27.11.14

Inklusion in NRW ein Kostensparprojekt?

Der „Rheinischen Post“ liegt ein Brief vor, in dem die Bezirksregierung Köln als Schulaufsichtsbehörde die Schulträger auffordert
dem gemeinsamen Unterricht generell zuzustimmen, um „Verwaltungsaufwand“ zu begrenzen.
Es geht dabei um die besonders förderungsbedürftige[n] Kinder der Bereiche Lernen, Sprache sowie emotionale und soziale Entwicklung. Schließlich, so heißt es in dem Brief, sei für diese Kinder „in der Regel zusätzliche sächliche oder personale Ausstattung nicht vonnöten“. (Wirtschaftswoche 27.11.14)
Zu beachten ist in den Berichten, wie positiv die Erfahrungen gesehen werden und wie viele zusätzliche Lehrerstunden eingeplant werden.

Hervorragende Ergebnisse bei Inklusion mit 8 Betreuern für eine Klasse mit unterschiedlichsten Handicaps in der Schule Berg Fidel in Münster (Youtube) [Inklusion – Revolution mit Ansage, Magazin Schule]

Wo auf die notwendigen Voraussetzungen für solchen Unterricht nicht geachtet wird, sieht es anders aus:
Bereits mehr als die Hälfte aller Schüler mit Förderbedarf lernen an Regelschulen. [...] Fragt man dort Lehrer nach Inklusion, so erzählen sie vom „ganz normalen Wahnsinn“. Jedenfalls wenn sie nicht gerade an einer Modellschule arbeiten. So kann der Inklusionsalltag auch aussehen: Ein todkranker Schüler erhält von der Mutter regelmäßig Infusionen im Kopierraum nebenan. Ein zweiter rastet gern aus. Ein dritter macht ständig nervtötende Geräusche mit dem Mund. Ein vierter ist Autist. Ein fünfter hat Eltern, die sich dauernd bei der Schulleitung beschweren, dass die Klasse im Stoff so weit hinterherhinkt. Verständlich, dass der Lehrer „komplett am Rad dreht“. Unter seinen restlichen Schülern haben zwei Legasthenie, mindestens einer ADHS. Die Kinder gibt es nämlich auch noch: die mit zum Teil erheblichen Problemen, aber ohne ausgewiesenen Förderbedarf.  (Inklusion – Revolution mit Ansage)

24.11.14

Lisa Rosa: Die Zukunft des Lernens: Sinnbildung im 21. Jahrhundert

Ich zitiere absichtlich zuerst das, wo ich unbedingt zustimme:
• Sinn ist nicht von außen gegeben, sondern wird intern erzeugt. Wer Depressionserfahrung hat, weiß sehr gut, was es heißt, nicht mehr in der Lage zu sein, Sinn zu erzeugen.
• Sinn ist nicht abstrakt und für alle gleich, sondern immer konkret und
persönlich. 
und:
Das Notwendige heute sind die 4 K:
• Kreativität
• Kritisches Denken
• Kommunikation
• Kollaboration 
Die ersten zwei Aussagen hat Lisa Rosa formuliert, Die 4 Ks, die Rosa zustimmend zitiert, stammen vom PISA-Koordinator Andreas Schleicher.

Jetzt ist hoffentlich Ihr Interesse an Rosas Vortag geweckt:

23.11.14

Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt

Bisher habe ich auf Fontanefans Schnipsel vor allem Zitate aus Osterhammels "Verwandlung der Welt", einem "Meilenstein der deutschsprachigen Geschichtsschreibung" (Andreas Eckert) gesammelt und werde es dort auch weiter tun. Nachdem ich inzwischen einen Eindruck von den ersten fünf Abschnitten des Werks gewonnen habe, möchte ich die vorliegenden Rezensionen (z.B. bei Perlentaucher) durch meine eigenen Eindrücke ergänzen.

Osterhammel setzt mit seinem Beispiel für weltgeschichtliche Betrachtung (wie vor ihm Bayly in "Die Geburt der modernen Welt", 2006) zu einem Zeitpunkt an, wo die Globalisierung schon so weit voran geschritten ist, dass die Menschheitsgeschichte schon starke und mehr und mehr weltweite Wirkungszusammenhänge erkennen lässt.
Dabei vermeidet er es sorgfältig, die Geschichte des 19. Jahrhunderts zu erzählen. Vielmehr geht er sie unter der Überschrift Annäherungen bewusst unter streng ausgewählten Aspekten an: zunächst unter dem des Selbstbildes der Zeit, dann unter dem der Kategorien Zeit und Raum.

Bei der Betrachtung des Selbstbildes und unter dem Zeitaspekt sieht er das 19. Jahrhundert immer in Bezug auf seine charakteristischen Unterschiede zu den früheren Jahrhunderten und auf die Wandlungen, die die Strukturen des 20. Jahrhunderts herbeiführten. Dafür kann der Satz "Vor dem 20. Jahrhundert kann kein einziges Jahr als epochal für die gesamte Menschheit betrachtet werden" als beispielhaft gelten. Das 19. Jahrhundert wird in die Kontinuität der vorhergehenden Jahrhunderte  gestellt und andererseits deutlich von dem Globalisierungsgrad des 20. abgehoben. 

