13.2.25

Honeckers Hofdichter aus Köln?


 

André Müller sen.:
Shakespeare ohne Geheimnis, Leipzig: Philipp Reclam jun. 1980, mit einem Vorwort von Peter Hacks

Oder: Der realsozialistische Hamlet.

Wikipedia: "André Müller sen. gilt als Shakespeare-Spezialist. Mit einer unakademischen Herangehensweise interpretiert er Shakespeare-Stücke der elisabethanischen und der jakobäischen Zeit völlig neu.[2] Müllers Methode ist es, die seiner Meinung nach im Text verborgenen gesellschaftlichen Hintergründe verständlich zu machen. Damit legt er übersehene, unterbewertete, vergessene oder auch zugeschüttete Bedeutungsschichten frei, was zu verblüffenden Einsichten in die Welt Shakespeares, seiner Figuren, aber auch des künstlerischen Schaffensprozesses führt. Müller betont: „Die aufgezeigten Vorgänge und ihre Bedeutung können nur die Grundlage bilden, auf der die Poesie ihre eigentümliche Schönheit entfalten muss“. Sein hermeneutisches Shakespeare-Verständnis ist autorzentriert und geprägt durch den Einfluss der marxistischen Literaturwissenschaft sowie durch Brechts Shakespeare-Rezeption.

Peter Hacks schrieb hierzu: „Der Vorteil von André Müllers Methode liegt in ihrer Beweiskraft. Er spricht nicht: soundso interpretiere ich den Hamlet, er spricht: das und das steht drin. Sorgfalt, die Tugend der Dummköpfe, erweist sich bei diesem denkenden Mann als ein Hilfsmittel von unschätzbarem Wert. Es kommt an den Tag, dass Shakespeare selber Ideen hatte und deren der Ausleger vielleicht so sehr nicht bedarf.“ In der Shakespeareforschung bleiben Müllers Interpretationen umstritten, da er nicht die Originaltexte berücksichtigt, sondern sich in der Interpretation ausschließlich auf deutsche Übersetzungen stützt. Als problematisch wird die Fokussierung auf politisch-soziologische Aspekte in den Dramen empfunden.[3]"

Die vorliegende Ausgabe mit dem Preis von 2,50 MDN kann als historisch gelten, 

denn mit 381 Seiten war sie sicher preiswerter als ein dünnes westliches 

Reclamheft.

Behandelt sind Hamlet, Richard II., Der Kaufmann von Venedig, Maß für Maß

Was ihr wollt, Wie es euch gefällt, Ein Sommernachtstraum, Der Sturm.




























Peter Hacks "begründete in den 1960er Jahren die „sozialistische Klassik“ und gilt als einer der bedeutendsten Dramatiker der DDR. Dort war Hacks neben Heiner MüllerUlrich Plenzdorf und Rudi Strahl ein Bühnenautor, dessen Stücke auch in der Bundesrepublik Deutschland gespielt wurden. Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe war sein größter Erfolg."

Die beiden Fotos sind durchaus als Werbung für die damals übliche Subvention von Bildungsgütern gedacht. Sie können aber auch entfernt werden, wenn irgendwelche Copyrightgründe ihrer Veröffentlichung entgegenstehen.
Dass Hacks Shakespeare zugesteht, dass er "selber Ideen hatte", erstaunt zunächst,
doch da Müller dem Leser anhand einer deutschen Übersetzung klarzumachen 
versucht, was Shakespeare selbst gemeint hat und was durch Interpretationen nur verdunkelt werde, scheint der Hinweis nicht überflüssig. 
Ich für mein Teil empfinde Müllers Interpretation besonders beim Sommernachtstraum sehr hilfreich, weil der bloße Text meine Einbildungskraft überfordert. 
Dass die Interpretation von einer heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Geschichtsauffassung begleitet wird, macht die Lektüre noch anregender. 
Zu danken ist den Betreibern von Austauschbücherregalen, dass so nach der Vernichtung von Millionen Zeugnissen der DDR-Bemühungen um die Bewahrung "klassischen" Erbes wenigstens etwas auch den Normallesern zugänglich wird. 

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