15.3.15

"Ein König muss schlafen können." - Was sollte ein Erbe können?

"Ein König muss schlafen können." Das hat Bismarck laut seiner Autobiographie zu Wilhelm I. gesagt, als der ihm gestanden hatte, dass er bei einer der zahlreichen Schwierigkeiten, die er zusammen mit Bismarck durchgestanden hatte, eine Nacht nicht geschlafen hatte. War es der Heereskonflikt?
Sei es, wie es wolle. Jedenfalls hat Bismarck zwar nicht jede Einzelentscheidung, aber insgesamt seinen Kurs gegen Wilhelm I. durchgesetzt, ob Wilhem I. geschlafen hatte oder nicht.

Ein Vorgänger Wilhelms I. war in einer anderen Situation. Er war vielseitig begabt und wollte seinen Interessen leben, wurde aber von seinem Vater Friedrich Wilhelm I., dem Soldatenkönig, massiv daran gehindert. (Seinen Freund ließ der Vater töten, als er ihn dann aus dem Gefängnis frei ließ, machte er im noch einmal klar, dass er ihm durchaus nicht gnädig sein wollte, sondern machte ihn vor versammelter Mannschaft zur Schnecke.) So wurde Friedrich II. zum Menschenfeind und dazu aufgestachelt, zu beweisen, dass er ein besserer König sein könne als sein Vater.
Nach den Maßstäben seiner Zeit ist er es auch geworden.

Was musste Wilhelm I. können? Jemanden finden, der das für ihn durchsetzte, was er erreichen wollte?
Was musste Friedrich II. können? Nach einer äußersten Demütigung nicht den Glauben an sich selbst verlieren.

Wie komme ich auf die Frage?
Im ZEIT-Magazin vom 12.3.15 (S.12-22) schreibt Julia Friedrichs unter dem Titel "Erben schadet der Gemeinschaft" darüber, dass im kommenden Jahrzehnt in Deutschland so viel vererbt werden wird wie noch nie:
"In den Vermögensabteilungen der Banken [...] rechnet man damit, dass zwischen zwei und vier Billionen Euro weitergereicht werden [...] (Zum Vergleich: Griechenlands Schulden belaufen sich auf 320 Milliarden.)"
Nicht alle halten es für richtig, wie der Staat damit umgeht. Zum Beispiel Beate:
"Ich finde erben ungerecht und undemokratisch", sagt sie. "Man wird, wie ich in eine Familie hineingeboren, in der sowieso schon viel Geld da ist. Man kriegt, wie ich, ein Studium finanziert und hat dann alle Möglichkeiten. Da finde ich es illegitim, dann auch noch zu erben."
Von jedem Euro, den sie als Wissenschaftlerin erarbeitet, zahlt sie maximal 42 Cent an den Staat. Von jedem Euro, den ihr angelegtes Kapital ihr einbringt, 25 Cent. Und von ihrem ererbten Geld bislang nichts. Was daran liegt, dass ihre Eltern das Erbe als Schenkung gestückelt und den Freibetrag in Höhe von 400 000 Euro pro zehn Jahre ausgeschöpft haben.
Unter den Bundestagsabgeordneten, die Friedrichs gesprochen hat, ist man sich weitgehend einig: Erben widerspricht dem Geist der Leistungsgesellschaft, "einen Bruch mit dem liberalen Ansatz, wonach Eigentum durch Leistung entsteht." Und es hat schon heute die Leistungsgesellschaft weitgehend ad absurdum geführt, denn vom Vermögen der heute 40- bis 45-Jährigen ist die Hälfte ererbt.
Doch Erben ist nicht nur ungerecht, es spaltet nicht nur die Gesellschaft, es schadet nicht selten auch den Erben selbst. Familienmitglieder, die untereinander gut auskamen, zerstreiten sich über einem großen Erbe oft so, dass es zu vieljährigen Prozessen kommt.
Dazu Friedrichs: "In den USA gibt es Erziehungsratgeber, die sich an reiche Eltern wenden. How much money does it take to ruin a child? heißt es in einem dieser Bücher."

Mit dem Blick auf die gegenwärtige Situation in Japan, in der oft die Eltern von ihren Renten den größten Teil des Lebensunterhalts der Kinder finanzieren,  schreibt Friedrichs:
Fast die Hälfte der Japaner zwischen 20 und 34 lebt noch zu Hause. Junge Japaner haben weniger Freunde. Sie engagieren sich kaum. Sie gehen deutlich weniger aus als ihre Altersgenossen in anderen Ländern. Sogar das Interesse an der Liebe haben sie verloren. Viele bleiben einsam. Offenbar sind in ihnen die Lust und die Gier auf das Leben erstorben.
Es ist die traurige Vision einer Erbengesellschaft: Eine Jugend, die von den Alten geliebt und ernährt wird, aber ohne die schützende und fütternde Hand lebensunfähig ist.
Ist das auch unsere Zukunft?
Götz Werner, der Gründer von dm-drogerie markt hat schon früh beschlossen, seinen Kindern nichts zu vererben, als er erfahren hat, dass die Enkel der Rockefeller-Gründerväter vergeblich versucht haben, sich aus dem Griff der Familie zu befreien. Dazu Friedrichs:
Götz Werner verwechselt Liebe nicht mit Geld. Er hat auch verstanden, dass Eigentum verpflichtet, wie es in unserem Grundgesetz steht. Und er hat verstanden, dass Erben kein Schicksal ist, das der Mensch auf sich nimmt. [...] Lasst uns über das Erben streiten! Alle gemeinsam.
Diese Aufforderung von Julia Friedrichs möchte ich übernehmen und unterfüttern mit einem Zitat aus einem Spiegelartikel zu Pikettys Buch "Das Kapital im 21. Jahrhundert":
In Deutschland ist die Einkommensungleichheit im internationalen Vergleich moderat. Anders sieht es jedoch bei Vermögen aus:"In keinem Euro-Land ist der Reichtum so ungerecht verteilt wie hierzulande", sagt Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). "Hier müsste der Staat eigentlich eingreifen."Aber welche Maßnahmen helfen? Laut Piketty ändern beliebte Rezepte wie höhere Bildungsinvestitionen oder der Verzicht auf Wirtschaftswachstum wenig. Effektiv seien nur radikale Maßnahmen: erstens eine Vermögensteuer, die bei einem Vermögen von 200.000 Euro mit einem Prozent jährlich beginnt, bei mehr als eine Million Euro auf zwei Prozent steigt und bei Milliardenvermögen auch bis zu zehn Prozent betragen kann. Zweitens eine Einkommensteuer von bis zu 80 Prozent für Spitzenverdiener. Das klingt schockierend, doch in den ersten drei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg lag dort der höchste Steuersatz nie unter 70 Prozent. (Neue Reichtumsdebatte: Etwas ist faul im Kapitalismus, Spiegel online 23.4.2014)
Man kann über die Sinnhaftigkeit solcher Schritte streiten. Aber wir sollten es auch tun. 

