Insofern haben die Fälle Büchner und Snowden strukturelle Ähnlichkeiten. (Darüber habe ich in diesem Blog und anderswo geschrieben.)
Dankenswerterweise hat Jan-Christoph Hauschild in seiner Arbeit Georg Büchner - Verschwörung für die Gleichheit (2013) auch über eine Ähnlichkeit geschrieben, auf die ich noch nicht eingegangen bin. Er schreibt:
In gewisser Weise ist Büchner also lebendiger als viele, die unter uns weilen. [...] Längst führt Büchner eine multible Existenz; er ist ortlos, wie ein Virus. Viren aber, man weiß es, sind unberechenbar: Sie werden von Mensch zu Mensch übertragen, verbreiten sich mit epidemischer Geschwindigkeit und machen an keinen Ländergrenzen halt. [...]Was macht das Büchner-Virus mit uns? Wenn wir es wissen, wird es zu spät sein. (S.338)Snowden lebt an einem unbekannten Ort, er ist weitgehend abgeschnitten von öffentlichen Medien, was er wir von ihm erfahren, ist strenger Kontrolle unterworfen. Doch er hat das als mögliche Zukunft vorausgesehen und seine Botschaft mit dem entsprechenden Material an andere weitergegeben, die sie verbreiten können. So ist seine Botschaft um die Welt gegangen, obwohl er - unfreiwillig - in der Macht eines Diktators ist.
Aber nicht nur Snowden hat wie Büchner heute eine "multiple Existenz". Seine Antagonisten sind in gewaltiger Überzahl. Und sie sind in unsere Kommunikation eingedrungen wie Viren in Computer, um uns ihnen dienstbar zu machen.
Wenn Hauschild für die fortwirkenden Gedanken und Intentionen Büchners das Wort Viren gebraucht, so gewiss, weil es zu Büchners Profession als Biologe und Mediziner passt. Gut denkbar, dass er dabei auch an Computerviren gedacht hat, vermutlich aber noch nicht so sehr an die NSA. In einer Weise stimmt der Vergleich zwischen Büchner und Geheimdiensten aber ohnehin nicht. Zwar haben sie, wie gesagt, eine "multiple Existenz", doch ortlos sind sie mitnichten. Ihre Antennen finden sich traditionell in den Botschaften oder - etwas abgelegener von den Schaltzentralen der Macht - in gigantischer Größe und mit zahlreichem Personal in den Abhörzentren. Was machen sie mit uns?
Wenn wir es wissen, ist es nicht notwendigerweise zu spät. Angesteckt vom Büchner-Virus könnten wir uns wehren. So wie Snowden sich gewehrt hat.
Hauschild schreibt über Büchner auch:
In den Durchsetzungsmöglichkeiten seiner politischen [...] Ideen hat sich Büchner gewaltig getäuscht. [...] Misst man das subjektiv Gewallte am objektiv Erreichten, erscheint die Frühgeschichte der sozialen Bewegung [...] kaum anders als eine Kette von Misserfolgen. (S.333)Doch nach all diesen Misserfolgen hat sich die Welt verändert. Zwar nicht nur zum Guten, aber auch nicht nur zum Schlechten.