29.7.13

Notengebung

Jeder Versuch, objektive Kriterien für Notengebung zu gewinnen, wird um einen erheblichen Ermessensspielraum nicht ausschließen können, soweit es nicht um standardisierte Tests geht. Meine Erfahrungen beruhen auf dem hessischen und dem baden-württembergischen System und dem der Europäischen Schulen  (mit Erst-, Zweit- und Drittkorrektor innerhalb einer Schule, eines Landes und länderübergreifend).
Als ich von Deutschland ins System der Europäischen Schulen kam, setzte der Zweitkorrektor ca. 70% meiner schriftlichen Deutschnoten um eine Note herauf. In mindestens einem Fall wurde die Note sogar von 3 auf 1 heraufgesetzt.
Bei meinem letzten Europäischen Abitur wurde eine 1, die ich gegeben hatte, durch Zweit- und Drittprüfer in eine 4/5 umgewandelt. Dieselbe Schülerin wurde übrigens im mündlichen Abitur vom externen Prüfer mit 2 bewertet.
Als ich in das deutsche System zurückkam, schockte ich eine Schülerin  in der ersten Deutscharbeit mit einer 3+ (entspricht 9 Punkten), die nachher ein Abitur mit einem Schnitt von 1,0 hinlegte. (Sie war mir übrigens sehr sympathisch, und ich war bald mit der Familie befreundet.) 
Wenn man glaubt, das gäbe es nur in Deutsch, so ein anderer Fall.

Mathematiklehrer einigten sich nach ausführlicher Diskussion auf einheitliche Bewertungskriterien. Danach wurde ihnen eine anonyme Arbeit vorgelegt. Die Bewertungen schwankten zwischen 2 und 5.

Nach diesen Erfahrungen habe ich mir gesagt: Jede (!) Arbeit, die ich mit bestem Wissen und Gewissen bewertet habe, kann zu Recht einen Punkt besser und einen Punkt schlechter bewertet werden.

Freilich, wenn ein(e) Schüler(in) in der schriftlichen Prüfung mit 13 Punkten bewertet wird, diese Arbeit vom Zweitprüfer mit 9 Punkten beurteilt wird und in der deshalb erforderlich gewordenen Prüfung sie so glänzend vorträgt und Zusatzfragen so gut beantwortet, dass die meisten Anwesenden der Meinung sind, noch nie eine so gute Prüfung in dem Fach gesehen zu haben, dann sind ihr die 9 Punkte wohl nicht gerecht geworden.
Eine Abweichung um einen (!) Punkt (von 15) liegt m.E. eindeutig im Bereich der Abweichung, die kein menschliches Bewertungssystem ausschließen kann.
Ich darf das sagen, denn ich bin pensioniert und aus Hessen und musste nie Notenentscheidungen aufgrund von Hundertsteln von Punkten innerhalb der Jahresdurchschnittenote fällen.

Dass man einen IQ punktgenau festlegen kann, ist etwas anderes. Da gilt nur: IQ ist das, was der Test misst. - Ein Physiker, der bei IQ-Test mit 85 abschnitt, konstruierte daraufhin einen anderen, der mit dem anderen weitestgehend korrelierte, ihm selbst aber ein Ergebnis von über 110 brachte. (Das habe ich freilich nur gelesen, ist vielleicht eine "Spinne in der Yuccapalme", eine moderne Sage.)

24.7.13

Einsatz von Sozialen Netzwerken durch Lehrer in Baden-Württemberg

Der Einsatz von "Sozialen Netzwerken" an Schulen
Handreichung des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg zum Einsatz von „Sozialen Netzwerken“ an Schulen.

