28.8.14

Moralische Verpflichtung zu Waffenlieferungen?

Dieser Artikel wurde im Blog Fontanefans Schnipsel entworfen und bleibt dort unter seinem ursprünglichen Titel auch weiterhin stehen.

Angesichts des Menetekels des Ersten Weltkieges, der augenblicklich intensiv diskutiert wird, und angesichts des Scheiterns der (angeblich?) humanitären Interventionen  in Afghanistan und im Irak sowie der katastrophalen Ergebnisse der Förderung von Bürgerkriegsparteien in Libyen und Syrien entdecken die Deutschen für sich "The White Man's Burden".




"Ergreift des weißen Mannes Bürde
die bestialischen Kriege des Friedens"

Dies Gedicht schrieb Kipling 1899, weil viele Amerikaner der nach dem Spanisch-Amerikanischen-Krieg von 1898 einsetzenden imperialen Ausdehnung zögerlich gegenüber standen.
Im Endeffekt lief  "The White Man's Burden" darauf hinaus, dass Zigtausende von Soldaten aus den Kolonien den Opponenten des Ersten Weltkrieges helfen mussten, ihre Schlachten zu schlagen. So wie Deutschland sich "am Hindukusch verteidigt"* hat, durften indische Soldaten in europäischen Schlachten verbluten.
Es ist nicht so, dass die Katastrophe des Ersten Weltkrieges überraschend hereinbrach. Nach wiederholten Friedenskongressen im 19. Jahrhundert kam es ab 1890 zu einer Serie von Weltfriedenskongressen. Für 1914 war ein weiterer geplant. Wegen des Krieges musste er ausfallen.

Gegenwärtig ziehen sich die Europäer aus den Kriegseinsätzen, in die sie sich überstürzt hinein begeben hatten, wiederum überstürzt zurück.
Dafür haben sie jetzt Waffenlieferungen in Krisengebiete als angeblich sinnvolles Mittel der Friedensstiftung entdeckt. Eine jahrzehntelange Tradition soll abgebrochen werden. Und angesichts der erdrückenden Mehrheit der Großen Koalition scheut man sich sogar nicht einmal, diesen Wahnsinn durch das Parlament absegnen zu lassen. Ja sogar in der Opposition entdecken manche Grüne den "Charme" von Waffenlieferungen zur Sicherung wichtiger Ölfelder. Noch hat die Bundeswehr ja nicht genügend Drohnen, um so etwas ohne Stellvertreterkrieger erledigen zu lassen.


*"Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt", betonte Verteidigungsminister Peter Struck (Dirk Eckert 13.12.2002)

Helmut Schmidt über die Responsibility to protect ("Schutzverantwortung"): "Ein schlimmes Schlagwort, das zwar idealistisch klingt, aber zugleich den Vorwand für Interventionen in dritte Staaten liefert." (ZEIT, 28.8.14)


Anhang:

25.8.14

Endspurt zur Wahl des Lehrerblogs 2014?

Nach Lage der Dinge wird die Wahl durch ein oder zwei Stimmen Unterschied entschieden werden. Das finde ich nicht schlimm; denn es ging mir nur darum, möglichst viele Lehrerblogs bekannt zu machen und eine Anlaufstelle zu schaffen, wo man sich über Lehrerblogs informieren kann und wo man auf seinen Blog hinweisen kann. Das ist mit dem Artikel Lehrerblogs im ZUM-Wiki jetzt gegeben. Er ist am 25.8. deutlich über 10 000 mal aufgerufen worden. Das hat sicher dazu beigetragen, dass die Kenntnis über Lehrerblogs zugenommen hat.

Dass ein Blog wie Herrn Raus Lehrerzimmer über eine solche Aktion wesentlich bekannter wird, kann man freilich ausschließen. Dasselbe gilt für alle anderen Blogs, die ich unter Eulen nach Athen tragen vorgestellt habe. Außerdem auch für einige andere, aber da brauche ich mich nicht festzulegen. Es ging mir aber um die Blogs, die bisher weniger stark frequentiert werden.

