25.12.16

Notwendige Erinnerung

Die Aufregung über den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin lässt wie vorher die über die sexuellen Übergriffe in Köln etwas aus dem Blick geraten, dass der Versuch einer offeneren Flüchtlingspolitik gestartet wurde, um die Folgen der rigiden Abschottung Europas gegen Flüchtlinge aus Afrika und Asien ein wenig abzuschwächen. Immer noch gibt es für Flüchtlinge von dort kaum einen legalen Zugang nach Europa, immer noch sterben auf dem illegalen Weg Tausende. (Eine tägliche Durchschnittsrate wage ich aufgrund der mir zur Verfügung stehenden Zahlen nicht zu berechnen.)
Über der Aufregung über den Versuch einer ein wenig menschlicheren Politik gegenüber Flüchtlingen ist fast vergessen, dass - mit den Worten Noam Chomskys - "Griechenlands gesellschaftliches Gefüge zerschlagen wurde" und auf "das Ansinnen, das griechische Volk über das Schicksal seiner Gesellschaft mitbestimmen zu lassen, die von der brutalen Austeritätspolitik der Troika zugrunde gerichtet worden war" "die Brüsseler Bürokratie" 2015  eine "wütende Reaktion" zeigte (Zitate alle von Chomsky).
mehr dazu:

„Die Wirtschaft wird kollabieren“


Der menschengemachte Anteil des Klimawandels wird zum Glück immer wieder einmal durch Berichte (zuletzt über das Abschmelzen des Eises an den Polkappen) in Erinnerung gerufen.

Aber über den notwendigen Erinnerungen an Missstände sollen die Aufbrüche, die immer wieder einmal geschehen (hier nenne ich nur das 2. Vatikanische Konzil, die Wahl Obamas und die von Franziskus) und die durchaus nicht folgenlos geblieben sind, nicht vergessen werden.

An "Da machte sich auch auf Joseph aus Galiläa ..." werden wir immer wieder zu Weihnachten erinnert, an seine Flucht nach Ägypten schon weniger. Und die Mahnung "Was bleiben immer wir daheim, lasst uns auch ..." hören die meisten von uns lieber gesungen, als dass wir uns dadurch dazu gedrängt fühlen wollen, den Kreis derer, die wir lieben, zeitweilig zu verlassen, um denen zu helfen, die unsere Unterstützung doch auch nötig haben. (Ich selbst gehöre auch so gut wie immer zu dieser überwältigenden Mehrheit.)

Wenn wir uns von Katastrophenmeldungen in die Opferrolle drängen lassen, statt gegen bestehende Missstände das zu tun, was wir  können, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn wir unter unseren Möglichkeiten bleiben. (Wobei ich bei Möglichkeiten primär nicht an die möglichst lukrative Verwendung unserer Arbeitskraft denke.)

17.12.16

Digitale Bildung?

Google hat als ZEIT-Beilage ein Heft "Aufbruch Lernen. Ein Magazin zur digitalen Bildung" herausgebracht. 
Was mich daran stört? - Dass das Lernen des Umgangs mit Programmen und digitalen Medien als "Aufbruch des Lernens" bezeichnet wird, obwohl es doch nur um einen neuen (sehr wichtigen) Lernbereich geht. Und dass von digitaler Bildung gesprochen wird, als ob Bildung digital sein könnte. Mit digital ist ja nicht die Bildung, sondern nur der Bereich, um den es geht, bezeichnet.
(Mit dieser Kritik an einem üblich gewordenen Sprachgebrauch kritisiere ich mich durchaus auch selbst; denn ich selbst habe im ZUM-Wiki einen Artikel Digitales Lernen eingefügt. - Wenn man will, dass etwas gefunden wird, passt man sich dem Sprachgebrauch an, und der ist relativ häufig unlogisch. Das ist freilich nur so lange unproblematisch, wie darüber nicht die Differenzierung im Denken verloren geht.)

Jetzt aber zum Inhalt des Heftes: 
In den Artikeln wird zu Recht hervorgehoben, wie viel Möglichkeiten digitale Instrumente und Medien für Lernen bieten. Es wird aber nicht genügend berücksichtigt, dass diese Möglichkeiten primär den besonders Lernbegünstigten helfen und dass die durch äußere oder innere Umstände Lernbehinderten durch die Digitalisierung benachteiligt werden, so lange kein Schwerpunkt darauf gelegt wird, wie die Entstehung von Lerndefiziten aufgrund der Ausdehnung dieses Bereichs eingedämmt werden kann.  
Dazu:
Zum einen ist aufgrund des hohen Innovationsgrades im Bereich der Digitalisierung jeweils die ältere Generation benachteiligt, weil sie sich neue Bereiche in einer Phase erschließen soll, wo diese spezifische Lernfähigkeit gerade abnimmt. (Nur ein Beispiel: Ich selbst habe bisher den Umstieg vom Laptop zu mobileren Geräten nicht geschafft.)
Zum anderen ist aufgrund des höheren Abstraktionsgrades des digitalen Bereichs nicht nur der verständnisvolle Umgang mit den Instrumenten und Medien schwieriger, sondern auch das Verständnis für die Gefahren, die dort für den Einzelnen (aber auch die Gesellschaft) lauern. 
Wenn man bedenkt, wie zentrale gesellschaftliche Institutionen wie Regierung und Parlament mit dem Umgang mit digitalen Instrumenten hinterher hinken (unzureichende Absicherung gegen Hackerangriffe) und wie zeitverzögert auf die neuen Entwicklungen reagiert wird, dann sollte man sich auch klar machen können, dass ein Verständnis für die Gefahren der digitalen Welt (Sucht, Datenmissbrauch, Identitätsdiebstahl) und die Einübung in die Fertigkeiten, die man braucht, ihnen zu begegnen, weniger Lernbegünstigten stark erschwert ist.

Schließlich sollte man nicht ausblenden, dass nicht nur die Lernenden, sondern auch die gegenwärtigen Lehrer zu großen Teilen durch die neuen Anforderungen überfordert sind. 
Wie groß ist der Prozentsatz  der Lehrer, die sich schon ein funktionierendes persönliches Lernnetzwerk aufgebaut haben, und der Lernenden, die die technischen Geräte und notwendige Unterstützung haben, sich eins zu erarbeiten?
Dabei denke ich auch an den nicht geringen Anteil der Flüchtlinge, die schon mit Alphabetisierung und Spracherwerb extrem gefordert sind und gleichzeitig auch digitale Innovationen mitvollziehen können sollen, um in die Arbeitswelt integriert zu werden. 

