27.11.09

Internetkultur

Geert Lovink: Dark Fiber. Auf den Spuren einer kritischen Internetkultur (Copyright engl. 2001, dt. 2003, jetzt bei der Bundeszentrale für politische Bildung) will "die blinden Flecken der noch herrschenden cyberlibertären Ideologie" aufdecken. Lovink ist ein Insider und selbst 1993 maßgeblich am Aufbau der Digitalen Stadt Amsterdam beteiligt gewesen. Seine Darstellung mäßigt den Optimismus, der in John Gilmores Ausspruch zusammengefasst ist, das Internet "behandelt Zensur als Funktionsstörung und umgeht sie".
Bei Zensur denkt er freilich noch nicht an Administratoren der Wikipedia, denn als er seine Aufsätze schrieb, gab es noch keine Wikipedia, und selbst als das Buchg herauskam, steckte sie noch in den Kinderschuhen.
Vielmehr berichtet Lovink in Fallstudien von Die Digitale Stadt (DDS) und der Mailingliste Nettime aus der Zeit der Entstehung des Internet und vor seiner Kommerzialisierung. Die Digitale Stadt war ein Stadtnetz für Amsterdam (und die weitere Umgebung), an das schon in den achtziger Jahren nahezu alle Amsterdamer Haushalte angeschlossen waren und in dem eine von Bürgern eigenständig entwickelte Netzkultur entstand und von Koordinatoren gefördert wurde. Die Mailingliste Nettime wollte die Vorherrschaft der 1993 gegründeten Zeitschrift Wired bei der Diskussion von Netzproblemen aufbrechen.
Lovink weit auf die Probleme hin, die jedes offene Internetforum hat: Rauschen (eine Fülle relativ nichtssagender Beiträge) und Flame-War (Hassdiskussionen). Faszinierend zu lesen, wie diese Probleme vor der Entstehung von Wikipedia gesehen wurden und daraus darauf zu schließen, was Wikipedia auf diesem Feld gelungen ist: Große Ordnung und Möglichkeit, das Rauschen zu vermeiden, und eine Diskussionskultur, die beleidigende Äußerungen in Grenzen hält (freilich oft recht weit gesteckten Grenzen). Die Gefahr, dass solche Moderierung die Offenheit und Lebendigkeit der Arbeit gefährdet, war freilich in der Wikipedia schon lange sichtbar und ist mit der "Wikipedia-Zensurdebatte" auch einer etwas breiteren Öffentlichkeit bewusst geworden.
Das Buch ist eine Sammlung von Arbeiten, die weitgehend in den 90er Jahren entstanden sind.
In einem Aufsatz stellt er XTime, etoy.TIMEZONE und InternetTime von Swatch vor.

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