Am angekündigten Wahlmodus werde ich nichts ändern: Jeder Lehrerblogger hat eine Stimme bei der Wahl, sonst niemand.
Aber die Anregung, eine Wahl nach einzelnen Disziplinen durchzuführen, möchte ich weitergeben. Ob nächstes Jahr oder in 5 Jahren, gewiss wird man dann einen anderen Wahlmodus wählen.

Um aber doch noch ein bisschen Leben in die Wahl zu bringen, schlage ich vor, dass jeder, der Lust dazu hat, eine Mail mit 3 bis 5 Blogtiteln an Fontane44(at)web.de schickt. Wenn sie klar nummeriert sind, zählt die erste Stimme für die Gesamtwahl des Lehrerblogs 2014, die weiteren dienen dazu, die Popularität weiterer Blogs anzudeuten. Außerdem kann man in der Mail angeben, welche Blogs man als Sieger in ihrer Spezialdisziplin (z.B. Grund-, Haupt-, Real-, Gesamt-, Gemeinschaftsschule, Gymnasium, Klassenblog, Mathe, Englisch ...) sehen möchte.
Wenn dabei der Name des eigenen Lehrerblogs* angegeben ist, zählt die Wahl auch für den Gesamtsieger, sonst nur für die Spezialdisziplin. (Dabei dürfen auch Nicht-Lehrerblogger mitstimmen.)

*Gültig ist natürlich nur die erste Stimme, die im Namen eines Lehrerbloggers abgegeben worden ist.
In der Wikipedia würde man natürlich sagen: Das ist keine Wahl, sondern allenfalls ein Meinungsbild. Mehr soll es ja auch nicht sein.

Wie angekündigt: Meine Auswertung erfolgt nach dem Ende der bayrischen Sommerferien, aber nicht unbedingt pünktlich am ersten Tag.

Sieh auch:
Wahl des Lehrerblogs 2014 (erster Artikel)


14.8.14

Wikipedia, Journalismus und angebliche Forschung

"Am 29. Juli erschien in der Neuen Zürcher Zeitung ein Artikel, der sich wohlwollend mit der Wikipedia, insbesondere dem Schutz vor Fakes, Vandalismus und Werbung befasst. Die NZZ berichtete von vier Falscheinträgen, die von Studierenden der Uni Gießen zu Testzwecken in der Wikipedia untergebracht worden waren. Drei Fake-Artikel und eine unrichtige Aussage seien schnell oder nach einigen Wochen gelöscht worden, heißt es da mit einem Lob für die funktionierende Kontrolle innerhalb der Wikipedia."

So beginnt ein Artikel im Wikipedia Kurier, in dem scharfe Kritik an der Produktion von Fehlern in der Wikipedia für angebliche Forschung geübt wird. Man kann ihn dort nachlesen. 

12.8.14

Der wohltätigkeitsindustrielle Komplex setzt mehr Geld um als der Rüstungssektor

Das gilt jedenfalls für die USA. Ein wesentlicher Faktor ist dabei die Stiftung von Bill Gates, die u.a. weltweit Malaria bekämpft und an der sich Warren Buffet mit einem Milliardenbetrag beteiligt hat. 
Prominentester Kritiker des wohltätigkeitsindustriellen Komplexes ist Warrens Sohn Peter Buffet, der im Sommer 2013 in der New York Times die Aktivitäten  Charitable-Industrial (wohltätigkeits-industriell) Complex kritisch beleuchtete und von philanthopic colonialsm (Mäzenatenkolonialismus) und conscience laundering (Gewissenswaschanlage) sprach.

Wohltätigkeit erleichtere die Entscheidung für moralisch fragwürdige Geschäfte. Selbst Mikrokredite hätten den fragwürdigen Effekt, mehr Menschen in das System von Kredit und Zinsen einzubinden. (vgl. Graeber: Schulden)*

Zu diesem Zusammenhang sieh auch Heike Buchter "Fluch des Geldes" (ZEIT Nr.33, 7.8.14, S.24), auf den mein Blogeintrag sich - neben Wikipediabeiträgen - stützt. 

Zur Behauptung in der Überschrift dieses Blogbeitrags:
Das Urban Institute sieht den Beitrag der gemeinnützigen Institutionen bei 800 Milliarden Dollar, den des Rüstungssektors bei rund 400 Milliarden.