Da scheint es fragwürdig, wenn 5 Milliarden für die Versorgung der Schulen mit digitalen Instrumenten bereitgestellt werden, aber die Finanzierung von Alphabetisierung und Spracherwerb der Flüchtlinge noch nicht sichergestellt ist. 

Sieh jetzt auch:
Digitale Strategie der KMK (Dezember 2016), ein kritischer Blogbeitrag in Lehrerzimmer vom 18.12.16
News4Teachers 21.12.16
Bildung in der digitalen Welt & Schulinternes Curriculum 3.1.17
Der Blog: Bildung digital

Lässt sich schon im Kindergartenalter Medienkompetenz erlernen?  Bildungsklick 16.1.17
Die Verfasserin antwortet mit ja. 
Aber auch sie bemerkt:
"Der pädagogisch verantwortete und kreative Einsatz von Tablets im Kitalltag ist für die meisten pädagogischen Fachkräfte Neuland, so dass nicht nur in die Ausstattung mit technischen Endgeräten, sondern vor allem auch die entsprechende Qualifizierung und Unterstützung des pädagogischen Personals eine weitere zu bewältigende bildungspolitische Herausforderung ist." 
Zu den Gefahren des Internets meint sie:
"Die aktive Mediennutzung in der Kita bietet viele Anknüpfungspunkte, mit Kindern Gespräche über Sicherheitsthemen im Internet zu führen, wie sie Hilfe holen, mit Gefühlen umgehen, eigene Grenzen einschätzen, mit eigenen Passwörtern umgehen sowie das Recht am eigenen Bild oder das Urheberrecht kennen lernen. Sie ermöglicht auch, mit Kindern Regeln über die Mediennutzung aufzustellen und sie in ihrem Bewusstsein zu stärken, was gute und schlechte Medieninhalte sind. Durch solche Herangehensweisen legt frühe Bildung den Grundstein für eine sichere und verantwortungsvolle Internetnutzung. Dann entwickeln bereits junge Kinder Kompetenzen, die für sie später in problematischen Situationen im Netz hilfreich sind. Bevor jedoch Tablets in Kinderhand gegeben werden, sind die von Fachleuten empfohlenen Sicherheitsvorkehrungen und eine Vorauswahl geeigneter Medieninhalte zu treffen."
Wie man sicherstellt, dass der "pädagogisch verantwortete und kreative Einsatz" gelernt wird und  genügend Geld nicht nur für die Geräte, sondern auch für die Schulung der Lehrkräfte bereitsteht, das hat sie nicht zu verantworten. Das ist aber genau der Punkt, an dem die bisherige Strategie, Medienkompetenz im digitalen Raum zu schaffen, gescheitert ist. 

13.12.16

Bekommen Schüler wirklich immer bessere Noten?

An den Schulen, bei denen ich das beobachten konnte, hat sich mit der Einführung des Punktesystems für die Spitzenschüler der Notenschnitt verbessert. Das ist nahe liegend, weil man mit 15 Punkten die deutlich schwächeren 11 Punkte (eine ehemalige 2) zu 13 Punkten (also 1) "ausgleichen" kann.
Entsprechend verbesserte sich mit Einführung des Zentralabiturs wiederum der Notenschnitt der landesweit besten Schüler. Da Lehrer für den Leistungsvergleich nur die Leistungen innerhalb der Lerngruppe (also höchstens die der eigenen Schule, nie die innerhalb des gesamten Bundeslandes) zur Verfügung haben, werden sie in besonders guten Lerngruppen daher eher weniger Spitzennoten vergeben als in schwächeren. Für die in solchen Gruppen als "nur" gut eingeschätzten Schüler führt das dazu, dass sie im Landesdurchschnitt zur Gruppe mit sehr gut gehören.
Wie weit dieser allgemein geltende Effekt noch durch weitere Veränderungen begünstigt wurde, vermag man als einzelner Lehrer nicht zu beurteilen. Dazu muss eine größere Gruppe als er beobachten kann, untersucht werden.

Der Faktencheck des Spiegel (Faktencheck: Bekommen Schüler wirklich immer bessere Noten?, 12.12.16) scheint meine allgemeinen Vorüberlegungen zu bestätigen. Was die weiteren Veränderungen (Stichwort: Kompetenzorientierung) betrifft, liegen offenbar noch keine Untersuchungen vor, die belastbare Aussagen für das gesamte Bundesgebiet ermöglichen. Da die Testergebnisse deutscher Schüler sich aber im internationalen Vergleich seit der ersten PISA-Untersuchung verbessert haben, wäre von daher eine Verbesserung des Notendurchschnitts durchaus gerechtfertigt. - Das besagt freilich noch nicht, dass die Entwicklung des Notendurchschnitts in allen Bundesländern genau der Entwicklung des Leistungsstandes entspricht.

25.11.16

Längere Pausen stärken die Leistungsfähigkeit der Schüler

"Die AAP empfiehlt längere Pausenzeiten nicht nur, weil die Kinder damit die Möglichkeit bekommen, Dampf abzulassen, um später fokussierter arbeiten zu können.
Die Tatsache, dass die Kinder sich über den Tag verteilt öfter bewegen können, sei zudem gesundheitsfördernd und beuge Übergewicht vor, schreibt die Vereinigung auf ihrer Webseite. Durch den Austausch mit den anderen Kindern würden die Kleinen ihre sozialen Fähigkeiten ausbauen und sich in Selbstkontrolle üben.
Eine Studie der Stanford University kam zu ähnlichen Ergebnissen: Forscher initiierten dafür an mehreren Schulen Pausenprojekte und kamen zu dem Schluss, dass Pausen wichtig für ein positives Schulklima sind. Schüler würden seltener gemobbt, meldeteren sich weniger häufig krank und erzielten bessere Leistungen." (Huffington Post 25.11.16)
Verwundern kann mich das Ergebnis solcher Studien nicht, auch wenn ich es mehr gehofft hätte, als ich es hätte belegen können. Vielleicht spielt dabei freilich sogar auch eine Rolle, dass die Lehrer mehr Zeit zur Organisationsaufgaben und Gespräche haben und deshalb weniger abgehetzt in den Unterricht kommen. 

