Wenn man allgemein über deutsche Literatur und deutsche Philosophie spricht, sollte man die Rolle Büchners und Wittgensteins gewiss nicht übergehen. Die Kenntnis ihrer Schriften ist allerdings sicher nicht grundlegend für Bildung, sondern gehört nur zur Allgemeinbildung.
Dies möchte ich meinem folgenden Plädoyer vorausschicken. Entstanden ist es, weil auf gutefrage.net Folgendes über die Einschätzung einer 11.Klasse über die Rolle Kants folgendes mitgeteilt wurde: "alle in der Klassengruppe sagen, er hat nichts mit Ethik zu tun, sondern mit Deutsch".
Dieser Mangel an Allgemeinbildung erschreckte mich so, dass ich über deutsche Philosophie und Literatur geschrieben habe, als wären Hegel und Schiller selbstverständlich wichtiger als Wittgenstein und Büchner. An der Europäischen Schule Culham habe ich erfahren, dass in Italien Allgemeinbildung offenbar weit wichtiger genommen wird als in Deutschland. Wenigstens wurde in Italienisch als Muttersprache Herder behandelt, während ich ihn im deutschen Muttersprachenunterricht übergangen hatte.
Jetzt mein Text zur Rolle Kants in Ethik und Literatur:
Eine der drei großen Kritiken Kants bezieht sich nur auf Ethik: Die Kritik der praktischen Vernunft. In ihr hat er auch seinen berühmten kategorischen Imperativ formuliert. Schon drei Jahre zuvor hatte er sein leichter zu lesende Grundlegung zur der Metaphysik der Sitten verfasst.
Beide Schriften gehören zu den wichtigsten Schriften der ethischen Philosophie überhaupt.
Kant gilt weithin als der bedeutendste deutsche Philosoph, aber hinsichtlich der Wirkung auf das praktische Leben kann man Hegel und vor allem Marx natürlich als wirkungsvoller verstehen.
Philosophieunterricht ohne die Behandlung von Kant wäre schier undenkbar. Mit Deutsch hat er nur insofern zu tun, als er deutscher Philosoph war, als er in seinen Hauptwerken ein schwer verständliches Deutsch geschrieben hat und dass seine Schrift "Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?" die brillanteste und sehr gut zu verstehende Schrift über die Aufklärung ist. Die Aufklärung hat zwar nicht viel zur deutschen Literatur beigetragen, aber eine wesentliche Grundlage für die Weimarer Klassik geschaffen, die Periode, in der die deutsche Literatur ihre höchste Weltgeltung hatte.
Wenn man kurz festhalten wollte, welche Autoren für die deutsche Literatur die größte Rolle spielten, wären vor allem die Namen Goethe, Schiller und Shakespeare zu nennen (letzterer, weil Goethes und Schillers Werke, aber auch die vieler anderer deutsche Autoren der Zeit entscheidend von Shakespeare beeinflusst wurden), für die Philosophie wären Kant, Hegel und Marx zu nennen. Dabei waren Schelling und Fichte für die Philosophie für die Philosophie im engeren Sinne zwar einflussreicher als Marx, aber keinesfalls vergleichbar in ihrer Weltbedeutung.
Ich hätte nicht erwartet, dass Fragen der Allgemeinbildung mir einmal so wichtig werden würden, dass ich so klischeehaft über Literatur und Philosophie schreiben würde. Ist Allgemeinbildung wichtig genug für den Bildungsgang, dass eine solche Betonung noch gerechtfertigt ist?