Erben wie Nicht-Erben sollten ihr Leben selbstbestimmt gestalten können.

Schwerlich beherrschen die Rockefellers die USA, wie Tilman Knechtel es in "Die Rockefellers. Der amerikanische Albtraum", 2014 beschreibt.  Aber dass es ungesund ist, wenn Status und Einflussmöglichkeiten in einer Gesellschaft mehr von der Herkunft als von der Leistung bestimmt werden, haben Ancien Régime und Belle Époque zureichend gezeigt.


Zusatz 1:
Dem Milliardenerben Robert Durst werden drei Morde nachgesagt. Über ihn ist eine Fernsehdokumentation gedreht worden, in der er zu den Todesfällen befragt worden ist.
(Durst nach Geständnis aus dem Off in Haft, FR 16.3.15)
Nach der Lektüre seines Lebenslaufes und der Probleme, die er damit hatte, ins Geschäft seines Vaters einsteigen zu sollen (zunächst unwillig, dann Zurücksetzung gegenüber seinem Bruder):
Wäre sein Leben nicht einfacher verlaufen, wenn er nicht Erbe gewesen wäre?

Zusatz 2:
Julia Friedrich: Wir Erben: Was Geld mit Menschen macht, Berlin Verlag 2015
Leseprobe hier zu finden
Den Hinweis auf das Buch verdanke ich dem Artikel Karriere ist auch nur Glück von Jens Jessen in der Zeit Nr.12 vom 19.3.15, S.26.
Seine Kritik an Friedrich ist eine eindrucksvolle Selbstparodie: Manager sind nach ihm nur erfolgreich, wenn sie genügend negative Eigenschaften haben, ein Erbe ist einem in die Wiege gelegt wie Schönheit. So als hätten Richard von Weizsäcker und Gustav Heinemann nur wegen ihrer Wolfseigenschaften Industriemanager werden können und als wäre das Erbrecht nicht im BGB, sondern in der DNA festgeschrieben. So vergaloppiert er sich, nur um steuerfreies Erben zu verteidigen. (Jetzt ist sein Text online greifbar.)

Zusatz 3:
Tauchsieder: Piketty ist nicht widerlegbar, Wirtschaftswoche 12.4.2015
"Denn der Haupteinwand gegen das Argument einer schnelldrehenden Digitalwirtschaft ist, dass sich 100-Millionen-Pakete heute völlig unverbunden mit der Realwirtschaft konzentrieren und reproduzieren können - und dass ihre Vervielfältigung nicht mehr, wie ehedem im Kapitalismus des 19. und 20. Jahrhunderts, von den Maschinen der Kapitaleigner und auch nicht vom Konsum der Lohnabhängigen abhängig ist. Im Gegenteil: Die Krisen der vergangenen Jahre und ihre politische Bearbeitung haben ausdrücklich gezeigt, dass die Traumrenditen der superreichen 0,1 Prozent desto sicherer ist, je weiter weg von allen realen Bezügen, je "fiktiver" es zirkuliert." (Hervorhebung von mir)

Zusatz 4:
Schüler: Reiches Elternhaus, mehr Erfolg, Karrierebibel 20.4.15

2 Kommentare:

Hauptschulblues hat gesagt…

Bei aller heftigen Diskussion:
Ich möchte gerne selbst beschließen können, wem ich vererbe, unabhängig aller Blutsbande.
Und dass die Erbschaftssteuer für Normalbürger sehr hoch ist. ist skandalös, aber der Staat hält die Taschen auf.

Walter Böhme hat gesagt…

Er muss die Taschen aufhalten, wenn er seiner Aufgabe gerecht werden will, Demokratie zu bewahren. Ohne Bildung und mit einer extremen Ungleichverteilung wirtschaftlicher Macht geht das nicht.

Skandalös ist meines Erachtens, dass kleine Beträge an Nichtverwandte hoch besteuert werden und große Vermögen steuerfrei bleiben.

Doch es kommt noch hinzu, dass das für die Mehrzahl der Erben aus der Verwandtschaft schädlich ist. Wenn auch nicht ganz so schädlich, wie mit der preußischen Krone herumlaufen zu müssen.