Small Open Education Resources Award (Opera-Award) 2015
Preis für besonders gelungene offene Bildungsinhalte
Vorstellung der Nominierungen 2015 auf der Seite der ZUM
Der Lernpfad Römische Zahlen (Mathematik-digital) ist eins der nominierten Materialien.
12.1.15
Freiheit
Zum Attentat auf Charlie Hebdo, zu Satire und Islamismus habe ich mich nicht hier, sondern anderswo geäußert. Hier möchte ich das allgemeinere Problem ansprechen, wie wir mit unserer Freiheit umgehen.
Dabei möchte ich ausgehen von zwei Äußerungen in überregionalen Zeitungen:
"Stéphane Charbonnier machte sich bei "Charlie Hebdo" über alles lustig. Auch über Religionen. Angst hatte Charb nie. Der Karikaturist kämpfte für die Meinungsfreiheit und nahm dafür große persönliche Opfer in Kauf." (Thierry Backes in SZ vom 8.1.2015)
"Stéphane Charbonnier, ermordeter Chefredakteur von "Charlie Hebdo", wusste, was Angst bedeutet. Aber er wusste auch, was man ihr entgegensetzen muss: Die Freiheit, die wir haben, ausreizen. Sonst ist sie keine." (Bascha Mika in FR vom 12.1.15)
Erst jetzt ist mir klar geworden, wie schwer es für Journalisten bekannter Zeitungen ist, in Fällen allgemeiner Aufgeregtheit differenziert zu schreiben.
Dass es wichtig ist, Solidarität mit den Opfern des Attentats auf "Charlie Hebdo" zu zeigen, steht außer Frage. Für Regierungschefs und Staatsoberhäupter, die angesprochen wurden und die Zahl "über 40" kannten, war es also fast unmöglich, nicht eingehakt mit zu marschieren, denn das hätte als Solidarisierung mit der falschen Seite verstanden werden können. Ähnliches gilt für Journalisten.
Sie müssen sehr sorgfältig abwägen, wie viel Solidaritätsbekundung das Minimum ist und ab wann Differenzierung als Herunterspielen gewertet werden kann.
Nicht jedem ist wie Gustav Heinemann die Fähigkeit gegeben, so klar moralisch Stellung zu beziehen, dass auch ein hohes Maß an Differenzierung daneben nicht missverstanden werden kann.
Ich erinnere mich noch an die Geiselnahme israelischer Sportler bei den Olympischen Spielen in München 1972 durch die Terrororganisation Schwarzer September. Ich war so hilflos in Schrecken und Wut, dass ich mir nicht vorstellen konnte, was man da Sinnvolles hätte sagen können. Und dann sprach Heinemann und sprach aus, was zu denken mir noch nicht möglich gewesen war.
Ich möchte daher den Journalisten Abbitte leisten, die ich als zu mainstreamverhaftet und undifferenziert gesehen habe. Ich habe nicht in ihren Schuhen gestanden.
Da bin ich als kleiner Blogger in einer anderen Situation. Niemand erwartet von mir Sprachrohrfunktion für "die" deutsche Haltung gegenüber einem Problem.
Dies gesagt, darf ich mich vielleicht getrauen, eine kleine Kritik an Bascha Mikas Formulierung anzubringen. Freiheit ist dazu da, genutzt zu werden, nur so kann man sie verteidigen.
Sie "auszureizen" aber ist problematisch., denn Freiheit geht immer nur so weit, wie sie die Freiheit des anderen nicht einschränkt. Auch Meinungsfreiheit.
Natürlich muss journalistische Freiheit davor geschützt werden, mit restriktiven Regeln des "Anstands" atomisiert zu werden. Aber dennoch geht es immer darum, wofür die Freiheit genutzt wird. Wenn sie nur gälte, wenn sie bis aufs äußerste ausgereizt würde, dann wäre empathischer Umgang stets mit dem Odium der Servilität behaftet. ("Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist.")
Inzwischen (13.1.) möchte ich meine Argumentation durch Folgendes ergänzen:
"Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen."*
Nach allem, was ich über die islamkritischen Karikaturen in "Charlie Hebdo" weiß, widersprechen sie fundamental dem, was ich über den Islam zu sagen hätte. Aber:
wer "Charlie Hebdo" einschüchtern will, der findet mich auf Charlies Seite.
