31.8.10

"Das ist längst bewiesen!" - Über falsche Sicherheiten

Francis "Bacon hat vor voreiligem Vertrauen darauf, das Richtige erkannt zu haben, gewarnt und auf folgende Arten von Täuschungen aufmerksam gemacht:

1.Täuschungen, die sich aus den Tiefen des Individuums, dem Unbewussten, ergeben.
2.Irrtümer aus überlieferten, überzeugend dargelegten Lehrsätzen: „Dogmen“ oder Meinungen einer Autorität, die wir glauben, ohne zu „hinterfragen“. Solche Irrtümer sieht er bei Scholastiker, aber auch bei Humanisten, wenn sie die Naturwissenschaften nicht genügend berücksichtigen.
3.Irrtümer, für die unser Sprachgebrauch verantwortlich ist. Das ist ein Ansatz für die moderne Sprachkritik der Philosophie.
4.Fehler unseres Verstandes – Sie entstehen, weil wir von unserem menschlichen Standpunkt aus urteilen, statt der Natur der Dinge gerecht zu werden. Dazu zählt er die Überbetonung der Bedeutung plötzlicher und außergewöhnlicher Vorgänge." (zitiert von hier)

Auch Naturwissenschaftler sind vor solchen Irrtümern nicht gefeit, wie der Blogartikel Wie Wissenschaft funktioniert an einem Beispiel von Forschung im Bereich der Grünen Gentechnik aufzeigt. Gerade was naturwissenschaftlich korrekt ist, kann freilich sozialwissenschaftlich gesehen in gefährliche Irrtümer führen.

Im Lehrerzimmer werden wir auf die Unterscheidung Wahrnehmung und erkenntnis (am Beispiel einer optischen Täuschung) und von Ergebnis einer Untersuchung und ihrer Interpretation aufmerksam gemacht. Vor solchen Fallstricken kann man gar nicht genug warnen. Danke!

Francis Bacon freilich hatte das Erkenntnisinteresse Naturbeherrschung, und das ist bis heute für die Naturwissenschaften Normalfall und für Technik Norm.
Dass ein solches Erkenntnisinteresse Fragestellungen erschwert, die die Gefahren von menschlicher Naturveränderung aufzudecken geeignet sind, weiß man freilich nicht erst seit dem Klimawandel.

25.8.10

Wann kann Demokratie schädlich sein?

Paul Collier, Afrika-Experte von der Universität Oxford, weist darauf hin, dass Demokratie in Staaten, die bürgerkriegsgefährdet sind, schädlich sei. Da seine Zielsetzung mir gefällt (Armut, so weit als möglich, zu verhindern) und er empirisch arbeitet, scheinen mir seine Ergebnisse sehr beachtenswert.
 
Hier seine Argumentation in Thesenform:

 
  1. In armen Ländern erhöht die Demokratie das Risiko politischer Gewalt, weil die Zentralgewalt weniger effektive Instrumente zur Unterdrückung von Gewalt hat als ein autokratischer Herrscher.
  2. In vielen armen Ländern gibt es nur Scheindemokratien. Es herrscht keine Gewaltenteilung und Wahlen werden gefälscht.
  3. Das Vorhandensein von Bodenschätzen begünstigt Gewalt. Denn die Herrschenden können sich bereichern. Sie sind nicht auf Steuerzahlungen der Bürger angewiesen. Außerdem können gewaltbereite Gruppen einen Teil des Landes unter ihre Kontrolle bringen und dann ausplündern.
  4. Sobald ein Land über die sieben US-Dollar Einkommen am Tag hinauswächst, verliert die Autokratie an Rückhalt. Dann ist es die Demokratie, die mehr Stabilität verspricht.
  5. Nach einem Bürgerkrieg erhöhen Wahlen das Risiko neuer Kämpfe. Denn dann gibt es einen Gewinner und einen Verlierer und das werden bewaffnete Parteien nicht anerkennen, sondern wieder zu den Waffen greifen. Für das Land wäre besser, wenn sie sich die Macht teilen.
  6. Wir könnten die afrikanischen Gesellschaften aus der Armut befreien. Wir sollten es schon aus Eigennutz tun; denn zusammenbrechende Staaten bedeuten eine Gefährdung des Friedens.
Es lohnt sich, das Interview nachzulesen.
Bevor ich selbst kommentiere, bin ich auf Kommentare von anderen gespannt.

