27.9.14

Das TTIP steht nicht allein

[...] der Handelsexperte verweist auf rund 500 regionale und bilaterale Abkommen, die weltweit den Handel zwischen Volkswirtschaften erleichtern. Das Handelsabkommen, eigentlich ein Sonderfall, ist aus der globalisierten Wirtschaft nicht mehr wegzudenken: "Die eigentliche Ausnahme ist zur Regel verkommen", sagt Langhammer.
Diese Verträge gibt es zwischen den großen Volkswirtschaften, aber auch mit ökonomischen Zwergen wie Mazedonien, Andorra oder Sambia. Seien es Elektrogeräte, Fischmehl, Rasenmäher oder Poloshirts: Handelsverträge sorgen maßgeblich dafür, dass unsere Regale so bunt – und bezahlbar – gefüllt werden können. Für Deutschland wichtige Verträge wurden in letzter Zeit mit Südkorea, Mexiko und Kanada abgeschlossen. (AXEL HANSEN UND OLGA GALA: TTIP ist überall, 18.7.2014, Hervorhebungen von mir.)
Weil die Welthandelsorganisation (WTO) wegen Widerstand von Staaten aus der Dritten Welt nicht so vorankommt, wie sich die Konzerne das vorstellen, werden Einzelabkommen geschlossen, wo der jeweils stärkere Partner größere Chancen hat, sich mit seinen Interessen durchzusetzen.
Bemerkenswert, dass das alles praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit geschieht.

Auch geostrategische und politische Überlegungen spielten eine große Rolle, sagt Gabriel Felbermayr vom ifo Institut in München. So seien die Verträge mit den ehemaligen Ostblockstaaten Ukraine oder Moldawien zwar politisch wichtig, seien ökonomisch aber nachrangig. "Moldawien hat einen sehr kleinen Markt und ist ein failed state", urteilt Felbermayr. Und auch die größere, aber marode Volkswirtschaft Ukraine sei als Absatzmarkt eher uninteressant. (AXEL HANSEN UND OLGA GALA: TTIP ist überall, 18.7.2014, Hervorhebungen von mir.)
Ursprünglich sei es darum gegangen, Firmen in Ländern ohne rechtsstaatliche Prinzipien zu schützen. Der klassische Fall: Eine sozialistische Regierung in Südamerika will die Mine eines westlichen Bergbaukonzerns verstaatlichen. Weil das Unternehmen vor lokalen Richtern keine Chance auf eine faire Behandlung haben dürfte, kann es vor ein Schiedsgericht ziehen und dort Schadenersatz einklagen. Soweit findet das auch Scherrer nachvollziehbar. [...]
Doch heute würden spezialisierte Anwaltskanzleien immer stärker gegen normale Gesetze zu Felde ziehen.* Berühmt geworden ist die Klage Vattenfalls gegen den deutschen Atomausstieg. Ägypten droht eine empfindliche Zahlung, weil der französische Wasser- und Energieriese Veolia das Gefühl hat, die Regierung in Kairo greife rechtswidrig in die Wirtschaftsbedingungen ein. Der Tatbestand: Die Nordafrikaner haben den Mindestlohn angehoben – auf umgerechnet 72 Euro im Monat.
Dabei ist das Abkommen, auf das sich die Franzosen berufen, noch nicht einmal neu, es stammt von 1974. Es wird heute nur anders interpretiert.   (AXEL HANSEN UND OLGA GALA: TTIP ist überall, 18.7.2014, Hervorhebungen von mir.)
Das Schiedsgerichtsverfahren im Video erklärt (18 Sekunden)

*Ein Milliardengeschäft für findige Anwälte, ZEIT, 27.11.12

22.9.14

Das TTIP ist kein Tarifvertrag


"Das Freihandelsabkommen darf Arbeitnehmerrechte, Verbraucherschutz-, Sozial- und Umweltstandards nicht gefährden. Einen Dumping-Wettbewerb, bei dem Staaten und Unternehmen sich Vorteile über Sozial- und Umweltschutzdumping verschaffen, lehnen wir ab."

