27.1.10

Verletzt, verkauft, verheiratet

Es klingt wie eine Steigerung und ist es vielleicht auch. Als Kind verheiratet, vergewaltigt und im Fall einer Zeugenaussage gegen den Vergewaltiger von der Familie verurteilt zu werden, so dass es für die Familie zur Ehrensache wird, einen zu töten, das ist eine schreckliche Steigerung. Da bleibt der Türkin vom Lande nur die Flucht in eines der sechs Frauenhäuser in Istanbul. Die haben aber keine freien Plätze. Darüber berichtet Amnesty in seinem Februar/März-Heft 2010.

Bad & Beauty

"Schön und verrucht" oder doch nur "Badezimmerschönheit"? Auf den ersten Blick lässt der Werbespruch es offen. Insofern ist geschickt das & eingesetzt, das die Sprache offen lässt. Ein "und" hätte die Assoziation "verrucht" vielleicht gleich unterdrückt. Der Sprachmix an sich soll Aufmerksamkeit wecken, dass mit der Doppeldeutigkeit von "Bad" gespielt wird, noch mehr.
Solche Sprachspiele bereichern die Sprache, solange das Deutsche die Regeln vorgibt. Sobald ein Mix von englischen und deutschen grammatischen Regeln in die Alltagssprache einwandert, ist die Gefahr zur Entwicklung eines Deutsch-Pidgin gegeben.

23.1.10

Selbstbewusstes Lernen

Carol Dwecks Buch “Selbstbild: Wie unser Denken Erfolge oder Niederlagen bewirkt” wird hier gut vorgestellt.
Ein bisschen kommt mir die "Gib-nicht-auf!"-Forderung freilich wie eine Verhöhnung vor. Freilich, weder Westerwelle noch Merkel noch Obama werden nach einer Serie von Fehlschlägen schon aufgeben. Anders sieht es schon bei hochbegabten Sportlern aus, die zunächst hochgejubelt, während einer Misserfolgsserie aber völlig niedergeschrieben werden.
Vor allem aber: Wie sollen Schüler zu einem "dynamischen Selbstbild" kommen, wenn sie immer wieder auf Gebieten gefordert werden, die ihnen nicht liegen, wenn Vorbeurteilungen sie durch ihre Schullaufbahn begleiten?
Ich wünsche allen, die lehren, ein dynamisches Fremdbild von Lernenden. Sie können es schaffen. (Das ins Englische zu übersetzen, hielte ich für ein Missverständnis.)

19.1.10

Scheiß-Smartboards!

Einen Höllenlärm rief die Lehrerin in ihrer Abiturklasse herauf, als sie meinte, die Schüler könnten sich für das Lernen fürs Abitur noch einmal Bücher aus der 12. Klasse ausleihen.
Lange konnte sie in den wüsten Schimpfkanonaden nicht verstehen, worum es ging. Eine allseits beliebte Schülerin mit Ambitionen auf einen Schnitt von 1,0 konnte die allgemeine Empörung - die sie uneingeschränkt teilte - schließlich erläutern.
Da die Bücher nicht einmal für den Jahrgang 12 ausreichen, werden dieses Jahr keine Bücher für das Lernen für das Abitur herausgegeben. Einzige Chance, man findet einen Schüler des Jahrgangs 12, der bereit ist, das Buch zu teilen.
Die Kritik der AbiturientInnen auf einen Punkt gebracht: Geld für Smartboards haben sie, aber für Schulbücher haben sie kein Geld.
Eine Kollegin, die gern mit dem Smartboard arbeitet, erläutert: "Sie sind sehr gut einsetzbar. Ich verwende sie freilich nur zwei- bis dreimal in der Woche. Das Problem ist, dass sie nur für Frontalunterricht eingesetzt werden können."

Nachtrag vom 11.10.11:
Aus einem aktuellen Interview mit Lisa Rosa:
"Auf diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass ausgerechnet das sündhaft teure digitale Whiteboard sich von allen Geräten als erstes die Unterrichtsräume erobert, noch bevor jeder Schüler sein eigenes Mobile mitbringen darf: Das interaktive Whitboard ist der alten Kreidetafel vom Lernsetting her am ähnlichsten: Der Lehrer bleibt vorne und im Zentrum, alle Schüler gucken nach vorne (anstatt dass sie sich individuell beschäftigen oder mit anderen Schülern kommunizieren). Man hofft, der Kelch des System Changes könne an einem vorbei gehen, wenn man nur das digitale Whiteboard einführt und damit den Unterricht formal modernisiert." (Lehrerbildung im digitalen Zeitalter, 8.10.11)

Kritik an Google schon nicht mehr erlaubt?

