6.9.13

Die neue Schere

Die Schere zwischen Arm und Reich mit ihren gefährlichen gesellschaftlichen Folgen ist bekannt. Wir tun uns freilich schwer damit, sie zu schließen.
Eine zweite Schere hat sich aufgetan, vor der viele Betriebe noch die Augen verschließen. Die Schere zwischen den Ansprüchen der Betriebe und der Bereitschaft und den Fähigkeiten der Arbeitnehmer. Das zeigt sich besonders bei den Hochqualifizierten und den Minderqualifizierten.

Das ist mein Thema beim Corporate Learning Camp in Frankfurt am 27./28.9.13 (#clc13)
(Zur Erläuterung von Barcamp sieh: Barcamp als Wundertütenkonferenz von Katja)

Die Hochqualifizierten sind immer häufiger nicht bereit, den Druck eines Managements hinzunehmen, dem sie nicht die nötige Kompetenz zutrauen. Wenn bei unübersichtlichen Problemlösungen  von vorn herein eine Zeitvereinbarung getroffen werden soll, verweigern sie sich immer öfter.* Wo das nicht geschieht, kommt es leicht zu Flops wie bei Toll Collect, wo das Management völlig unrealistische Zeitvorgaben akzeptierte, weil es den Mitarbeitern keinen Spielraum zu Widerspruch ließ. (Der Streitwert des noch andauernden Verfahrens liegt bei rund sieben Milliarden Euro.)
Die Schere zeigt sich bei Minderqualifizierten, seit der Fachkräftemangel so groß geworden ist, dass sich Betriebe nicht mehr leisten können, alle, die den hohen Anforderungen noch nicht gerecht werden, in die Arbeitslosigkeit abzuschieben. Dazu heißt es in der Süddeutschen Zeitung:
Dass Schulabgänger ohne Qualifizierenden Hauptschulabschluss gar nicht eingeladen werden, ist längst Vergangenheit. Der Fachkräftemangel lässt  [den Pokuristen] Turm auch über Unpünktlichkeit, penetrantes Duzen und Widerworte hinwegsehen - anfangs zumindest. Ausbilder müssten die Erziehungsleistung übernehmen und den Jugendlichen Respekt vor Vorgesetzten und richtiges Benehmen erst beibringen, sagt Turm. Dann funktioniere auch die Zusammenarbeit. Betriebe und Berufsschulen müssten auffangen, was in der Erziehung verpasst wurde. (SZ vom 6.9.13)
 Die Lösung wird oft in Nachqualifizierung gesehen, die über selbständiges Lernen der Mitarbeiter geschehen soll. Im Fall der Hochqualifizierten wird das nicht funktionieren, weil die sich ohnehin selbständig qualifizieren. Da ist wohl eher eine Umstellung des Managements erforderlich. Bei den Minderqualifizierten wird mehr gebraucht als ein offenes Angebot.
Im Fall eines Schülers mit gescheitertem Hauptschulabschluss (Durchschnittsnote 5) half ein Sonderkurs, der ihn zum Hauptschulabschluss mit 1 qualifizierte, berichtet die Süddeutsche: "Gerade schwierige Schüler würden engagierte Mitarbeiter, wenn sie eine Chance bekommen."

Der Fachkräftemangel steigt. Wie kann man darauf reagieren?

Das Problem hat Gunter Dueck aus einer etwas anderen Perspektive formuliert.

Um nur kurz anzudeuten, weshalb Dueck m.E. das Problem etwas zu blauäugig aus Arbeitgebersicht sieht,
ein Beispiel aus dem Bereich öffentliche Schulen:
Durch PISA erfuhr man, dass Finnland weit besser abschnitt als Deutschland. Außerdem, dass in Finnland hoher Wert darauf gelegt wird, Schüler und Lehrer nicht durch enge Anforderungen zu gängeln, sondern ihnen für Lernen und Lehren viel Freiraum zuzugestehen.
Die Reaktion der Schulverwaltungen war u.a., länderweite Vergleichstests für 3.-Klässler mit genauen Vorgaben zur Auswertung durch die Lehrer zu erstellen. (Anderes lasse ich unerwähnt.)
Das ist ein sehr problematisches Verhalten des Lerncoaches Schulverwaltung.
Nun aber meldet sich ein anderer: die kritische Öffentlichkeit fordert von den Lehrern, sie sollten ihre Macht nutzen und die Regelungen der Schulverwaltung außer Acht lassen.
Irgendwie scheint mir da bei manchen die Botschaft vom selbstbestimmten Lernen in den falschen Hals gekommen zu sein.

Anmerkungen:
*Bei der Vorausschätzung der Arbeitszeit für Projekte verschätzen sich Softwareentwickler zwischen 50 und 500 Prozent.  (vgl.  Positionspapier von Björn Schotte zum Management 2.0 MOOC.)
Nach Kahnemann (Schnelles Denken, langsames Denken, 2012) sind diese Schätzfehler aus der Innensicht darauf zurückzuführen, dass die Beteiligten nicht voraussehen können, welche Störungen auftreten können, weil alle in sich sehr unwahrscheinlich sind, aber erfahrungsgemäß die Wahrscheinlichkeit, dass irgendeine größere Störung auftritt, sehr hoch ist. Die Außensicht betrachtet vergleichbare Fälle und die Zeiten, die für sich für diese ergaben. (S.305/06)

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