*Peter Buffet folgt übrigens nicht der Theorie David Graebers, dass es Tauschhandel erst nach der Erfindung des Geldes gegeben habe, vorher sei mit einfachen Formen des Kredits gearbeitet worden. Laut ZEIT sagte er. "Es wird immer Märkte geben, Menschen haben schon seit Urzeiten getauscht und gehandelt." Buffet geht es nicht um eine Abschaffung des Kapitalismus, sondern darum, ihn menschlicher zu gestalten.
(Wenn der ZEIT-Artikel im Internet zur Verfügung steht, soll er hier verlinkt werden.)

6.8.14

Augusterlebnis 1914

100 Jahre nach Kriegsbeginn, 57 Jahre nach Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sollte ein weniger verzerrtes Bild des "Europäischen Bürgerkrieges", wie man den Ersten und Zweiten Weltkrieg zusammenfassend genannt hat, möglich sein.
Wie von Verteidigern der Fischerschen Thesen in der Diskussion über "Griff nach der Weltmacht" schon damals angedeutet wurde, hat die Öffnung der Akten anderer europäischer Staaten eine klarere Sicht auf die Kriegsbereitschaft auch in diesen Staaten möglich gemacht. Christopher Clarks hat in "Die Schlafwandler"* den kollektiven Weg in den Krieg dargestellt. Den Versuch, daraus eine Unschuldsthese für die deutsche Führung von 1914 zu basteln, wurde zu Recht zurückgewiesen.* Im Einzelnen wird die wissenschaftliche Diskussion weitere Differenzierungen erbringen.
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                       Meldungen vom August 1914
Beispiele:

Paris, 1. August. Gestern Abend gab ein gewisser Raoul Villain in einem Kaffeehaus mehrere Revolverschüsse auf den Sozialminister Jaurès ab. Jaurès wurde am Kopf getroffen und starb bald darauf. Der Mörder ist 29 Jahre alt und Sohn eines Schreibers am Zivilgericht in Reims.[...] " ("Ein Edelopfer des internationalen Blutrausches" Vorwärts 2.8.1914)

  "Die Dinge nehmen ihren unerbittlichen Verlauf. Ganz Europa gleicht nach der allgemeinen Moblilisierung einen einzigen Heerlager. Die Eisenbahnen und alle anderen Verkehrmittel dienen jetzt dazu, Millionen von Bewaffneten nach den Stätten kriegerischer Entscheidungen zu tragen. Die ersten Vorpostengeplänkel haben eingesetzt, bald wird die Kunde von großen Schlachten und gewaltigen Menschenopfern die Welt durchdringen.„Es ist grauenvoll, diesen weltgeschichtlichen Wahnsinn bis in seine letzten Konsequenzen auszudenken.“ So schrieb die „Vossische Zeitung“ heute Abend. Wir können ihr nur rückhaltlos zustimmen.Milliardenwerte und unabschätzbare Kulturgüter, millionenfache Menschenkräfte und unabwägbares Menschenglück werden jetzt einem Vernichtungswerk geopfert, dem an gigantische Größe kein gleiches in der Weltgeschichte zur Seite zu stellen ist. Söhne unseres Volkes, darunter viele Freunde unserer Sache sind es, die das blutige Ringen ausfechten müssen. Wirtschaftsleben und Familienglück liegen überall darnieder. [...]" (Die eisernen Würfel rollen, Vorwärts 3.8.1914) 

