31.12.15

David Weinberger: Wissen ist kein Produkt mehr, sondern ein Prozess

Ich bin nicht der Meinung, dass Lernen im 21. Jahrhundert allgemein in persönlichen Lernnetzwerken*  vonstatten gehen kann, wie Lisa Rosa es meiner - sehr beschränkten - Kenntnis nach noch vertritt. Viel zu sehr sind Lerner immer wieder darauf angewiesen, dass ihnen auf die Sprünge geholfen wird. Viel zu wenige können ein Lernnetzwerk aufbauen, das weiten Horizont und Serendipity ermöglicht, zugleich aber für die ihnen jeweils nötigen Lernschritte trägt. Lernen Lernen zu lernen, wie es Rosa in ihrem bedenkenswerten Vortrag für die re:publica 13 für das 21. Jahrhundert gefordert hat, wird - in dem dafür notwendigen Ausmaß - auf absehbare Zeit zu wenigen gelingen, als dass man das gesamte Bildungssystem sinnvoll darauf umstellen könnte. So sehr ich für Barcamps (Tweets), wo das praktiziert wird, schwärme. 
Da ich aber ihre Überlegungen längst noch nicht genügend interiorisiert habe, möchte ich sie hier  ein wenig exteriorisieren, um sie so im Gespräch zu halten, wie sie es m.E. verdienen. 
Daher zitiere ich aus Rosas Vortrag einen kurzen Abschnitt, muss aber empfehlen, sich zumindest die Graphiken in ihrem Blogartikel anzusehen, damit ihr Grundverständnis vom Lernen des Lernen Lernens, parat hat, damit man die folgenden Ausführungen würdigen kann:
"Ich brauche Austausch für die Tiefe meines Wissens, dazu brauche ich Gleiche in meinen Netzen. Menschen mit Übereinstimmungen in grundlegenden Positionen, an denen ich mich nicht nur reibe, mit denen ich nicht immer bei Adam und Eva anfangen muss, wenn es um einen gemeinsam geteiltes Verständnis geht.Ich brauche aber auch Austausch für den weiten Horizont, denn sonst schmore ich im eigenen Saft. Filterbubble und Echo chamber sind Warnbegriffe dafür. Staunen, Verblüffung, aber auch Offenheit für Serendipity (also etwas zufällig zu finden) sind Haltungen, die wir trainieren, wenn wir uns eher Fremde und sogar vermeintlich “Verrückte” als Teilnehmer in unsere Netze holen. Und wir können uns daran gewöhnen, unser Wissen nicht für objektiv und allgemein gültig zu halten.Lokal und global müssen wir uns vernetzen, und „immer und überall in Verbindung zu bleiben” ist wörtlich zu nehmen." (Rosa: Lernen Lernen lernen ...)
*Zu PLN konkret vgl. vorläufig folgenden Entwurf eines Artikels

Um etwas von dem Gespräch bereitzustellen, in dem ich Lisa Rosas Konzept zu verstehen begonnen habe, verlinke ich hier meinen Artikel Zur Rolle des Lehrers im Lernprozess, in dem ich einen Teil meines Gesprächs mit ihr zitiert habe, dann Rosas Aufsatz Die Zukunft des Lernens: Sinnbildung im 21. Jahrhundert. (pdf)
Außerdem noch ein Interview mit Andreas Schleicher.
Aktuell: Gefährden Social Media politisches Engagement? von Philippe Wampfler zur Frage, ob ein stark im Netzt verortetes PLN die Aufmerksamkeit für konkrete Lernsituationen gefährdet

26.12.15

Vom Antiamerikanismusvorwurf bis zum Angriff auf Forderungen nach Gerechtigkeit und Demokratie

Amadeu Antonio Kiowa war eines der ersten Opfer rassistisch motivierter Gewalt nach der Wiedervereinigung. Anetta Kahane ist als Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung bemüht, Einstellungen im Keim zu ersticken, die zu Gewalttaten wie der führen, durch die Amadeu Antonio zu Tode gekommen ist, und jederzeit für den Schutz von Minderheiten einzutreten. Das ist ein höchst ehrenwertes Ziel.
Gelegentlich ist sie von Rechtmäßigkeit ihres Anliegens so überzeugt, dass sie in ihrer Wortwahl nicht eben wählerisch ist und dadurch ihrer guten Sache nicht gerade einen Gefallen tut. Das kann passieren, wenn man jeder Gefahr schon beim ersten Anschein entgegentreten will. In ihrem Kommentar in der Frankfurter Rundschau vom 21.12. geht sie allerdings entschieden zu weit.
Hier eine zentrale Passage (die Hervorhebungen sind von mir):

"Die Ideologie der Fundamentalkritik reproduziert die immer gleichen Bilder über Opfer und Täter. Amerikanisches Finanzkapital ist böse (und meist jüdisch) und damit auch die Demokratie. Freiheitskämpfer dagegen sind gut, ganz gleich, ob der eine Frauen steinigt und der andere Schwulenrechte einfordert, solange sie sich nur gegen den vermeintlichen Imperialismus richten.
Im Zweifelsfall sind beide Opfer des „Systems“. Kaltherzige Gleichgültigkeit ist es, die hier nicht zu unterscheiden bereit ist. Sich so als Gegensatz zum anti-westlichen Feindbild zu definieren, bedeutet, auf Emanzipation und Menschenrechte im echten Leben keinen Pfifferling zu geben. Den Rechten ist ohnehin zu viel Emanzipation in der Welt, und die Linken empfinden Fortschritt als Anpassung an das neoliberale Ganze. Also sind am Ende beiden die Bedürfnisse jener Menschen vollkommen wurscht, die für ihre individuellen Freiheitsrechte kämpfen. Vor allem, wenn sie außerhalb Europas leben." (Anetta Kahane: Die Ideologie der Fundamentalkritik, FR 21.12.2015)

In der richtigen Erkenntnis, dass Rechtsextreme wie Linksextreme beide Feinde der repräsentativen Demokratie sind, versucht sie, jede Kritik an der Politik der USA und an Fehlentwicklungen des Marktliberalismus abzuqualifizieren, indem sie sie als - unzulässige - "Fundamentalkritik" einordnet. Das kennt man schon.
In der Tat hat in den Zeiten des Vietnamkrieges mancher Kritiker der US-Politik sich dazu verleiten lassen, Maos brutales Unterdrückungsregime, das Millionen Menschenleben gekostet hat, zu rechtfertigen.
Zu weit geht sie, wenn sie behauptet, Kritik an Kapitalismus sei antidemokratisch und bedeute, dass man die Menschenrechte nicht achte.
Wenn das so wäre, wäre Helmut Schmidt mit seiner Kritik am "Raubtierkapitalismus" ein Demokratiefeind gewesen. Naomi Klein wäre ein Gegner der Menschenrechte, weil sie einen erfolgreichen Kampf für das 2-Grad-Ziel zur Bekämpfung des Treibhausklimas als nicht vereinbar mit kapitalistischem Profitdenken versteht.
Nicht zuletzt diffamiert sie damit attac und seinen Kampf gegen TTIP als demokratiefeindlich, obwohl es attac ja gerade darum geht, zu verhindern, dass internationale Konzerne die Politik nationaler Regierungen - insbesondere im Umweltschutzbereich - blockieren können.
So sehr ich die Ziele der Amadeu Antonio Stiftung zu schätzen weiß, wenn sie mit solch haltlosen Diffamierungen verfolgt werden, dann entheiligt das Mittel selbst den ehrenwertesten Zweck.

