19.12.09

Deines Geistes hab ich einen Hauch verspürt

Der Text wird von Uhland, Sophokles, Schiller (Bürgschaft), Böll, der RAF und den Braunmühlbrüdern handeln.

Was führt König Heinrich II. von England dazu, dass er nach diesen Anfangsworten

"Kamst du, der mit Schwert und Liedern
Aufruhr trug von Ort zu Ort,
Der die Kinder aufgewiegelt
Gegen ihres Vaters Wort?

Steht vor mir, der sich gerühmet
In vermeßner Prahlerei:
Daß ihm nie mehr als die Hälfte
Seines Geistes nötig sei?
Nun der halbe dich nicht rettet,
Ruf den ganzen doch herbei,
Daß er neu dein Schloß dir baue,
Deine Ketten brech entzwei!"

so schließt:

"Meinen Sohn hast du verführt,
Hast der Tochter Herz verzaubert,
Hast auch meines nun gerührt.
Nimm die Hand, du Freund des Toten!
Die, verzeihend, ihm gebührt.
Weg die Fesseln! Deines Geistes
Hab ich einen Hauch verspürt."

Bertran de Born schildert zunächst nur noch einmal, wie er den Aufruhr gegen den König geschürt hat. Wahrlich kein Grund, ihm zu verzeihen. (Dante verbannt Bertran deshalb in seiner Göttlichen Komödie sogar ins Inferno.) Doch dann berichtet Bertrand über den Sohn des Königs:
"Nicht der scharfe, kalte Stahl -
Daß er sterb in deinem Fluche,
Das war seines Sterbens Qual.
Strecken wollt er dir die Rechte
Über Meer, Gebirg und Tal,
Als er deine nicht erreichet,
Drückt er meine noch einmal."

Der König ist betroffen darüber, dass der Konflikt noch über den Tod hinaus andauert, und will im Nachhinein die Hand zur Versöhnung reichen.
Der Konflikt mit seinem Sohne war einer um Macht. Doch fühlt er sich demselben Wertekanon zugehörig. In der Antigone des Sophokles wird dieser gemeinsame Kanon durch das göttliche Gebot, Tote zu begraben, angedeutet, ein Gebot, dem sich Kreon widersetzt, was zum Untergang seiner Familie führt.
In Schillers Bürgschaft zeigt sich der gemeinsame Kanon zwischen Tyrann und Verschwörern darin, dass der König dem Attentäter noch die Möglichkeit gibt, seine Schwester zu verheiraten. Und der Opfermut der Freundschaft bringt ihn dann dazu, sogar mit den Attentätern Freundschaft schließen zu wollen, mit den berühmten Schlussworten: "Ich sei, gewährt mit die Bitte, in eurem Bunde der dritte!"

Heinrich Böll wollte mit seiner Aufforderung, der Roten Armee Fraktion "freies Geleit" anzubieten, deren Angehörigen die Möglichkeit geben, von ihren Verirrungen zurückzufinden. Das war damals von seiten des Staates offensichtlich nicht möglich. Vielmehr war Böll daraufhin vielen häßlichen Angriffen als Terroristenfreund ausgesetzt.
Nach der Ermordung Gerolds von Braunmühl durch die RAF haben seine Brüder das getan, was dem Staat offenbar nicht möglich war. Sie haben den Dialog mit den Mördern ihres Bruders gesucht, um den Zwang, alle Bluttaten vor sich selbst rechtfertigen zu müssen, zu überwinden und die Täter wieder an einen gemeinsamen Konsens heranzuführen. Erst zwölf Jahre später gab die RAF ihren Kampf auf, aber nicht ihre Ideologie.

Schiller und Uhland beschreiben zurückversetzt in Antike und Mittelalter eine Utopie, die sie sich in ihrer Zeit bei den Auseinandersetzungen im Zuge der bürgerlichen Revolutionen erhofften. Doch zwischen den Ständen gab es diese Brücke nicht. Was zwischen Standesgenossen verschiedener Nationen im Mittelalter noch möglich war, ist in Zeiten ideologischer Auseinandersetzungen meist nicht möglich, auch wenn das Instrument der Begnadigung, das im Absolutismus entstand, im Einzelfall doch in diesem Sinne wirksam sein mag.
In Südafrika ist nach der Apartheid in den Wahrheits- und Versöhnungskommissionen aber in erstaunlichem Umfang so etwas wie Versöhnung zustande gekommen. Dagegen stehen dem Weg von Matthias Platzeck, in Brandenburg 20 Jahre nach dem Mauerfall einen ähnlichen Weg zu gehen, erhebliche Hindernisse gegenüber.

Zu Schiller:
Gefragt, welches Werk sie zum Einstieg in Schillers Werke (oder überhaupt) zum Lesen empfehlen würden: antworteten: Diekmann: Der Geisterseher, Felicitas Hoppe: Der Handschuh, Frau Lewitscharoff: Don Carlos.
Minirätsel: Welches Gedicht und welches Drama empfahl Safranski?
(dies und dies)

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