Wenn die Institutionen ein Anheben der Steuern für die 2000 reichsten Familien, die 80% des Volksvermögens besitzen, alternativlos verbieten, ist das entlarvend.
Wenn aber deutsche Politiker es als unzulässige Einflussnahme bezeichnen, wenn Tsipras die Bevölkerung auffordert, ihre Entscheidung unter Berücksichtigung von Würde und Demokratie zu treffen, so fragt man sich, weshalb sie die Artikel 1 und 20 über 60 Jahre im Grundgesetz geduldet haben.
So weit etwas polemisch. Jetzt wieder rein argumentativ: Wenn Gabriel (laut unten angegebenem ZEIT-Artikel) wie folgt argumentiert: "Den Griechen sei ein sehr gutes Kompromissangebot gemacht worden, betont er. Aber die Griechen hätten Hilfen haben wollen, ohne Gegenleistungen zu bringen", dann ist das einfach nicht korrekt. Die Institutionen haben auf das griechische Angebot ihre Forderungen gegenüber vorher noch verschärft. Ohne dass ich den konkreten Wortlaut kenne, haben sie aber offenkundig die Reichensteuer wegen angeblicher Konjunkturgefährdung abgelehnt, während sie eine Erhöhung der Mehrwertsteuer fordern. Es gibt außerhalb Europas nur wenige prominente Politiker und Wissenschaftler, die das nicht für einen gefährlichen Irrweg halten. Die Kompromissbereitschaft, die Merkel anmahnt, haben die Institutionen jedenfalls nicht gezeigt.
mehr dazu:
Die gefährlichste Idee Europas, Tagesanzeiger 2.7.15
"Vielleicht war es der unverantwortlichste Versuch der Geschichte, Verantwortung zu übernehmen. Denn erstens war die Diagnose gleich doppelt falsch. Die Krise war nicht im öffentlichen Sektor entstanden, sondern im privaten: in den meisten Ländern durch die Banken, in anderen durch die Privatverschuldung. Ausser Griechenland hatte kein Staat Geld verschleudert. Und diejenigen, die nun die Strafe traf, waren nicht die, welche die Party gefeiert hatten: Während mit Hunderten Milliarden Euro Banken ausgekauft und Börsen gestützt wurden, wurden Millionen Jobs gestrichen. Und dazu Renten, Krankenhäuser, Löhne, Schulen.
Denn die Austerität war nicht nur intellektuell ein Debakel: Irland, Spanien, Portugal wurden in die Massenarbeitslosigkeit gespart, weitgehend sinnlose Opfer, bei wachsenden Schulden.
Am härtesten traf es die Griechen. Als die Troika mit ihren Programmen begann, rechneten sie mit einem Einbruch von 0,3 Prozent. Was passierte, war der Zusammenbruch einer Wirtschaft, den man sonst nur im Krieg sieht: 25 Prozent.
Berichterstattung zu Griechenland: Im Dschungelcamp der deutschen Medien
[...] war es Wahnsinn, dass man fünf Jahre mit verschiedenen griechischen Regierungen verhandelt und "Hilfsprogramme auflegt" - und kaum kommt eine Regierung an die Macht, die deshalb gewählt wurde, weil die "Hilfsprogramme" eben nicht funktioniert haben, wird diese Regierung dafür verantwortlich gemacht, dass sie in ein paar Monaten nicht geschafft hat, was die Nussknacker von der EU in fünf Jahren Verhandlungen nicht hinbekommen haben - die Entmachtung der korrupten Eliten zum Beispiel oder ein funktionierendes Katasterwesen? (Georg Diez, SPON 3.7.15)Von der philosophischen Ebene:
S. Zizek: Was ist jetzt noch links? (ZEIT Nr.27 S.41)
"Es geht nicht um die Griechen. Es geht um uns alle! [...] Die EU-Mächte stehen für den technokratischen Status quo, der Europa seit Jahrzehnten lähmt."
Dann spricht Zizek von "der eindeutigen und unmittelbaren Tendenz des zeitgenössischen Kapitalismus, die Demokratie auszuhebeln."
Gesine Schwan rügt Eurozone und IWF, FR 29.6.15
Merkels doppelte Botschaft für Griechenland, ZEIT 29.6.15
Operation geglückt, Europa tot, Nachdenkseiten 29.6.15
Referendum in Griechenland
Habermas: "Warum Merkels Griechenland-Politik ein Fehler ist" und Diskussion, Fontanefan 24.6.15
Mehr EU, weniger EZB und IWF, FR 23.6.15
Mögliche Griechenland-Pleite: So viel Geld steht für Deutschland auf dem Spiel, SPON
"Die Politik hat sich ins Gefängnis der Märkte begeben", SZ 30.6.15
Joseph Vogl: "[...] wenn totalitär bedeutet, dass ein Regime alle Lebensbereiche erfasst: Ja, dann lässt sich wohl sagen, dass der Finanzkapitalismus totalitäre Dimensionen erreicht hat. [...] Die Frage ist: Will man an dem Weg weiterhin festhalten? Oder könnten neue historische Situationen - zum Beispiel die Finanz- und Wirtschaftskrisen seit 2008 - Richtungsänderungen bewirken?
Faktencheck Griechenland, taz
"Nach dem Scheitern der Verhandlungen wurde Erstaunliches behauptet, vor allem von der EU. Manches stimmt schlicht nicht."