21.11.16

Zum selbstorganisierten Lernen (#EdchatDe 154)

Zur Vorbereitung des #EdchatDe 154

F1 Ist selbstorganisiertes Lernen eine Kernkompetenz des 21. Jahrhunderts? Oder eher Stolperstein im Lernprozess?  #EDchatDE
Weder noch.
F2 Wie habt ihr selbstorganisiertes Lernen schon eingesetzt? Beispiele? Projekte? Gerne mit Links. #EDchatDE
Vor gut 40 Jahren in Jahresarbeiten. Natürlich haben Schüler, die schon im Unterricht leistungsstark waren, da einiges geleistet, was ich ihnen nicht zugetraut hätte. - Der Grund m.E.: hohe Motivation, da die Themen recht frei gewählt werden konnten, z.B. Malcolm X (im Deutschunterricht).
F3 Chancen und Stolpersteine: Worauf muss man beim Konzipieren von SOL-Lernsettings besonders achten? #EDchatDE
Hängt von dem SOL-Lernsetting ab.
F4  Wie lassen sich Eltern vom Selbstorganisierten Lernen überzeugen? Oder fordern sie es sogar ein? #EDchatDE
Das Problem hat sich mir nie gestellt.
F6 Selbstorganisiertes Lernen: Kannibalisieren wir uns damit nicht selbst? Was ist die Rolle der Lehrenden? #EDchatDE
Motivierende Lernsituationen schaffen. Das ist mir relativ häufig mit relativ vielen Schülern nicht gelungen. Am besten gelang es, wenn ich auf die individuellen Lernbedürfnisse eingehen konnte.
F7 Welche Methoden des selbstorganisierten Lernens könnt ihr empfehlen? Welche (digitalen) Tools helfen euch bei SOL?  #EDchatDE
Lernen durch Lehren. Es ist zwar durch sehr viel Lehreraktivität geprägt, enthält aber sehr hohe Anteile von SOL bei den Lehrendlernenden und bei der Lerngruppe.
F8: Welche Anregungen, Fragen hast du noch zu „Selbstorganisiertes Lernen“ #EDchatDE

Wenn selbstorganisiertes Lernen so wertvoll ist, warum verschafft man besonders begabten Schülern, die doch besonders gut selbstorganisiert lernen können, dann so häufig einen Zugang zur Universität?


#EdchatDE

20.11.16

Blogparade Jugendsprache und Sprachentwicklung

Die Jury hat sich für "fly sein" als Jugendwort des Jahres entschieden. In der online-Abstimmung lag "isso" vorne. "Vollpfostenantenne" wurde abgelehnt, weil niemand mehr "Vollpfosten" sage, "Hopfensmoothie", um nicht für Alkohol Reklame zu machen.
Jeder hat andere Gründe, weshalb er sich mit dem Wettbewerb beschäftigt.
Mir ging es, als ich das Thema Jugendsprache im Unterricht behandelte, darum, den Jugendlichen ein Bewusstsein dafür zu vermitteln, dass Sprache nichts Festes ist, sondern sich entwickelt. (So z.B. bei dem Wandel der Nebensatzkonjunktion "weil" zur Hauptsatzkonjunktion sowie bei der Auflösung des Unterschiedes zwischen Genitiv und Dativ.)
Da ich Jugendsprache im Ausland behandelte, ergab sich ein bemerkenswertes Phänomen: Die Schüler nannten mir praktisch durchweg Beispiele, die ich selbst kannte. Als ich nachfragte, ob die Wörter wirklich über Jahrzehnte hin Jugendsprache geblieben seien, stellte sich heraus, dass sie keine Jugendsprache hatten. Die Beispiele, die sie genannt hatten, hatten sie - in Ermangelung eigener Kenntnisse, wie man das so macht - von ihren Eltern erfragt.
In der Oberstufe stellte ich dagegen relativ häufigen Gebrauch von Jugendsprache fest.
Meine Erklärung: Vor einigen Wochen war ein Schüler aus Deutschland gekommen, und seine jugendsprachlichen Ausdrücke hatten seine Klassenkameraden im Nu aufgegriffen.

Daraus habe ich geschlossen: Jugendsprache setzt eine größere Sprachgemeinschaft voraus, weil erst da sich genügend Kreativität entfalten kann. - Der Schluss scheint dadurch widerlegt, dass es ja durchaus familieninterne Sprachgebräuche gibt, also Sondersprache im kleinsten Sprachumfeld. Als ich dem nachging, habe ich freilich aus meinen Beobachtungen geschlossen, dass viele Ausdrücke aus den Familiensprachen der Herkunftsfamilien der Partner mitgebracht werden oder, wenn das nicht der Fall ist, dass es ein besonders kreatives Familienmitglied gibt, dessen Ausdrücke in der Familie aufgegriffen werden, und das sich dadurch zu weiterer Kreativität angeregt fühlt.

Gerade dass die "Jugendwörter des Jahres" durchaus sehr umstritten sind, ist offenbar das, was den "Wettbewerb" sinnvoll macht: Es wird am Beispiel von Jugendsprache über Sprache gesprochen, und die pädagogische Absicht, die bei der Ablehnung des Wortes "Hopfensmoothie" mir so sauer aufstieß, ist dadurch - jedenfalls aus meiner Sicht - glänzend gerechtfertigt. Weil erst das Ungewöhnlich und Strittige weckt die Aufmerksamkeit und damit die Reflexion. Oder war das schon zu viel der Spekulation und dem Nachspüren von Sprachentwicklung?

Bei der Jugendsprache stimmt meiner Meinung nach, was man dem Volkslied zu Unrecht nachgesagt hat. Sie entsteht nicht durch präzis festzumachende Personen, sondern aus der Gemeinschaft heraus. Denn erst wenn ein Ausdruck von mehreren aufgegriffen wird, wird er Jugendsprache.
Freilich: Auch wenn bei vielen Volksliedern der Verfasser durchaus bekannt ist - so wie bei "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten ...", wo in Nazi-Anthologien "Verfasser unbekannt" stand: Erst der wiederholte Gebrauch der Vielen macht aus der individuellen Schöpfung Volksgut, das dann kreativ weiterentwickelt und "zersungen" werden kann. (Das eindrucksvollste Beispiel, das ich kenne, ist: Es regnet ...".)
All das sind freilich höchst subjektive Überlegungen, durch keinerlei statistische Untersuchungen belegt. Wie wäre es mit einer Blogparade*, in der jeder seine Erfahrungen mit Sondersprachen und Sprachentwicklung darstellt?

* Wie "Stöckchen" ein Wort aus der Blogosphäre, so wie "omatauglich" ein Wort der Wikipedianer ist. (Bei einem Werbekurs für "Wikipedia über 50" wurde das Wort von den äußerst versierten, meist weiblichen Internetcafébetreuern mit Empörung aufgenommen.)

Tweets zu JugendsprachejugendwortdesjahresSprachentwicklungBlogparade

8.11.16

Studenten als Aushilfslehrer

Schulen stellen Studenten heimlich als Klassenlehrer ein Welt N24

"Manche Bundesländer werden aufgrund des herrschenden Lehrermangels kreativ: Vor allem Studenten kommen vermehrt zum Zug. [...]