Das web writing Magazin klagt über eine "durchsichtige Medienkampagne gegen Google"
Dazu ganz kurz: Ich mag Google. Ich blogge auf x Googleblogs, habe eine Google-E-Mailadresse und nütze viele Angebote von Google.

Aber:
Monopole sind immer problematisch - selbst das Gewaltmonopol des Staates ist durch das Widerstandsrecht eingeschränkt.
Wenn vor einem unkontrollierbaren Einbruch in die Privatsphäre (Identifikation von Personen über Bildabgleich) und einem Definitionsmonopol (per Handy gelieferte Welterklärung unter Wikipedianiveau) gewarnt wird, so ist das legitim.
Wer daraus schon schließt, dass das ein Angriff gegen das Internet ist, sollte das auch so aussprechen. Googlekritik muss erlaubt bleiben.

16.1.10

Das Internet als Bildungsraum?

Das Educamp 2010 in Hamburg (5./6.2.10) wirkt vielversprechend, nicht zuletzt, weil Lisa Rosa schon jetzt ein Statement für die Podiumsdiskussion (in zwei medialen Formen) ins Netz gestellt und damit auch schon eine Diskussion in Gang gesetzt hat.
Ich habe nichts gegen den Hinweis darauf, dass das Internet unsere Lebenssituation verändert hat und deshalb auch andere Bildungsanforderungen stellt und -möglichkeiten bietet. Was ich bedaure ist, dass so getan wird, als ob die Möglichkeiten im Netz so viel größer wären als die in "real life".
Natürlich bietet das Netz neue Möglichkeiten, und Wikipedia und Avaaz wären ohne es nicht möglich. Aber dennoch war das Entscheidende für Obamas Sieg bei Vorwahlen und bei der Präsidentenwahl seine Präsenz und der Einsatz seiner Anhänger in "real life". Dass er und seine Anhänger das Netz sinnvoll eingesetzt haben, war marginal, und wenn hundertmal nachgewiesen werden kann, dass gerade dieser Anteil (marge) den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage bedeutet hat.
Gerade weil wir in der Schule nur für die Schule und nicht fürs Leben lernen (Seneca wird bekanntlich meist falsch zitiert), müssen wir dort auch Fähigkeiten lernen, die im Internet gefordert sind; denn das Internet gehört zu unserer Lebenswelt unabdingbar dazu. Aber der Optimismus, viel Umgang in Web 2.0 würde uns lehren, was wir dort brauchen, wird von mir nicht geteilt.
Dafür bewege ich mich schon viel zu lange dort.

Aber meine Hochachtung für all die, die auf diesem Felde mit oft staunenswertem Einsatz arbeiten!

10.1.10

Schullektüren aus Schülersicht

Eine Twitterumfrage von 2018 erbrachte dies Ergebnis:

Am beliebtesten Faust I, am unbeliebtesten Fontanes Effi Briest. Beide mit Abstand.

Mehr dazu: hier

Der Jugendseite einer Lokalzeitung entnehme ich:

Lieblingslektüren:

Der Vorleser "ein interessantes und zugleich bedrückendes Buch, das einen auch nach der letzten Seite nicht loslässt"

Faust I "Die Kunst, eine solch komplexe Erzählung in Reimform niederzuschreiben [...] verdient auch heute [...] höchsten Respekt"

Der Sandmann "Man denkt nach dem Lesen auch privat darüber nach. Oft vergisst man die Handlung von Schullektüren und Klassikern schnell - der Sandmann hinterlässt eine bleibende Frage: warum?"

Maria Stuart "Alles zusammen, herrlich übertriebenes Pathos inklusive, machen das Schillersche Drama zu einer spannenden, abwechslungsreichen und durchaus ertragbaren Lektüre. [...] wenn der Kurs eine Szene nachspielen soll, sind Lachanfälle vorprogrammiert."

Mark Haddon: The Curious Incident of the Dog in the Nighttime "eines von den Interessanteren [...] Der Roman besticht durch sehr viel geistreichen Witz und Spannung"

Mutter Courage und ihre Kinder "bereichert meiner Meinung nach jeden Unterricht"

Hasslektüren:

Der zerbrochene Krug "weder lustig noch besonders tiefgehend"

Wilhelm Tell "Es ist schwer geschrieben und auch ein bisschen langweilig."