25.12.15

Steffen Martus' mediengeschulter Blick auf die Aufklärung

Wenn Steffen Martus in "Aufklärung. Das deutsche 18. Jahrhundert" die Politik der deutschen absolutistischen Fürsten am Anfang des 18. Jahrhunderts beschreibt, wirkt es wie aus dem Handbuch der großen Internetfirmen Google, Facebook, Amazon oder ihrer literarischen Repräsentation "Der Circle". Man muss nur die Stichwörter Aufklärung, Fürst etc. durch die passenden Wörter der Internetwelt ersetzen:
"Attraktivität war für die neue Politik auf dem Weg zur" Marktbeherrschung "überhaupt entscheidend, denn der Posten des" Datenlieferanten "sollte reizvoll erscheinen und nicht nur" aufgrund von Ausspähung "eingenommen werden. Wie also versah man" einen Internetdienst "mit so viel Anziehungskraft, dass sich die Menschen gern der Regierung" durch einen Dienstanbieter "unterstellten? Hochschulen" und Schulen "wurden von den" angehenden Monopolisten gern als Instrumente für "solche Fragen begriffen." (Aufklärung. Das deutsche 18. Jahrhundert, S.110/111)*

Wie führt man den Wandel herbei? Internetfirmen müssen dafür sorgen, dass Schulen und Hochschulen möglichst durchgängig mit Computern versorgt sind und mit Computern arbeiten (auch wenn das für die Grundschulen weitgehend sinnwidrig erscheint), Wenn erst einmal genügend Computer angeschafft sind und sich Kinder an den Umgang damit gewöhnt haben, kann man Computer auch im Privatbereich durchsetzen. Mit den Smartphones ist nun endlich auch schon für Dreijährige der Zugang zum Internet eröffnet und Kinder sind - weil noch arglos - ideal geeignet als Datenlieferanten und - um nun das Wort der absolutistischen Fürsten zu gebrauchen - in ihre Rolle als Untertanen eingeführt zu werden.

*Auf die Zeit des 18. Jahrhunderts bezogen formuliert Martus wie folgt:
"Attraktivität war für die neue Politik auf dem Weg zur Aufklärung überhaupt entscheidend, denn der Posten des Untertanen sollte reizvoll erscheinen und nicht nur  auf Befehl eingenommen werden. Wie also versah man ein Herrschaftsgebiet mit so viel Anziehungskraft, dass sich die Menschen gern der Regierung eines Fürsten unterstellten? Hochschulen wurden von den Obrigkeiten der Frühen Neuzeit und vor allem in der Aufklärung  als eine Antwort auf solche "Fragen begriffen." (Aufklärung. Das deutsche 18. Jahrhundert, S.110/111 - Hervorhebungen von mir)

Es geht um eine Neuerrichtung eines Systems von Obrigkeit und Untertanen in ihren Herrschaftsgebieten. Zwischen denen werden die Kämpfe ausgefochten und wir folgen der Attraktivität unserer Herrscher. Wenn Martus das nicht als Kennzeichen unserer Zeit erkannt hätte, hätte er das 18. Jahrhundert nicht so treffsicher als strukturgleich mit dem Internetzeitalter beschreiben können. 


23.12.15

Flucht und Befreiung

"Das Gefühl der Befreiung, wenn man deutschen Boden verlassen hatte, [!] und über die Grenze in ein freies Land fuhr, war damals so überwältigend, daß noch heute, nach 28 Jahren, ein Echo dieses Gefühls in mir aufsteigt, wenn ich über die deutsche Grenze in die Schweiz fahre." (Marianne Leibholz, die 1938 als 11-Jährige mit ihren Eltern in die Schweiz und von dort nach Großbritannien ging, zitiert nach: Sabine Leibholz-Bonhoeffer "vergangen, erlebt, überwunden. Schicksale der Familie Bonhoeffer" 1970, S.116)

Marianne Leibholz schrieb mit 27 Jahren (1954) das  Gedicht:

 Exil II

Und wie er schaudernd stand, gejagt, vertrieben
aus einer Heimat, die er sehr geliebt,
hat sich der Himmel über ihm geweitet,
ihm deutend wie es keine Grenzen gibt.
Jetzt in der wirren Vielfalt der Symbole
brennt klare Schrift wie er sie nie gesehen.
Er weiß die gleichen Zeichen in der Helle
und in den schnellen Schatten stehn.
Und wie er Raum um Raum verlassen lernte,
lernt er verlassen in der Zeit,
spürt alles von Vergänglichkeit durchleuchtet,
horcht, ist zum Abschied sehr bereit.
Kraft strömt ihm zu. Kennt keine Fremde,
nur Vaterland, soweit der Himmel reicht.
Wird nie mehr wie vorzeiten Heimat finden.
Er ahnt es, dankbar. Und sein Herz ist leicht.
Dazu stellt sich Brechts Gedicht "Über die Bezeichnung Emigranten" mit den Zeilen
"[...] Jeder von uns
Der mit zerrissenen Schuhn durch die Menge geht
Zeugt von der Schande, die jetzt unser Land befleckt.
Aber keiner von uns
Wird hier bleiben. Das letzte Wort
Ist noch nicht gesprochen."
Zu Recht wird im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Flüchtlingsstrom immer wieder daran erinnert, weshalb der Artikel 16, der 1949 ins Grundgesetz aufgenommen wurde, noch den Satz "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." enthielt und weshalb der heutige Artikel 16a, der mit dem gleichen Satz beginnt, der damaligen Intention nicht gerecht wird.
Es ist zu hoffen, dass möglichst viele der heutigen Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, noch nach Jahren ein Echo des Gefühls der Befreiung empfinden werden und dass möglichst wenige daran denken werden, sich und ihren Kindern Zyankali zu geben, weil sie zurückgewiesen werden. 
Eine jüdische Mutter sagte mir, das sei ihr Plan gewesen, für den Fall, dass sie nach ihrer Flucht aus Nazi-Deutschland kein Asyl in Großbritannien fände.
Wo hat sie mir das erzählt? In der Deutschen Evangelischen Gemeinde Oxford, die am 3. September 1939, dem Tag des Kriegsausbuchs,  ihren Anfang nahm. Das Oxforder Mansfield College hatte seine Kapelle zur Verfügung gestellt, damit ein deutscher Pfarrer für die Exilgemeinde predigen könne. Frieder Ludwig hat die Geschichte dieser Gemeinde erzählt.

17.12.15

Ist LAGeSo überall? Über eine ganz schwierige Gemengelage

Unsere Gesellschaft droht nicht, über der Spannung zwischen Willkommenskultur und Pegidadumpfheit auseinander zu reißen.
Die Lage ist weit komplizierter.
Willkommenskultur kann einerseits zusammengehen mit totaler Negation der Schwierigkeiten und andererseits auch einem völlig überholten Bild von zivilisierten Christen und unaufgeklärten Muslimen.
LAGeSo mit dem künstlich geschaffenen Überdruck von täglich weit mehr bestellten Flüchtlingen, als an einem Tag abgearbeitet werden können, ist nur ein symbolisches Abbild der Situation, dass die Organe der Bundesrepublik Deutschland nicht darauf eingestellt sind, den gegenwärtigen Flüchtlingsstrom zu bewältigen.
Wer keinen Berliner Flugplatz planen kann und keine Hamburger Philharmonie, der bewältigt schon gar nicht eine umfangreiche Aufgabe, die die gesamte Gesellschaft betrifft.
Wenn jemand einmal eine Andeutung der Schwierigkeiten versucht - wie Steinbrück heute in der ZEIT, dann lässt er - mehr oder minder gezwungen - die Hauptschwierigkeit weg, vor der die Menschheit steht und für deren Bewältigung die sie seit über 40 Jahren keine Strategie gefunden hat.