23.8.10

Prüfungen

Ich persönlich habe etwas gegen punktuelle Prüfungen:
Da gibt es Leute mithervorragenden Fähigkeiten und chronischer Prüfungsangst, denen im patriarchalischen System noch mit Tricks zu helfen war, die aber in Prüfungsmaschinerien hoffnungslos untergehen.
Da gibt es Referendare, die sich als empathisch, informiert und engagiert erwiesen haben, in der Prüfungslehrprobe aber aufgrund von Aufregung bei einer entscheidenden Weichenstellung der Stunde total einbrechen.
Da gibt es ... zum Beispiel auch Schüler, die bei Nachprüfungen nachweisen sollen, dass sie endlich begriffen haben, dass sie Lernen und Arbeiten auch ernst nehmen müssen, die dann auch einiges davon verstanden haben und dann doch scheitern.
Ungerecht ist das Prüfungsergebnis, weil der deutliche Lernzuwachs nicht zur Geltung kommt. (Ich war selbst schon enttäuscht, wenn ich als Nachhilfelehrer erstes Interesse an einem Fach wecken konnte und dann doch die Prüfung danaben ging.) Aber: Ist nach einem Jahr unzureichender Leistungen (im vom Spiegel vorgestellten Fall in mehreren Fächern) der Nachweis, dass in einem Fach mit Nachhilfe etwas gelernt wurde, Beweis dafür, dass es im kommenden Jahr besser laufen wird als in den vorhergehenden?
Mag sein, das System von Versetzen und Sitzenbleiben ist falsch. Aber punktuelle Prüfungen werden notwendigerweise immer wieder ungerechte Ergebnisse produzieren. Ungerecht kann auch sein, dass jemand Jahr für Jahr nicht lernt und dann in den Sommerferien von hervorragenden Lehrern prüfungsfit gedopt wird.

Ein Beispiel für den Vorzug punktueller Prüfungen:
Eine Schülerin erzielte stets gute Noten in Geschichte, weil sie vor den Klausuren alles gut durchlas und dann fast auswendig beherrschte.
Beim Abitur nahm sie sich erstmals die Zeit, sich ausführlich mit einem Thema zu befassen. Sie verstand etwas Wesentliches und schnitt hervorragend ab. Seitdem beschäftigt sie sich nicht mehr mit Geschichte. - Aber, sie hat etwas Wesentliches verstanden. Dafür hat sich die Prüfung geleohnt.

13.8.10

DDR-Geschichte

Zum 17. Juni hatte ich mir Gedanken darüber gemacht, dass noch nicht genügend Überlegungen zur Didaktik der DDR-Geschichte vorliegen.
Jetzt gibt es in Brandenburg originelle Überlegungen, schon in Klasse 7 damit einzusteigen, weil man festgestellt hat, dass nur noch wenig Wissen darüber vorhanden ist. Die energische Kritik von Peter Haber teile ich nicht. Natürlich spricht viel für einen chronologischen Durchgang. Aber ich habe meinerseits Geschichtsunterricht zu Nationalsozialismus und 2. Weltkrieg in der 5. Klasse (oder war es doch erst die 6.?) erhalten, der freilich nicht dauerhaft mein Geschichtsbild bestimmt hat, aber doch geeignet war, das, was man aus Gesprächen und Medien entnahm, besser einzuordnen. In diesem Sinne halte ich es nicht für falsch, die DDR-Geschichte in der 7. Klasse aufzugreifen. Die schwierige Frage, was man dabei auswählen sollte, ist damit freilich noch nicht beantwortet.

Ich habe meinerseits in den 90er Jahren eine Auswahl von Ereignissen aus der deutschen Geschicht ab 1945 getroffen. Dass solch eine Zeittafel mit Erläuterungen (z.B. DDR, Kollektivierung der Landwirtschaft 1952, DDR-Flüchtlinge 1989) vorliegt, halte ich weiterhin für nützlich. Doch das Auswahlkriterium müsste eine Strukturierung ermöglichen. Daher weise ich nochmals auf meine Überlegungen vom 17.6.2010 hin:
Bemerkenswert finde ich deshalb die Auswahl, die Dietrich Garska in Das schweigende Klassenzimmer trifft. 1953 und 1956 als die Jahre der gescheiterten Aufstände in DDR und Ungarn. Dann erst wieder der Blick auf die Einigung. Sollte man mit dem Prager Frühling von 1968 als Parallele zur Studentenbewegung fortfahren, dann 1976 die Ausbürgerung Biermanns und die Proteste dagegen mit der Entstehung der Solidarność in Polen 1980 zusammen sehen als Vorbereitung der friedlichen Revolutionen von 1989?