Vanderbeke: Das Muschelessen "nicht einmal Thomas Manns Buddenbrooks lesen sich so schleppend" "dauert ewig" "langweiligste Buch der gesamten Welt" "Stil [...] einfach nervenaufreibend" "ein Satz mit x-fachen Wiederholungen häufig über mehrere Seiten"

Morthon Rhue; The Wave "übertrieben und einfach nur schlecht dargestellt"

Die Buddenbrooks "Das Buch ist ein Wälzer von 650 Seiten. Da fängt es schon an. Man muss eigentlich fast nichts mehr sagen."

Michael Kohlhaas "die bisher schlimmste Schullektüre für mich" "äußerst schwer zu lesen und zu verstehen"

Seit ich für einen Engländer in Michael Kohlhaas in einem Satz vergeblich das Subjekt gesucht habe, kann ich das Urteil über diese Lektüre leicht nachvollziehen. Bei Wilhelm Tell kennt man das Problem schon lange. Viel zu früh behandelt. Das Freiheitsthema kann kaum nachvollzogen werden.
Mir verwunderlich das Urteil über The Wave. Ich habe die Lektüre öfters im Deutschunterricht behandelt und sie ungern an das Fach Englisch abgegeben. Beim Nachspielen des extrem autoritären Unterrichts waren meine Schüler fasziniert und konnten die Faszination der amerikanischen Schüler gut nachvollziehen.
Die Buddenbrooks habe ich "mit heißen Ohren" gelesen, statt Hausaufgaben zu machen. Freilich, ich hatte vorher den Film mit Lilo Pulver und Hanns Lothar gesehen und die Charaktere fand ich danach nicht "zum Schreien", sondern faszinierend.
Der Vorleser hat viele Qualitäten, aber dass er nach Dürrenmatt und Frisch die erste "gut gehende" Schullektüre geschrieben hat, ist für einen Deutschlehrer nicht die unwichtigste. Wir schöpfen nicht so aus dem Vollen wie die Anglisten.
Das Urteil zum Faust darf man zweimal lesen. Natürlich hat Georg Lukacz seine Kriterien zum Roman so formuliert, dass Faust II sie weit besser erfüllt als etwa Homo Faber.
Aber ist die Sprachform der Zeilen
O daß dem Menschen nichts Vollkommnes wird,
Empfind ich nun. Du gabst zu dieser Wonne,
Die mich den Göttern nah und näher bringt,
Mir den Gefährten, den ich schon nicht mehr
Entbehren kann, wenn er gleich, kalt und frech,
Mich vor mir selbst erniedrigt und zu Nichts,
Mit einem Worthauch, deine Gaben wandelt.
Er facht in meiner Brust ein wildes Feuer
Nach jenem schönen Bild geschäftig an.
So tauml ich von Begierde zu Genuß,
Und im Genuß verschmacht ich nach Begierde.

so ganz vergessen worden? Dabei kann man auf die Wette kaum eingehen, ohne auf im Genuß verschmacht ich nach Begierde zu sprechen zu kommen.
Doch wenn ich ehrlich bin, ich hätte - bei der Vielzahl von Metren, die Goethe einsetzt - nicht gedacht, dass nur so wenige Zeilen nicht gereimt sind. Und die schöne Stelle aus der Helenatragödie wird heute ja kaum noch gelesen:
Helena: So sage denn, wie sprech' ich auch so schön?
Faust: Das ist gar leicht, es muß von Herzen gehn.
Und wenn die Brust von Sehnsucht überfließt,
Man sieht sich um und fragt –
Helena: wer mitgenießt.
Faust: Nun schaut der Geist nicht vorwärts nicht zurück,
Die Gegenwart allein –
Helena: Ist unser Glück.

8.1.10

Technologiekritik

Standardsituationen der Technologiekritik hat Kathrin Passig im Dezember 2009 im Merkur zusammengestellt. Ich danke Herrn Rau für den Hinweis.
Bei Lektüre der ausfühlichen Aufzählung der auf der jeweiligen Stufe üblichen kritischen Argumente habe ich freilich aufgehört, als ich den Eindruck gewann, Frau Passig wolle sich nicht dazu äußern, dass dieselben Argumente auch gegen Technologien vorgebracht werden, die sich nachher nicht durchsetzen.
Natürlich muss eine Technologie einen sinnvollen Zweck erfüllen, für einen zureichenden Teil der Bevölkerung erlernbar und im übrigen auch finanzierbar sein.
Ich hoffe, das Argument der Umweltschädlichkeit wird von ihr nicht unter die "Standardsituationen" gezählt. Denn es ist leider eins, dass gegen extrem viele Technologien einzuwenden ist, die uns das Leben bequemer und oft auch unterhaltsamer machen. Dazu zählt z.B. die Suchmaschine Google, weil sie von sehr wenig energieeffizienten Servern aus betrieben wird.
Leider habe ich mich noch nicht zum Boykott von Google überreden können, geschweige denn andere. Aber man sollte wenigstens auf darauf hinweisen, dass Googles Weste in diesem Bereich alles andere als weiß ist.