Das heißt nicht, dass gegenwärtig etwas grundfalsch läuft. Es heißt nur, dass in der öffentlichen Debatte die Komplexitätsreduktion entschieden zu weit getrieben wird. Das, was man Populisten vorwirft, die unzulässige Vereinfachung von Problemlagen, findet ständig in der Öffentlichkeit statt.

Politiker sind solche Vereinfachungen gewohnt, weil sie - sicher nicht ganz zu Unrecht - glauben, die Bevölkerung vor einer realistischen Sicht auf das Problem schützen zu müssen.

Wenn die Botschafterin des Pazifischen Inselstaates Palau zur Umweltpolitik sagt, "Seit dem Pariser Kompromiss ist unser Kopf über Wasser", meint sie damit: Uns steht jetzt schon das Wasser bis zum Hals, und wenn ihr ein Ziel von "deutlich unter 2 Grad" ausgebt und weiterhin Planungen für 3 Grad Erwärmung betreibt, die erst nach Jahren neu überdacht werden sollen, werden wir in dieser Zeit ertrinken. Nur ist sie das Schönfärben gewohnt.

Unbedingt mit ins Bild gehört:
Die Arbeitgeber können Flüchtlinge gebrauchen, um den Mindestlohn zu kippen. Andererseits ist im Sinne der Demographie eine erhebliche Einwanderung nach Deutschland wünschenswert.
Angela Merkel braucht das "Wir schaffen das.", um von ihrer unsozialen Haltung in der Griechenlandfrage abzulenken. Wenn jetzt im Gespräch ist, dass die Griechen unerträgliche Zustände in ihren Flüchtlingslagern haben und das, obwohl sie sie ja alle weiterschicken, wird nicht mehr über erhöhte Babysterblichkeit geredet. Andererseits rechnet Merkel fest auf die Unternehmerfraktion, wenn sie gegen ihren Kurs gegen ihre parteiinternen Kritiker durchsetzen will. Das wissen die Kritiker auch, in der CSU weiß man es sowieso; aber ein bisschen Populismus ist in großkoalitionären Zeiten schon ganz praktisch, um sich zu positionieren.

Wenn ich gesagt habe, bei der Willkommenskultur spiele bewusstes Ausklammern von absehbaren Problemen eine Rolle, wie es andererseits auch eine überholte Sicht auf den Islam gebe, so ist das zu ergänzen. Eine Helferin sagte mir: "Wir dürfen nicht in die Lager, um uns zu schonen." Das heißt, die Helfer wissen sehr wohl, dass ihnen vorgespiegelt werden soll, dass sie die Lage der Flüchtlinge weit stärker verbessern könnten, als sie es tun. "Ich träume so schon schlecht", sagte dieselbe Helferin.
Aber das Selbstbild von der Selbstwirksamkeit ist wichtig. Es ist auch legitim, solange es einen realistischen Blick auf die Probleme nicht völlig verstellt.
Hier spielt dasselbe Phänomen eine Rolle wie bei den Tafeln. Missstände lassen sich besser aufrechterhalten, solange sie wichtigen sozialen Gruppen dazu dienen, sich besser zu fühlen.
Damit soll freilich nicht die Formel vom "Gutmenschen" über alle Helfer übergestülpt werden. Persönliche Hilfe muss staatliche Hilfe ergänzen. Sie darf nur nicht zur Rechtfertigung dazu dienen, die staatlichen Aufgaben zu vernachlässigen.
Ein Parteitag, auf dem die Flüchtlinge das Hauptthema darstellen, so dass das in sich widersprüchliche Ergebnis der Pariser Klimakonferenz*, der VW-Skandal, die Eurokrise, die Griechenlandkrise,  die fehlende Bankenregulierung, die Schere zwischen Arm und Reich in der Öffentlichkeit aus dem Blick geraten, rechtfertigt zwar nicht das Stichwort "Lügenpresse", aber es dient in einer Situation, wo auf den Nobelpreisträger Obama die Person des Jahres Merkel folgt.
Der Hype, der die gleichzeitige Diskussion mehrerer Themenkomplexe fast unmöglich macht, wird gewiss auch von Politikern  als gefährlich empfunden. Das braucht sie freilich nicht daran zu hindern, ihn in ihrem Sinne auszunutzen.
Politik als die "Kunst des Möglichen".

Natürlich habe ich Wesentliches übergangen: Terrorismus, Waffenlieferungen, Ukraine - Russland, Syrienkrieg, Iran - Saudi-Arabien .... Ganz ohne Vereinfachungen kommt eine Äußerung zu komplexen Fragen nicht aus.

*Es schließt die Ölpreismanipulation durch Fracking, die Inflation der Emissionszertifikate und die Laufzeitverlängerung für Braunkohlekraftwerke ein, für die die Industrie auch noch Milliarden erhält.

Beispiele dafür, was zur Integration von Flüchtlingen getan wird.

15.12.15

Chancen der Digitalisierung für individuelle Förderung im Unterricht

Ich habe meinerseits schon über den Umgang mit digitalen Medien im Unterricht geschrieben.
Jetzt aber erscheint eine zusammenfassende Darstellung von 10 KollegInnen mit ihren Erfahrungen, die weit umfassender darstellt, was die Möglichkeiten sind.
Das Hauptproblem ist für mich beim Nachvollziehen: Ich kann mir nicht denken, dass schon viele Lehrer so fit im Umgang mit den digitalen Medien sind wie die, die hier schreiben.
Wer die vorgestellten Konzepte 1 : 1 umsetzen will muss es aber sein. Sonst ist Frustration wahrscheinlich. Aber die Anregungen scheinen mir sehr wertvoll. Für jeden.

Hier der Link zu dem Blog, wo die Arbeiten vorgestellt werden:

Chancen der Digitalisierung für individuelle Förderung im Unterricht 

10.12.15

Als Adolf in die Falle ging

Eine Buchvorstellung ist  in diesem Blog etwas ungewöhnlich. Das Buch scheint mir so bemerkenswert, dass ich ihm eine größere Bekanntheit wünsche. Es geht um "Als Adolf in die Falle ging" von Brigitte Endres.

Brigitte Endres schreibt über ihren Roman für Kinder:
James Krüss hat einmal über sich und Erich Kästner gesagt, da sie beide Lehramt studiert hatten:
„Wir wurden den Lehrern untreu und hielten den Kindern die Treue.“
Was mich angeht, möchte ich weder den Lehrern noch den Kindern untreu werden.
So kam ich auf die Idee, Kinderbücher zu schreiben, die sich als Klassenlektüren eignen und dazu Lehrerhandbücher zu entwickeln, die Ihnen die Arbeit erleichtern.
 Diese Absicht merkt man dem Buch an. Es ist aus der Perspektive eines Kindes leicht verständlich geschrieben. Die Handlung ist klar strukturiert.


