29.9.16

Wolfgang Reinhard : Die Unterwerfung der Welt

Wolfgang Reinhard : Die Unterwerfung der WeltC.H. Beck, München 2016 von Andreas Eckert, ZEIT online 19. Mai 2016, 20/2016
Wolfgang Reinhards Opus führt von den frühen Anfängen der europäischen Expansion in Antike und Mittelalter bis zu den Dekolonisationen des 20. Jahrhunderts, ergänzt durch einen kurzen Blick auf die Gegenwart."

"Das Buch veranschaulicht, dass die Geschichte der europäischen Expansion keineswegs ein gradliniger, unaufhaltsam voranschreitender Prozess war. Die Errichtung kolonialer Herrschaft war langwierig, und im Geflecht aus Konkurrenzen standen nicht selten Europäer gegen Europäer und Einheimische gegen Einheimische.
Missionare und Kolonialbeamte etwa stritten regelmäßig über die richtige Art, die Kolonisierten zu erziehen.
Gewalt spielte stets eine wichtige Rolle, häufig freilich nicht als Ausdruck der unwiderstehlichen Überlegenheit der Europäer, sondern als Zeichen ihrer Schwäche. Zahlenmäßig weit unterlegen und mit wenigen Ressourcen ausgestattet, erschienen Massaker und öffentliche Hinrichtungen den Europäern gerade zu Beginn der Kolonisierung als geeignete Mittel, ihren Machtanspruch zu demonstrieren."
Der Islamische Staat brauchte gewiss nicht dieses europäische Vorbild, um zu seinen Methoden zu kommen. Dafür gibt es genügend ähnliche Beispiele in der Geschichte. Aber "Massaker und öffentliche Hinrichtungen [...] als geeignete Mittel, [...] Machtanspruch zu demonstrieren." Das ist eine exakte Beschreibung des Vorgehens des Islamischen Staats.

"Die Europäer mussten die Erfahrung machen, dass gerade die Absolventen höherer Schulen und Universitäten – etwa die Politiker Jawaharlal Nehru in Indien, Kwame Nkrumah in Ghana und Julius Nyerere in Tansania – zu den entschlossensten Kämpfern für ein Ende der Kolonialherrschaft wurden."
"Diese europäische Expansion veränderte die Welt – und mit ihr Europa. [...] "Heute ringt die Welt im Zeichen der Globalität", resümiert Reinhard, "noch immer im Guten wie im Bösen auf allen Feldern mit der Hinterlassenschaft der europäischen Expansion." Auch die aktuelle Frage nach der Verantwortung für die Fluchtursachen ist ein Grund, diese Hinterlassenschaft neu zu diskutieren."
Mein Interesse an dieser Arbeit ist außer dem allgemeinen historischen ein doppeltes: 
Zum einen beschäftigt mich das Thema Flüchtlinge und Flucht.
Zum anderen habe ich mich länger mit Jürgen Osterhammels: 
Die Verwandlung der Welt, einer Weltgeschichte des 19. Jahrhunderts, befasst, die mit Reinhards Unterwerfung der Welt nicht nur Parallelen in der Formulierung des Titels, den Verlag und eine Seitenzahl um die 1600, sondern auch eine Darstellung des europäischen Beitrags zur Globalisierung gemeinsam hat. 

12.9.16

Wie gelingt Schulentwicklung?

Sabine Gryczke von der Gustav-Falke-Schule in Berlin Wedding, die in wenigen Jahren von einer Problemschule zur Erfolgsschule geworden ist,  hat dazu eine Vorstellung:

"'Die Schulen müssten die Möglichkeit bekommen, sich aus ihrer Lage zu befreien.' Sie wünscht sich Freiheiten wie die, die sich ihre Schule genommen hat: Raum für kreative und auch unkonventionelle Ideen."
(mehr dazu in Petra Ahnes Artikel Gustav-Falke-Schule in Gesundbrunnen - Von der Problemschule zum Erfolgsmodell, Berliner Zeitung 3.9.2016)

Natürlich braucht man dafür auch die richtigen Lehrer. Aber es reicht auch eine kritische Masse solcher Lehrer. Ich selbst habe mich an meiner Schule gegen die Entscheidung, eine Reformschule zu werden, ausgesprochen, obwohl ich an sich für die Veränderung war. Weshalb war ich dann dagegen? Weil ich glaubte, dass die Veränderung von einer breiten Mehrheit getragen werden müsse. Die Abstimmung brachte aber nur eine hauchdünne Mehrheit.
Binnen drei Jahren war ich glänzend widerlegt. Eine überwältigende Mehrheit unterstützte die Reform. Warum? Zum einen wurden zweifelnde Lehrer vom Elan der anderen mitgerissen.Zum anderen kamen viele engagierte Lehrer an unsere Schule, die das Reformkonzept überzeugte.

Schulentwicklung brauchen wir freilich nicht nur in Einzelfällen. Angesichts der Tatsache, dass jedes dritte Schulkind in der BRD einen Migrationshintergrund hat und wir nicht erst seit dem Flüchtlingsschub 2015 zum Einwanderungsland geworden sind, brauchen alle Schulen Interkulturelle Fortbildung.

Mehr dazu: Interkulturelle Fortbildung an Schulen (Mein Dank gilt Hauptschulblues für den Tipp.)