1.1.10

Kreuzfahrten nach Grönland extrem gefährlich

Unter den ersten 30 Links findet sich zu den Stichworten Kreuzfahrt und Grönland nur einer, der von Pannen spricht, un dabei geht es um nicht eingehaltene Zeitpläne und wegen Eisgan ausgefallene Landgänge.
Dass im Sommer 2009 36 Kreuzfahrtschiffe, Ein-Hüllen-Schiffe, fürs Mittelmeer gebaut, vor Grönland kreuzten, zwei davon mit doppelt so viel Passagieren an Bord wie die Titanic, erfahre ich aus der Frankfurter Rundschau vom 30.12.09.
Die offenen Rettungsboote, die kleinen Ortschaften an Land, die wenigen dortkreuzenden Kriegsschiffe, alle sind nicht imstande, den Passagiere Rettung zu ermöglichen. Nur ein zweites Kreuzfahrtschiff hätte genügend Kapazität an Platz und Nahrungsmitteln, um zu retten und stärker besiedelte Gebiete zu erreichen.
Dabei besagt die Gefahrenanalyse, dass das Auftreten eines Unglücks nur eine Frage der Zeit ist. So viel aus diesem Artikel.

Bildung in Blogs

Auf eine Aktion von Literatenmelu gehe ich gerne ein.
Ihre Fragen:
1. Woran erinnerst Du Dich, wenn Du an Deine Schulzeit zurückdenkst?
an Personen, an Aussprüche wie der eines Lateinlehrers "Aufreizend sei nicht Nacktheit, sondern raffinierte Entblößung." (Das interessierte in der Pubertät.)
2. Welche Medien hast Du im Unterricht kennengelernt und auch selbst genutzt?
Schulzeit: 1950-63: Tafel (Wand- und Schiefer-, weniger Papp- und Emailtafel), Wandrelief; Hefte, Bücher, Zeitung, Radio (erstmals 1954 bei Fußballweltmeisterschaft; unvergessen die Hörspieladaption von Schillers Wallenstein) lernte ich außerhalb der Schule kennen. In die Computernutzung führte mich dann mein 8-jähriger Sohn ein, ergänzt durch Lehrerfortbildung verschiedener Art; für Internetnutzung, Homepageerstellung etc. war eine schulinterne Fortbildung durch unseren stellvertretenden Schulleiter konstitutiv, der seinerseits von mir die Verwendung von Wikis im Unterricht aufgriff.
3. Welche Möglichkeiten siehst Du, die Lehrerausbildung zu verbessern?
Vornehmlich: mehr Hilfe (z.B. Angebot von Supervision in Gruppen), weniger Druck! - Ja, Blogs und Wikis, überhaupt Web 2.0 dürfen auch mit ihren Möglichkeiten vorgestellt werden; sind aber sehr sekundär.
4. Was hältst Du davon, Blogs, Wikis, Podcasts etc. im Unterricht einzusetzen?
Selbstverständlich sinnvoll, sie sollten aber nicht überbewertet werden. Auch in diesem Fall gilt: ohne eigenes Schreiben ist die Verwendung meist problematisch.
5. Können Online-Angebote die herkömmliche Nachhilfe sinnvoll ergänzen oder sogar ersetzen?
Bei Autisten unbedingt, sonst ist oft persönliche Ermutigung nicht zu ersetzen.

Allgemein halte ich viel von von Hentigs Grundsatz: Die Menschen stärken, die Sachen klären und seinen Grundüberlegungen zu Bildung.

Weil digital natives annehmen könnten, ich hätte etwas gegen Blogs und Wikis im Unterricht, hier der Hinweis auf eine Unterrichtsreihe mit Blog-Einsatz, die mir sehr gut gefallen hat, (vgl. auch Vorleser) dann der Hinweis auf meinen Wiki-Einsatz im Unterricht und meine Blogartikel zu Wikis und Blogs im Unterricht.