6.11.16

Lernen ohne Lehrer

Abgründe neuer Lernkultur (pdf) von Christoph Türcke

Die folgenden Zitate erfassen nicht die Argumentationsstruktur, sondern sollen nur anregen, sie im Text nachzuvollziehen. Die fett hervorgehobenen Sätze stellen eine von mir künstliche Verkürzung auf Thesen dar, die Widerspruch anregen und auf die Begründunggen für die "Thesen" neugierig machen sollen. 
Kompetenzkozept ohne Bezug zum Inhalt:
"Exakt umschreiben lässt es [Können] sich nur, wenn man die Gesamtheit der Inhalte aufführt, an denen es erworben wurde."

Schreibunterricht:
"Schreiben ist eine Geste der Hingabe. [...]
Wohin der Verzicht auf Schreibschrift führt, ist offensichtlich. In wenigen Jahren werden handschriftliche Druckbuchstaben den Kindern ebenso "zu beschwerlich", sein wie es jetzt schon die vereinfachte Ausgangsschrift ist. [...] Alphabetisieren wir doch von vornherein am Computer! Damit ändert sich allerdings die Gesamthaltung zum Schreiben. Buchstaben, die man selbst nicht mehr malen kann, werden nur noch durch ruckartige Fingerbewegungen ausgelöst bei ständigem Blickwechsel zwischen Tastatur und Display. Die Geste der Hingabe, die den ganzen Organismus auf einen Punkt hin zusammennahm, löst sich in disparate Impulse auf. Der Vorgang des Schreibens wird genauso wuselig, wie es seine Umgebung im deregulierten Klassenzimmer schon ist. Die Alphabetisierung am Computer ist Zunder für ADHS."

Allgemein:
"Die aktuellen Bildungsstandards verordnen von höchster Stelle Niveausenkungen, die sie wie des Kaisers neue Kleider ausbieten. Das tun sie aber nicht aus Spaß oder um in der schönen neuen Welt der Flexibilität die Zügel einmal etwas lockerer zu lassen, sondern unter diffusem globalem Flexibilitätsdruck. [...]
Im Obrigkeitsstaat klagten die Schulbehörden regelmäßig über Schlendrian in den Schulen. Im neoliberalen Staat hingegen protestieren Lehrerverbände dagegen, dass die Schulpolitik mentale Elementartechniken herunterwirtschaftet; dass sie das drastische Sinken der Schreibfähigkeit durch steigende Vorgabe von Lückentexten kompensiert; [...]

Inklusion:
Die Behindertenrechtskonvention der UN verlangt, dass "kein Kind zurückgelassen" wird [...]
Wenn sich der Staat zur UN-Konvention bekennt, muss er auch das Geld zu ihrer Umsetzung locker machen, sagen die Inklusionsverfechter. Leider ist es umgekehrt: Weil immer weniger Geld für Bildung da ist, erfanden die UN die Inklusion.   [...]
Förderlehrer sind im System Regelschule immer nur zu Gast. Dass sie zu den Problemkindern ein stabiles Verhältnis aufbauen, kommt gelegentlich vor, ist aber strukturell nicht vorgesehen. [...]
Wie ein Abitur für alle kein Abitur mehr ist, so auch ein gemeinsamer Unterricht für alle kein gemeinsamer Unterricht mehr – zumindest wenn man darunter versteht, dass allen Mitgliedern einer Klasse oder Gruppe ein bestimmter Stoff eröffnet wird: [...]
Im Inklusionsraum sind alle zusammen, keiner kann hinaus, und jeder lernt für sich. [...] Nicht von ungefähr ähneln sich die Inklusionsräume deregulierten Großraumbüros an.  [...]

Motivation durch Angebot von Lernmöglichkeiten, durch Zeigen:
Das Zeigen ist die feierliche Eröffnung, das Highlight, das Sedimentieren und Fördern ist die unerlässliche Nacharbeit, der Alltag. Wo nichts gezeigt wird, gibt es nichts zu fördern. Fördern statt Zeigen ist ein Fass ohne Boden. Wenn man Lehrer zu bloßen Begleitern und Förderern degradiert, zu Arbeitsblattanhängseln und zum mobilen Eingreifdienst, nimmt man ihnen das Eigentliche ihres Berufs: das Zeigen."
(http://www.swr.de/-/id=18204784/property=download/nid=660374/1cn16an/swr2-wissen-20161106.pdf)
Literaturhinweis:
Christoph Türcke: Lehrerdämmerung: Was die neue Lernkultur in den Schulen anrichtet. C.H. Beck, München 2016, ISBN 3406688829.

Ich erspare mir den Hinweis, auf die Anzeichen im Text, die darauf hindeuten, dass ein emeritierter Philosophieprofessor sich hinsichtlich digitalen moderatorunterstütztem Lernen in einer ähnlichen Informationsblase befinden könnte wie die meisten von uns in ihren Persönlichen Lernnetzwerken.
Immerhin sitze ich im Glashaus; denn ich bin vier Jahre älter als er. Vielmehr möchte ich darauf verweisen, dass ein Blick mit Abstand die Chance bietet, die weniger kompetenzorientierten Lehrer nicht einfach als vom alten Eisen, sondern als Symptome für mögliche Schwächen des Konzepts ernst zu nehmen.

Aus meiner subjektiven Sicht möchte ich hinzufügen, mir bei der Argumentation zwar manches überspitzt erscheint, dass aber zwei Aspekte seiner Kritik ein grundsätzliches Problem berühren: 

Ein Computer kann geniale Lernprogramme anbieten, er ersetzt nicht die Motivation durch den persönlichen Bezug. Der wird - je reifer der Lernende ist - umso unwichtiger. Aber bei allen Lernhemmungen und -störungen ist er entscheidend für Diagnose und für die Suche nach individuell angepassten Lernhilfen.

Inklusion kann soziale Isolierung vermeiden helfen, aber ein nur stundenweise vorhandener Helfer kann nicht die Sicherheit vermitteln, die ein Lernen in einer gemeinsamen Lerngruppe unter Anleitung eines Lehrers  bedeutet, der die spezifischen Lernschwierigkeiten kennt. 

Zu Inklusion neuerdings auch:
Bereits im Kindergarten riet man unserer Autorin ab, auf eine reguläre Schule zu gehen. Sie hat es trotzdem getan. Eine persönliche Abrechnung. taz.de Sandra Hertzke 4.1.2017
"Ob es gelingen wird, den Lehrern wie auch den Schülern diesen Inklusionsgedanken im täglichen Unterricht zu vermitteln? Das wird auch davon abhängen, wie souverän die LehrerInnen in der Lage sind, damit umzugehen – und zwar nicht nur die SonderpädagogInnen, sondern alle LehrerInnen und ErzieherInnen. Da braucht es Weiterbildungen, sonst bleibt die Inklusion nur Theorie und kommt nicht im Klassenraum an. Denn ein Nebeneinandersitzen bedeutet eben noch nicht ein Miteinanderlernen."

Wenn es keine Lehrer mehr gäbe, brauchte man sie nicht dafür weiterzubilden. Wäre das nicht ein Vorteil?

"Die Förderschullehrerin und ich störten uns gegenseitig"
"[...] Außerdem haben wir gar nicht genug Förderlehrer, um alle Deutsch- und Mathestunden abzudecken.[...]"

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