Wenn man das wirklich ernst meint, dann darf man nicht als Juniorpartner bei Verhandlungen mitmachen, auf die man keinen entscheidenden Einfluss hat.

Angela Merkel hat gesagt: Überwachung durch die NSA "geht gar nicht", "Mit mir gibt es keine Pkw-Maut". 

Dann wird es mit ihr auch "Dumping-Wettbewerb, bei dem Staaten und Unternehmen sich Vorteile über Sozial- und Umweltschutzdumping verschaffen" geben. 

Wer bei solchen Verhandlungen als kleiner Assistent (Juniorpartner der EU kann sich die SPD nicht nennen) mitmacht, kann sich nicht herausreden, er habe nicht wissen können, dass er sich nicht durchsetzt. Ein Freihandelsabkommen mit den USA ist kein Mittel für Umweltschutz und die Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten.
Und schon gar kein Tarifvertrag.

Übrigens: Ich bin ein Handelshemmnis. Sie auch?

Wie angekündigt, werden in diesem Blog jetzt häufiger auch nicht schulbezogene Themen auftauchen. Das heißt nicht, dass diese Themen für die Schule keine Bedeutung haben sollten.

20.9.14

Ergebnis der Wahl zum Lehrerblog 2014

1. Sieger der Wahl (nach Lehrerbloggerstimmen) ist der Blog Frau Hilde.

2. Diese Wahl ist - wie sich schon lange abzeichnete - denkbar knapp ausgegangen.*

3. Bei der Abstimmung in Google drive (wo die Herkunft der Stimmen nicht bestimmt werden kann) hat der Histoproblog über 100 Stimmen mehr als die Nächstplatzierten Kuschelpädagogik und Zaubereinmaleins bekommen.*

4. Im Laufe des Wahlvorgangs wurden über 200 Lehrerblogs auf der Seite Lehrerblogs im ZUM-Wiki eingetragen. Diese Seite ist inzwischen über 11 000 mal abgerufen worden.


Lehrerblogs sind gegenwärtig wohl nicht das Leitmedium, über das Lehrer im Internet kommunizieren. Sie sind aber ein wichtiges Instrument, um die Sicht von Lehrern auf ihre Berufspraxis zu veröffentlichen und in aktuelle didaktische Diskussionen Einblick zu geben.

Dass der Blog Frau Hilde (zum Bedauern einer großen Zahl von Fans unter den Lehrerbloggern) privat gestellt worden ist, ist ein Zeichen dafür, dass öffentliches Bloggen und der Lehrerberuf nicht leicht mit einander zu verbinden sind.

Umso wichtiger erscheint es mir, dass Lehrerblogger sehen, dass sie weniger vereinzelt sind, als es ihnen manchmal erscheinen mag, und dass in den letzten vier Jahren mehr neue Blogs hinzugekommen sind als in irgendeinem entsprechend langen Zeitraum in der Geschichte deutscher Lehrerblogs.

Die Kritik an der Lehrerblogwahl diese Jahres kann ich gut verstehen: Schwer zu handhabendes Verfahren, kein valides Kriterium für Qualität und Beliebtheit und schließlich: Wozu eine Wahl zwischen so unterschiedlichen Blogs mit so unterschiedlichen Zielsetzungen und so unterschiedlichem Publikum? Doch im Laufe dieses Wahlvorgangs wurden über 100 Blogs besser bekannt und die Aufmerksamkeit für neu entstandene Blogs stieg (das zeigt sich nicht nur am Besuch der ZUM-Wiki-Seite, sondern auch an Kommentaren untereinander).

Zum Schluss eine Anmerkung in eigener Sache: In den letzten Blogeinträgen sind pädagogische Fragen eher in den Hintergrund getreten. Das liegt zum einen daran, dass ich jetzt schon ziemlich lange nicht mehr unterrichte, zum anderen daran, dass ich mittelfristig meine wichtigeren Blogeinträge nicht mehr wie bisher auf fünf, sechs Blogs verteilen, sondern in diesem Blog zusammenführen will. Wie weit es dazu kommt, wird sich zeigen.

