19.11.13

Georg Büchner und Edward Snowden

Wer aktiv versucht, die Vorrechte der Herrschenden einzugrenzen oder gar zu beschneiden, der bekommt die Machtmittel der Herrschenden zu spüren, wenn er nicht einen sehr sehr langen Löffel hat.
Insofern haben die Fälle Büchner und Snowden strukturelle Ähnlichkeiten. (Darüber habe ich in diesem Blog und anderswo geschrieben.)
Dankenswerterweise hat Jan-Christoph Hauschild in seiner Arbeit Georg Büchner - Verschwörung für die Gleichheit (2013) auch über eine Ähnlichkeit geschrieben, auf die ich noch nicht eingegangen bin. Er schreibt:
In gewisser Weise ist Büchner also lebendiger als viele, die unter uns weilen. [...] Längst führt Büchner eine multible Existenz; er ist ortlos, wie ein Virus. Viren aber, man weiß es, sind unberechenbar: Sie werden von Mensch zu Mensch übertragen, verbreiten sich mit epidemischer Geschwindigkeit und machen an keinen Ländergrenzen halt. [...]Was macht das Büchner-Virus mit uns? Wenn wir es wissen, wird es zu spät sein. (S.338)
Snowden lebt an einem unbekannten Ort, er ist weitgehend abgeschnitten von öffentlichen Medien, was er wir von ihm erfahren, ist strenger Kontrolle unterworfen. Doch er hat das als mögliche Zukunft vorausgesehen und seine Botschaft mit dem entsprechenden Material an andere weitergegeben, die sie verbreiten können. So ist seine Botschaft um die Welt gegangen, obwohl er - unfreiwillig - in der Macht eines Diktators ist.
Aber nicht nur Snowden hat wie Büchner heute eine "multiple Existenz". Seine Antagonisten sind in gewaltiger Überzahl. Und sie sind in unsere Kommunikation eingedrungen wie Viren in Computer, um uns ihnen dienstbar zu machen.
Wenn Hauschild für die fortwirkenden Gedanken und Intentionen Büchners das Wort Viren gebraucht, so gewiss, weil es zu Büchners Profession als Biologe und Mediziner passt. Gut denkbar, dass er dabei auch an Computerviren gedacht hat, vermutlich aber noch nicht so sehr an die NSA. In einer Weise stimmt der Vergleich zwischen Büchner und Geheimdiensten aber ohnehin nicht. Zwar haben sie, wie gesagt, eine "multiple Existenz", doch ortlos sind sie mitnichten. Ihre Antennen finden sich traditionell in den Botschaften oder - etwas abgelegener von den Schaltzentralen der Macht - in gigantischer Größe und mit zahlreichem Personal in den Abhörzentren. Was machen sie mit uns?
Wenn wir es wissen, ist es nicht notwendigerweise zu spät. Angesteckt vom Büchner-Virus könnten wir uns wehren. So wie Snowden sich gewehrt hat.

Hauschild schreibt über Büchner auch:
In den Durchsetzungsmöglichkeiten seiner politischen [...] Ideen hat sich Büchner gewaltig getäuscht. [...] Misst man das subjektiv Gewallte am objektiv Erreichten, erscheint die Frühgeschichte der sozialen Bewegung [...] kaum anders als eine Kette von Misserfolgen. (S.333)
Doch nach all diesen Misserfolgen hat sich die Welt verändert. Zwar nicht nur zum Guten, aber auch nicht nur zum Schlechten.

Paul von Hindenburg - Fluch oder Segen für die Entwicklung Deutschlands?

War Hindenburg ein Segen für Deutschland? Diese Frage wurde auf der Plattform gutefrage.net gestellt. Die Antwort versteht sich von selbst. Doch die Begründung kann - wie ich dort gesehen habe -  sehr unterschiedlich ausfallen. Es folgt mein Versuch einer etwas differenzierteren Begründung.