Besonders schwierig ist die Lage nach Einschätzung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Sachsen und Berlin, aber auch anderswo fehlen je nach Schulform und Fach viele Lehrer. [...]
Die Bildungsgewerkschaft GEW kritisiert die Entwicklung. „Ich halte das für eine Überforderung“, sagt Ilka Hoffmann, die im GEW-Hauptvorstand für Schule verantwortlich ist. „Dass Studierende einzelne Unterrichtsstunden halten, ist ganz normal.“ Als Ersatz für ausgebildete Lehrkräfte dürften sie aber nicht eingesetzt werden. Zu dem Beruf gehöre eine solide pädagogische und fachliche Ausbildung."

6.11.16

Lernen ohne Lehrer

Abgründe neuer Lernkultur (pdf) von Christoph Türcke

Die folgenden Zitate erfassen nicht die Argumentationsstruktur, sondern sollen nur anregen, sie im Text nachzuvollziehen. Die fett hervorgehobenen Sätze stellen eine von mir künstliche Verkürzung auf Thesen dar, die Widerspruch anregen und auf die Begründunggen für die "Thesen" neugierig machen sollen. 
Kompetenzkozept ohne Bezug zum Inhalt:
"Exakt umschreiben lässt es [Können] sich nur, wenn man die Gesamtheit der Inhalte aufführt, an denen es erworben wurde."

Schreibunterricht:
"Schreiben ist eine Geste der Hingabe. [...]
Wohin der Verzicht auf Schreibschrift führt, ist offensichtlich. In wenigen Jahren werden handschriftliche Druckbuchstaben den Kindern ebenso "zu beschwerlich", sein wie es jetzt schon die vereinfachte Ausgangsschrift ist. [...] Alphabetisieren wir doch von vornherein am Computer! Damit ändert sich allerdings die Gesamthaltung zum Schreiben. Buchstaben, die man selbst nicht mehr malen kann, werden nur noch durch ruckartige Fingerbewegungen ausgelöst bei ständigem Blickwechsel zwischen Tastatur und Display. Die Geste der Hingabe, die den ganzen Organismus auf einen Punkt hin zusammennahm, löst sich in disparate Impulse auf. Der Vorgang des Schreibens wird genauso wuselig, wie es seine Umgebung im deregulierten Klassenzimmer schon ist. Die Alphabetisierung am Computer ist Zunder für ADHS."

Allgemein:
"Die aktuellen Bildungsstandards verordnen von höchster Stelle Niveausenkungen, die sie wie des Kaisers neue Kleider ausbieten. Das tun sie aber nicht aus Spaß oder um in der schönen neuen Welt der Flexibilität die Zügel einmal etwas lockerer zu lassen, sondern unter diffusem globalem Flexibilitätsdruck. [...]
Im Obrigkeitsstaat klagten die Schulbehörden regelmäßig über Schlendrian in den Schulen. Im neoliberalen Staat hingegen protestieren Lehrerverbände dagegen, dass die Schulpolitik mentale Elementartechniken herunterwirtschaftet; dass sie das drastische Sinken der Schreibfähigkeit durch steigende Vorgabe von Lückentexten kompensiert; [...]

Inklusion:
Die Behindertenrechtskonvention der UN verlangt, dass "kein Kind zurückgelassen" wird [...]
Wenn sich der Staat zur UN-Konvention bekennt, muss er auch das Geld zu ihrer Umsetzung locker machen, sagen die Inklusionsverfechter. Leider ist es umgekehrt: Weil immer weniger Geld für Bildung da ist, erfanden die UN die Inklusion.   [...]
Förderlehrer sind im System Regelschule immer nur zu Gast. Dass sie zu den Problemkindern ein stabiles Verhältnis aufbauen, kommt gelegentlich vor, ist aber strukturell nicht vorgesehen. [...]
Wie ein Abitur für alle kein Abitur mehr ist, so auch ein gemeinsamer Unterricht für alle kein gemeinsamer Unterricht mehr – zumindest wenn man darunter versteht, dass allen Mitgliedern einer Klasse oder Gruppe ein bestimmter Stoff eröffnet wird: [...]
Im Inklusionsraum sind alle zusammen, keiner kann hinaus, und jeder lernt für sich. [...] Nicht von ungefähr ähneln sich die Inklusionsräume deregulierten Großraumbüros an.  [...]

Motivation durch Angebot von Lernmöglichkeiten, durch Zeigen:
Das Zeigen ist die feierliche Eröffnung, das Highlight, das Sedimentieren und Fördern ist die unerlässliche Nacharbeit, der Alltag. Wo nichts gezeigt wird, gibt es nichts zu fördern. Fördern statt Zeigen ist ein Fass ohne Boden. Wenn man Lehrer zu bloßen Begleitern und Förderern degradiert, zu Arbeitsblattanhängseln und zum mobilen Eingreifdienst, nimmt man ihnen das Eigentliche ihres Berufs: das Zeigen."
(http://www.swr.de/-/id=18204784/property=download/nid=660374/1cn16an/swr2-wissen-20161106.pdf)
Literaturhinweis:
Christoph Türcke: Lehrerdämmerung: Was die neue Lernkultur in den Schulen anrichtet. C.H. Beck, München 2016, ISBN 3406688829.

Ich erspare mir den Hinweis, auf die Anzeichen im Text, die darauf hindeuten, dass ein emeritierter Philosophieprofessor sich hinsichtlich digitalen moderatorunterstütztem Lernen in einer ähnlichen Informationsblase befinden könnte wie die meisten von uns in ihren Persönlichen Lernnetzwerken.
Immerhin sitze ich im Glashaus; denn ich bin vier Jahre älter als er. Vielmehr möchte ich darauf verweisen, dass ein Blick mit Abstand die Chance bietet, die weniger kompetenzorientierten Lehrer nicht einfach als vom alten Eisen, sondern als Symptome für mögliche Schwächen des Konzepts ernst zu nehmen.

Aus meiner subjektiven Sicht möchte ich hinzufügen, mir bei der Argumentation zwar manches überspitzt erscheint, dass aber zwei Aspekte seiner Kritik ein grundsätzliches Problem berühren: 

Ein Computer kann geniale Lernprogramme anbieten, er ersetzt nicht die Motivation durch den persönlichen Bezug. Der wird - je reifer der Lernende ist - umso unwichtiger. Aber bei allen Lernhemmungen und -störungen ist er entscheidend für Diagnose und für die Suche nach individuell angepassten Lernhilfen.