* Sieben Blogs lagen nur eine Stimme hinter Frau Hilde.
* Wenn ich richtig gezählt habe, erhielt der Histoproblog 126, der Blog Kuschelpädagogik 8 und das Zaubereinmaleins 6 Stimmen. 

Wikipedia traut sich nicht

Ein zusammenfassender Wikipediaartikel basiert auf Wikipediaartikeln mit Einzelbelegen aus diesen Wikipediaartikeln wird abgelehnt. Lieber keinen Artikel zu dem Thema als einen, der sich auf Wikipediaartikel (wie z.B. Geschichte AmerikasGeschichte Indiens oder Römisches Reich) verlässt. Denn solch ein Artikel wäre Theoriefindung und widerspräche den Prinzipien der Wikipedia.

Denn der Wikipedia ist nicht zu trauen, Wikipediaartikel sind keine zulässige Grundlage, insbesondere, wenn es Artikel aus einer anderen Sprachsektion sind, aber auch die aus der eigenen.

12.9.14

Die EU-Kommission lässt Bürgerinitiative zu Freihandelsabkommen nicht zu.

Die EU-Kommission hat den Vorstoß eines Aktionsbündnisses gegen das geplante Handelsabkommen TTIP zwischen Europa und den USA zurückgewiesen. Das Bündnis Stop TTIP erfülle nicht die Voraussetzungen für eine Europäische Bürgerinitiative (EBI), sagte der Sprecher des scheidenden EU-Handelskommissars Karel De Gucht am Donnerstag auf Anfrage. Eine Bürgerinitiative könne zwar gegen EU-Gesetze vorgehen, nicht aber "das Tun der Kommission stoppen", sagte der Sprecher.  (ZEIT online, 11.9.14 - Hervorhebung von mir)
(dazu  auf der Internetseite der Kommission)

Hier wird dramatisch deutlich, worin die große Gefahr des geplanten Freihandelsabkommens zwischen EU und USA liegt: in der Beseitigung des Einflusses demokratisch gewählter Gremien und der Bevölkerung auf wirtschaftspolitische Entscheidungen.
Wenn das Abkommen erst einmal geschlossen ist, können Konzerne von Staaten Milliardenbeträge einklagen, wenn diese neue Regelungen zum Umweltschutz einführen. Dagegen gibt es keine Berufung, denn die Entscheidung trifft kein Gericht, sondern eine internationale Kommission, die nicht rechenschaftspflichtig ist.

Geplant ist, die Beseitigung von Demokratie in allen Bereichen, die den Profit großer Konzerne schmälern könnten. (Stichwort: Investitionsschutzabkommen)


vgl. dazu:
Bevor das Bündnis „Stop TTIP“ die Zulassung der EBI beantragt hat, hat es ein Rechtsgutachten bei Professor Bernhard Kempen eingeholt. Kempen ist Direktor des Instituts für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht an der Universität Köln. Sein Ergebnis: „Eine EBI mit dem Ziel, TTIP und CETA zu verhindern, ist rechtlich zulässig.“ 

Dass eine Bürgerinitiative im Sinne des Lissabonner Vertrages zulässig  ist, kann mich freilich nicht beruhigen. Umso schlimmer ist es nämlich, wenn die Kommission sie zurückweist. 
Der Konflikt geht jetzt nicht mehr allein und das TTIP, sondern zusätzlich allgemein um die demokratischen Einflussmöglichkeiten auf das Handeln der EU allgemein. 

3.9.14

Mein Beitrag zur Blogparade "Mein Bücherregal"

Lauter liebenswerte LeserInnenbeiträge hat Dörte Giebel mit ihrem Blogbeitrag

angeregt

Für mich ist "mein Bücherregal" freilich ein sehr euphemistischer Titel für die diversen Bücherregale mit den diversen Inhalten, die sich in den verschiedenen Stockwerken des Hauses finden. Um meine Bewunderung für die Ästhetik mancher Bücherregale überzeugend aussprechen zu können, füge ich mal ein Foto von drei meiner Regale ein, die ein wichtiges Ordnungsprinzip "Größe" erkennen lassen.



