24.8.15

Über Googles Unarten und den Segen der künstlichen Intelligenz

Google kennt meinen Bloggernamen Fontanefan und meinen Klarnamen und entscheidet selbständig darüber, wann es welchen Namen verwendet.
Nun der Segen der künstlichen Intelligenz:  Google schreibt mir "Fontane, hier sind Beiträge von Google+, die Ihnen gefallen könnten."

Ich danke für das Kompliment.

Wer eine Erklärung sucht, wird rasch fündig. Google trennt die Begriffe und sieht im ersten Namen das Individuum, im zweiten nur den Beinamen (second name). So bin ich von einem Fan von vielen für Google zu meinem eigenen Idol geworden. Danke!

19.8.15

Macht als die Fähigkeit, aus Fehlern nicht lernen zu müssen, am Beispiel der Griechenlandkrise

Angela Merkel, deren Lernfähigkeit so groß ist, dass sie - zwar nicht als Umweltministerin, sondern erst als Kanzlerin - gelernt hat, dass die Nachteile der Atomenergie langfristig größer sind als ihre Vorteile versuchte gegenüber Griechenland, sich durchzusetzen, ohne selbst etwas zu lernen. Der Lernprozess sollte allein in Griechenland stattfinden.
Das ist schief gegangen. Zunächst, weil die griechischen Regierungen passiven Widerstand geleistet haben: Reformen haben sie versprochen, aber keine durchgeführt. Nur die Sparpolitik (über die der Druck, Reformen durchzuführen, entstehen sollte) haben sie - weitgehend - exekutiert und so die Wirtschaft und damit Bevölkerung immer tiefer in den Abgrund sinken lassen.

Die Regierung Tsipras ist dadurch ans Ruder gekommen und hat es nicht beim passiven Widerstand belassen, sondern sich offen widersetzt (und erst im letzten Augenblick nachgegeben).
Dadurch hat sie Angela Merkel (und damit der EU) die Chance gegeben, zu lernen. Erst der Widerstand machte Anpassung und damit den Lernprozess möglich.* (Zu ergänzen ist, dass der IWF, vertreten durch Christine Lagarde, dabei mitgewirkt hat.)

* Weil man in der EU glaubte,  nichts lernen zu müssen, wurden die griechischen Regierungsmitglieder von EU-Politikern und -Medien zu aufmüpfigen Jugendlichen stilisiert, denen die Erziehungsberechtigten erst einmal Manieren beibringen müssten. Im Sinne von "Steck erst einmal dein Hemd in die Hose und keine Widerrede, so lange du die Beine unter meinen Tisch streckst!"

Dazu etwas über das Verständnis von Macht:

Karl W. Deutsch hat Macht bezeichnet als die Fähigkeit, nicht lernen zu müssen, weil man Anpassung erzwingen kann. Damit hat er den Nachteil der Macht für den Mächtigen beschrieben.
(vgl. dazu Max Weber: "Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eignen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen" (Wikiqote "Macht"). Weber sah da nur den Vorteil der Macht  für den Mächtigen.)
Joseph Nye*  sieht in Macht die Fähigkeit, den anderen so zu beeinflussen, dass er dasselbe will wie man selbst. Das Mittel dafür ist die strukturelle Macht, ein Begriff von Susan Strange. Danach besteht Macht darin, Strukturen so anpassen zu können, dass es dem eigenen Vorteil dient. (Diese Strukturanpassung  braucht man nicht mit überlegenerMacht durchzusetzen, man kann sie durch Angleichung der Ziele an gemeinsame Interessen erreichen.)
Vgl. auch E.O. Czempiel: Kluge Macht, 1999, S.91-96
Joseph Nye: Macht im 21. Jahrhundert, 2011

Das Problem für die EU ist, dass der Euroraum nicht die Struktur verpasst bekommen hat, die er brauchte, um den gemeinsamen Vorteilen zu dienen. Exportweltmeister und Ausgebeutete ergeben keine harmonische Wirtschaftsstruktur.

Dieser Artikel ist auf meinem Politblog Fonty entstanden. 

15.8.15

Haben die Deutschen den 2.Weltkrieg "verarbeitet"?

