Die Aktion #allesdichtmachen (https://www.youtube.com/channel/UC3_dHQpx8O9JT2LW1U2Beuw/videos) war eine politische Aktion, sollte aber auch als Kunstwerk verstanden werden, das provoziert.
Über die künstlerische Qualität maße ich mir kein Urteil an. (Freilich sprechen manche Namen dafür, dass es sich nicht schlicht um eine Art Happening im Sinne von Beuys "Jeder ist Künstler" handelte. Aber Berühmtheit ist kein Qualitätskriterium. Auch wenn ich kein Urteil abgeben kann, habe ich dennoch auf die Provokation reagiert und kann insofern darüber berichten.)
Als politisch engagierter Bürger habe ich die politische Aktion zu bewerten.
Zunächst schockierte mich die allgemeine Ablehnung, weil ich darin eine weitere Eskalationsstufe des Auseinanderdriftens zwischen den Befürwortern möglichst harter Lockdowns und den Befürwortern einer Strategie "Schützt die Richtigen!" sehe.
Damit hatte ich angesichts der Beteiligten, denen man nicht nachsagen kann, durchweg Rechtsradikale zu sein, nicht gerechnet. Wenn man eine solche Provokation startet, dann ist aber eine solche Reaktion - zumindest eines Teils der Gesellschaft zu erwarten. Insofern hängt bei einer Aktion alles davon ab, wie man mit den Reaktionen umgeht, um das Ziel der Aktion zu erreichen.
Denkbar wäre als Ziel: Eine Dokumentation der gesellschaftlichen Reaktion als Ausgangspunkt für eine vertiefte Diskussion. Nur fragt sich eine Diskussion worüber? Über das Auseinanderdriften, über Sinn und Stil der Regierungsmaßnahmen oder über die bestmöglichen Maßnahmen?
Unabhängig davon, welches Ziel angestrebt wurde. Zweierlei muss bei einer politischen Aktion vorausgesetzt werden: 1. Dass jeder Teilnehmende das Ziel kennt 2. Dass jeder weiß, was er tun will, um das Ziel zu erreichen.
Hier ist bisher nicht ersichtlich, ob das überhaupt versucht worden ist. Weshalb sind so viele von der Aktion abgesprungen? War nicht vorbedacht worden, mit welchen Reaktionen zu rechnen sei? Waren Bedenken (insbesondere die Wirkung auf die von COVID-19 als Kranke oder Angehörige Betroffene) gegenüber der Aktion nicht ausgesprochen worden? Wurden sie ausgesprochen, aber nicht berücksichtigt?
Bisher scheint es so, als wäre das Gegenteil des angestrebten Ziels erreicht worden: Empörung statt Verstörung und Unterstützung der Strategie der AfD.
Es bleibt abzuwarten, wie es weitergeht. - Wie so oft in diesen Zeiten.
Die infektiösen Folgen der Infodemie von Markus Gabriel, FR 26.4.21
29.4.21:
Da die ZEIT auf der ersten Seite mit einem Interview mit drei Schriftsteller*innen ("Es geht nicht darum, wer recht hat") aufmacht (Thea Dorn, Juli Zeh und Daniel Kehlmann), könnte man fragen, ob die Schauspieler wirklich als Ziel hatten, mit ihrer Kritik gehört zu werden, oder ob ihnen daran lag, einen Shitstorm auszulösen und dadurch zum einen das Auseinanderdriften der Gesellschaft zu belegen und die Löschung ihrer ironischen Darstellungen zu provozieren (32 von 53 sind noch auf Youtube zu sehen) und dadurch eine Diskussion auszulösen, die wahrgenommen wird.
Thea Dorn bekannt als Tatortautorin, Daniel Kehlmann als Bestsellerautor auf literarisch hohem Niveau und Juli Zeh als Verfasserin von Corpus Delicti, die literarische Kritik einer Gesundheitsdiktatur und gleichzeitig als (ehrenamtliche) Verfassungsrichterin in Brandenburg ausdrücklich dazu berufen, die Rechtmäßigkeit von Regierungshandeln und Gesetzen zu überprüfen, diese drei bekommen Gelegenheit, von unterschiedlichen Standpunkten aus, die Regierung dafür zu kritisieren, dass sie mit ihrer Ausrichtung den Fortbestand des Konsens' und damit die Demokratie zu gefährden (nicht, sie aushebeln zu wollen, wie manche Kritiker unterstellen).