Man braucht nicht unbedingt moralische Kategorien zur Beantwortung der Frage.
Er stand für Monarchismus und Militarismus. Beide waren schon 1914 ein Hemmschuh für Deutschlands Weiterentwicklung.

Wenn es ihm als Reichspräsidenten gelungen wäre, zu verhindern, dass Hitler Reichskanzler wurde (wie es seine Absicht war, dem "böhmischen Gefreiten" hielt er für durchaus ungeeignet), dann wäre es vielleicht nicht zum Zweiten Weltkrieg und nicht zum Holocaust gekommen.

Es ist ihm nicht gelungen. Mit dieser Aufgabe war er überfordert. Dabei hatte er genau die Position inne, die vom politischen System her, bestens geeignet war, Reichskanzler zu machen oder zu verhindern.

Aber aufgrund seiner Herkunft und seinen persönlichen Überzeugungen war er unfähig, mit den Kräften zusammenzuarbeiten, die noch am ehesten die Demokratie hätten bewahren können.

Freilich, gerade die hatten - um Hitler zu verhindern - sich für Hindenburgs Wiederwahl eingesetzt.
Ein wichtiger Grund dafür, anzunehmen, dass Hindenburgs Person für die Entwicklung der Geschichte seit 1933 gar nicht so wichtig war.

11.11.13

Mehr zum ZUM-Treffen 2013: Kursbestimmung

Fortsetzung dieses Artikels
In der OER-Diskussion ist deutlich geworden, dass die ZUM im deutschen Raum die erste Institution war, die freie Unterrichtsmaterialien im Internet angeboten hat und nach der Einführung der cc by-sa-Lizenz auch das umfangreichste Angebot zu OER-Materialien bietet.
Dennoch hat die ZUM die theoretische Diskussion zu OER mehr begleitet als offensiv vorangetrieben; denn das Schwergewicht ihrer Arbeit lag auf der Erstellung von Inhalten und nicht auf der Durchsetzung einer einheitlichen Lizenzierung aller Unterrichtsmaterialien.
Die diesjährige Tagung sollte der Klärung der Frage dienen, ob an dieser Strategie Wesentliches verändert werden muss.
Aus dem Referat von Michael Beurskens ging hervor, dass in einigen Fragen noch rechtliche Unsicherheiten bestehen, da dazu noch keine höchstrichterliche Urteile vorliegen.
So viel wurde aber deutlich: eine non-commercial-Lizenzierung (z.B. cc-nc-sa) lässt so viele Fragen ungeklärt, dass jemand, der Materialien mit dieser Lizenz verwendet, wenn er nicht selbst der Urheber ist, keine Rechtssicherheit hat. Denn fast jede Verwendung kann als in gewissen Sinne kommerziell aufgefasst werden. Daher wurde beschlossen, bei der Lizenzierung grundsätzlich cc by-sa zu wählen. Das ZUM-Wiki hat bereits diese Lizenz eingeführt. Andere Seiten und Wikis der ZUM-Familie brauchen diese Lizenz aber nicht zu übernehmen.

10.11.13

Internetbekannte und OER in neuem Licht - #zum13

Wer in pädagogischen Fragen im Netz unterwegs ist, und mehrmals zu Treffen der ZUM (Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet e.V.) gekommen ist, kennt schon das Phänomen: Bekannte Gestalten aus dem Netz werden plötzlich zu guten Bekannten mit liebenswerten persönlichen Eigenschaften.
Diesmal (9./10.11.13 in Königswinter) wurde es wieder deutlich ausgesprochen von einem Gast der ZUM, der noch auf der Tagung zum Mitglied wurde.
Aber auch die Open Educational Ressources (OER), alias die offenen Bildungsinhalte, verwandelten sich für mich während des Treffens. Am Beginn der Tagung glaubte ich noch, ich hätte die wesentlichen Zusammenhänge zu den OER und ihren Lizenzen alle schon einmal gehört, aber nur noch nicht zureichend verstanden, doch dann wurde mir während der Tagung zum einen vieles verständlicher, was ich bisher nur halb begriffen hatte, vor allem aber wurde mir klar, dass es für viele Detailfragen noch kein geltendes Recht gibt, weil dazu noch keine höchstrichterlichen Entscheidungen vorliegen.
Klar wurde mir das durch den Vortrag (hier die Slides) von Michael Beurskens, der gegenwärtig eine Lehrstuhlvertretung für Wirtschaftsrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat.

