Soeben habe ich "Der Preis der Freiheit. Geschichte Europas in unserer Zeit" von Andreas Wirsching durchgelesen. Ich werde versuchen, einige besonders bemerkenswerte Aussagen daraus vorzustellen. Vorerst verweise ich auf Wehlers Rezension in der FAZ und die weiteren Informationen bei perlentaucher.de.
Meine erste Kurzzusammenfassung stützt sich auf Wirschings eigene. Er meint, die politischen Akteure seien gegenwärtig auf die Meistererzählung "Europa auf dem Weg zu Fortschritt und Freiheit" angewiesen "um sich selbst zu legitimieren" und "um nicht an der Dauerkrise [...] zu verzweifeln" (S.409)
Europa habe keine Alternative als die bisher von ihm entwickelten Instrumente, um die Krise abzuwehren. Insofern bestehe eine "Pfadabhängigkeit". Dieser einmal beschrittene Weg habe in jeder Krise zu mehr Konvergenz geführt. "Die Krise Europas besteht in seinem Zusammenwachsen." (S.409)
Als Vorgeschmack auf Einzelaussagen Wirschings zitiere ich zunächst nur eine:
"Um zu erkennen, daß eine führende Produktivkraft wie "Wissen" rasch vom Kapital angesogen und seinem Verwertungsinteresse unterworfen wird, braucht man kein Marxist zu sein." (S.255)
Der Begriff der Pfadabhängigkeit scheint mir nützlich zum Verständnis der gegenwärtigen Krise.
Vermutlich wäre es für Griechenland und die anderen Euroländer besser gewesen, wenn Griechenland nicht in den Euroraum aufgenommen worden wäre, bevor nicht Reformen es konkurrenzfähiger gemacht hätten. Nachdem es aufgenommen worden ist, ist ein Ausscheiden Griechenlands extrem aufwändig.
Vielleicht hätten andere Wege als die Rettungsschirme gewählt werden können, um den griechische Wirtschaft und die in Griechenland engagierten Banken aus der Klemme zu helfen. Nachdem man den Kurs Rettungsschirme gewählt hat, ist es extrem schwer, umzusteuern. Denn das bedeutete ja, dass die Politiker der Meinung wären, dass Rettungsschirme der falsche Weg waren, und das würde alle Spekulanten veranlassen, gegen die Schirme zu spekulieren.
Der Begriff hilft aber auch, zu verstehen, woher die handelnden Politiker und Wirsching den Optimismus nehmen, dass Europa mit der Krise fertig wird.
Es mag viele Gründe geben, weshalb Politiker, manche Parteien und ganze Staaten gegen die gegenwärtig eingeschlagene Richtung der Europapolitik sind. So lange ihnen der Weg zurück entbehrungsreicher erscheint, werden sie lieber auf Souveränitätsrechte verzichten und mehr Zusammenarbeit zulassen ("Fiskalunion"), als diesen harten Weg zu gehen.
Zum Vergleich kann man Bismarcks Wort von 1867 heranziehen: "Setzen wir Deutschland in den Sattel! Reiten wird es schon können."
Es ritt dann in zwei Weltkriege, geteilt aus dem zweiten heraus und nun vereint in die Eurokrise. Reiten kann es offenbar, und der gegenwärtige Pfad ist besser als der von 1933. Der von 1957 war bestimmt nicht schlecht, ob der gegenwärtige der bestmögliche ist, darüber darf noch gestritten werden.
Der hessische FDP-Europaminister Jörg-Uwe Hahn fordert jedenfalls eine "Verschnaufpause" vor noch mehr Integration.
Angela Merkel hat mit ihrer Zurücknahme des Ausstiegs aus dem Atomausstieg bewiesen, dass sie zu Kursänderungen imstande ist.
Freilich, Europa reitet bekanntlich auf einem griechischen Gott. Ob Merkel auch den zu lenken vermag, muss sie erst noch beweisen. ;-)
8.7.12
Europa in der Krise
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