Warum Kinder in den Sommerferien nachsitzen müssen
"Digitaler Unterricht hat versagt. Eltern und Kinder müssen nun den Stoff in den Ferien nachholen – wenn sie können. Viele haben das Vertrauen in das Schulsystem verloren." Von Caroline Rosales Die ZEIT 23. Juni 2021 "[...] Was Millionen Eltern in den vergangenen Monaten im coronabedingten Distanzunterricht längst ahnten, ist nun ausgewertet worden und damit offiziell. Laut einer Studie der Frankfurter Goethe-Universität stagnierten die Leistungen von Schülerinnen und Schülern komplett. Der Lerneffekt in dieser Zeit sei mit dem von sechs Wochen Sommerferien gleichzusetzen, er liege bei "nahezu null". [...]"
[...] Auch der bereits Anfang März veröffentlichte Familienbericht des Bundesfamilienministeriums legt nahe: Wer Zeit hat, mit seinem Kind zu lernen, kann dessen Bildungs- und Aufstiegschancen aktiv verbessern. "In Deutschland sind Bildungserfolge seit jeher eng mit der sozialen Herkunft der Eltern verknüpft", heißt es darin. Diese Bildungsungerechtigkeit könne normalerweise eine egalitäre Schulbildung auffangen. Die Teilnahme an Ganztagsschulen kann laut Familienbericht sogar zu "erwarteten Leistungssteigerungen und einer Kompensation von Bildungsungleichheiten" führen. [...]"
Soweit meine Auszüge aus dem angegebenen ZEIT-Artikel.
Bei ntv (21.6.21) heißt es über dieselbe Studie:
"Besonders stark seien Kompetenzeinbußen bei Kindern und Jugendlichen aus sozial schwachen Elternhäusern. "Hiermit sind die bisherigen Vermutungen durch empirische Evidenz belegt: Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich während der ersten Corona-bedingten Schulschließungen noch weiter geöffnet", schlussfolgerte Frey. Allerdings gebe es auch erste Anhaltspunkte dafür, dass die Effekte der späteren Schulschließungen ab Winter nicht zwangsläufig ebenso drastisch ausfallen müssen: Inzwischen habe sich die Online-Lehre vielerorts verbessert." (Hervorhebung von Fontanefan)
Meine persönlichen Quellen bieten ein anderes Bild: So ein ausführlicherer Artikel in der Druckausgabe der ZEIT, die Aussagen von Lehrerbloggern über ihre Unterrichtserfahrungen, Berichte und Umfragen im "Twitterlehrerzimmer", Berichte aus meiner ehemaligen Schule, Berichte von Eltern und Lehrer*innen (kurz: LuL) aus meinem persönlichen Umfeld (stark lehrerlastig).
Völlige Übereinstimmung in folgenden Aussagen: Ein Großteil der LuL war auf Distanzunterricht (über Internet) unzureichend vorbereitet, und die Schere zwischen den Schüler*innen (kurz: SuS), die von zu Hause schon vorschulisch stark gefördert worden sind, die mit Geräten versorgt und mit ihrem Umgang vertraut sind und denen. die die häusliche Förderung fehlte (und für die wegen des Lockdowns ehrenamtliche Hausaufgabenhilfe fortfiel) hat sich enorm aufgetan.
Was - nicht nur von mir - sofort als unbedingt erforderlich erschien: den Präsenzunterricht in kleinen Gruppen ganz auf die benachteiligten SuS zu konzentrieren, um die Lücken für diese Gruppe möglichst gering zu halten (und womöglich ein wenig zu verringern), hat meiner Kenntnis nach so gut wie gar nicht stattgefunden.
Stark verkürzt kommt das in einer Twitteranekdote zum Ausdruck:
"k[ind]1:
Mama, der X nennt mich und meinen Freund Streber.
me: oh...war das
doof für Dich?
k1: nein. ich hab ihm gesagt, dass ich kein Streber
bin sondern ein Nerd und dass Nerds die Zukunft erfinden."
[Quelle: Hafensängerin]
Dagegen halte ich folgende Passage aus dem oben genannten ZEIT-Artikel für wenig glaubwürdig:
"Er ist fünf Kilo schwer, 30 Zentimeter hoch – der Stapel, der erst mir und dann meinem neunjährigen Sohn die Tränen in die Augen treibt. Als wir Mathearbeitsbücher und Übungshefte aufschlagen, auf dem Boden des Kinderzimmers, wird es mit jeder Seite stiller in uns. Unbearbeitete leere Blätter, Arbeitsseiten halb ausgefüllt, mit falschen Ergebnissen. Meine Fassungslosigkeit nimmt zu, ich blättere schneller. Mein Sohn sieht mich panisch an. An diesem Tag mussten alle Kinder der dritten Klasse ihre Mathesachen des ganzen Schuljahres nach Hause bringen. Hefte, die ich teilweise noch nie gesehen habe. Mein neunjähriger Sohn hat ein Jahr Mathe verpasst. "Das musst du nachholen. In den Ferien", sage ich leise. "Ich weiß", sagt er. Wir weinen beide." (Warum Kinder in den Sommerferien nachsitzen müssen - Hervorhebung von Fontanefan)
Es gibt zwar solche Helikopter Eltern, aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie in der ZEIT schreiben und nicht wissen, wie leicht versäumter Schulstoff nachzuholen ist, wenn es gelingt, ein Kind zu motivieren, das ist doch zu unwahrscheinlich.
Bekanntlich haben die Kurzschuljahre keine Bildungskrise ausgelöst.
Dennoch ist klar, dass mit wenigen Ausnahmen Grundschüler im Distanzunterricht schlechter lernen als im Präsenzunterricht, während in der Mittel- und Oberstufe viele Schüler davon profitieren, wenn sie in ihrem eigenen Lerntempo arbeiten können.