Der alte und neue Vorstand der ZUM (M. Schütze, K. Kirst, M. Eirich, K. Dautel, N. Anskeit)
Die Teilnehmer des Treffens
Der Tätigkeitsbericht des Vorstandes als Prezi

Link zu ZUM-Schach

Mehr dazu hier und in diesem Artikel

7.11.13

Probleme, über die zu reden sich lohnt

Natürlich redet man über Wulff, Schavan, diesen Fußballmanager, über den Saal, in dem über die NSU verhandelt wird, und und ..., weil man für zwei Tage bis sechs Wochen man ständig über sie hört und liest. Auch über Koalitionsverhandlungen.

Aber auch darüber, weshalb auf jeden Fall zuviel SPD und zuwenig SPD im Koalitionsvertrag stehen wird? Zuviel, weil die CDU-konformen Ziele der SPD "alternativlos" werden (Tina Hildebrandt, ZEIT), und zuwenig, weil die CDU-Alternativen gar nicht erst verhandelt werden (Gesine Schwan, SZ).

Man redet über Fragen, über die es leicht ist, sich eine Meinung zu bilden (Plagiat, Justizirrtum), weil der Zeitgeist sie gerade vorgibt.
Doch wie geht man mit der Frau um, die als Mädchen den Vater zu Unrecht der Vergewaltigung beschuldigt hat und als Frau ihre Lüge zugibt. (ZEIT, 7.11.13) Sie soll ihre "gerechte Strafe" bekommen? Ist aber nicht der Richter schuldiger als das Mädchen, das von seiner Mutter lügen gelernt hat? Doch wie soll der Richter bei Straftaten vorgehen, wo Aussage gegen Aussage steht?  Soll man Gutachter für Irrtümer zur Rechenschaft ziehen? Sollen Richter ihrem Bauchgefühl folgend gegen Gutachter entscheiden?

Rolle der Judenräte: Kollaboration mit den Nazis mit welchen Folgen? (Lanzmanns Film "Der letzte der Ungerechten")

An einem Tag finde ich in den Zeitungen mehr als acht Themen angemessen problematisiert, zu denen ich wochenlang nur Nachrichten und Schnellmeinungen gelesen und vernommen habe. Wie werde ich die verarbeiten?

Auswählen. Zunächst zwei Themen: die Parallelen zwischen Snowden und Büchner und die Notwendigkeit einer Erneuerung der deutschen und europäischen Politik (egal, ob in mutigem Scheiternlassen der Koalitionsverhandlungen oder in einer neuen außerparlamentarischen Opposition). Und von Zeit zu Zeit ein Blick auf eindrucksvolle Problematisierungsversuche zu Fragen, die nicht offenkundig zu den großen Zukunftsfragen gehören.

4.11.13

Selbstbestimmtes Lernen

Eltern werden Kurse angeboten, wie sie ihren Kindern richtiges Lernen beibringen können. (SZ 4.11.13)

Ich trete ein für mehr Lernen durch Lehren und gegen übertriebene Unterstützung.

Dennoch:
In den seltensten Fällen wird man auf Gebieten, die einen nicht interessieren, mit selbstbestimmtem Lernen weit vorankommen.
Und auf Gebieten, für die man Interesse gewonnen hat, wird man selbständig lernen, auch wenn die vom Lehrenden gewählte Methode das gar nicht vorsieht.

Es geht daher, m.E. nicht darum, Kindern selbständiges Lernen beizubringen, sondern darum, es ihnen nicht abzugewöhnen.