Die Hauptperson, der Pimpf Heinz, ist von dem Eintritt in die Welt der Älteren fasziniert. Er findet dort Vorbilder in den Gruppenleitern beim Jungvolk und Anreize durch die gesellschaftlichen Symbole der höheren Reifestufen: Uniform, Teilhabe an den Ritualen der Älteren und ein ambivalentes Symbol, das Messer mit der Inschrift "Blut und Ehre".
Noch älter ist freilich sein Vorbild seit früher Kindheit, sein Großvater, der immer Zeit für ihn hatte und in dessen Garten er spielerisch Verantwortung lernte.
Verantwortung hat er freilich auch durch die häuslichen Pflichten in seiner Familie. Dazu gehört für ihn als den Jüngsten auch die Fürsorge für ein noch jüngeres Nachbarskind, die kleine Marie, die er immer wieder einmal, wenn ihre alleinerziehende Mutter sich nicht um sie kümmern kann, zu seinem Opa bringt, für den der Umgang mit dem kleinen Kind eine wahre Freude ist. Eifersucht entwickelt Heinz gegenüber Marie nicht. Da sie selbst für ihre drei Jahre noch zurückgeblieben ist, ist sie keine Konkurrenz für ihn.
Dagegen ist er auf seine ältere Schwester sehr wohl eifersüchtig, weil sie schon mehr Rechte und Freiheiten hat als er und weil sie den Großvater auch dort versteht, wo er aus Sicht von Heinz unverständlich reagiert. Richtig wütend werden kann er, wenn nicht nur die Erwachsenen, sondern auch seine Schwester ihm eine Erklärung für das Verhalten der Älteren verweigert mit dem Hinweis, dafür sei er noch zu jung.
Sein Weg zu den Älteren verläuft beim Jungvolk und der Hitlerjugend in klaren Bahnen mit wachsenden Anforderungen und ehrenvollen Bestätigungen für ihre Bewältigung, wird aber unübersichtlich dadurch, dass sein Großvater die gesellschaftlichen Normen des Systems ablehnt und seine Eltern zwar an das System angepasst sind, aber nicht aus innerer Überzeugung. Sein Veter akzeptiert die Forderungen als gesellschaftlich vorgegeben, seine Mutter folgt ihnen aus Furcht vor den Sanktionen, die sonst drohen. Freilich für den Ankauf von Uniform und Messer Geld aufzubringen, sind sie nicht bereit. Bei der Uniform ergibt sich ein Ersatz durch Braunfärben eines Kleidungsstückes, beim Messer hilft sich Heinz, indem er das notwendige Geld aus seiner Sparbüchse herausangelt, obwohl ihm das verboten ist.
Doch dann bricht von zwei Seiten das System auf ihn ein, wo er keinen rechten Frieden mit ihm machen kann: Zum einen erfährt er im Jugendlager, das ihm zwar Anerkennung und Erfolge im gesellschaftlichen Umfeld bringt, dass Vorgesetzte ihn und seine Kameraden mit willkürlichen Schleifereien und ständiger Herabsetzung begenen. Zum anderen erfährt er, dass sein Schützling Marie ein Opfer des Systems werden soll. Hier versagt die Anpassungsstrategie seiner Eltern. Seine Mutter ergreift klar Partei für das Kind, und alle sind ganz froh, als der Großvater, der dem System von Anfang an mit Widerstand begegnet ist, Marie bei sich vor Verfolgung beschützt und einen dauerhaften Weg zu ihrer Rettung findet: die Auswanderung von Mutter und Kind in die USA, wo der Bruder der Mutter lebt.
Dieser Weg erfordert den vollen Einsatz des Großvaters und erweist sich nur deshalb als gangbar, weil die Mutter, wie sie befriedigt feststellt, "Arierin" ist. Juden gelingt die Ausreise, wie Heinz bei dieser Gelegenheit bemrkt, nur selten.
Dass Heinz bei dieser Gelegenheit Zweifel am NS-Regime entwickelt und einen Ausweg aus seinen unmenschlichen Forderungen sucht, ist psychologisch verständlich und überzeugend. Ebenso, dass ein Kind über Identifikation mit Heinz (oder, falls die Geschlechterrolle das Mädchen schlechter ermöglicht, mit seiner älteren Schwester) nachzuvollziehen und abzulehnen lernt.
Es gilt aber dennoch einige Einwände zu bedenken, die gegen diesen Handlungsverlaufs eines Romanes für Kinder sprechen.
Besonders stört mich, dass der Opa seinerseits Hitler und seine Anhänger mit Ratten vergleicht und dass er die letzte Ratte, die es zu fangen gilt, Adolf nennt. Als Otto, der Onkel von Heinz kriegsverletzt in die Heimat zurückkehrt und für alle glaubhaft versichert, dass der "Führer" von den Schandtaten des Regimes weiß und die Bevölkerung bewusst belügt, beschließt Heinz, sein Ehrenzeichen, das Messer, wegzugeben. Das ist symbolisch bedeutsam, weil es für die Bereitschaft zu töten steht und er sich damit vom Regime löst.
Der Großvater sagt dazu "Adolf ist heute in die Falle gegangen". Damit meint er, dass der Nazi in Heinz beseitigt worden ist, und klärt damit über die Bedeutung des vorher unverständlich gebliebenen Titel des Buches auf. Das ist wirkungsvoll, auch wenn Kinder wohl nur unbestimmt fühlen können, dass das Böse überwunden ist.
Aber darf man für diesen Effekt den Großvater dasselbe tun lassen wie die Nazis, nämlich den Gegner zum Ungeziefer erklären, das es um jeden Preis zu beseitigen gilt?

Dann ist zu fragen, wieso das System der systematischen Ermordung von Menschen nur am Beispiel der Behinderten dargestellt wird, das Schicksal der Juden aber nur vage angedeutet wird. Zu erklären ist es damit, dass Heinz nur für ein jüngeres Kind Verantwortung übernehmen kann. Juden im Versteck wie Anne Frank im Amsterdamer Hinterhaus hätten einen weit unübersichtlicheren Handlungsaufbau erfordert. Und der Holocaust kann im Unterrichtsgespräch in Analogie mit der Ermorderung von Behinderten besprochen werden.

Schließlich aber kann man bezweifeln, dass die Behandlung des systematischen Massenmordes von Kindern überhaupt bewältigt werden kann, auch wenn sie nur am Beispiel eines einzelnen behinderten Kindes erfolgt.
Dazu habe ich in meiner eigenen Familie Erfahrungen gesammelt: Meine jüngste Tochter hat sich von 8 Jahren mit dem Schicksal von Anne Frankl beschäftigt und deshalb bei einem Museumsbesuch alle eindrucksvollen Ausstellungsstücke unbeachtet gelassen, um sich auf eine Sonderausstellung zum Schicksal der Juden dieses Ortes zu konzentrieren, obwohl diese weitgehend nur aus Schriftzeugnissen bestand.
Die ältere Tochter hat mit 9 Jahren - ohne unser Wissen - Eugen Kogons SS-Staat gelesen. Die dort geschilderten Gräuel haben sie weniger in Angst versetzt als später die Romane von Stephen King.
Beide Töchter aber haben die spätere Behandlung der NS-Zeit im Unterricht als weniger aufschlussreich empfunden als ihren kindlichen Umgang mit dem Problem.

Dennoch wird die Beschäftigung mit diesem Themenkomplex problematisch bleiben, wenn sie nicht von einer Besprechung der aufkommenden Fragen begleitet wird.

Deshalb hat Brigitte Endres ihrem Roman auch ergänzendes Material zur Seite gestellt: Kurzinformationen für die Leser und umfangreiches Begleitmaterial für die Hand des Lehrers.  