Inklusion kann soziale Isolierung vermeiden helfen, aber ein nur stundenweise vorhandener Helfer kann nicht die Sicherheit vermitteln, die ein Lernen in einer gemeinsamen Lerngruppe unter Anleitung eines Lehrers  bedeutet, der die spezifischen Lernschwierigkeiten kennt. 

Zu Inklusion neuerdings auch:
Bereits im Kindergarten riet man unserer Autorin ab, auf eine reguläre Schule zu gehen. Sie hat es trotzdem getan. Eine persönliche Abrechnung. taz.de Sandra Hertzke 4.1.2017
"Ob es gelingen wird, den Lehrern wie auch den Schülern diesen Inklusionsgedanken im täglichen Unterricht zu vermitteln? Das wird auch davon abhängen, wie souverän die LehrerInnen in der Lage sind, damit umzugehen – und zwar nicht nur die SonderpädagogInnen, sondern alle LehrerInnen und ErzieherInnen. Da braucht es Weiterbildungen, sonst bleibt die Inklusion nur Theorie und kommt nicht im Klassenraum an. Denn ein Nebeneinandersitzen bedeutet eben noch nicht ein Miteinanderlernen."

Wenn es keine Lehrer mehr gäbe, brauchte man sie nicht dafür weiterzubilden. Wäre das nicht ein Vorteil?

"Die Förderschullehrerin und ich störten uns gegenseitig"
"[...] Außerdem haben wir gar nicht genug Förderlehrer, um alle Deutsch- und Mathestunden abzudecken.[...]"

1.11.16

Am Anfang war das Wort - 500 Jahre Luthers Bibelübersetzung und sein Beitrag zur Reformation

Als Luther begriff, wie viele seiner Reformideen für die Kirche schon von Jan Hus entwickelt und vertreten worden waren, der dafür verbrannt wurde, meinte er über sich und seine reformatorischen Mitstreiter "Wir sind alle Hussiten". Er hätte sich auch als Nachfolger von John Wyclif  bezeichnen können. Seine Reformideen hatten viele Vorgänger, auch Bibelübersetzungen ins Deutsche gab es lange vor Luther. Aber als Übersetzer wie als Reformator erzielte er eine besonders weitreichende Wirkung, nicht zuletzt, weil der Buchdruck erfunden war und so seine Schriften kostengünstig weit verbreitet werden konnten. (Tweets zu Reformation und zu Bibelübersetzung, Chronik zu Bibelübersetzung)

Die Bibel zu übersetzen bedeutete für Luther, den bis dahin gültigen lateinischen Text der Vulgata durch einen deutschen Text zu ersetzen, der für seine Zeitgenossen unmittelbar verständlich sein sollte. Dafür hat er - trotz einer schon seit Jahrhunderten bestehenden Tradition der Erfindung deutscher Wörter zur Wiedergabe lateinischer religiöser Begriffe *- seinerseits manche neuen Wörter erfunden (z.B. Lästermaul*); aber vor allem hat er "dem Volk aufs Maul" geschaut, das heißt, die aktuelle Umgangssprache aufgegriffen, um möglichst verständlich formulieren zu können.
Aber weil seine Sprachkenntnisse zwar erstaunlich gut waren, aber nicht perfekt, hat er sich dabei auch helfen lassen, nicht zuletzt von Melanchton.

An diese Übersetzung wurde unter dem Motto "Am Anfang war das Wort" in einem Festgottesdienst am 30.10. 2016 in der ev.-lutherischen St. Georgenkirche in Eisenach erinnert.
Über diesen Link kann man ihn ab 12:30 als Video abrufen.

In diesem Gottesdienst wurde die neuste Revision der Lutherbibel, die offizielle Version des Jubiläumsjahrs 2017, symbolisch an alle Gemeinden und Institutionen aller deutschen Landeskirchen übergeben.
Die Gottesdienstbesucher wurden aufgefordert, den "Erzählfaden der Sache mit Gott", der von der christlichen Urgemeinde angefangen worden ist, aufzunehmen und weiterzugeben.

 beginnend bei AbrogansTatianIsidorNotker III. insbesondere in der deutschen Mystik

außerdem auch: Feuertaufe, Bluthund, Selbstverleugnung, Machtwort, Schandfleck, Lückenbüßer, Gewissensbisse und Lockvogel (sieh: Wikipedia)

Links:

Johannesevangelium 1,1 Im Anfang war das Wort (Übersetzungen);

Präses Nikolaus Schneider 2012;
Wikipedia mit Bezug auf den griechischen Text;
Goethe Faust
Am Anfang schuf Gott ...; ...

Bibel "auf dem Bierdeckel"

Aus dem Gottesdienst:
Die Predigt hielt Margot Käßmann, ihr verdanke ich den Hinweis auf "übersetzen" als "üb ersetzen!" und auf den "Erzählfaden", den die Zuhören aufgreifen und weiterspinnen sollten. 
Die neue Version der Lutherbibel übergab ihr Nachfolger als Vorsitzender der EKiD Heinrich Bedford-Strohm
In der Kirche, in der Johann Sebastian Bach getauft wurde, erklangen die Eingangschöre der Bachkantaten "Die Himmel erzählen die Ehre Gottes" und "Erschallet, ihr Lieder ...".

Das Evangelium Apostelgeschichte 8, 26-40 von Philippus und dem Kämmerer handelte davon, wie ein Text oft erst durch Auslegung für Zuhörer und Leser seinen vollen Sinn erhält. 
Der Text, den der Kämmerer liest, steht in Jesaja 53, Vers 7-8: 
"Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf.
In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen."
Philippus bezieht das alte Prophetenwort natürlich auf Jesus und hat dadurch die Möglichkeit, seine frohe Botschaft zu verkünden, die nicht bei Schlachtung und Tod stehen bleibt. 
Besser, als ich den Text erläutern könnte, wird er hier interpretiert.

Papst Franziskus feiert 500 Jahre Reformation und wirbt für Einheit der Christen

Festgottesdienst am 31.10.16 in der Marienkirche Berlin
Die Predigt handelte von Zuversicht oder anders gesagt: Voraus-Vertrauen,
gezeigt u.a. am Beispiel von Martin Luther King, der in einer Predigt in der Marienkirche zu DDR-Zeiten das Kommen der Freiheit voraussagte.
Staatsakt am 31.10. 16 im Konzerthaus in Berlin mit Ansprache von Bundespräsident Gauck

Sendung über die Wartburg, ihre geschichtliche Rolle und ein Interview mit Margot Käßmann über Luther

Lutherbiographien

Reformationsjubiläum: Luther, Luther, Luther ZEIT 27.12.16

(Dieser Artikel wurde im Blog Fontanefans Schnipsel vorbereitet.)

