Mit erstaunlich großem Echo hat Gunter Dueck auf der re:publica seine These vom Internet als Betriebssystem der Gesellschaft vorgetragen.
Ich argumentiere jetzt einmal spaßeshalber genauso undifferenziert wie er:
Er bringt es fertig, knapp eine Stunde lang so zu tun, als ob emotionale Intelligenz und Wissen getrennte Bereiche wären, als ob ein Patient seine Diagnose stellen könnte, wenn er nur seinen Fall und die Beschreibung von tausend möglichen Diagnosen dazu kännte.
Dass man Erfahrung sammeln muss, damit man möglichst rasch von einer falschen Diagnose zu einer richtigen kommen kann, ohne dass der Patient sich in die Krankheit hineinsteigert, die er nicht hat, und dass dazu auch Fachwissen dazu gehört, dass man präsent haben muss, ohne dass man es aus dem Internet zusammenrecherchiert. Das muss er ableugnen, um zwischen Wissen (Internet, maschinell produziert) und Expertise (Anwendung von Problemlösungsstrategien auf neue Fälle) eine Mauer aufzubauen, die beides sauber trennt.
Den ungeheuer abgetragenen Hut, dass Lehrer kein Fachwissen brauchten, weil Fachwissen ohne Empathie nichts bringt, mag er Internetverliebten als neu verkaufen. Schüler wissen das freilich schon seit vielen Generationen.
Womit er Recht hat, ist eins: Es gibt in der Tat mehr und mehr Fälle, wo der Sachbearbeiter weniger weiß als der Laie. -
Meine These: Das sind die Sachbearbeiter, die der These von der Trennung von Wissen und Problemlösungsfähigkeit, die Dueck vertritt, aufgesessen sind.
Oder nehmen wir Duecks Lieblingsbeispiel: Was brauchen wir noch Personen, die eine Arbeit tun, wenn man genausogut einen Automaten nehmen könnte: Man sucht aus, drückt auf einen Knof und schon kommt das Ausgesuchte unten heraus.
Nur weil es einen Algorithmus gibt, mit dem die Maschine solche Entscheidungen treffen kann, glaubt Dueck, Menschen könnten die Maschine ohne weiteres dazu bringen, die richtige Entscheidung zu treffen.
Nur weil Menschen Automaten für Menschen halten können - Weizenbaums ELIZA hat das eindrucksvoll demonstriert, gilt noch lange nicht das Umgekehrte: Eine Maschine wird immer einen Menschen für eine Maschine halten. Fahrkartenautomaten sind dafür das klassische Beispiel.
Das heißt nicht, dass es nicht schon lange Tendenzen in die Richtung von Duecks Zukunftsszenario gäbe: Mehr und mehr versucht die Wissensgesellschaft, alle Dienstleistungen abzuschaffen und sie dem Kunden aufzubürden. Günter Voß nennt das in seinem Vortrag zum Tag der Arbeit: Ohne Lohn - der arbeitende Kunde.
vgl. auch: ZDF Nachtstudio Diskussion zur Zukunft der Arbeit
Gunter Dueck Aufruf an die Generation Digital (11.5.11)
Gegen solche Einseitigkeit verweise ich auf Carr, der freilich auch überpointiert.
2.5.11
Missverständnisse über Beruf und Internet
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
5 Kommentare:
Und ich dachte schon, ich wäre der Einzige, der die Reden eines Günther Dueck kritisch sieht - danke für diese Einschätzung.
Maik
Lieber Fontanefan! Ganz so habe ich Dueck nicht verstanden... ich habe eher herausgehört, dass er es überzeichnet - denn solange "kein einheitliches Betriebssystem" wie er es ausdrückt da ist, das alles, was so entwickelt wird, auch funktioniert, kann man das alles vergessen... Was nutzen uns zum Beispiel ausgeklügelte Software für Ärzte, wenn sie sich gar nicht vernetzen können. Was nutzt uns ausgeklügelte Haustechnik, wenn gar keine Leitungen da sind, diese zu nutzen... Es gibt reihenweise Industriegebiete, in denen die Firmen sich mit 1000/2000 DSL zufriedengeben müssen, ganze Wohngebiete die überhaupt nicht ans Netz angeschlossen sind...