Liebenswert erscheint mir nicht zuletzt der Beitrag von Tanja Heller, der Texterin mit Biss.
Sie schreibt:
Ich mag keine Bücher. Deshalb besitze ich keins. Manchmal denke ich, ein Buch lohnt sich und die Zeit, die ich reininvestiere. Meistens ist das ein Irrtum. Die Informationstiefe fehlt mir.
Wie fremd muss sie sich angesichts der präsentierten Bücherregale vorkommen.

Und doch finden sich bald Leseliebende, die zeigen, wie sie sich von Büchern verabschiedet haben. Andere, die offenbar für die Verlinkung zu spät kamen.

mons7 schreibt:
Über jedes Buch, das ich mir kaufe, blogge ich. (Dann muss ich mir die Essentials rausschreiben… und lese es intensiver)

Ein bisschen habe ich das auch versucht. Aber da ich auch über alte, ausgeliehene und geschenkte Bücher blogge und auch über E-Bücher, fehlt mir die Zeit zum Fortwerfen.
Doch da mache ich mir etwas vor: Weshalb lese ich Blogs, kommentiere und schreibe Blog- und Wiki-Artikel,die nicht von Büchern handeln. So viel Zeit, in der ich Bücher fortwerfen könnte ...

Da ich das Buch des Kriegsreichskanzlers Georg Michaelis "Für Staat und Volk" zwar fortgegeben, aber in Teilen ins Netz gestellt habe, kann ich daraus zitieren, mit welchen Worten er von der Friedensresolution des deutschen Reichstags von 1917  Abstand nahm.*
"Wenn die Feinde ihrerseits von ihren Eroberungsgelüsten, ihren Niederwerfungszielen ablassen und in Verhandlungen einzutreten wünschen, werden wir ehrlich und friedensbereit hören, was sie uns zu sagen haben." (S.327)
*"Ich war mir darüber klar, daß die Resolution in dieser Form von mir nicht angenommen werden konnte." - Georg Michaelis: Für Staat und Volk. Eine Lebensgeschichte. Berlin 1922,S. 328f.

In diesem Geiste scheinen auch jetzt wieder die Verhandlungen zwischen der Ukraine und den Separatisten zu laufen: Wenn die Gegenseite auf ihre Ziele verzichtet, sind wir "friedensbereit".

Dieser Geist hat das deutsche Kaiserreich in den Untergang und die Welt in einen zweiten Weltkrieg geführt.
Wohin wird er uns jetzt führen, wenn auch die USA, die EU und Russland an ihm festhalten?

Putin stellt Lösung bis Freitag in Aussicht, Spiegel online 3.9.14
Kiew lehnt Putins Sieben-Punkte-Plan ab, Spiegel online 3.9.14

Hier noch einmal ein Blick auf drei meiner Bücherregale.
Vor dreieinhalb Jahren habe ich einmal etwas darüber gelesen, wie man seine Bücher "präsentieren" soll:

Jetzt ein Zeitungsartikel mit der Überschrift "Bühne für Bücher", Unterüberschrift: "Zeig deine Bildung [...] für die Präsentation seiner Sammlung gibt es viele Möglichkeiten".
Präsentation?! Eine Powerpointpräsentation von Buchrücken das Bildungsideal der Zukunft?
Bücher "sammeln" wie Zigarettenbildchen und Briefmarken?
"In der Privatbibliothek spiegelt sich [...] die eigene Biografie. Diese will gut dargestellt sein [...]."

Damals habe ich weiter geschrieben:
"Nun denn, dann habe ich aufgrund der verschiedenen Formathöhen von Büchern und Regalfächern ein unordentliches Leben geführt. - Wie ordentlich ist ein Klassikerregal. Alles, was man lesen muss, in einheitlichem Format, einheitlicher Aufmachung. 
Aber natürlich, es gibt eine Lesebiografie, und die spiegelt sich auch in den Büchern, die man nicht hergeben will. Doch wie viel nicht prägende Zufälligkeiten gibt es daneben." (in: Eine Powerpointpräsentation von Buchrücken das Bildungsideal der Zukunft?)