Es gibt kein allgemeines Recht auf Blasphemie, weil Blasphemie nicht selten geeignet ist, religiösen Hass zu verbreiten. Aber das Recht auf freie Meinungsäußerung bleibt bestehen.*
Dafür sollten alle Demokraten eintreten, und deshalb ist die Pariser Demonstration mit etwa 1,5 Millionen Teilnehmern so wichtig gewesen. (Auch die parallele Demonstration von etwa 50 Staatsoberhäuptern bzw. Regierungschefs).
Dabei möchte ich ausgehen von zwei Äußerungen in überregionalen Zeitungen:
"Stéphane Charbonnier machte sich bei "Charlie Hebdo" über alles lustig. Auch über Religionen. Angst hatte Charb nie. Der Karikaturist kämpfte für die Meinungsfreiheit und nahm dafür große persönliche Opfer in Kauf." (Thierry Backes in SZ vom 8.1.2015)
"Stéphane Charbonnier, ermordeter Chefredakteur von "Charlie Hebdo", wusste, was Angst bedeutet. Aber er wusste auch, was man ihr entgegensetzen muss: Die Freiheit, die wir haben, ausreizen. Sonst ist sie keine." (Bascha Mika in FR vom 12.1.15)
Erst jetzt ist mir klar geworden, wie schwer es für Journalisten bekannter Zeitungen ist, in Fällen allgemeiner Aufgeregtheit differenziert zu schreiben.
Dass es wichtig ist, Solidarität mit den Opfern des Attentats auf "Charlie Hebdo" zu zeigen, steht außer Frage. Für Regierungschefs und Staatsoberhäupter, die angesprochen wurden und die Zahl "über 40" kannten, war es also fast unmöglich, nicht eingehakt mit zu marschieren, denn das hätte als Solidarisierung mit der falschen Seite verstanden werden können. Ähnliches gilt für Journalisten.
Sie müssen sehr sorgfältig abwägen, wie viel Solidaritätsbekundung das Minimum ist und ab wann Differenzierung als Herunterspielen gewertet werden kann.
Nicht jedem ist wie Gustav Heinemann die Fähigkeit gegeben, so klar moralisch Stellung zu beziehen, dass auch ein hohes Maß an Differenzierung daneben nicht missverstanden werden kann.
Ich erinnere mich noch an die Geiselnahme israelischer Sportler bei den Olympischen Spielen in München 1972 durch die Terrororganisation Schwarzer September. Ich war so hilflos in Schrecken und Wut, dass ich mir nicht vorstellen konnte, was man da Sinnvolles hätte sagen können. Und dann sprach Heinemann und sprach aus, was zu denken mir noch nicht möglich gewesen war.
Ich möchte daher den Journalisten Abbitte leisten, die ich als zu mainstreamverhaftet und undifferenziert gesehen habe. Ich habe nicht in ihren Schuhen gestanden.
Da bin ich als kleiner Blogger in einer anderen Situation. Niemand erwartet von mir Sprachrohrfunktion für "die" deutsche Haltung gegenüber einem Problem.
Dies gesagt, darf ich mich vielleicht getrauen, eine kleine Kritik an Bascha Mikas Formulierung anzubringen. Freiheit ist dazu da, genutzt zu werden, nur so kann man sie verteidigen.
Sie "auszureizen" aber ist problematisch., denn Freiheit geht immer nur so weit, wie sie die Freiheit des anderen nicht einschränkt. Auch Meinungsfreiheit.
Natürlich muss journalistische Freiheit davor geschützt werden, mit restriktiven Regeln des "Anstands" atomisiert zu werden. Aber dennoch geht es immer darum, wofür die Freiheit genutzt wird. Wenn sie nur gälte, wenn sie bis aufs äußerste ausgereizt würde, dann wäre empathischer Umgang stets mit dem Odium der Servilität behaftet. ("Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist.")
Inzwischen (13.1.) möchte ich meine Argumentation durch Folgendes ergänzen:
"Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen."*
Nach allem, was ich über die islamkritischen Karikaturen in "Charlie Hebdo" weiß, widersprechen sie fundamental dem, was ich über den Islam zu sagen hätte. Aber:
wer "Charlie Hebdo" einschüchtern will, der findet mich auf Charlies Seite.