Er plädiert dafür, dass es selbstverständlich ist, das Netz in jeder Situation nutzen zu können - nicht nur in "Sackbahnhöfen"... wie er es ausdrückt. Natürlich stellt er sich in seinem Vortrag naiv - aber hintergründig hört man schon heraus, dass er Ahnung hat.
Dass er Fachwissen infrage stellt, habe ich nicht wahrgenommen. Und wenn, dann sicherlich nur als Denkanstoß für diejenigen, die sich damit auseinandersetzen müssen...
Nein, niemand kann sich das Wissen nur aus dem Internet zusammenklauben - wenn auch manche meinen, es tun zu müssen und zeitweise damit ihre Inkompetenz verschleiern können. Wenn man etwas verstehen will, muss man es auch tun - ich zumindestens... Nur Theorie ohne Praxis ist nicht machbar - und die Praxis, die Erfahrungen machen erst die Kompetenz aus, denke ich... indem ich täglich in neue Situationen komme, lerne ich diese kennen und einzuschätzen.
Auch im Internet...
Und da sollten Lehrer viel mehr mit einbezogen werden...
Anntheres
@Naik Danke!
@Ann-Theres: Einverstanden. Er wirbt für mehr Netz und er warnt davor, sich darauf zu verlassen, dass Fachwissen allein noch ausreicht.
Beim Zweiten gebe ich ihm völlig recht, behaupte aber, das ist nicht erst seit dem Internet so.
Beim Ersten meine ich: Die meisten Experten und Lehrer sind inzwischen am Netz, und sie nutzen es lausig. Sie müssen erst lernen, was man mit dem Netz sinnvoll tun kann und wie man es nutzt. Dann erst dann kann man sinnvollerweise fordern, es so auszubauen, wie er es will.
Was sagte meine Tochter über die königliche Hochzeit? Das Gute war, dass ich sie im Netz gesehen habe und immer schnell vorspulen konnte.
So ging es mir auch mit Dueck. Hätte ich seinen Vortrag in Realität erlebt, hätte ich mich über die ständig gleiche Argumentation geärgert. So habe ich vorgespult und fand sie anregend.
Also doch ein Argument fürs Netz. ;-)
Die Metapher vom Betriebssystem fand ich gut. Die Vision von der ständigen Gigabitleitung auch. Die Vortragsweise auch. Im Übrigen schließe ich mioch Walter an: das ist schon eine etwas altbackene Vorstellung von Ärzten und Lehrern. Dueck geht davon aus, dass der - meiner Meinung nach dringend nötige - Wissensvorsprung von Lehrern dazu dient, dass die Lehrer im Unterricht etwas sagen, und die Schüler das dann aufschreiben und lernen. Ach, das wäre schön, wenn das so einfach wäre! Aber Schule funktionierte zu meiner Schulzeit nicht und heute auch nicht so, dass man quasi nur einen Wikipediaartikel vorträgt und sich dann wundert, dass nichts hängen bleibt.
Und das mit den Ärzten... gut, da habe ich wenig Erfahrung, weil ich selten mit welchen zu tun habe, am meisten mit Zahnärzten. Wenn ich an Amalgamhysterie und Homöopathiekram denke, wünsche ich mir tatsächlich mehr Bildung (zu der Skepsis gehört). Andererseits: wenn da der Kunde zwei Stunden googelt, findet er garantiert jede Menge Belege dafür, dass es für sein Leiden unbedingt etwas Alternatives sein oder dass das Amalgam schleunigst weg muss (weil, Sie wissen ja, Quecksilber). Sind seine Diagnose und sein Therapievorschlag deswegen klüger als die des Arztes? Absurd. So werden Ärzte noch mehr gezwungen als jetzt, bei Hokuspukus mitzumachen.
hallo
ich habe Duecks vortrags eher wie ein kritisches kabarett wahrgenommen, das ich auch der form wegen anregend und erfrischend fand, denn auch das gehört zur kompetenz, dass man sein publikum nicht mit fakten zu tode langweilt. ich vermute, die provokation ist gewollt.-
das was er über missorganisation und doppelspurigkeiten in administration und verwaltung sagte, hat mir besonders aus dem herzen gesprochen. gerade dort kann es nicht zielführend sein, "kunden" weiterhin in dem gekannten ausmass zu belästigen, nur um langweilige jobs zu erhalten. wie er sehe da ich ein grosses potential, die hände wieder frei zu bekommen.
Kommentar veröffentlichen