"verarbeitet"?
Es ist eindrucksvoll, wie viele Jahrzehnte vergehen mussten, bis einzelne Problemkomplexe in der öffentlichen Meinung wahrgenommen wurden: Rolle der Wehrmacht, des auswärtigen Amtes, der deutschen Historiker ...
Im Zusammenhang mit der Eurokrise werden wir daran erinnert, dass Deutschland trotz seiner Rechtsnachfolge des Deutschen Reiches von 1933 bis 1945 die damaligen Zwangskredite, die der NS-Staat von den besetzten Feindstaaten eingetrieben hat, nicht zurückgezahlt hat. Mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag ist das für rechtens erklärt worden. "Verarbeitet" ist die Beschlagnahmung jüdischen Eigentums (Gurlitt), die Ausbeutung von Zwangsarbeitern, die Vielzahl der Verbrechen an Juden, an Homosexuellen, an Roma und Sinti und anderen Minderheiten nicht. 
Worauf es gegenwärtig aber mehr ankommt als auf "Verarbeitung" ist, dass nicht eine neue Welle der Ausgrenzung von Minderheiten und massiven Angriffen auf sie überhand nimmt. Die Verantwortung dafür hat jeder mündige Bürger, unabhängig davon, ob er sich über die Verbrechen des Nazi-Regimes und darüber, dass die Deutschen als Gesamtheit im Zweiten Weltkrieg von der Ausbeutung der besetzten Gebiete profitiert haben (vgl. Götz Ali: Hitlers Volksstaat), informiert oder nicht. 
Auch das Grauen der Bombennächte, die traumatischen Erlebnisse auf der Flucht haben die, die sie erlebt haben, gewiss nicht alle "verarbeitet". Wer versucht, heutigen Flüchtlingen und Kriegsopfern zu helfen, kann aber zu Verarbeitung beitragen, vielleicht sogar bei der des selbst Erlebten. 
Die Frage wurde auf gutefrage.net gestellt.

Die Gefahr der "Überfütterung" von Jugendlichen besteht, die Gefahr von Selbstgerechtigkeit statt Empathie ist bei den meisten Menschen freilich nicht geringer. 
Wie findet man den richtigen Weg? Ich würde mich, wenn ich aktuell noch zu unterrichten hätte u.a. bei Daniel Bernsen zu informieren suchen. 
Außerdem: z.B. Quellen, eigener Versuch (ohne didaktische und methodische Hinweise)

4.8.15

Bildung: Wilhelm von Humboldt, Lernen durch Lehren, Internet

Was Humboldt und Internet als Lehrmeister unterscheidet, ist gar nicht so neu.
Es ist schon in dem gegensätzlichen Ansatz von Platon und Aristoteles vorgebildet: Platon, der den Lehrer für so wichtig hält, dass er seine gesamte Philosophie seinem Lehrer Sokrates in den Mund legt, so dass wir die Mühe haben, zu unterscheiden: wo spricht Platon und wo spricht Sokrates?
Und andererseits Aristoteles, der die Erfahrungswelt betrachtet und sie zu ordnen und verstehen sucht.
Platon kommt zum Ergebnis, dass Philosophen die Könige sein sollten (vgl. dazu Poppers Kritik, der Platon totalitäre Züge unterstellt), und Aristoteles schließt, dass Sklaven keine Menschen sind, weil ihnen die Freiheit nicht über alles geht.

Ein ähnlich unterschiedliches Paar finden wir an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert in Wilhelm von Humboldt und Georg Forster. Wilhelm kennt schon als Kind keine größere Freude, als die alten Griechen zu studieren, Georg, den sein Vater erst nach Russland und dann nach England mitnimmt, übersetzt als Dreizehnjähriger  Lomonossows Kurze Russische Geschichte vom Russischen ins Englische, was "in wissenschaftlichen Kreisen lobende Anerkennung fand" (Wikipedia), und segelt als Siebzehnjähriger mit James Cook um die Welt und begründet bei dieser Gelegenheit die deutsche Ethnologie. Ja, er "verirrt" sich als revolutionärer deutscher Jakobiner so weit in die Praxis, dass er in der Zeit des beginnenden Terreur in Paris stirbt (freilich nicht unter der Guillotine, sondern an Lungenentzündung). 
Alexander von Humboldt nimmt sich nicht seinen großen Bruder Wilhelm zum Vorbild, sondern Georg Forster, den er auf seiner Reise an den Niederrhein, Frankreich und England begleitet und dann seinen großen Lehrer nennt. Wilhelm vertieft sich in die Sprachwissenschaft als die Grundlage des Denkens, Alexander studiert Geographie durch Reisen.
Wilhelm von Humboldt betont die Einheit von Forschung und LehreJean-Pol Martin meint man lerne nur recht durch Lehren und lässt sich deshalb in New York von seinen Schülern sagen, was er dort tun soll. Möglich wird das erst durch Telekommunikation, wie überhaupt das Erfahrungslernen im Team, das Martin propagiert, wesentlich von den Möglichkeiten des Internets profitiert. 
Freilich - und hier hebt sich der Gegensatz Lernen vom Lehrer und Erfahrungslernen wieder ein Stück auf - er organisiert als Lehrer die Lehrsituationen, an denen die Schüler lernen sollen.* 