Es gibt kein allgemeines Recht auf Blasphemie, weil Blasphemie nicht selten geeignet ist, religiösen Hass zu verbreiten. Aber das Recht auf freie Meinungsäußerung bleibt bestehen.*
Dafür sollten alle Demokraten eintreten, und deshalb ist die Pariser Demonstration mit etwa 1,5 Millionen Teilnehmern so wichtig gewesen. (Auch die parallele Demonstration von etwa 50 Staatsoberhäuptern bzw. Regierungschefs).
* Der Satz stammt nicht von Voltaire, ist aber geprägt worden. um seine allgemeine Haltung zur Meinungsfreiheit zu kennzeichnen.
* Freilich sind gerechtfertigter Gebrauch und Missbrauch nicht leicht zu unterscheiden. §166 StgB geht mit seinem Schutz religiöser Bekenntnisse etwas über die internationalen Normen hinaus.
2.1.15
Angeblich alternativlos
Inzwischen beginnt eine differenziertere Betrachtung gegenwärtiger Protestbewegungen Boden zu gewinnen, und die Gefahren, die unserer Demokratie drohen, werden offener benannt als in Angela Merkels Neujahrsansprache (Text).
Thomas Assheuer: PEGIDA – VEREINT IN WUT UND ANGST:Die nationale Querfront, ZEIT online 2.1.15
"Forscher erklären den Zulauf für populistische Bewegungen mit dem Gefühl, man dürfe als Bürger bei entscheidenden Fragen nicht mehr mitreden, man sei nicht mehr "repräsentiert". Es ist das Gefühl, ein Bündnis aus politischen und wirtschaftlichen Eliten regiere über die Köpfe der Menschen hinweg und lasse über Dinge abstimmen, die vorab "alternativlos" entschieden worden seien. [...]
Für Bundeskanzlerin Merkel existiert zur "marktkonformen Demokratie" ohnehin keine Alternative, ebenso wenig zu ihrem Exportschlager, der Austeritätspolitik. Vermutlich wird auch Sigmar Gabriel bald verkünden, zum Freihandelsabkommen mit den USA gebe es "keine Alternative", obwohl er dessen Schiedsgerichte im Wahlkampf noch heftig bekämpft hatte. Dabei weiß Gabriel genau, dass solche Schiedsgerichte die Demokratieverdrossenheit weiter anheizen, weil sie ganze Staaten zu Schadensersatz zwingen können: Was ist die Stimme des nationalen Wählers gegen das Drohpotenzial internationaler Finanzinvestoren?"
Mehr zur angeblichen "Alternativlosigkeit" extremer sozialer Ungleichheit im Kapitalismus: Piketty: Das Kapital im 21. Jh.
Thomas Assheuer: PEGIDA – VEREINT IN WUT UND ANGST:Die nationale Querfront, ZEIT online 2.1.15
"Forscher erklären den Zulauf für populistische Bewegungen mit dem Gefühl, man dürfe als Bürger bei entscheidenden Fragen nicht mehr mitreden, man sei nicht mehr "repräsentiert". Es ist das Gefühl, ein Bündnis aus politischen und wirtschaftlichen Eliten regiere über die Köpfe der Menschen hinweg und lasse über Dinge abstimmen, die vorab "alternativlos" entschieden worden seien. [...]
Für Bundeskanzlerin Merkel existiert zur "marktkonformen Demokratie" ohnehin keine Alternative, ebenso wenig zu ihrem Exportschlager, der Austeritätspolitik. Vermutlich wird auch Sigmar Gabriel bald verkünden, zum Freihandelsabkommen mit den USA gebe es "keine Alternative", obwohl er dessen Schiedsgerichte im Wahlkampf noch heftig bekämpft hatte. Dabei weiß Gabriel genau, dass solche Schiedsgerichte die Demokratieverdrossenheit weiter anheizen, weil sie ganze Staaten zu Schadensersatz zwingen können: Was ist die Stimme des nationalen Wählers gegen das Drohpotenzial internationaler Finanzinvestoren?"
Mehr zur angeblichen "Alternativlosigkeit" extremer sozialer Ungleichheit im Kapitalismus: Piketty: Das Kapital im 21. Jh.
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