25.4.21

Aktion der 53 Schauspieler*innen ein Kunstwerk?

Die Aktion #allesdichtmachen (https://www.youtube.com/channel/UC3_dHQpx8O9JT2LW1U2Beuw/videos) war eine politische Aktion, sollte aber auch als Kunstwerk verstanden werden, das provoziert.

Über die künstlerische Qualität maße ich mir kein Urteil an. (Freilich sprechen manche Namen dafür, dass es sich nicht schlicht um eine Art Happening im Sinne von Beuys "Jeder ist Künstler" handelte. Aber Berühmtheit ist kein Qualitätskriterium. Auch wenn ich kein Urteil abgeben kann, habe ich dennoch auf die Provokation reagiert und kann insofern darüber berichten.)

Als politisch engagierter Bürger habe ich die politische Aktion zu bewerten.

Zunächst schockierte mich die allgemeine Ablehnung, weil ich darin eine weitere Eskalationsstufe des Auseinanderdriftens zwischen den Befürwortern möglichst harter Lockdowns und den Befürwortern einer Strategie "Schützt die Richtigen!" sehe. 

Damit hatte ich angesichts der Beteiligten, denen man nicht nachsagen kann, durchweg Rechtsradikale zu sein, nicht gerechnet. Wenn man eine solche Provokation startet, dann ist aber eine solche Reaktion - zumindest eines Teils der Gesellschaft zu erwarten. Insofern hängt bei einer Aktion alles davon ab, wie man mit den Reaktionen umgeht, um das Ziel der Aktion zu erreichen.

Denkbar wäre als Ziel: Eine Dokumentation der gesellschaftlichen Reaktion als Ausgangspunkt für eine vertiefte Diskussion. Nur fragt sich eine Diskussion worüber? Über das Auseinanderdriften, über Sinn und Stil der Regierungsmaßnahmen oder über die bestmöglichen Maßnahmen?

Unabhängig davon, welches Ziel angestrebt wurde. Zweierlei muss bei einer politischen Aktion vorausgesetzt werden: 1. Dass jeder Teilnehmende das Ziel kennt 2. Dass jeder weiß, was er tun will, um das Ziel zu erreichen.

Hier ist bisher nicht ersichtlich, ob das überhaupt versucht worden ist. Weshalb sind so viele von der Aktion abgesprungen? War nicht vorbedacht worden, mit welchen Reaktionen zu rechnen sei? Waren Bedenken (insbesondere die Wirkung auf die von COVID-19 als Kranke oder Angehörige Betroffene) gegenüber der Aktion nicht ausgesprochen worden? Wurden sie ausgesprochen, aber nicht berücksichtigt?

Bisher scheint es so, als wäre das Gegenteil des angestrebten Ziels erreicht worden: Empörung statt Verstörung und Unterstützung der Strategie der AfD.

Es bleibt abzuwarten, wie es weitergeht. - Wie so oft in diesen Zeiten.

Die infektiösen Folgen der Infodemie von Markus Gabriel, FR 26.4.21

29.4.21:

Da die ZEIT auf der ersten Seite mit einem Interview mit drei Schriftsteller*innen ("Es geht nicht darum, wer recht hat") aufmacht (Thea Dorn, Juli Zeh und Daniel Kehlmann), könnte man fragen, ob die Schauspieler wirklich als Ziel hatten, mit ihrer Kritik gehört zu werden, oder ob ihnen daran lag, einen Shitstorm auszulösen und dadurch zum einen das Auseinanderdriften der Gesellschaft zu belegen und die Löschung ihrer ironischen Darstellungen zu provozieren (32 von 53 sind noch auf Youtube zu sehen) und dadurch eine Diskussion auszulösen, die wahrgenommen wird.

Thea Dorn bekannt als Tatortautorin, Daniel Kehlmann als Bestsellerautor auf literarisch hohem Niveau und Juli Zeh als Verfasserin von Corpus Delicti, die literarische Kritik einer Gesundheitsdiktatur und gleichzeitig als (ehrenamtliche) Verfassungsrichterin in Brandenburg ausdrücklich dazu berufen, die Rechtmäßigkeit von Regierungshandeln und Gesetzen zu überprüfen, diese drei bekommen Gelegenheit, von unterschiedlichen Standpunkten aus, die Regierung dafür zu kritisieren, dass sie mit ihrer Ausrichtung den Fortbestand des Konsens' und damit die Demokratie zu gefährden (nicht, sie aushebeln zu wollen, wie manche Kritiker unterstellen).