Dass in Sozialen Netzwerken keine personenbezogenen Daten von Schülern verarbeitet werden sollen, scheint mir aus datenschutzrechtlichen Gründen sinnvoll. Merkwürdig wird es, wenn über soziale Netzwerke keine Unterrichtsmaterialien ausgetauscht werden sollen.
Dass mithilfe von 140 Zeichen bei Twitter keine Tests und Arbeitsblätter ausgetauscht werden können, versteht sich von selbst. Wenn aber auch keine Informationen über den Fundort von Unterrichtsmaterialien ausgetauscht werden dürfen, dann wird die Nutzung von Twitter zumindest für Politiklehrer obsolet. Denn wie will man privat politische Informationen austauschen, ohne in Gefahr zu geraten, damit auch mögliches Unterrichtsmaterial auszutauschen? Wenn man aber das soziale Netzwerk weder für schulische noch für nahe liegende private Zwecke nutzen darf, woher soll man dann die Informationen beziehen, die einen befähigen, über Nutzen und Gefahren der sozialen Netzwerke zu unterrichten und dabei glaubwürdig zu sein?

Nach allem, was ich beobachte und mir sagen lasse, gehen viele Erwachsene, also auch Lehrer, sträflich leichtsinnig mit privaten Informationen, gelegentlich wohl auch über Schüler, um. Ein generelles Verbot des beruflichen Umgangs mit sozialen Netzwerken bei gleichzeitiger Verpflichtung, über sie zu unterrichten, scheint mir doch ein arger Schildbürgerstreich.

Entmündigung des Bürgers allenthalben: Lass dich unbesorgt ausspähen und deine verschlüsselten Mails entschlüsseln lassen, aber hüte dich, dir ein eigenes Urteil zu bilden über Gegentände, zu denen du Unterricht halten sollst.

Zur Situation in anderen Bundesländern sieh Soziale Medien in Schulen: Länder verordnen Lehrern Facebook-Schranken Spiegel online, 24.7.13



20.7.13

Wikiversity-Treffen in Limburg vom 19./20.7.13

Das Wikiversity-Treffen war das erste seiner Art in der rund acht Jahre langen Geschichte der Wikiversity, und es führte Leute zusammen, die ganz unterschiedliche Erfahrungen mit der Wikiversity gemacht hatten.
Zum einen gibt es die Administratoren, die das Scheitern der ersten gewaltigen Planungen erlebten, dann einen Professor, der seit Jahren seine Vorlesungen und Übungen öffentlich in der Wikiversity dokumentiert, dann den Informatiker, der erlebte, wie ein Kurs der Schülerakademie dadurch, dass er in der Wikiversity stattfand, einen ganz besonderen Flow erzeugte, der auf das schulische und private Umfeld der Schüler ausstrahlte, schließlich gibt es ganz viele, die ein Interesse an der Wikiversity haben, gerade weil sie nicht eine online-Universität sein will, sondern eine online-Bildungsstätte, die ganz unterschiedlichen Kursen Raum bietet, so lange sie dem einen Ziel dienen, die Erstellung freier Bildungsmaterialien zu fördern.
Dazu gehören Vertreter der Wikimedia Deutschland, Organisatoren der WikimediaCommons und Leute, die an anderen Institutionen arbeiten, die freie Bildungsmaterialien erstellen wie z.B. serlo.org und ZUM-Wiki.

Das ermöglichte einen ganz vielseitigen Blick auf die gegenwärtige Situation der Wikiversity und ihre Möglichkeiten.

Bericht (Folien) von Holger Brenner über die Dokumentation seiner Mathematikvorlesungen in der Wikiversity:
Einführende Mathematikvorlesungen haben von der Sache her weitgehende Übereinstimmungen. (z.B. Aufgaben, Definitionen, Beweise) Jede einzelne Vorlesung ist sehr arbeitsaufwändig. Die Dokumentation einer Vorlesung könnte die Vorbereitung erleichtern.
Seine Anfangsinvestition in die Erstellung seiner (semantischen) Vorlagen war hoch, weil er die Möglichkeit der Konvertierung in LaTeX vorsah. Jetzt ist sie für ihn aber nicht mehr aufwändiger, als sie auf einer anderen Plattform als Wikiversity wäre.

