17.12.15

Ist LAGeSo überall? Über eine ganz schwierige Gemengelage

Unsere Gesellschaft droht nicht, über der Spannung zwischen Willkommenskultur und Pegidadumpfheit auseinander zu reißen.
Die Lage ist weit komplizierter.
Willkommenskultur kann einerseits zusammengehen mit totaler Negation der Schwierigkeiten und andererseits auch einem völlig überholten Bild von zivilisierten Christen und unaufgeklärten Muslimen.
LAGeSo mit dem künstlich geschaffenen Überdruck von täglich weit mehr bestellten Flüchtlingen, als an einem Tag abgearbeitet werden können, ist nur ein symbolisches Abbild der Situation, dass die Organe der Bundesrepublik Deutschland nicht darauf eingestellt sind, den gegenwärtigen Flüchtlingsstrom zu bewältigen.
Wer keinen Berliner Flugplatz planen kann und keine Hamburger Philharmonie, der bewältigt schon gar nicht eine umfangreiche Aufgabe, die die gesamte Gesellschaft betrifft.
Wenn jemand einmal eine Andeutung der Schwierigkeiten versucht - wie Steinbrück heute in der ZEIT, dann lässt er - mehr oder minder gezwungen - die Hauptschwierigkeit weg, vor der die Menschheit steht und für deren Bewältigung die sie seit über 40 Jahren keine Strategie gefunden hat.

Das heißt nicht, dass gegenwärtig etwas grundfalsch läuft. Es heißt nur, dass in der öffentlichen Debatte die Komplexitätsreduktion entschieden zu weit getrieben wird. Das, was man Populisten vorwirft, die unzulässige Vereinfachung von Problemlagen, findet ständig in der Öffentlichkeit statt.

Politiker sind solche Vereinfachungen gewohnt, weil sie - sicher nicht ganz zu Unrecht - glauben, die Bevölkerung vor einer realistischen Sicht auf das Problem schützen zu müssen.

Wenn die Botschafterin des Pazifischen Inselstaates Palau zur Umweltpolitik sagt, "Seit dem Pariser Kompromiss ist unser Kopf über Wasser", meint sie damit: Uns steht jetzt schon das Wasser bis zum Hals, und wenn ihr ein Ziel von "deutlich unter 2 Grad" ausgebt und weiterhin Planungen für 3 Grad Erwärmung betreibt, die erst nach Jahren neu überdacht werden sollen, werden wir in dieser Zeit ertrinken. Nur ist sie das Schönfärben gewohnt.

Unbedingt mit ins Bild gehört:
Die Arbeitgeber können Flüchtlinge gebrauchen, um den Mindestlohn zu kippen. Andererseits ist im Sinne der Demographie eine erhebliche Einwanderung nach Deutschland wünschenswert.
Angela Merkel braucht das "Wir schaffen das.", um von ihrer unsozialen Haltung in der Griechenlandfrage abzulenken. Wenn jetzt im Gespräch ist, dass die Griechen unerträgliche Zustände in ihren Flüchtlingslagern haben und das, obwohl sie sie ja alle weiterschicken, wird nicht mehr über erhöhte Babysterblichkeit geredet. Andererseits rechnet Merkel fest auf die Unternehmerfraktion, wenn sie gegen ihren Kurs gegen ihre parteiinternen Kritiker durchsetzen will. Das wissen die Kritiker auch, in der CSU weiß man es sowieso; aber ein bisschen Populismus ist in großkoalitionären Zeiten schon ganz praktisch, um sich zu positionieren.

Wenn ich gesagt habe, bei der Willkommenskultur spiele bewusstes Ausklammern von absehbaren Problemen eine Rolle, wie es andererseits auch eine überholte Sicht auf den Islam gebe, so ist das zu ergänzen. Eine Helferin sagte mir: "Wir dürfen nicht in die Lager, um uns zu schonen." Das heißt, die Helfer wissen sehr wohl, dass ihnen vorgespiegelt werden soll, dass sie die Lage der Flüchtlinge weit stärker verbessern könnten, als sie es tun. "Ich träume so schon schlecht", sagte dieselbe Helferin.
Aber das Selbstbild von der Selbstwirksamkeit ist wichtig. Es ist auch legitim, solange es einen realistischen Blick auf die Probleme nicht völlig verstellt.
Hier spielt dasselbe Phänomen eine Rolle wie bei den Tafeln. Missstände lassen sich besser aufrechterhalten, solange sie wichtigen sozialen Gruppen dazu dienen, sich besser zu fühlen.
Damit soll freilich nicht die Formel vom "Gutmenschen" über alle Helfer übergestülpt werden. Persönliche Hilfe muss staatliche Hilfe ergänzen. Sie darf nur nicht zur Rechtfertigung dazu dienen, die staatlichen Aufgaben zu vernachlässigen.
Ein Parteitag, auf dem die Flüchtlinge das Hauptthema darstellen, so dass das in sich widersprüchliche Ergebnis der Pariser Klimakonferenz*, der VW-Skandal, die Eurokrise, die Griechenlandkrise,  die fehlende Bankenregulierung, die Schere zwischen Arm und Reich in der Öffentlichkeit aus dem Blick geraten, rechtfertigt zwar nicht das Stichwort "Lügenpresse", aber es dient in einer Situation, wo auf den Nobelpreisträger Obama die Person des Jahres Merkel folgt.
Der Hype, der die gleichzeitige Diskussion mehrerer Themenkomplexe fast unmöglich macht, wird gewiss auch von Politikern  als gefährlich empfunden. Das braucht sie freilich nicht daran zu hindern, ihn in ihrem Sinne auszunutzen.
Politik als die "Kunst des Möglichen".

Natürlich habe ich Wesentliches übergangen: Terrorismus, Waffenlieferungen, Ukraine - Russland, Syrienkrieg, Iran - Saudi-Arabien .... Ganz ohne Vereinfachungen kommt eine Äußerung zu komplexen Fragen nicht aus.

*Es schließt die Ölpreismanipulation durch Fracking, die Inflation der Emissionszertifikate und die Laufzeitverlängerung für Braunkohlekraftwerke ein, für die die Industrie auch noch Milliarden erhält.

Beispiele dafür, was zur Integration von Flüchtlingen getan wird.

2 Kommentare:

Hauptschulblues hat gesagt…

Ich war am Freitag vor einer Woche in der Bayernkaserne, der Erstaufnahmestation in München. Ich begleitete eine Freundin, die hier regelmäßig bei den Refudocs arbeitet.
Was die Stadt München, die Regierung von Oberbayern und die Ehrenamtlichen leisten, ist großartig.
Die Dolmetscher sind alle anwesend. Die Security ist freundlich, hat meist Migrationshintergrund, und wenn mal kein Dolmetscher zur Stelle ist, zieht die Security die Uniform aus und dolmetscht selbst.
Ich war sehr beeindruckt von dieser "Willkommenskultur".

Walter Böhme hat gesagt…

Ja, es wird sehr viel getan! (Ich verlinke gleich noch etwas dazu im Blogbeitrag.)