24.7.20

Meinungsfreiheit und Differenzierung

Wenn ich etwas lernen will, lese ich nicht Josef Joffe. Ich habe schon so viel von ihm gelesen, was ich ablehne, dass es mir zu schwer fällt, seinen Argumenten genügenden benefit of the doubt zu geben, der mir erlaubt überkommene Denkbahnen zu verlassen, um ihm zu folgen.
Umso mehr beeindruckt es mich, dass ein "Die Feinde des Liberalismus" (ZEIT 31/2020 23.7.; S.45f.) eine Reihe von Gedanken vorträgt, die auszuarbeiten ich trotz eines inneren Bedürfnisses zurückgestellt habe, um Forderungen des Tages zu genügen.
Ich habe nur einen wesentlichen Einwand gegen seine Argumentation: Symbolpolitik verändert zwar keine realen Verhältnisse, aber sie kann dazu beitragen, dass sie geändert werden.
Brandts Kniefall in Warschau war Symbolpolitik, aber er hat wesentlich dazu beigetragen seiner Ostpolitik zum Erfolg zu verhelfen. Ob und inwieweit  dieser Erfolg dazu beigetragen hat, Gorbatschow zu seiner Politik zu ermutigen, mögen spätere Historiker beurteilen. Für mich hat es jedenfalls gegenwärtig noch den Anschein, dass es so war.

Hier aber noch ein bedenkenswertes Zitat, das Joffe aufgreift:
"Als Weißer hast du nicht das Recht, zuzustimmen oder abzulehnen, was ein Schwarzer sagt. Beipflichten ist genauso arrogant wie Widerrede!" 
Es ist aus dem Zusammenhang gerissen; aber es lässt den Gedanken aufkommen, dass Weiße nur ein eingeschränktes Recht der Ausübung von Meinungsfreiheit haben sollten.

Ich persönlich bin zu der Ansicht gekommen, dass Deutsche sehr zögerlich damit umgehen sollten, im Kontext mit Rassismus und Völkermord ihre Wahrheit auszusprechen, weil es Betroffene als Angriff auf ihre Wahrheit empfinden könnten.
Wenn man aber Entsprechendes allgemein für alle Weißen fordert, öffnet man den Weg zur Beseitigung von Meinungsfreiheit.