28.10.16

Zu viel Demokratie?

Der Freihandelsvertrag CETA sieht Schiedsgerichte vor, die Unternehmerinteressen gegen Entscheidungen staatlicher Verfassungsorgane - etwa in Sachen Umweltschutz - absichern sollen.
Die Vertreter der wallonischen Region Belgiens haben gefordert, dass diese Schiedsgerichte mit Richtern besetzt werden sollen und nicht mit Rechtsanwälten, deren Qualifikation primär in der Vertretung von Firmeninteressen besteht.*
Wie erfolgreich sie dabei waren, ist noch nicht bekannt. Einen beschränkten Erfolg haben sie aber offenbar erzielt, sonst wäre es wohl nicht zu einer Einigung mit der belgischen Regierung gekommen.

Während noch unklar war, ob die EU sich darauf einlassen würde, dass die Schiedsgerichte mit qualifizierten Richtern statt mit interessengebundenen Anwälten besetzt werden sollten, wurde vom Mainstream der Medien immer wieder beklagt, dass die wallonische Region überhaupt einen Einfluss auf die Verhandlung nehmen könne. Man sprach von einer "Blamage für die EU" und  "zu viel Demokratie".

Zu viel Demokratie kann es aber nicht geben; denn wie Churchill zu Recht festgestellt hat, ist sie zwar eine schlechte Regierungsform, aber besser als alle anderen, die man erprobt hat. Man kann durchaus darüber streiten, welche Instrumente am besten geeignet sind, die demokratische Kontrolle der Exekutive sicherzustellen. Vieles spricht dafür, dass im Regelfall repräsentative Organe geeigneter sind als Volksentscheide. Auch das Rätesystem, das eine besonders demokratische Art der Mitwirkung der Bevölkerung sicherstellen soll, hat sich nicht eindeutig besser bewährt als das Repräsentativsystem. Aber wenn etwas bei der demokratischen Kontrolle der Europäischen Kommission nicht in Ordnung ist, dann doch kaum, dass sie zu weit geht, sondern eher, dass sie immer noch viel zu gering ausgebildet ist.
Wo gibt es sonst eine demokratische Verfassung, wo allein die Exekutive ein Recht auf eine Gesetzesintitiative hat?

In der EU fehlt es an demokratischen Mitwirkungsrechten. Deshalb nimmt die Europamüdigkeit in so gefährlichem Ausmaß zu. Wenn sich jetzt durchsetzen sollte, dass die Demokratie in der EU abgebaut statt entwickelt wird, dann wäre der einst so hoffnungsvolle Versuch der europäischen Einigung gescheitert.

Wilhelm Heitmeyer hat im Zusammenhang mit der Zunahme des Rechtspopulismus (FR 28.10.16) darauf hingewiesen, wie gefährlich die Gewöhnung an Missstände ist: "Das Fatale ist, dass alles, was als normal gilt, nicht mehr problematisiert werden kann."
Wenn es bei allem berechtigten Streit eine Gemeinsamkeit zwischen allen Demokraten geben sollte, dann gewiss die: Es darf nicht wieder wie gegen Ende der Weimarer Republik zum Allgemeinplatz werden, dass man weniger Demokratie brauche.

Kanadische Wissenschaftler lobten das wallonische Parlament in einem bei Mediapart erschienen offenen Brief für die Haltung gegenüber Ceta und fordern es auf, standhaft zu bleiben

(Dieser Blogbeitrag wurde auf Fontanefans Schnipsel entworfen.)

16.10.16

ZUM-Treffen 2016 - Bilderauswahl, Protokoll und Blogbeiträge




Fragestellungen

Was wünschen sich Lehrer von digitalen Medien?


Wo steht die ZUM jetzt?



Wo wird sie 2020 sein?



dasselbe nach Ordnung der Ideen durch Maria




Selbstdarstellung und Zugänglichkeit der ZUM

Bildprotokoll von Annett





Aufräumen für bessere Übersichtlichkeit
(Umfang der Aufgabe)



Detailüberlegungen (etwas lesbarer)



Vorschau auf Überlegungen für eine Präsentation von best practice von ZUM-Wiki
(absichtlich nur als Andeutung, da noch im Versuchsstadium)


Referate

Erweiterte Realität:  Beispiel Pokemon
von Karl-Friedrich



Erweiterte Wirklichkeit für historische Bildung




Ein Projektvorschlag von Karl-Friedrich



Wikitheorie von Ziko



 







Preise für Wikis der ZUM
(drei davon aus dem 3D-Drucker)



Rechenschaftsbericht für 2016 auf der Mitgliederversammlung (braucht etwas Ladezeit für den Prezi)

Weitere Informationen zum Treffen im ZUM-Wiki


8.10.16

Diskriminierung, Ausgrenzung, Mobbing oder: wie entwickeln wir Empathie?

Wir erleben gegenwärtig im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise zwei massive Ausgrenzungsversuche, die beide nur bedingt erfolgreich sind, aber zu gefährlichen Konfliktkostellationen führen:
1. die Ausgrenzung der Flüchtlinge durch Pegida und AfD (ihre Ausgrenzung durch Rechtsradikale ist alt und war nicht so bedrohlich)
2. die Ausgrenzung von Pegida und AfD und ihrer überzeugten Anhänger durch die Mainstreammedien und einen großen Teil der Bevölkerung.
Ich habe gegen beide keine Patentrezepte, möchte aber auf Ansätze hinweisen, die helfen könnten, die schlimmsten Folgen zu vermeiden.
Außerdem erleben wir an den Schulen, dass die Inklusion, die doch ein Mittel gegen Ausgrenzung sein soll, nicht selten innerhalb der Schulklassen zu Ausgrenzungstendenzen führt. 
Auch dafür bieten die folgenden Hinweise Anregungen dafür, wie dazu beigetragen werden kann, dass aus Inklusion Integration wird.