6.12.15

Lobbyisten wollen in Grundschulen gegen die gesetzliche Sozialversicherung agitieren

Warum wir dringend ein Schulfach Wirtschaft brauchen von Klaus Hurrelmann, 30.11.15  mit 843 Raktionen
"Für mich ist es unverständlich, warum nicht mithilfe eines Schulfachs Wirtschaft bereits in der Grundschule ein Verständnis für komplexe Themen wie Alterssicherung ausgebildet wird.  [...] Viele Jugendstudien zeigen: 40 Prozent der jungen Leute sind sich mittlerweile sehr wohl bewusst, dass sie sich viel intensiver um ihre Rente sorgen müssten – im wahrsten Sinne des Wortes. Sie sind die erste Alterskohorte, die von der Veränderung der Rentenfinanzierung voll getroffen wird und lediglich mit einer Rente von 40 bis 43 Prozent der letzten Bruttobezüge rechnen muss. Das ist wenig, viel zu wenig. Wer nicht mit einer betrieblichen und einer privaten Altersversorgung plant – oder zu den Glücklichen gehört, die ausreichend erben –, dem droht somit zwangsläufig die Altersarmut. [...]"

Wem jetzt noch nicht klar ist, wofür hier das Schulfach Wirtschaft eingeführt werden soll, ahnt es vielleicht bei diesen Sätzen von Tim Wessels: Ich möchte selbst entscheiden, wie ich fürs Alter vorsorge:
Im März 2012 habe ich eine Online-Petition gegen die Pläne des Arbeitsministeriums zur Einführung einer Rentenversicherungspflicht für Selbstständige eingereicht. Nachdem die Petition über 80 000 Mitunterzeichner gefunden hatte, in der Presse aufgegriffen worden war und ich von der damals zuständigen Ministerin Ursula von der Leyen zu mehreren sehr guten und umfangreichen Gesprächen eingeladen worden war, wurde das Projekt letztlich „auf Eis gelegt“.

Den Selbständigen soll eine Mitwirkung bei der Sozialversicherung erspart werden. Da es aber Selbständige gibt, die mit einer privaten Versicherung nie eine zureichende Alterssicherung erreichen können, soll der Staat die privaten Versicherungen mit Steuermitteln so weit aufstocken, dass sie attraktiver werden als die gesetzliche Rentenversicherung. Weil das jedem, der ein bisschen mitdenken kann, noch deutlicher als die heutigen Riester-Renten als Subventionierung unattraktiver privater Angebote auffallen würde, soll schon Grundschulkindern eingeredet werden, dass das ein sinnvolles Modell wäre.

Nicht überall ist der Lobbyismus so deutlich zu greifen. Dass aber ein Schulfach Wirtschaft, das die sozialen und ökologischen Zusammenhänge des Wirtschaftens ausklammert, gefährlichen Lobbyismus bedeutet, dürfte auch ohne das klar sein.
(Dieser Text wurde zunächst als Ergänzung des Artikels Schüler brauchen ökonomisches Wissen veröffentlicht.)

26.11.15

"Schüler brauchen ökonomisches Wissen"

"Schüler brauchen ökonomisches Wissen", dieser Forderung, die der verdiente Wissenschaftler Christoph Lütge in ZEIT online aufstellt, kann ich uneingeschränkt zustimmen. 
Interessant ist freilich, welches ökonomische Wissen er für unverzichtbar hält:
"Nachhaltiges Wirtschaften spielt in Unternehmen eine immer größere Rolle. Aber auch Ökologie muss im Rahmen ökonomischer Mechanismen funktionieren, damit sie nicht nur eine abstrakte Idee bleibt, sondern wirksam umgesetzt wird. Ökologische Probleme lassen sich letztlich nur durch ökonomische Mechanismen lösen.[…] Die Marktwirtschaft hat nicht nur im Westen, sondern mittlerweile auch in vielen anderen Regionen der Erde den Lebensstandard breiter Bevölkerungskreise in historisch unvergleichlicher Weise angehoben. Auch das sollte im Fach Wirtschaft vermittelt werden." (Schulfach Wirtschaft, ZEIT online 24.11.15)

"Nachhaltiges Wirtschaften spielt in Unternehmen eine immer größere Rolle."
Dies Wissen ist sicher geeignet, zu erklären, wieso nicht nur VW, sondern auch mehrere andere Automobilkonzerne auf den Versuch, vorgeschriebene Abgaswerte einzuhalten verzichtet und statt dessen die kontrollierenden Stellen raffiniert betrogen haben.

"Die Marktwirtschaft hat [...] den Lebensstandard breiter Bevölkerungskreise in historisch unvergleichlicher Weise angehoben."
Sicher eine überzeugende Erklärung, weshalb in der Flüchtlingskrise die "Wirtschaftsflüchtlinge" eine so wichtige Rolle spielen, dass man glaubt, ihretwegen eine "Obergrenze" für die Aufnahme von Flüchtlingen festlegen zu müssen. 

Was die Lobby der Arbeitgebervertreter noch nicht erfolgreich genug schafft (gegen ihren Protest darf eine Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung, die Lobbyarbeit von Arbeitgeberseite kritisch in den Blick nahm, wieder erscheinen), will Professor Lütge jetzt im Namen der Wissenschaft durchsetzen. 

Da interessiert mich doch, wie lange er noch dulden wird, dass das Funkkolleg Wirtschaft differenziertere Informationen über wirtschaftliche Zusammenhänge vermittelt.
Wird doch unter anderem die hochgefährliche These vertreten, dass gewinnorientiertes Denken selbst die an sich sehr ressourcenschonende Share Economy durch Bedarfsweckung zu einem höchst verschwenderischen Mehrverbrauch von Ressourcen führen könne (wie die Zunahme des Carsharing - anstelle eines Ausbaus des öffentlichen Nahverkehrs - in den Großstädten zu belegen scheint). 

Wenn man dem Kommentar Ein Kniefall vor den Arbeitgebern in ZEIT online vom 16.11.15 trauen darf, hat die Arbeitgeberlobby sich freilich bei der Einführung des Schulfachs Wirtschaft in Baden-Württemberg durchgesetzt. Dirk Lange konstatiert dazu:
"Herausgekommen ist der Entwurf eines monodisziplinären Unterrichtsfachs, das eine verengte Sichtweise auf das Ökonomische entwirft. Die Wirtschaftswissenschaften werden zur Hauptbezugsquelle eines sozialwissenschaftlichen Lerngegenstandes.
In diesem Fall wird der Homo Oeconomicus zum Leitbild der ökonomischen Bildung. Dabei wird beansprucht, mit Modellierungen der ökonomischen Verhaltenslehre die soziale Welt zu erklären. Dies soll quasi eine Alternative zu den diskursiven Formen sein, in denen sich die Unterrichtsfächer der politischen Bildung bislang mit ökonomischen Phänomenen auseinandergesetzt haben."

"Schüler brauchen ökonomisches Wissen": 
Dazu gehört u.a., dass nach dem Beschluss des Kyoto-Protokolls "der Anstieg der Emissionen aus Gütern, die in Entwicklungsländern produziert, aber in Industrieländern konsumiert werden, sechsmal größer war als die Emissionseinsparungen der Industrieländer" ("Groth in Emission Transfers via International Trade from 1990 to 2008", zitiert nach Naomi Klein: Die Entscheidung, S.103). 
Mehr dazu in: 
Fragen und Antworten zur UN-Klimakonferenz in Paris

Außerdem sollten Schüler wissen, dass das TTIP es erlauben würde, jede umweltschützende nationale Gesetzgebung in den USA und in Deutschland zu Fall zu bringen, die die Gewinnerwartung von Investoren aus einem der Länder beeinträchtigen könnte. 