Das gilt auch für seine Aussagen über den Raum. Sorgfältig achtet er darauf, dass uns geläufige Termini nicht ungeprüft als schon im 19. Jahrhundert gültig verwendet werden:
"Die Sammelbezeichnung 'Südostasien' entstand während des Ersten Weltkriegs in Japan." (S.137)"Die Kategorie des 'Westens' etwa [...] findet sich als dominante Denkfigur nicht vor den 1890er Jahren." (S.143)"Im langen 19. Jahrhundert war viel häufiger als vom 'Westen' von der 'zivilisierten Welt' die Rede. [...] In Japan wurde es sogar zum Ziel nationaler Politik, als zivilisiertes Land akzeptiert zu werden." (S.144)

Danach gibt Osterhammel unter der Überschrift Panoramen ohne Vollständigkeitsanspruch einen Überblick über acht große Wirklichkeitsbereiche, die wesentliche Elemente der Gesamtgeschichte des 19. Jahrhunderts erfassen sollen:
Sesshafte und Mobile
Lebensstandards
Städte
Frontiers
Imperien und Nationalstaaten
Mächtesysteme, Kriege, Internationalismen
Revolutionen
Staat

Die Panoramen durchaus nicht so klar gegliedert und ähnlich gleichwertig wie die Annäherungen. Vielmehr gibt es große Überschneidungen zwischen Lebensstandards  und Mobilität; denn während der Sklavenexport die Betroffenen in Lebensstandard und Lebensqualität meist auf Generationen zurückwarf, wurde die freiwillige Migration meist von Personen der Unterschicht gewählt, die hoffen durften, mittelfristig ihren Lebensstandard zu verbessern, auch wenn sie im Falle der Indentur zwischenzeitlich zu Arbeit ohne (oder zu nur sehr geringem) Lohn verpflichtet waren. 

(Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, 2009)

Zitate aus Jürgen Osterhammel "Verwandlung der Welt"

15.11.14

TTIP verhindert Ziele der schwarz-roten Koalition

Das Transatlantische Freihandelsabkommen trägt einerseits nichts zum Wirtschaftswachstum bei, andererseits würde es die schwarz-rote Koalition an der Verwirklichung ihrer festgeschriebenen politischen Ziele hindern.
Zu diesem Ergebnis kommt der wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestages.
Dazu berichtet Spiegel online am 14.11.14: Freihandelsabkommen hebelt deutsche Gen-Politik aus.

Inzwischen fragt sich, welche Ziele hinter dem TTIP stehen, wenn die öffentlich behaupteten (Wirtschaftswachstum) nicht gelten und die wahrscheinlichen Folgen der erklärten Politik widersprechen.
Was verschweigt die Bundesregierung?

14.11.14

Gibt es heutzutage keinen Kolonialismus mehr?

Nach dem 2. Weltkrieg wurden viele Staaten unabhängig. Besonders viele im Jahr 1960, dem Jahr Afrikas.
Ein Staat, der Mitglied der UNO ist, genießt den Schutz der Völkergemeinschaft. Es sieht einfach schlecht aus, wenn man ihn zur Kolonie machen will.
Es gibt aber noch Gebiete, die von einstigen Kolonialherren abhängig sind: Überseegebiete Frankreichs und Großbritanniens, z.B. die Falklandinseln, die Großbritannien noch 1982 in einem aufwändigen Krieg gegen Argentinien verteidigte, Militärstützpunkte Großbritanniens und der USA, z.B. Gibraltar und Guantanamo Bay Naval Base.
Schließlich finden auch gegenwärtig immer wieder Kämpfe um Einflusssphären weit jenseits der Grenzen des "Einflusslandes" statt. Man beachte die Rivalität der europäischen ehemaligen Kolonialstaaten, der USA und Chinas bei ihrem Kampf um Bodenschätze, Absatzmärkte und landwirtschaftliche Flächen in Afrika (Land Grabbing).
Weshalb wohl ist das Verhältnis zwischen USA, EU und Russland so schlecht geworden, als es darum ging, wer den entscheidenden Einfluss in der Ukraine bekommt? Gegenwärtig herrscht dort Krieg. Wäre es dazu auch gekommen, wenn nicht mehrere Länder die Ukraine für ihre Einflusssphäre bewahren bzw. gewinnen wollten?

13.11.14

Mehr Wachstum durch TTIP ist ein Märchen

Jetzt gesellt sich sogar schon die ZEIT den TTIP-Kritikern zu (12.11.2014) und zwar deshalb, weil offensichtlich wird, dass TTIP, die Transatlantische Freihandelszone, nicht das Wachstum der beteiligten Volkswirtschaften fördert, sondern nur die Gewinnmarge der beteiligten Unternehmen erhöhen wird, weil sie entgangene Gewinne bei den beteiligten Staaten einklagen können.

Mehr zum Thema

8.11.14

So wichtig sind Gewerkschaften

In Großbritannien liegt der Mindeststundenlohn bei (umgerechnet)
$ 10,24, in New York bei $ 8.-.