  "Halbamtlich wird mitgeteilt: „Heute, Dienstag nachmittag, kurz nach der Rede des Reichskanzlers, in der bereits der durch das Betreten belgischen Gebiets begangene Verstoß gegen das Völkerrecht freimütig anerkannt und der Wille des Deutschen Reiches, die Folgen wieder gut zu machen, erklärt war, erschien der großbritannische Botschafter Sir Edward Goschen im Reichstag, um den Staatssekretär v. Jagow eine Mitteilung seiner Regierung zu machen. In dieser wurde die deutsche Regierung um alsbaldige Antwort auf die Frage ersucht, ob sie die Versicherung abgeben könne, daß keine Verletzung der belgischen Neutralität stattfinden würde. Der Staatssekretär v. Jagow erwiderte sofort, daß dies nicht möglich sei, und setzte nochmals doe Gründe aneinander, die Deutschland zwingen, sich gegen einen Einfall einer französischen Armee durch Betreten belgischen Bodens zu sichern. Kurz nach 7 Uhr erschien der großbritannische Botschafter im Auswärtigen Amt, um den Krieg zu erklären und seine Pässe zu fordern. [...]" ("England erklärt Deutschland den Krieg" Berliner Tageblatt 5.8.14)
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 Bemerkenswert erscheint mir in diesem Kontext ein Artikel  in der Frankfurter Rundschau vom 2.8.14 (publiziert wurde er im Rahmen der sehr verdienstvollen Artikelserie der FR zum Ersten Weltkrieg):
"Das Begehren nach dem Blutopfer" von Christian Thomas.
Darin schreibt er über das Augusterlebnis 1914 "von einer ungeteilten kollektiven Euphorie kann keine Rede sein", trägt dann aber eine Menge Belege für die Bereitschaft, sich für 'Volk und Vaterland' zu opfern, zusammen. Dazu gehört, dass die sozialdemokratischen Abgeordneten trotz ihres Boykotts der Reichstagssitzung, in der Wilhelm II. den Kriegsbeginn rechtfertigte, dann doch - mit zwei rühmlichen Ausnahmen - den Kriegskrediten zustimmte. Ja, sogar die Deutsche Friedensgesellschaft habe sich der allgemeinen Opferbereitschaft nicht entgegenstellen wollen. (Hier hätte mich ein Beleg sehr interessiert.)
Dass in der Bevölkerung die Trennung von Vätern, Söhnen und Brüdern nicht allgemein begrüßt worden ist, dass man ihrem Tod nicht allgemein freudig entgegengesehen hat, darf als sicher gelten, auch wenn öffentliche Organe nicht darüber berichtet haben und die Filmbilder von jubelnden Kriegsfreiwilligen das nicht dokumentiert haben. Die Euphorie war nicht ungeteilt. Doch das "August-Erlebnis" hat Thomas eindrucksvoll belegt.

Aus Harry Graf Kesslers Tagebuch aus den ersten Augusttagen 1914:

"Die Menge macht einen weit sichereren, weniger berauschten Eindruck als gestern. Die Sicherheit, dass es in den Krieg geht, hat Alle gefestigt. [...] 1.8.1914

Die Stimmung hier beim Regiment ist dieselbe wie in Berlin; eine ruhige, heitere Zuversicht ohne Rausch: man weiss, dass der Krieg furchtbar sein wird, dass wir vielleicht zeitweise Rückschläge erleiden werden, vertraut aber auf die Charakter Eigenschaften der Deutschen, auf Pflichterfüllung, Ernst und Beharrlichkeit, dass sie uns schliesslich den Sieg erringen müssen.  [...] Alles ist sich klar darüber, dass dieser Krieg Deutschland die Weltherrschaft oder den Untergang bringen muss. Seit Napoleon ist kein so hohes Spiel gespielt worden.  [...] 3.8.1914

vergleiche auch: 2.8.1914 und 4.8.1914

T. Bendikowski ZEIT Nr.01/2014
K. Pätzold in der jungen welt 1.8.2014 über das Augusterlebnis


Dieser Blogeintrag erschien in kürzerer Form zuerst unter
Fontanes Schnipsel.
In der ergänzten Form lädt er jetzt meiner Meinung nach
genügend zum Quellenstudium ein, dass man sich auch als
historischer Laie ein Bild von der von Besorgnis wie von
Kriegsbegeisterung gekennzeichneten Stimmung machen kann.
Man wird sich kein fundiertes historisches Urteil bilden können,
aber doch wohl einseitigen Darstellungen nicht mehr
ohne weiteres vertrauen.

*Clarks Titel spielt auf Hermann Brochs Trilogie 
"Die Schlafwandler" an.
* Dazu u.a. Jens Jessen: Das Märchen vom Revisionisten, ZEIT 14.8.14
Daraus ein Zitat:
"Die Ahnung, dass Politiker heute angesichts ähnlicher Konflikte nicht souveräner und moralischer handeln als unsere Vorväter, setzt eine Melancholie frei, die jeden Fortschrittselan hemmt."

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