Eine lange Einleitung für die Vorstellung des Circle, in dem das Leben in der Community der vom Rousseauschen Bildungsideal geprägten Selbstfindung gegenübergestellt wird. 

Worauf ich hinaus will, ist, dass es einseitig wäre, Allgemeinbildung unter Berufung auf Bildung zu verdammen oder der Reformpädagogik abzuschwören, weil wir das Internet haben, oder auf digitale Medien zu verzichten, weil wir ohne Lehrer nicht auskommen. Doch dazu mehr bei anderer Gelegenheit. 

Hier nur eine Andeutung.
Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt schreiben in ZEIT online unter der Überschrift Humboldt gegen Orwell
"Die Digitalisierung verändert die Bildung so stark wie zuvor nur der Buchdruck und die Schulpflicht. [...]

Humboldt hätte an der Digitalisierung Gefallen gefunden. Der große Reformer des 19. Jahrhunderts wollte "Bildung für alle" als Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben und schuf in Deutschland das allgemeine Schulwesen. Sein lange unerfülltes Ideal: Wer gut ist, kommt weiter, egal, wo er herkommt. Diese Demokratisierung wird jetzt möglich. Dank digitaler Hilfsmittel erhalten bisher Abgehängte Zugang zu günstiger und personalisierter Bildung, Können wird wichtiger als Herkunft oder Titel. [...] 
Jeder hier brauchte eigentlich seinen auf ihn persönlich zugeschnittenen Unterricht. Seit vier Jahren bekommen alle Schüler genau das. New Classrooms heißt das Konzept, das auf digitalisierte Lerneinheiten statt Frontalunterricht setzt, um jeden bei seinem Wissensniveau abzuholen. In einem riesigen Raum, der sich über ein ganzes Stockwerk erstreckt, lernen etwa neunzig Schüler Mathe an wechselnden Stationen: Die einen schauen Videos, die anderen nutzen Lernsoftware, andere arbeiten in Gruppen oder sprechen mit dem Lehrer. Das Besondere ist allerdings nicht, wie vielfältig die Lernmethoden sind, sondern die automatisierte Personalisierung: Am Ende eines Tages legt jeder Schüler einen kurzen Onlinetest ab. So kann ein Zentralcomputer in Manhattan über Nacht errechnen, welcher Schüler noch nacharbeiten muss und welche Methode die beste dafür ist. Daraus entsteht ein individueller Lernplan für den nächsten Tag, den die Schüler morgens über große Monitore an den Wänden erfahren. Die Technik macht den Lehrer hier nicht überflüssig, sie verändert aber seine Rolle: vom Wissensvermittler zum Lernbegleiter."

Ich zweifle daran, ob die Verfasser jemals einen MOOC und im Vergleich dazu einen cMOOC mitgemacht, dass sie ein Barcamp mitgestaltet haben. Zu Recht?

*Georg Forsters Vater hat (ähnlich wie und anders als Martin) für seinen Sohn ungewöhnlich anregende Lernsituationen geschaffen. Nur weil Georg schon als Vierzehnjähriger sich intensiv in die deutsche, die russische und die englische Kultur eingelebt hatte, konnte er als Siebzehnjähriger die Weltreise dafür nutzen, Ethnologe zu werden. - Freilich James Cook war dabei als Lehrmeister unersetzlich. Denn einerseits schuf er als erfolgreicher Weltumsegler auf seiner zweiten Weltreise Lernsituationen, wie sie damals kein anderer bieten konnte, andererseits ist kaum vorstellbar, dass Georg (und sei es auch nur durch Vermittlung seines Vaters) nicht vom Wissen Cooks profitiert hat. Sein Aufsatz über Cook zeugt jedenfalls davon, dass er sich bewusst war, mit welcher Ausnahmepersönlichkeit er da unterwegs war. 

vergleiche auch:

Lehrer oder Lernbegleiter: Kontrollverlust als Programm#EDchatDE