Schriftsteller, die dazu berufen sind, nicht recht zu haben oder gar zu entscheiden, sondern gesellschaftliche Zustände und Probleme vor Augen zu führen.
Aber nicht nur das: In einem Gespräch zwischen Gesundheitsminister J. Spahn und Tatortmillionär J.J. Liefers (seine realen Einkommensverhältnisse kenne ich nicht, aber als Darsteller erreicht er gewiss Millionen) kommt es auch zu einem relativ intensiven Austausch über die Erfahrungen mit der Pandemie* und die Schlüsse, die beide daraus gezogen haben.
*Jens Spahn: "Ja, denn ich finde es generell wichtig, miteinander im Gespräch zu bleiben. Im Zweifel geht’s doch darum, zumindest zu versuchen, zu verstehen, warum das Gegenüber anderer Meinung ist. Diese Einstellung fehlt zu häufig im öffentlichen Diskurs."
Jan Josef Liefers: "Meine Beobachtung ist, dass sich in diesem Pandemiejahr drei Gruppen von Menschen gebildet haben: Da sind die, die alles bedingungslos unterstützen, was die Regierung macht. Dann gibt es jene, die alles ablehnen. Und dann gibt es viele, wie mich, die zwischen diesen polarisierten Gruppen stehen und weder der einen noch der anderen Seite zugehören wollen, aber natürlich schon zweifeln und ihre Fragen haben. Das ist mein Punkt: Da gibt es ein Vakuum."
Meine Sicht: Liefers lässt eine ganz wichtige Gruppe aus: Diejenigen, die durchaus nicht "alles unterstützen, was die Regierung macht", sondern manches unterstützen und scharf kritisieren, dass sie nicht weit genug gehe. Nicht zuletzt daher kommt es zum Auseinanderdriften der Gesellschaft, zum Verlust des Konsens.
Jens Spahn: "Wenn Dinge nicht mehr ausgesprochen werden aus Angst, von den Extremen Beifall zu bekommen, geht der demokratische Diskurs kaputt. Diese Hysterie in der Debatte, die häufig durch soziale Medien befeuert wird, schadet mehr, als sie nutzt. Seit ich den Twitter-Account von meinem privaten Handy gelöscht habe, geht es mir jedenfalls viel besser."
"ZEIT: Letzte Frage an Sie beide: Die Notfallmedizinerin Carola Holzner hat als Reaktion
auf #allesdichtmachen die Kampagne "alle mal ne Schicht machen" ins Leben gerufen: eine Aufforderung, sich mal in ihrer Klinik auf der Intensivstation anzuschauen, wie die
Mediziner und Pflegekräfte dort arbeiten. Würden Sie da eine Schicht machen?
Liefers: Ich habe mich schon angemeldet.
Spahn: Ich habe erst vorletzten Sonntag eine Intensivstation in Köln besucht, der Austausch
mit Pflegekräften, Intensivpflegekräften, Ärztinnen und Ärzten gehört zu meinem Alltag."
Tweets:
Meine beste Freundin wurde Donnerstag positiv auf Corona getestet. Die Liste mit engen Kontakten hat meine Freundin Donnerstag per Mail ans Gesundheitsamt geschickt. Eben wurde sie angerufen. Man könne den Anhang nicht öffnen, sie soll die Liste bitte nochmal per POST schicken. Meanwhile musste ihr Freund (enge Kontaktperson mit starken Symptomen & hohem Fieber) seinen PCR Test selbst zahlen (90€) weil es laut Arzt keinen Grund für einen Test gibt. Er ist positiv. 🙃
So bekommen wir diese Pandemie nie in den Griff.
Sie hat als sie Symptome hatte zuerst einen Schnelltest gemacht, der Positiv war. Dann beim Gesundheitsamt angerufen. Die Dame so: Sie können ruhig mit der Bahn zum Arzt fahren für den PCR - Test, ist nicht so schlimm, Schnelltests sind nicht so erst zu nehmen.
Wie geht es weiter?