Zunächst stütze ich mich dabei auf einen Artikel in der Frankfurter Rundschau vom 8.10.16:
Der Antirassismus-Trainer Jürgen Schlicher vertritt die Ansicht, "dass uns von klein auf 'die Empathie systematisch abtrainiert wird, denn wir lernen, dass das für das eigene Vorwärtskommen besser ist'."
Mobbing nimmt nicht zuletzt durch die Möglichkeit des anonymen Mobbing über das Internet immer mehr zu. Und es wird für Lehrer immer schwerer, das zu beobachten und dagegen vorzugehen.
[Einschub: Bericht einer Frau, die als 12-Jährige gemobbt wurde, über ihre Gespräche mit damaligen Mitgliedern ihrer Klasse, ZEIT 6.2.19]
Yanni Fischer von der Integrierten Gesamtschule Eschersheim in Frankfurt hat ein Mittel dagegen gefunden. (Mobbing, Online-Mobbing)
Konflikte sind an sich nichts Schlimmes. Wenn man lernt, sie auch aus der Sicht des Konfliktpartners zu sehen, kann man sie in der Mehrzahl der Fälle deeskalieren. Dafür bedarf es Streitkultur.
Gute Erfahrungen mit der Verbreitung einer solchen Streitkultur macht Ernst Kucharczyrk, der Regionalsprecher der "Seniorpartner  in School" in Frankfurt. (Mediation)

Eine gute Möglichkeit, Empathie für Diskriminierte zu entwickeln, hat man, wenn man grundlos in die Rolle des Dirkriminierten, Ausgegrenzten und Mobbingopfers gerät und die Möglichkeit hat, intensive Erfahrungen damit zu machen und dadurch dafür sensibilisiert wird, wenn es anderen genauso geht. Bewährt hat sich dafür der Workshop "Blue eyed".

Alle diese Beispiele finden sich in der Frankfurter Rundschau vom 8.10.2016 auf den Seiten 20-21.

Eine Sensibilisierung (unter anderen) für das Problem habe ich durch eigenes pädagogisches Versagen erlebt.
Ein Schüler meiner Klasse verließ die Schule, weil er gemobbt wurde, bevor ich erkannt habe, wie schwer das Problem war. Später wurde ich angeregt, mich mit Streitschlichtung zu beschäftigen und sie an unserer Schule einzuführen. In diesem Zusammenhang habe ich Streitschlichter/Mediatoren ausgebildet und eine ganze Reihe von Mediationen durchgeführt. Das hat mich zur Überzeugung gebracht, dass Mediation gerade in der Schule ein sehr erfolgversprechendes Instrument ist.

Dass in der Gesellschaft nicht zu funktionieren braucht, was sich in der Schule bewährt hat, ist keine himmelstürzende Erkenntnis. Die Mediation bei Stuttgart 21 trug zwar zur Besänftigung des Konfliktes bei, führte aber nicht dazu, dass die Vertreter von Stuttgart 21 an das ausgehandelte Ergebnis gehalten hätten. Mehrkosten in Milliardenhöhe, die sich daraus ergeben haben, lassen diese Mediation nicht als Erfolg erscheinen. 

Weitere Links:
Gewaltfreie Kommunikation
Giraffen- und Wolfssprache
Verstehen und Verständigung
Konfliktschlichtung

6.10.16

Textarbeit mit unterschiedlichen Medien

Elektronische Medien erleichtern durch copy & paste das Anlegen von Exzerpten enorm (was in der Frühform dazu führt, dass man das Kopieren eines Textes für eine Art der Verarbeitung hält).
Im Internet ermöglichen sie zusätzlich die Verlinkung und Erstellung eines Hypertextes (Musterbeispiel Wikipedia).
Der Nachteil ist beim Internet, dass es weniger zur Lektüre sehr langer Texte geeignet ist, während das E-Buch die Erstellung eines Hypertextes nicht ermöglicht. Bei beiden ist die Abhängigkeit von der elektronischen Apparatur problematisch.
Das Smartphone schwächt diesen Nachteil ab, weil es (bei der intensiven Nutzung) jederzeit greifbar ist und außerdem keine relevante Anlaufzeit hat. Funklöcher und technische Störungen sind dabei freilich nicht berücksichtigt.

Ich persönlich vermisse beim gegenwärtigen E-Buch die Feindifferenzierung des Lesens. Entweder liest man seitenweise oder kapitelweise oder großabschnittweise. Der ungefähre Zugang über das Aufschlagen "gegen Schluss" oder "im ersten Drittel" oder "etwas 20 Seiten später", der beim Papierbuch eine Groborientierung ermöglicht, von dem übergangslos in das Lesen von Wort für Wort oder das Blättern von Seite zu Seite (mit Überblick über den Satzspiegel von zwei Seiten) gewechselt werden kann, fehlt mir sehr. Dazu kommt, dass das Markierte im Papierbuch besser auffällt und insofern die Unterscheidung eines bearbeiteten Abschnitts von einem unbearbeiteten leichter fällt.
Daher möchte ich weder das Papierbuch  - nicht nur wegen des Haptischen -noch das E-Buch missen. Nur der Bedarf an Stellplatz und die Notwendigkeit des Transports beim Umzug und der Entsorgung bei der endgültigen Wohnungsauflösung sprechen massiv gegen das Papierbuch. Die hohen Kosten gegen eine Doppelversorgung durch beide Medien.

5.10.16

Wolfgang Reinhard : Die Unterwerfung der Welt

Da dieser Blogartikel vom 29.9. einige schwer zu behebende Formatierungsfehler hatte, habe ich ihn noch einmal neu angelegt.:

Wolfgang Reinhard : Die Unterwerfung der Welt, C.H. Beck, München 2016 von Andreas Eckert, ZEIT online 19. Mai 2016, 20/2016
Wolfgang Reinhards Opus führt von den frühen Anfängen der europäischen Expansion in Antike und Mittelalter bis zu den Dekolonisationen des 20. Jahrhunderts, ergänzt durch einen kurzen Blick auf die Gegenwart."

"Das Buch veranschaulicht, dass die Geschichte der europäischen Expansion keineswegs ein gradliniger, unaufhaltsam voranschreitender Prozess war. Die Errichtung kolonialer Herrschaft war langwierig, und im Geflecht aus Konkurrenzen standen nicht selten Europäer gegen Europäer und Einheimische gegen Einheimische. Missionare und Kolonialbeamte etwa stritten regelmäßig über die richtige Art, die Kolonisierten zu erziehen. Gewalt spielte stets eine wichtige Rolle, häufig freilich nicht als Ausdruck der unwiderstehlichen Überlegenheit der Europäer, sondern als Zeichen ihrer Schwäche. Zahlenmäßig weit unterlegen und mit wenigen Ressourcen ausgestattet, erschienen Massaker und öffentliche Hinrichtungen den Europäern gerade zu Beginn der Kolonisierung als geeignete Mittel, ihren Machtanspruch zu demonstrieren."
Der Islamische Staat brauchte gewiss nicht dieses europäische Vorbild, um zu seinen Methoden zu kommen. Dafür gibt es genügend ähnliche Beispiele in der Geschichte. Aber "Massaker und öffentliche Hinrichtungen [...] als geeignete Mittel, [...] Machtanspruch zu demonstrieren." 
Das ist eine exakte Beschreibung des Vorgehens des Islamischen Staats. 
"Die Europäer mussten die Erfahrung machen, dass gerade die Absolventen höherer Schulen und Universitäten – etwa die Politiker Jawaharlal Nehru in Indien, Kwame Nkrumah in Ghana und Julius Nyerere in Tansania – zu den entschlossensten Kämpfern für ein Ende der Kolonialherrschaft wurden." "Diese europäische Expansion veränderte die Welt – und mit ihr Europa. [...] "Heute ringt die Welt im Zeichen der Globalität", resümiert Reinhard, "noch immer im Guten wie im Bösen auf allen Feldern mit der Hinterlassenschaft der europäischen Expansion." Auch die aktuelle Frage nach der Verantwortung für die Fluchtursachen ist ein Grund, diese Hinterlassenschaft neu zu diskutieren."