Schriftsteller, die dazu berufen sind, nicht recht zu haben oder gar zu entscheiden, sondern gesellschaftliche Zustände und Probleme vor Augen zu führen.

Aber nicht nur das: In einem Gespräch zwischen Gesundheitsminister J. Spahn und Tatortmillionär J.J. Liefers (seine realen Einkommensverhältnisse kenne ich nicht, aber als Darsteller erreicht er gewiss Millionen) kommt es auch zu einem relativ intensiven Austausch über die Erfahrungen mit der Pandemie* und die Schlüsse, die beide daraus gezogen haben. 

*Jens Spahn: "Ja, denn ich finde es generell wichtig, miteinander im Gespräch zu bleiben. Im Zweifel geht’s doch darum, zumindest zu versuchen, zu verstehen, warum das Gegenüber anderer Meinung ist. Diese Einstellung fehlt zu häufig im öffentlichen Diskurs."

Jan Josef Liefers: "Meine Beobachtung ist, dass sich in diesem Pandemiejahr drei Gruppen von Menschen gebildet haben: Da sind die, die alles bedingungslos unterstützen, was die Regierung macht. Dann gibt es jene, die alles ablehnen. Und dann gibt es viele, wie mich, die zwischen diesen polarisierten Gruppen stehen und weder der einen noch der anderen Seite zugehören wollen, aber natürlich schon zweifeln und ihre Fragen haben. Das ist mein Punkt: Da gibt es ein Vakuum."

Meine Sicht: Liefers lässt eine ganz wichtige Gruppe aus: Diejenigen, die durchaus nicht "alles unterstützen, was die Regierung macht", sondern manches unterstützen und scharf kritisieren, dass sie nicht weit genug gehe. Nicht zuletzt daher kommt es zum Auseinanderdriften der Gesellschaft, zum Verlust des Konsens.

Jens Spahn: "Wenn Dinge nicht mehr ausgesprochen werden aus Angst, von den Extremen Beifall zu bekommen, geht der demokratische Diskurs kaputt. Diese Hysterie in der Debatte, die häufig durch soziale Medien befeuert wird, schadet mehr, als sie nutzt. Seit ich den Twitter-Account von meinem privaten Handy gelöscht habe, geht es mir jedenfalls viel besser." 

"ZEIT: Letzte Frage an Sie beide: Die Notfallmedizinerin Carola Holzner hat als Reaktion 

auf #allesdichtmachen die Kampagne "alle mal ne Schicht machen" ins Leben gerufen: eine Aufforderung, sich mal in ihrer Klinik auf der Intensivstation anzuschauen, wie die 

Mediziner und Pflegekräfte dort arbeiten. Würden Sie da eine Schicht machen?

Liefers: Ich habe mich schon angemeldet.

Spahn: Ich habe erst vorletzten Sonntag eine Intensivstation in Köln besucht, der Austausch 

mit Pflegekräften, Intensivpflegekräften, Ärztinnen und Ärzten gehört zu meinem Alltag."

Tweets:

Wieder mal positive Schülerin heim geschickt. Eltern am Telefon: "Aber es geht ihr doch gut. Nur die Schwester ist richtig krank." Äh....


Meine beste Freundin wurde Donnerstag positiv auf Corona getestet. Die Liste mit engen Kontakten hat meine Freundin Donnerstag per Mail ans Gesundheitsamt geschickt. Eben wurde sie angerufen. Man könne den Anhang nicht öffnen, sie soll die Liste bitte nochmal per POST schicken.
Meanwhile musste ihr Freund (enge Kontaktperson mit starken Symptomen & hohem Fieber) seinen PCR Test selbst zahlen (90€) weil es laut Arzt keinen Grund für einen Test gibt. Er ist positiv. 🙃 So bekommen wir diese Pandemie nie in den Griff.
Sie hat als sie Symptome hatte zuerst einen Schnelltest gemacht, der Positiv war. Dann beim Gesundheitsamt angerufen. Die Dame so: Sie können ruhig mit der Bahn zum Arzt fahren für den PCR - Test, ist nicht so schlimm, Schnelltests sind nicht so erst zu nehmen.

Wie geht es weiter? 