Jetzt habe ich selbst meine Bücher "präsentiert".  Spiegelt sich darin meine Biografie?  Ein Fall für die NSA?

1.9.14

Wer wäre schuld an einem kommenden Krieg der NATO gegen Russland?

Dieser Artikel wurde auf Fonty entworfen und ist auch dort zu finden.

Die Frankfurter Rundschau titelt: Zieht Putin in den Krieg?
Die Bildzeitung:  Greift Putin nach Europa?

Wir wissen, wie man Ängste schürt und Schuldzuweisungen vorbereitet.

Die NATO wird nicht der Alleinschuldige sein. Aber der Nachweis, dass die Ukraine vor unbedachten Schritten zurückgehalten worden ist*, dürfte inzwischen nicht mehr zu führen sein.

Es sind nicht Schlafwandler, die Putin herausfordern, sondern Akteure, die den fehlenden Willen, die einzigen Machtmittel einzusetzen, die sie haben, durch forsche Worte zu ersetzen versuchen.

Weil der europäische Entscheidungsprozess so transparent ist, lässt sich deutlich erkennen, dass es in der EU keine Entscheidung für scharfe Sanktionen geben wird. Deshalb klingen starke Worte umso hohler, je schärfer sie formuliert sind. 
Desto größer muss die Angst in den jetzigen NATO-Staaten werden, die ehemals zum Machtbereich der Sowjetunion zählten.

Stephen F. Cohen hat die Lage schon im Juni so analysiert*:





§ The epicenter of the new Cold War is not in Berlin but on Russia's borders, in Ukraine, a region absolutely essential in Moscow's view to its national security and even to its civilization. This means that the kinds of miscalculations, mishaps and provocations the world witnessed decades ago will be even more fraught with danger. [...]

§ An even graver risk is that the new Cold War may tempt the use of nuclear weapons in a way the US-Soviet one did not. I have in mind the argument made by some Moscow military strategists that if directly threatened by NATO's superior conventional forces, Russia may resort to its much larger arsenal of tactical nuclear weapons. [...]
§ Yet another risk factor is that the new Cold War lacks the mutually restraining rules that developed during the forty-year Cold War, especially after the Cuban missile crisis. Indeed, highly charged suspicions, resentments, misconceptions and misinformation both in Washington and Moscow today may make such mutual restraints even more difficult. The same is true of the surreal demonization of Russia's leader, Vladimir Putin—a kind of personal vilification without any real precedent in the past, at least after Stalin's death. (Henry Kissinger has pointed out that the "demonization of Vladimir Putin is not a policy; it is an alibi for the absence of one."* I think it is worse: an abdication of real analysis and rational policy-making.) [Die Hervorhebung des Kissingerzitats stammt von Fonty] -  Patriotic Heresy vs. the New Cold War, Stephen Cohen am 28.8.14 in The Nation*

*Nato sieht Ukraine bereits als Verlierer des Konflikts, Spiegel online 1.9.14


* Die Dämonisierung Wladimir Putins ist keine politische Strategie; sie ist ein Alibi für die fehlende Strategie. 