Warum wir dringend ein Schulfach Wirtschaft brauchen von Klaus Hurrelmann, 30.11.15  mit 843 Raktionen
"Für mich ist es unverständlich, warum nicht mithilfe eines Schulfachs Wirtschaft bereits in der Grundschule ein Verständnis für komplexe Themen wie Alterssicherung ausgebildet wird.  [...] Viele Jugendstudien zeigen: 40 Prozent der jungen Leute sind sich mittlerweile sehr wohl bewusst, dass sie sich viel intensiver um ihre Rente sorgen müssten – im wahrsten Sinne des Wortes. Sie sind die erste Alterskohorte, die von der Veränderung der Rentenfinanzierung voll getroffen wird und lediglich mit einer Rente von 40 bis 43 Prozent der letzten Bruttobezüge rechnen muss. Das ist wenig, viel zu wenig. Wer nicht mit einer betrieblichen und einer privaten Altersversorgung plant – oder zu den Glücklichen gehört, die ausreichend erben –, dem droht somit zwangsläufig die Altersarmut. [...]"

Wem jetzt noch nicht klar ist, wofür hier das Schulfach Wirtschaft eingeführt werden soll, ahnt es vielleicht bei diesen Sätzen von Tim Wessels: Ich möchte selbst entscheiden, wie ich fürs Alter vorsorge:
Im März 2012 habe ich eine Online-Petition gegen die Pläne des Arbeitsministeriums zur Einführung einer Rentenversicherungspflicht für Selbstständige eingereicht. Nachdem die Petition über 80 000 Mitunterzeichner gefunden hatte, in der Presse aufgegriffen worden war und ich von der damals zuständigen Ministerin Ursula von der Leyen zu mehreren sehr guten und umfangreichen Gesprächen eingeladen worden war, wurde das Projekt letztlich „auf Eis gelegt“.

Den Selbständigen soll eine Mitwirkung bei der Sozialversicherung erspart werden. Da es aber Selbständige gibt, die mit einer privaten Versicherung nie eine zureichende Alterssicherung erreichen können, soll der Staat die privaten Versicherungen mit Steuermitteln so weit aufstocken, dass sie attraktiver werden als die gesetzliche Rentenversicherung. Weil das jedem, der ein bisschen mitdenken kann, noch deutlicher als die heutigen Riester-Renten als Subventionierung unattraktiver privater Angebote auffallen würde, soll schon Grundschulkindern eingeredet werden, dass das ein sinnvolles Modell wäre.

Nicht überall ist der Lobbyismus so deutlich zu greifen. Dass aber ein Schulfach Wirtschaft, das die sozialen und ökologischen Zusammenhänge des Wirtschaftens ausklammert, gefährlichen Lobbyismus bedeutet, dürfte auch ohne das klar sein.


vgl. auch:

La Repubblica - Italien
Es geht um die Landwirtschaft 
Auch die Klimakonferenz in Paris gesteht sich nicht ein, dass die Landwirtschaft entscheidend zur Erderwärmung beiträgt, kritisiert der Begründer der Slow-Food-Bewegung Carlo Petrini in der linksliberalen Tageszeitung La Repubblica: "Allein die Viehzucht-Branche ist verantwortlich für 14 Prozent der Treibhausgase. ... Dennoch tauchen auf den 54 Seiten, die die Verhandlungsbasis für die Pariser Klimakonferenz bilden, Begriffe wie Landwirtschaft, Biodiversität und Anbau nicht ein einziges Mal auf. Man konzentriert sich auf die Bereiche Energieversorgung, Schwerindustrie und Transport. Man spricht zwar auch über Bodenschutz und Nahrungsmittelsicherheit, doch wird der konkrete Zusammenhang zwischen Klima, Landwirtschaft und Nahrung nicht ausdrücklich benannt. … Um das Problem der Erderwärmung konkret anzugehen, bedarf es eines ökonomischen, kulturellen und sozialen Paradigmenwechsels. Es gilt, eine Landwirtschaft zu fördern, die auf ökologischen Methoden basiert, und das System der Herstellung, des Vertriebs und des Zugangs zu Nahrungsmitteln grundlegend zu verändern." (27.11.2015) 

» zur Homepage (La Repubblica)
Mehr aus der Presseschau zu den Themen » Landwirtschaft» Klimawandel

25.11.15

Terrorismus, Flüchtlingskrise und Wetterkatastrophen sind nur Symptome.

Eine Vulnerabilitätsanalyse des Bundesumweltministeriums sagt für Deutschland voraus: doppelt so viele heiße Tage (über 30 Grad), mehr Flutkatastrophen, weit häufigere Frühjahrs- und Sommertrockenheit. (Frankfurter Rundschau vom 25.11.15)
Harald Welzer sagt: Diese Folgen bei uns sind vernachlässigenswert im Vergleich zu den Folgen in den Tropen. Die Flüchtlingskrise ist keine Krise, sie wird Dauerzustand werden, denn Kriege und Hungersnöte sind Folgen des Klimawandels. (FR 24.11.15)
"Jeden Tag ziehen 200 Freiwillige aus dem Westen ins "Kalifat". Dort lassen sie sich zu modernen Barbaren ausbilden." (FR 25.11.15)

Diese Mitteilungen sagen uns nichts Neues. Wir dürfen sie aber nicht als die grundlegenden Probleme verstehen, sondern müssen den Zusammenhang erkennen und die Ursachen berücksichtigen.
Die freiwilligen Terroristen haben überhaupt nichts gegen unseren Lebensstil, sie wollen nur nicht ausgeschlossen sein. Das gilt noch viel mehr für die Selbstmordattentäter aus dem arabischen Raum: Lieber im Himmel als ein Leben lang darben und gleichzeitig Zuschauer sein beim Luxusleben im Westen. (Schließlich gibt es Satellitenfernsehen.) Ausgeschlossen fühlen sich auch die sunnitischen ehemaligen Offiziere Saddam Husseins, die jetzt die Kader des IS bilden, der jetzt wie die sunnitische Mehrheit in Syrien gegen den schiitischen Assad kämpft.
Die Kriege, denen die Flüchtlinge entkommen wollen, werden zu einem immer größeren Anteil durch den ausbeutenden Welthandel und den Klimawandel, der Wasserkonflikte hervorruft, verursacht.
Die Klimafolgen in Deutschland werden zwar mehrstellige Milliardenkosten verursachen, sind aber völlig harmlos gegenüber den Folgen in den jetzt schon benachteiligten Ländern. Die Zahl der Klimaflüchtlinge wird die der Kriegsflüchtlinge übersteigen, wenn erst einmal nicht nur Südseeinseln, sondern auch große Teile Bangladeschs und anderer Küstenzonen überflutet sein werden.

Vorausschauende Politik würde also nicht nur Wohnraum und Schul- und Ausbildungsplätze für Flüchtlinge schaffen, sondern die katastrophalsten Folgen des Klimawandels abzumildern suchen.