23.4.21

Erinnerungskultur: Holocaust und Kolonialismus

 Enttabuisiert den Vergleich! ZEIT 31.3.21

Die Geschichtsschreibung globalisieren, das Gedenken pluralisieren: Warum sich die deutsche Erinnerungslandschaft verändern muss. (Von  und )
"[...] Wir verneinen keineswegs die singulären Elemente des Holocausts, allerdings glauben wir nicht, dass sie vergleichende Ansätze zur Geschichte und Erinnerung des Holocausts allgemein verhindern. Im Gegenteil: Vergleichende Perspektiven, die Ähnlichkeiten und Unterschiede herausarbeiten, bieten die besten Voraussetzungen dafür, zu verstehen, was am Holocaust singulär war. Und sie bieten somit die besten Chancen zur Prävention von Genoziden. [...]" 
 Thomas SchmidDer Holocaust war kein Kolonialverbrechen Aktivismus und Wissenschaft gehören nicht zusammen. Eine Erwiderung auf Michael Rothberg und Jürgen Zimmerer, ZEIT Nr.15 8.4.21
"[...] Denn nur wer vergleicht, kann Unterschiede erkennen, Gemeinsamkeiten wahrnehmen. Kann sehen, dass beide, Holocaust und Gulag, Massenmorde waren. Aber auch den grundlegenden Unterschied erkennen: In den Gulag wurden Menschen deportiert, weil sie Kulaken oder Händler oder Intellektuelle oder "Konterrevolutionäre" waren. Obwohl ihr Tod in Kauf genommen wurde, war der Zweck des Unternehmens nicht ihre Vernichtung. Im Holocaust dagegen wurden Juden allein deswegen ermordet, weil sie Juden waren. Dieser Wille der Deutschen, ein ganzes Volk auszulöschen, ist einmalig in der Geschichte. So blutig und mörderisch der Kolonialismus auch war – Ziel war nicht die Vernichtung um der Vernichtung willen. Deswegen ist der Holocaust singulär. Er war ein antisemitischer Genozid.
Wie kommen die beiden Autoren auf die abwegige Idee, wer dieser Meinung sei, betreibe damit absichtlich das Herunterspielen, Verharmlosen und Verleugnen der kolonialistischen Verbrechen? Ihre These lautet, dass es "diskursive Kontinuitäten und Funktionsäquivalenzen" zwischen Holocaust und Kolonialismus gibt. Holt man die wolkige Formulierung auf den Boden zurück, dann ist damit nichts anderes als dies gemeint: Nicht der Holocaust ist der große Zivilisationsbruch, sondern der ihm vorausgehende und ihn einschließende Kolonialismus. Der Holocaust wäre dann nur ein Spezialfall des Kolonialismus, ginge gewissermaßen in diesem auf. Gegen diese Sichtweise spricht die Tatsache, dass Hitler zwar den Osten unterwerfen, aber nie ein Kolonialreich errichten wollte. Und die Juden nicht unterwerfen und ausbeuten, sondern vernichten wollte. [...]"
Schmid verzichtet dabei darauf, auf Hannah Arendt einzugehen, die die Wurzel des nationalsozialistischen Totalitarismus im kolonialistischen Rassismus sieht, ob aus Unkenntnis oder weil ihre Analyse nicht zu seiner Argumentation passt, vermag ich nicht zu beurteilen. 
"Der kontinentale Imperialismus findet seinen Ausdruck im völkischen Nationalismus der „verspäteten Nation“. Besonders die Nationen in Ost- und Mitteleuropa konnten noch auf keine nationale Geschichte zurückblicken. Hier finden nach Arendt diejenigen politischen Kräfte ihre Anliegen wieder, denen es nicht gelang, sich bisher national zu emanzipieren. Sie erläutert in diesem Zusammenhang, wie der demokratische Volksbegriff der Aufklärung seitens der völkischen Bewegung abgelehnt und romantisch aufgeladen wird und zeigt auf, wie dieser völkische Nationalismus den Antisemitismus biologistisch, rassistisch werden lässt, den Rassismus antisemitisch und in einem Antisemitismus der Vernichtung mündet. Aus dem Völkischen Nationalismus konnte sich die Ideologie der „Volksgemeinschaft“ entwickeln." (Arendt und Geschichte des völkischen Nationalismus)
Mehr zur Debatte:
Diskussion über die Jerusalem Declaration: Die Missgeschicke des Bewusstseins sind vielfältig von M. Brumlik u. G. Krell, FR 22./23.4.21
darin zu Thomas Schmid (s.o.): "[...] Dagegen wendet Schmid ein, der Holocaust sei kein Kolonialverbrechen, das Projekt einer „multidirektionalen Erinnerung“ somit wissenschaftlich nicht seriös. Nun sprechen die beiden Autoren an keiner Stelle von einer Kausalbeziehung zwischen Kolonialismus und Holocaust und betonen immer wieder, es gehe ihnen darum, das Spezifische einer Gewaltgeschichte zu erinnern, ohne eine andere zum Schweigen zu bringen. Sie möchten gleichwohl Parallelen oder auch Zusammenhänge zwischen diesen Verbrechen eruieren, so vor dem Hintergrund der europäischen Ideengeschichte. So ist die Ab- und Entwertung von Juden, aber auch von anderen Gruppen von Menschen, häufig außerhalb von Europa, schon seit Reformation und Aufklärung ein verbreiteter Aspekt in der politischen Theorie und der Philosophie. 
 Muss man Thomas Schmid daran erinnern, dass die Nazis in den Dreißigerjahren Funktionäre in die USA schickten, um die dortigen Rassegesetze zu studieren und teilweise wörtlich zu übernehmen? Oder an Hannah Arendt, die im europäischen Imperialismus in Afrika Ansatzpunkte für den Vernichtungsrassismus der Nazis sah? [...]
Damit keine Missverständnisse entstehen: Die Formulierung, die Thomas Schmid aus aktuellen Diskussionen referiert, der Holocaust sei ein „white on white crime only“, stufen auch wir als rassistisch ein. Wenn weiße oder schwarze Linke meinen, es gebe keinen schwarzen Rassismus (auch unter Schwarzen), dann regen wir an, einmal bei Frantz Fanon das Kapitel „Missgeschicke des nationalen Bewusstseins“ nachzulesen. Und natürlich gibt es historische und aktuelle Menschheitsverbrechen nicht nur vom „Westen“ oder von Weißen. 
 Wir sind dafür, Antisemitismus entschieden zu bekämpfen, aber auch, die israelische Besatzung und die weitere Landnahme von Gebieten, die völkerrechtlich den Palästinensern zugesprochen worden sind, zu kritisieren. Und wir plädieren dafür, postkoloniale Kritik ernst zu nehmen und fair zu rezipieren sowie mit ihr selbst kritisch und selbstkritisch umzugehen."