7.9.16

Lehrer und die Einwanderungsgesellschaft: Überfordert und alleingelassen

Lehrer und die Einwanderungsgesellschaft: Überfordert und alleingelassen Spiegel online 6.9.16

Verkürzt gesagt heißt es in dem Artikel, die Lehrer seien mit der der Erwartung, "die gestiegene Zahl junger Flüchtlinge und förderungsbedürftiger Kinder und Jugendlicher individuell" zu unterstützen überfordert, weil sie nicht genügend dafür ausgebildet seien und weil die Ausbildung, die es gebe, oft den notwendigen Standard nicht erreiche.
Dem könnte ich recht geben, wenn nicht darin impliziert wäre, dass es eine Ausbildung gäbe, die die Lehrer zureichend für diese Aufgabe qualifizieren könnte. 
An diese implizite Voraussetzung glaube ich leider nicht. 
Ich habe jahrzehntelang Deutsch als Fremdsprache unterrichtet, nicht selten auch Schülern mit multikulturellem Hintergrund, ich habe auch immer wieder (nicht ständig) Freude daran gehabt. Den Anforderungen, die in der gegenwärtigen Situation gestellt werden, könnte ich aber nicht gerecht werden.
Ich zweifle überhaupt nicht daran, dass man diesen Anforderungen gerecht werden kann, aber das wird nur Ausnahmetalenten oder hervorragend aufeinander eingespielten Lehrerteams gelingen. Ausbildung allein kann das nicht erreichen. Dafür sind die Anforderungen an Inklusion, Vergleichsarbeiten, bürokratische Nebentätigkeiten usw. zu hoch.

Das ist kein stichhaltiges Argument, schon gar nicht ist es eine empirisch belegte Aussage. Es ist die gefühlsmäßige Reaktion eines pensionierten Lehrers, der sich jahrzehntelang darum bemüht hat, Flüchtlingen bei der Integration zu helfen, und der froh ist, nicht mehr die Anforderungen erfüllen zu müssen, die Wissenschaftler glauben, an Lehrer und ihre Ausbilder stellen zu dürfen. 

Ich will aber keinesfalls schließen, ohne auf das ZUM-Wiki für  für den Deutschunterricht mit Flüchtlingen hinzuweisen und auf die hervorragende Arbeit, die Ralf Kloetzke und Karl Kirst dort geleistet haben. 

Zusatz:
Ich nehme hier den Kommentar von Hauptschulblues auf: 
Schulentwicklung ist die Lösung.
Für das ganze Kollegium plus Kooperationspartner, Eltern und Schüler.
http://hauptschulblues.blogspot.de/2016/09/interkulturelle-fortbildung-schulen.html


Außerdem verweise ich auf folgende Initiativen:
und überhaupt auf alle Projekte, die im ZUM-Wiki unter "Hilfen für die Intergration" angeführt werden.

Etwas von dem Geist dieser Projekte wünscht man jeder Schule, nicht nur in Sachen Flüchtlingsintegration. Er ist aber durch Ausbildung allein nicht zu schaffen. Dazu braucht es das richtige soziale Umfeld, zumindest in der Schule, am besten lokal und national. 
Merkels "Wir schaffen das" hat das nationale Umfeld gegenüber den Jahren, als ich angefangen habe, mit Asylbewerbern zu arbeiten und den Jahren 2012/13, als die hier angeführten Projekte entstanden, enorm verbessert.
Leider haben sie auch die Gegenbewegung von Pegida und AfD zu ihrer extremen Flüchtlingsabwehr motiviert, weil das staatliche Handeln kein Äquivalent zu dem ehrenamtlichen Einsatz der "Willkommenskultur" entwickelte (entwickeln konnte?).

Mein Eindruck ist, dass eine weit größere Zahl von Menschen hinter dem steht, was man - nicht ganz treffend - Willkommenskultur genannt hat, als hinter der extremen Flüchtlingsabwehr. Natürlich überwiegt bei einem Großteil der Bevölkerung die Skepsis. Sie kann nur durch realistische Problemdarstellung und sachangemessenes Handeln überwunden werden.

2.9.16

Nicht nur TTIP, sondern schon CETA ist mit dem Rechtsstaat nicht zu vereinbaren

"Der große öffentliche Protest hat bewirkt, dass der ursprüngliche Vertrag nachverhandelt und verbessert wurde. Der stark kritisierte Investitionsschutz wurde dabei reformiert, die Rechtsstandards verbessert. Sonderrechte für ausländische Investoren treten den Rechtsstaat aber weiter mit Füßen. Während ausländische Konzerne vor dem internationalen Schiedsgericht klagen können, ist dieser Rechtsweg heimischen Firmen, Gewerkschaften oder Umweltverbänden verbaut. Diese Diskriminierung ist durch nichts zu rechtfertigen." (Nochmals verhandeln. Verbesserungen bei Ceta reichen noch nicht aus, von DIERK HIRSCHEL, FR 25.8.16)

Dazu auch:


Gegenwärtig ist CETA die gefährlichste politische Weichenstellung, die es zu vermeiden gibt, denn sie würde ein entschlossenes Umsteuern zur Verhinderung einer Klimakatastrophe verhindern. 

Das ändert nichts daran, dass die Integration der Flüchtlinge, die zu uns gekommen sind und zu uns kommen werden, aktuell den höchsten Einsatz von Ressourcen erfordern (was die Steuersenkungspläne außer Acht lassen). 
Die weltpolitisch umfassendste Aufgabe bleibt aber die Erhaltung der Bewohnbarkeit der Erde. Es geht darum, zu verhindern, dass so große Räume unbewohnbar werden, dass auch die großzügigste Flüchtlingspolitik nicht mehr genügend Ausweichsräume erhalten und bereitstellen kann. 
Die Politik darf sich nicht die Hände binden, die sie zur Gefahrenabwehr braucht.