Bericht von René Pickhardt:
René ist nicht gelernter Pädagoge, sondern promoviert gegenwärtig in Web Science an der Uni Koblenz.
Als solcher hat er wiederholt Schülerakademiekurse abgehalten. Dazu gehören jeweils 16 Schüler und 2 Leiter. Weil die Kurse für hochbegabte Schüler eingerichtet sind, ist eine ständige Überforderung eingeplant. Die Kursleiter können das Kursthema frei wählen. 
Bei Themen zum Bereich Internet kamen die Inhalte weitgehend aus der Wikipedia, weil nur dort zu allen Bereichen des Internets aktuelle Informationen zu finden sind. So entschied sich René nach einigen Kursen, diesmal einen in der Wikiversity zu halten.
Dokumentation seines Kurses in der Wikiversity

17.7.13

"Neue Lernkultur" oder neues "Marketing"?

Mit einer "neuen Lernkultur" soll in Baden-Württemberg "individuelle Potenzialentfaltung" erreicht werden.

Matthias Burchardt und Jochen Krautz kritisieren daran in der FAZ vom 10.05.2013, Nr. 107, S. 7
So entlarven sich die Leitbegriffe der Reform "Gemeinschaft" und "Individualisierung" als Marketingvokabeln: Zwar werden Kinder mit verschiedenen Fähigkeiten und Bedürfnissen in einem Raum zusammengefasst, doch bildet sich daraus keine Gemeinschaft, denn sie werden zu vereinzelten Lernplanbewältigern isoliert. "Individuell" ist nur das Tempo und die Reihenfolge, in der die normierten Lernpakete abgearbeitet werden. Vor dem Kompetenzraster sind alle Schüler gleich wenig individuell.
Herr Rau kommentiert das "Wenigstens ist aus dem Lehrer als Lernbegleiter ein bisschen die Luft rausgelassen worden, nachdem dessen Galleonsfigur Peter Fratton aufgehört hat".

Die taz zitierte dazu am 24.9.2007 drei Finninnen:
 "Die Deutschen nehmen das alles so ernst, die sind auch in der Schule hart gegen sich selbst", sagen sie. Die Finninnen verraten ihr Rezept: "Gutes Lernen ist wie Sex. Entweder leidenschaftlich - oder mechanisch und ohne Gefühl."

Mein Eindruck ist, dass Individualisierung des Lernens über Spiele (vgl. den motivierenden Bericht von Leila Concetti) und Projekte sehr motivierend sein kann, dass aber viele SchülerInnen bei einer Lernbegleitung "an langer Leine" keine zureichenden Lernstrategien entwickeln.

11.7.13

Bloggen gegen Burnout

Eike Müller möchte eine Masterarbeit zu diesem Thema schreiben und bittet deshalb diesen Fragebogen für ihn auszufüllen.

Ich werde den Fragebogen nicht ausfüllen, da ich über 65 Jahre alt bin und insofern aus der mit dem Fragebogen angesprochenen Zielgruppe herausfalle.
Doch sage ich ganz unabhängig vom Fragebogen zu der Frage Folgendes:
Bei Wikipedia und ZUM-Wiki habe ich in der Tat mitgemacht, weil mir die Vorstellung gefiel, dass ich mich ohne Lehrplanbindung mit den Fragen beschäftigen konnte, für die ich mich gerade interessierte, und dass niemand das zu lesen brauchte, der es nicht wollte (ich also nicht zu motivieren brauchte), und dass es offenbar eine ganze Reihe interessierte Leser gab.
Beim Bloggen gefiel mir, dass die Publikationsform noch freier war und dass ich zu manchen Fragen von Schul- und Unterrichtsorganisation äußern konnte, ohne einen Dienstweg gehen zu müssen.

Gegen Burnout hätte das Bloggen sicher nichts geholfen, schon weil ich die Entwicklungslinie idealistische Begeisterung, frustrierende Erlebnisse und Desillusionierung  (vgl. Wikipedia) so nicht begangen habe.
Freilich:  frustrierende Erlebnisse, Desillusionierung und Phasen einer gewissen Apathie bringt wohl jedes Arbeitsleben mit sich. Und gegen diese drei kann öffentliches Schreiben durchaus helfen. 

Gegenwärtig hilft es etwas, sich zu der Verfolgungsjagd auf Snowden äußern zu können und Informationen etwas übersichtlicher als bei Wikipedia bereitzustellen.