18.4.21

Zustand der Schulen nach einem Jahr Pandemie

 Die OECD warnt vor Folgen von Schulschließungen und Lernverlusten, Der Tagesspiegel 14.4.21

"Es wird Jahre dauern, bis Schüler coronabedingte Lernverluste aufholen, sagt OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher. Und lobt Länder, die Schulen offenhalten."

Merkels „Notbremse“ wird zum Corona-Beschleuniger: Nach NRW kündigt auch Baden-Württemberg Schulöffnungen an – in die 3. Welle 15. April 2021  

"Die als Notbremse gedachte Festlegung der Bundesregierung auf Schulschließungen ab einem Inzidenzwert von 200 wird zum Bumerang: Das Gesetz ist noch nicht vom Bundestag beschlossen, da gibt schon das zweite große Bundesland seinen vorsichtigeren Kurs auf – und öffnet seine Schulen in die weiterhin stark anwachsende dritte Corona-Welle hinein. Baden-Württemberg will ab der kommenden Woche wieder Wechselunterricht anbieten. Zuvor hatte Nordrhein-Westfalen angekündigt, nächste Woche die Schulen wieder für den Präsenzunterricht im Wechsel zu öffnen."

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9.4.21

Fernunterricht in Coronazeiten aus Elternsicht

 https://twitter.com/koysino/status/1380043852334108672

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Eine Antwort möchte ich hervorheben:

Läuft, mach ich. Neben Job und Haushalt und die Großeltern im Haus und die Schwiegermutter in Chemo unterstützen. Mach ich alles, denn so kann ich es alles schaffen ohne das Risiko mich und meine Familie durch die #Praesenzpflicht in NRW zwangsweise zu infizieren...

Das spricht nicht für den Fernunterricht, sondern zunächst dafür, dass eine wirklich schwierige Situation besteht.

Außerdem antwortet hier offenbar eine weibliche Person, deren Kinder zuvor noch keine Schulschwierigkeiten hatten, die aber sehr aufpassen sollte, sich nicht in einen burn out hineinzumanövrieren.