Die Flüchtlingskrise ist eine Folge des Anstaus an den Grenzen der "Festung Europa". Jetzt kommen die geballt zu uns, die man seit Jahrzehnten ausgesperrt hat.
Das zugrunde liegende Problem ist der Klimawandel, für den Klimakriege und Klimaflüchtlinge nur Symptom sind.
Warum wird die Klimakonferenz von Paris wieder einmal keinen Fortschritt bringen? Weil wir die Zusammenhänge noch nicht sehen wollen und uns die Probleme unserer Energie- und Automobilkonzerne näher stehen als die der Benachteiligten in Europa (vergleichsweise sehr wenige) und in der Welt.
Der "Islamische Staat" ist kein Lehrer. Aber dass Terrorismus gerade in Paris ausbricht und von Brüssel aus gesteuert wird, sollte uns klar machen, wo wir ansetzen müssen, wenn wir die Ursachen von Terrorismus, Flüchtlingskrise und Wetterkatastrophen bekämpfen wollen.

George W. Bush hat mit dem letzten Irakkrieg kräftig dazu beigetragen, den "Islamischen Staat" ins Leben zu rufen. Wenn sein Missgriff uns die Augen öffnen sollte, dann könnte Paris doch einen Erfolg bringen.
Ich wäre froh, wenn meine Vorhersage seines Scheiterns sich als falsch erweisen würde.

mehr dazu: 2052

24.11.15

Klimaflüchtlinge oder Gender-Star?

Halle (AFP) Mit einem Sternchen sollen sich bei den Grünen künftig auch diejenigen Menschen sprachlich berücksichtigt fühlen, die nicht mit den Begriffen "Mann" oder "Frau" beschrieben werden können oder wollen. Der Grünen-Parteitag beschloss am Sonntag in Halle an der Saale mit großer Mehrheit einen Antrag des Bundesvorstands, in den Beschlüssen der Partei den sogenannten Gender-Star zu verwenden. Mit Schreibweisen wie Bürger*innen oder Student*innen würden "Transsexuelle, transgender und intersexuelle Personen nicht mehr unsichtbar gemacht und diskriminiert", heißt es zur Begründung. (AFP

Klimaflüchtling

STUDIE: KLIMAFLÜCHTLINGE - DIE VERLEUGNETE KATASTROPHE Greenpeace 19.06.2007

KLIMAFLÜCHTLINGE: RECHT- UND HEIMATLOS Greenpeace 14.10.2014
"In den Entwicklungsländern vertreibt der Klimawandel schon heute Millionen Menschen aus ihrer Heimat. Ihre Häuser versinken in den Fluten, ihre Äcker verdorren, ihre Brunnen versiegen."

Wohin mit den Klimaflüchtlingen? Süddeutsche Zeitung 20.6.2014

Irgendwie gelingt es den Grünen immer wieder, mit originellen Themen ins Gespräch zu kommen.

mehr dazu:  Terrorismus, Flüchtlingskrise und Wetterkatastrophen sind nur Symptome.

23.11.15

"Die Mauer muss weg."

"Die Mauer muss weg." Der Spruch ist über 27 Jahre alt.
Die Berliner Mauer, auf den er sich bezog, ist über 25 Jahre weg.
Seitdem hat die Zahl der Grenzsperranlagen von weltweit 16 auf inzwischen 65 zugenommen. Fast täglich hört man von Plänen für neue Anlagen.
Während die "Festung Europa" sich noch darauf beschränkte, unwillkommene Einreise zu verhindern, sind europäische Regierungschefs jetzt unterwegs und bieten Diktatoren Geld dafür an, dass sie ihre Bevölkerung an der Flucht hindern.
Man stelle sich vor, Kohl hätte Honnecker Milliarden dafür geboten, die Mauer zu errichten, statt Häftlinge aus DDR-Haft freizukaufen. 1989 wäre das noch undenkbar gewesen. Heute sind wir nicht mehr weit davon entfernt. Natürlich nicht davon, Honnecker Geld anzubieten, aber die Ähnlichkeit ist doch groß.

Ich bin weit davon entfernt, abzustreiten, dass das Problem, dem sich die Bundesrepublik gegenwärtig gegenübersieht, einfach zu lösen wäre.
Ja, wir kommen sicher um schmerzhafte Maßnahmen nicht herum. Und ich plädiere in keiner Weise dafür, dass wir versuchen sollten, Flüchtlingszahlen von 10% oder 20% unserer Bevölkerung zu akzeptieren - Verhältnisse, mit denen der Libanon seit Jahren lebt.

Aber es muss doch Lösungen geben, wozu auch die, denen es gut geht, fühlbar beitragen.
Ab wann fühlen Multimilliardäre, dass ihnen etwas abgeht?

20.11.15

Versucht Deutschland heimlich, Asylverfahren zu verhindern?

"Auf die Aufforderung aus Deutschland, den Flüchtlingsstrom zu ordnen und zu verlangsamen, haben im Oktober von Mazedonien bis nach Österreich alle Länder auf der Balkanroute positiv reagiert. [...] Zäune, wie der schon 80 Kilometer lange zwischen Kroatien und Slowenien, sollen verhindern, dass die Übergangsstellen umgangen werden. Österreich plant an der Grenze zu Slowenien einen Zaun von 25 Kilometern Länge und hat im Bauplan für eine Übergangsstelle südlich von Graz einen Ausgang vorbereitet, durch den nicht akzeptierte Flüchtlinge „ausgeleitet“ werden sollen.
Mit der Entscheidung Mazedoniens, Serbiens und Kroatiens, einen Teil der Flüchtlinge abzuweisen, bekommen die Grenzanlagen erst einen Sinn. Jedoch widerspricht die neue Regelung nach Auffassung des UN-Flüchtlingshilfswerks dem Grundsatz, dass jeder Zugang zu einem ordentlichen Asylverfahren haben müsse, betont UNHCR-Sprecherin Sunjic.(Hervorhebung von mir)

NORBERT MAPPES-NIEDIEK  schreibt dazu in der Frankfurter Rundschau vom 20.11.15 
"Damit verletzen Mazedonien und Serbien auf deutschen Druck die Genfer Flüchtlingskonvention." (Hervorhebung von mir)

Dazu passt die ältere langfristigere Analyse der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg
"[...] In Deutschland zeichnet sich dabei die Tendenz ab, immer stärker zwischen Bürgerkriegsflüchtlingen (vor allem aus Syrien, dem Irak und Afghanistan) auf der einen Seite und Armutsflüchtlingen (vor allem aus den Staaten des Westbalkans, also Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, dem Kosovo, Albanien und Mazedonien) auf der anderen Seite zu unterscheiden. Während Bürgerkriegsflüchtlinge zur Zeit mit einer Anerkennung in Deutschland rechnen können, sollen Armutsflüchtlinge möglichst schnell wieder zur Ausreise veranlasst werden. Befürworter argumentieren, dass Deutschland seine Kapazitäten für die Aufnahme wirklich schutzbedürftiger Menschen brauche. Kritiker halten dagegen, dass bestimmte Gruppen auf dem Balkan, beispielsweise Roma und Sinti, diskriminiert würden und deshalb ebenfalls auf Schutz angewiesen seien. [...]" (Flüchtlinge in Deutschland)

mehr dazu in demselben Artikel unter der Überschrift "Ist Deutschland besonders stark belastet?" 
"Für das Jahr 2015 liegen noch keine Vergleichszahlen vor. Laut dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR lag Deutschland im Jahr 2014 zwar auf Platz 2, was die absolute Zahl der Asylantränge (etwa 202.000 im Jahr 2014) betrifft. Doch die absolute Zahl der Flüchtlinge lag in vielen Ländern weit höher: auf Platz 1 lag die Türkei, die fast 1,6 Millionen Flüchtlinge vor allem aus dem benachbarten Syrien aufgenommen hat. Auf Platz 2 lag Pakistan mit etwa 1,5 Millionen Flüchtlingen, auf Platz 3 der Libanon mit etwa 1,2 Millionen Flüchtlingen. Berücksichtigt man die Bevölkerungszahl der Gastländer, dann war die Belastung des kleinen Libanons mit vier Millionen Einwohnern besonders hoch: hier kamen im Jahr 2014 auf 1000 Einwohner 232 Flüchtlinge, in Jordanien waren es 87. In der Türkei kamen auf 1.000 Einheimische 21 Flüchtlinge, in Schweden 15 und auf Malta 14. Zum Vergleich: Deutschland hat 2014 bezogen auf 1.000 Einwohner 2,5 Flüchtlinge aufnehmen* - diese Zahl dürfte für das Jahr 2015 bei 10 bis 12 liegen."
*gemeint: "aufgenommen" (von mir)