* Kurzfassung des gesamten Artikels auf Deutsch von den Nachdenkseiten (1.9.14).
  • Cohen hält die Situation von heute für ähnlich gefährlich wie bei der Konfrontation der USA mit der Sowjetunion bei der Kubakrise. Ein Krieg zwischen der NATO, geführt von den USA, und dem heutigen Russland ist nicht mehr unvorstellbar.
  • Sanktionen heizen die Eskalation an.
  • Er wendet sich gegen die Dämonisierung Putins und macht darauf aufmerksam, dass damit kritischer zu betrachtende Kräfte in Russland gestärkt und gefördert werden.
  • Die Dämonisierung Putins führt außerdem dazu, dass die USA einen wichtigen Partner im Kreml bei der Verfolgung vitaler US-amerikanischer Sicherheitsinteressen verlieren – vom Iran, über Syrien bis Afghanistan.
  • Interessant und wichtig die Beobachtung: Anders als beim letzten kalten Krieg gibt es keine effektive amerikanische Opposition zu diesem – nicht in der Administration, nicht im Congress, nicht bei den etablierten Medien, nicht in den Universitäten, den think tanks und der allgemeinen Öffentlichkeit. Diese Beobachtung kann man mit gutem Recht auf Europa übertragen. Auch hier sind zumindest in den etablierten Medien, in den Parteien und in der Wissenschaft die Gegner eines neuen kalten Krieges in der Minderheit. Vielleicht sind die deutsche und Teile der europäischen Öffentlichkeit anders orientiert.
  • Cohen berichtet von der Stigmatisierung und der Aggressivität, denen Gegner der herrschenden Politik ausgesetzt sind. Das ist eine neue Erscheinung.
  • Er nimmt in seinem Text fünf Trugschlüsse/Irrtümer (fallacies) auseinander.
  • Und dann beschreibt er drei Alternativen zur Lösung bzw. weiteren Entwicklung der Krise um die Ukraine:
  • Erstens, die Krise eskaliert und zieht russisches und NATO-Militär in die Auseinandersetzung ein. Das wäre die schlechteste Entwicklung.
  • Zweitens: die jetzige de-facto-Teilung der Ukraine mündet in zwei ukrainische Staaten. Das wäre nicht das beste Ergebnis, aber auch nicht das schlechteste.
  • Drittens, die beste Entwicklung aus der Sicht von Cohen: Erhaltung der vereinigten Ukraine, auf der Basis vertrauensvoller Verhandlungen zwischen den Vertretern aller Regionen einschließlich der Rebellen im Südosten und unter der Aufsicht von Washington, Moskau und der Europäischen Union.
Putins militärisches Vorgehen gegen innere Gegner im 2. Tschetschenienkrieg war sicher fragwürdiger als das der ukrainischen Regierung gegen die Separatisten in der Ostukraine. Es geht nicht darum, die dort begangenen schweren Menschenrechtsverletzungen zu verharmlosen. Aber der Tschetschenienkrieg wurde im Westen allgemein verurteilt, das militärische Vorgehen der ukrainischen Regierung dagegen ermutigt. 

Hat im Unterschied zur NATO Putin eine Strategie?
Nach Ansicht der Russlandexpertin Sabine Fischer nicht. In einem Spiegelinterview (vom 29.8.14) erklärte sie:
Eine Besetzung oder Einverleibung der Ostukraine ist aus meiner Sicht nie Teil des russischen Plans gewesen. Wenn man überhaupt von einem Plan sprechen kann. Es geht um die Wahrung von Kontrolle. Russland lässt sich dabei immer tiefer hineingleiten in den Konflikt. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass die eskalierte Situation jetzt genutzt wird, um eine Landverbindung mit der Krim herzustellen.
Neuere Meldungen: 
Tweets zu #Ukraine
Putin stellt Lösung bis Freitag in Aussicht, Spiegel online 3.9.14
Kiew lehnt Putins Sieben-Punkte-Plan ab, Spiegel online 3.9.14
OSZE gibt Details des Minsker Abkommens bekannt, ZEIT online 7.9.14
Signal an Moskau: USA und Ukraine provozieren mit Manöver im Schwarzen Meer, Spiegel online 8.9.14




Über den Umgang mit Kritikern an Putins Propaganda (8.9.14)
Andrej Makarewitsch erklärte:
Wie einst in der Sowjetunion seien Medien und Gesellschaft gleichgeschaltet, Russland leiste sich jetzt eine Konfrontation mit dem Rest der Welt: "Wir haben nichts gelernt, das ist schrecklich."
In der vergangenen Woche veröffentlichte Makarewitsch einen kurzen Clip auf YouTube. "Mein Land hat den Verstand verloren", heißt es da. "Aber ich kann ihm nicht helfen."
Quelle: Propaganda im Ukraine-Konflikt: Intellektuelle fliehen aus Putins Russland, Spiegel online 8.9.14

Offenbar wird von beiden Seiten ein intensiver Propagandafeldzug betrieben. Noch aber besteht die Hoffnung, dass der Konflikt durch Verhandlungen beigelegt werden kann.