Verdient ein Zimmermädchen in London mehr oder weniger als eins in New York?

Die Antwort ist: Ein Zimmermädchen in London verdient im Durchschnitt ca.  (umgerechnet) $ 10,30 in New York 28,50. Wieso?
In London sind ca. 3% der Zimmermädchen in einer Gewerkschaft, in New York 70%.

Raten Sie mal, ob Londoner Hotels einen Streik fürchten, der von einer Zimmermädchengewerkschaft ausgerufen wird, und ob New Yorker Hotels Streiks einer Zimmermädchengewerkschaft fürchten.

Mehr dazu im Guardian:
Poverty pay isn’t inevitable., 8.9.2014

Ist vielleicht jemand der Ansicht, jetzt sei ihm klar, weshalb die Bahn sich weigert, mit der GDL in ernsthafte Verhandlungen einzusteigen?
Nur nicht voreilig! Seit die GDL Erfolge erzielt hat, ist auch Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), nicht mehr so handzahm wie ihre Vorgängerin Transnet, deren Vorsitzender die Privatisierung der Bahn unterstützte und dafür mit einem Managerposten bei der Bahn mit Millionengehalt belohnt wurde.

Aber es könnte schon sein, dass die 6 - 7 mal größere EVG mehr Schwierigkeiten hat, ihre Mitglieder für eine geschlossene Streikfront zu gewinnen als die GDL. Und bisher hat noch kein GDL-Vorsitzender einen Managerposten bei der Bahn angenommen.


5.11.14

Rentner und Pensionäre an der Universität

"Wir müssen draußen bleiben!"-Schilder sollten die Universitäten gewiss nicht aufhängen, um Senioren von der Uni fernzuhalten. So problematisch ist das Miteinander von vorberuflichen und nachberuflichen Studenten nicht. Aber kann man angesichts der Überfüllung der Universitäten wirklich ganz unbesorgt davon ausgehen, dass 1% Gasthörer eher beleben als stören?

Prof. Dr. Jörg Tremmel, Politikwissenschaftler an der Universität Tübingen mit Forschungsschwerpunkt Generationengerechtigkeit, vertritt eine andere Meinung: "Die Hochschulen müssen sich auf die Ausbildung der jungen Erststudierenden konzentrieren. Sie vor allem müssen gute Studienbedingungen vorfinden." Und: Wer im Alter noch studieren wolle – sei es regulär oder als Gaststudent –, solle dafür auch eine der Leistung angemessene Gebühr zahlen. Tremmel rechnet in seiner Studie mit dem Titel "Generationengerechte und nachhaltige Bildungspolitik" vor: Seniorenstudierende, die in den meisten Fällen bereits Rentner sind und keiner steuerpflichtigen Tätigkeit mehr nachgehen, geben dem Staat deutlich weniger von dem über die Hochschulen in sie investierten Geld zurück als junge Studierende. (OFFENE HOCHSCHULE. Die Grauen da vorne, bildungsklick, 4.11.14)
Ein ergänzendes Zitat aus der ZEIT:
Die Universitäten sind überfüllt, ein Professor kümmert sich im Schnitt um 64 Studenten. Auf die Raumnot haben die Hochschulen reagiert, indem sie Seminare abends bis 22 Uhr und samstags stattfinden lassen. Wo der Platz nicht reicht, werden Kinosäle, Kirchen und Container angemietet. Die Uni Göttingen mag aktuell ihren 14. Nobelpreisträger hervorgebracht haben, aber Erstsemester müssen in der Stadt auf Feldbetten in alten Schulgebäuden schlafen. (Bildungsbürgertum, 5.11.14)
Ich bin jedenfalls recht froh, dass ich in MOOCs, in Barcamps, von Bloggern und Autoren der Wikipedia und des ZUM-Wikis oder auch in frei gebildeten Gruppen lernen kann, ohne das Zahlenverhältnis zwischen Professoren und Studenten ohne Not weiter zu verschlechtern.
Freilich wird das nicht für jeden ausreichen.

Jedenfalls sind m.E. die 7 goldenen Regeln für ältere Gasthörer (an der Universität Oldenburg) durchaus beherzigenswert:
1. Wir sind Gäste der Universität, die willkommen und nicht nur geduldet sind.
2. Wir haben Spaß an einem offenen und respektvollen Umgang mit den jungen Studierenden.
3. Wir profitieren von den menschlichen und fachlichen Kontakten mit den jungen Studierenden.
4. Wir stehen gegenüber den jungen Studierenden zurück, wenn es räumlich eng wird, wenn Veranstaltungen überbelegt sind und wenn bei fortgeschrittener Zeit diskutiert wird.
5. Wir sind keine „Besserwisser“ und lassen deshalb den jungen Studierenden in der Diskussion den Vortritt und drängen unser Wissen und unsere Erfahrung nicht auf.
6. „Schwarzhören“ ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine Bereicherung auf Kosten Anderer.
7. Wir begegnen uns untereinander als Gasthörende freundlich und tragen damit zu einer positiven Atmosphäre bei den Universitätsveranstaltungen bei.