17.11.15

Weshalb ich einen neuen Artikel im ZUM-Wiki angelegt habe

Im Februar 2015 erschien bei der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) ein Sammelband zur sozioökonomischen Bildung.
Daraufhin forderte am 5. Juni 2015 Peter Clever von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), in einem Schreiben die bpb dringend auf, 
"das Buch nicht weiter zu vertreiben. Die Publikation enthalte, so Clever, "ideologische" und "voreingenommene Anschuldigungen" hinsichtlich der Öffnung von Schulen für Unternehmen und des zunehmenden Lobbyismus an Schulen. [...] Das Bundesinnenministerium als vorgesetzte Behörde der bpb hat umgehend und ohne Prüfung der Vorwürfe ein Vertriebsverbot ausgesprochen." (Arbeitgeber machen Druck auf Bundeszentrale für politische Bildung, „WAP” das Berufsbildungsportal der IG Metall vom 22.10.15)
"Inzwischen hat sich auch der wissenschaftliche Beirat der Bundeszentrale für politische Bildung mit dem Fall befasst. Das Ergebnis ist, wie man hört, eine Niederlage für das Innenministerium: Die große Mehrheit der Experten stimmte für eine Aufhebung des Vertriebsverbotes." (SPON, 26.10.15)

Zu recht stellt der Spiegel die sich selbst entlarvende Äußerung Peter Clevers heraus:
"Besonders echauffiert hatte sich Arbeitgeber-Geschäftsführer Clever in seinem Brandbrief übrigens über das Kapitel zum Thema Lobbyismus. Es werde ein "monströses Gesamtbild von intransparenter und eigennütziger Einflussnahme der Wirtschaft auf Politik und Schule gezeichnet", schrieb er darin."
Weiter bemerkt der Spiegel dazu: 
"Vielleicht ist ja auch der Versuch des BDA, ein Wirtschaftsbuch aus dem Verkehr zu ziehen, künftig ein gutes Beispiel für den Unterricht." (SPON, 26.10.15)
Inzwischen hat das Ministerium das Vertriebsverbot wieder aufgehoben (Innenministerium hebt Vertriebsverbot wieder auf, SPON 29.10.15)
Inzwischen häufen sich aber die Meldungen über Lobbyismus an Schulen (z.B. Lobbyismus an Schulen, heute: RWE und die Braunkohle  2.11.15 und taz.de vom 11.11.15),  und ich habe mich verpflichtet gefühlt, der Empfehlung von Spiegel online zu folgen. Da ich aber längst im Ruhestand bin, kann ich das nicht mehr im Unterricht, sondern nur durch Anlegen eines Artikels zu Lobbyismus im ZUM-Wiki, der sich zugegebenermaßen vor allem auf Lobbyismus in der Schule konzentriert. So ist dort inzwischen u.a. auch Lobbyismus an Schulen, ein Artikel der Lobbypedia, verlinkt.
Vielleicht regt das ja den einen oder anderen an, das Thema mal im Unterricht aufzugreifen. So bald wird es an Aktualität nicht verlieren.

12.11.15

Worin besteht der Zusammenhang zwischen dem 20.7.1944 und TTIP?

Art. 20 Abs.4 des Grundgesetzes ist nur deshalb entstanden, weil man 1968 einsah, dass selbst das Grundgesetz von 1949 noch erlaubt hätte, selbst berechtigten Widerstand als Hochverrat zu werten
Der neue Artikel 20 lautete:
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
Natürlich kann sich jede kommende Regierung noch darauf berufen, es wäre andere Abhilfe möglich, und gegen berechtigten Widerstand vorgehen. Aber wenigstens das Gewissen des Einzelnen ist entlastet. 
Und unabhängige Gerichte dürfen darüber entscheiden, ob der Widerstand berechtigt ist.

Aktuell wichtig ist das z.B. im Kontext von TTIP. Wenn das TTIP - wie es den Anschein hat* - tatsächlich auf alle Zeiten die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einer Umweltgesetzgebung der BRD in die Hände von Schiedsgerichten legt, die nicht "an Gesetz und Recht gebunden" sind, dann ist Widerstand gegen TTIP durch das Grundgesetz gerechtfertigt, "wenn andere Abhilfe nicht möglich ist".

Den Attentätern vom 20.7.1944 und ihren Verwandten ist in der Nachkriegszeit noch lange Unrecht geschehen. Widerstand gegen TTIP aber ist ausdrücklich erlaubt, wenn die Verfassungsorgane der BRD nicht bereit sind, ihre Rechte gegenüber den Verhandlungspartnern EU und USA zu wahren.

Das ist eine sehr aktuelle heutige Bedeutung des 20.7.1944.

* In diesem Kontext geht es vor allem um den letzten Absatz auf S.14

Zur Erläuterung zitiere ich noch den einschlägigen Artikel der Wikipedia:

In einem offenen Brief an den US-Handelsbeauftragten haben mehr als 40 Organisationen, darunter Bürgerrechtsbewegungen, Naturschutzbünde und mehrere Kirchen, aufgefordert den Investitionsschutz aus den Verhandlungen zu streichen. Sie bemängeln, die Regierung könne in einem Schiedsverfahren ausschließlich die Rolle des Beklagten einnehmen und dass selbst im Gewinnfall die durchschnittlichen Prozesskosten in Höhe von acht Millionen Dollar auf die Steuerzahler entfielen.[94][95]Franz Kotteder, Autor des Buches Der große Ausverkauf. Wie die Ideologie des freien Handels unsere Demokratie gefährdet, sieht Abkommen wie TTIP am Anfang einer gewaltigen Umwälzung stehen, an deren Ende der zügellose Markt stehen könnte. Das transatlantische Freihandelsabkommen sieht er als Teil eines Geflechts von Verträgen (CETA, TiSA, TTP), die allesamt dasselbe Ziel verfolgen: die Umsetzung einer neoliberalen Agenda, die multinationale Konzerne von allen Beschränkungen, die ihnen durch Regierungen auferlegt wurden, befreien soll. TTIP sei damit „Teil eines Weltstaatsstreichs der internationalen Wirtschaftsverbände und der großen Konzerne“.[96] sieh Seite „Transatlantisches Freihandelsabkommen“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 11. November 2015, 08:08 UTC. URL:https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Transatlantisches_Freihandelsabkommen&oldid=147922126 (Abgerufen: 12. November 2015, 09:11 UTC)