinterhaus hätten einen weit unübersichtlicheren Handlungsaufbau erfordert. Und der Holocaust kann im Unterrichtsgespräch in Analogie mit der Ermorderung von Behinderten besprochen werden.

Schließlich aber kann man bezweifeln, dass die Behandlung des systematischen Massenmordes von Kindern überhaupt bewältigt werden kann, auch wenn sie nur am Beispiel eines einzelnen behinderten Kindes erfolgt.
Dazu habe ich in meiner eigenen Familie Erfahrungen gesammelt: Meine jüngste Tochter hat sich von 8 Jahren mit dem Schicksal von Anne Frankl beschäftigt und deshalb bei einem Museumsbesuch alle eindrucksvollen Ausstellungsstücke unbeachtet gelassen, um sich auf eine Sonderausstellung zum Schicksal der Juden dieses Ortes zu konzentrieren, obwohl diese weitgehend nur aus Schriftzeugnissen bestand.
Die ältere Tochter hat mit 9 Jahren - ohne unser Wissen - Eugen Kogons SS-Staat gelesen. Die dort geschilderten Gräuel haben sie weniger in Angst versetzt als später die Romane von Stephen King.
Beide Töchter aber haben die spätere Behandlung der NS-Zeit im Unterricht als weniger aufschlussreich empfunden als ihren kindlichen Umgang mit dem Problem.

Dennoch wird die Beschäftigung mit diesem Themenkomplex problematisch bleiben, wenn sie nicht von einer Besprechung der aufkommenden Fragen begleitet wird.

Deshalb hat Brigitte Endres ihrem Roman auch ergänzendes Material zur Seite gestellt: Kurzinformationen für die Leser und umfangreiches Begleitmaterial für die Hand des Lehrers.  

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