Das hieße, die DDR-Geschichte vom Ende her als letztlich nicht erfolgreiche Dauerunterdrückung zu verstehen. Aber das dafür entscheidende Jahr des Mauerbaus von 1961 fehlte dann. Darf man es wagen, die DDR-Geschichte nur in DDR vor und nach dem Mauerbau zu gliedern?
Stichworte:
Zentralverwaltungswirtschaft, Fünfjahresplan, Ministerium für Staatssicherheit, Neues Ökonomisches System

8.8.10

Rousseaus Autobiographie

Ich lese gegenwärtig Rousseaus "Bekenntnisse" und stelle dazu Materialen und Textausschnitte zusammen.
Zunächst geht es mir darum, den Zugang zum Werk und zu seiner Lektüre zu erleichtern; aber es wäre natürlich auch schön, wenn eine Zusammenfassung und eine Interpretation zustande kommen könnten. (Vorarbeiten dazu liegen vor.)
Ich bin aber auch dankbar für Meinungsäußerungen aufgrund der Lektür von Kurzausschnitten, einer weit umfassenderen Ausschnittsammlung oder natürlich des Gesamttextes.

7.8.10

Noch einmal: Kommunikation heute

Der Spiegelartikel zur Internetnutzung der heutigen Jugendlichen, plakativ Null Blog genannt, hat in der Blogosühäre ein Gespräch angeregt. Martin Lindner warnt vor der Entwicklung und führt u.a. Thomas Friedman zur Rechtfertigung seiner Einschätzung an. Dann hat sich René Scheppler, der in dem Spiegelartikel "Null Blog" zitiert worden war, mit einer Präzisierung seiner Aussagen gemeldet. Schon in diesen Artikel sind Ergänzungen anderer Autoren eingegangen, die durch die dort entstandene Diskussion zum Artikel noch ergänzt werden. Recht umfassend äußert sich Herr Larbig zu der Thematik und führt weitere Stellungnahmen zum Thema an.

Wie immer sagt er recht Bedenkenswertes. Dennoch glaube ich, dass hier recht viel Analysearbeit in ein Thema gesteckt wird, das für Unterrichtsverbesserung nicht die entscheidende Rolle spielt. Das Entscheidende scheint mir, dass die Aufgaben, die sich bei der Erarbeitung von Themen und beim Erwerb von Fähigkeiten eine Rolle spielen, sich nicht wesentlich geändert haben. Nur recherchiert man heute anders, spielt die Einschätzung der Relevanz eines Textes eine größere Rolle und führt eine größere Kompetenz beim technischen Umgang mit einem Medium beim Lerner leichter zu der Vorstellung, dass die in der Schule vermittelten Kompetenzen unwichtiger seien.

Studie des Bredow-Instituts: Jugendliche und Web 2.0 ; der Blog zur Studie

3.8.10

Kommunikation heute

Unter dem Titel "Wie die Generation Y kommuniziert" stellt Armin Trost ein Experiment vor, in dem acht seiner Studenten eine Woche lang auf Internet und Handy verzichteten.

Es stellt sich vor allem heraus:
- Treffen müssen geplant werden, während man zusammen ist.
- Man muss alle Personen einzeln anrufen, kann nicht eine Gruppe gemeinsam ansprechen.
- Recherchen sind viel schwerer möglich.
- Das zeitlich festgelegte Fernsehprogramm bietet eine geringere Auswahl und ist daher weniger attraktiv.
- Da vieles nicht möglich ist, ist man mehr auf sich geworfen und hat mehr Zeit, in der man nicht durch Kommunikation abgelenkt ist.

Das ist stark verkürzt. Insbesondere werden auch durch der Kommentare von Angehörigen der Generation Y Differenzierungen erkennbar.

Das Kommunikationsverhalten ist gewiss, aber nicht nur eine Generationenfrage. Meine Kinder (alle um 30 Jahre) z.B. machen sich Gedanken darüber, ob ihr Vater nicht zu viel im Internet ist.

Nachtrag vom 4.8.
Im neusten Spiegel findet sich nun der Hinweis, dass die neuste Internetgeneration nicht bloggt und nicht twittert (bereits bekannt) und dass ihr das Internet nicht wichtig sei (nach den angeführten Beispielen über Facebooknutzung nicht völlig überzeugend). Mehr schreibe jetzt  ich nicht dazu. Dafür steht viel zu Interessantes bei Herrn Rau zu diesem Thema.