Mein Interesse an dieser Arbeit ist außer dem allgemeinen historischen ein doppeltes: Zum einen beschäftigt mich das Thema Flüchtlinge und Flucht. Zum anderen habe ich mich länger mit Jürgen Osterhammels: Die Verwandlung der Welt, einer Weltgeschichte des 19. Jahrhunderts, befasst, die mit Reinhards Unterwerfung der Welt nicht nur Parallelen in der Formulierung des Titels, den Verlag und eine Seitenzahl um die 1600, sondern auch eine Darstellung des europäischen Beitrags zur Globalisierung gemeinsam hat.

1.10.16

Berlin, Merkel, Gauck und ihr Beitrag zur bundesdeutschen Identität,

Bei einem Prozess kommen Richter, Staatsanwalt und Verteidiger aus derselben Region, der Angeklagte aus einer anderen. Ganz normal für einen Touristen, einen Migranten und einen Zugezogenen. Ungewöhnlich, wenn der Prozess in der Region des Angeklagten stattfindet.

Im Deutschland der 1990er Jahre war es nicht so ungewöhnlich. Die Spezialisten kamen aus dem Westen, die Laien aus dem Osten. Jedenfalls im Osten.
"Einer Studie zum Mauerfall der Universität Leipzig zufolge stammen bald 27 Jahre nach dem Mauerfall lediglich 20 Prozent der Führungskräfte in Ostdeutschland auch von dort." ("Vom gemeinen Volk und den Eliten" von Markus Decker, FR  30.9.16, S.20/21)

Gegenwärtig gibt es keine Netto-Abwanderung von Ost nach West mehr.
Weshalb?
Berlin liegt in Ostdeutschland und weltweit gibt es eine Landflucht.

Weshalb habe ich Merkel und Gauck genannt?

"Die von 1989 adaptierte Parole: 'Wir sind das Volk' ließe sich [...] übersetzen mit: 'Wir sind das Ost-Volk - und ihr seid die West-Eliten.' " (Markus Decker, FR  30.9.16)
Wenigstens für Merkel und Gauck gilt das nicht (oder zumindest nur insofern, als sie sich bemerkenswert schnell im Westen integriert haben).

"Wer die ersten 28 Jahre seines Lebens im Westen verbracht hat, ist 'Wessi' lebenslang." (Markus Decker). - Was für ein Licht wirft diese Aussage auf die Chancen der Integration von Flüchtlingen in Deutschland? In Westdeutschland und in Ostdeutschland?

Es gibt in Deutschland zwei Parteien, die ihren Rückhalt in besonders starken Maße in Ostdeutschland haben: die Linke und die AfD.
Ist das eine "Querfront" oder die Folge einer unvollständigen Integration?

So weit meine Gedanken zu Markus Deckers Bilanz zum Tag der deutschen Einheit.

Übrigens: Es gibt in Deutschland noch eine Partei, die ihren Rückhalt besonders in einer bestimmten Region Deutschlands hat. Was ist davon zu halten?
Aber das ist alles doch umgekehrt. Alles? Stichwort "Obergrenze".

(Dieser Blogbeitrag erschien zuerst in Fontanefans Schnipsel und wurde nur unwesentlich verbessert.)

29.9.16

Wolfgang Reinhard : Die Unterwerfung der Welt

Wolfgang Reinhard : Die Unterwerfung der WeltC.H. Beck, München 2016 von Andreas Eckert, ZEIT online 19. Mai 2016, 20/2016
Wolfgang Reinhards Opus führt von den frühen Anfängen der europäischen Expansion in Antike und Mittelalter bis zu den Dekolonisationen des 20. Jahrhunderts, ergänzt durch einen kurzen Blick auf die Gegenwart."

"Das Buch veranschaulicht, dass die Geschichte der europäischen Expansion keineswegs ein gradliniger, unaufhaltsam voranschreitender Prozess war. Die Errichtung kolonialer Herrschaft war langwierig, und im Geflecht aus Konkurrenzen standen nicht selten Europäer gegen Europäer und Einheimische gegen Einheimische.
Missionare und Kolonialbeamte etwa stritten regelmäßig über die richtige Art, die Kolonisierten zu erziehen.
Gewalt spielte stets eine wichtige Rolle, häufig freilich nicht als Ausdruck der unwiderstehlichen Überlegenheit der Europäer, sondern als Zeichen ihrer Schwäche. Zahlenmäßig weit unterlegen und mit wenigen Ressourcen ausgestattet, erschienen Massaker und öffentliche Hinrichtungen den Europäern gerade zu Beginn der Kolonisierung als geeignete Mittel, ihren Machtanspruch zu demonstrieren."
Der Islamische Staat brauchte gewiss nicht dieses europäische Vorbild, um zu seinen Methoden zu kommen. Dafür gibt es genügend ähnliche Beispiele in der Geschichte. Aber "Massaker und öffentliche Hinrichtungen [...] als geeignete Mittel, [...] Machtanspruch zu demonstrieren." Das ist eine exakte Beschreibung des Vorgehens des Islamischen Staats.

"Die Europäer mussten die Erfahrung machen, dass gerade die Absolventen höherer Schulen und Universitäten – etwa die Politiker Jawaharlal Nehru in Indien, Kwame Nkrumah in Ghana und Julius Nyerere in Tansania – zu den entschlossensten Kämpfern für ein Ende der Kolonialherrschaft wurden."
"Diese europäische Expansion veränderte die Welt – und mit ihr Europa. [...] "Heute ringt die Welt im Zeichen der Globalität", resümiert Reinhard, "noch immer im Guten wie im Bösen auf allen Feldern mit der Hinterlassenschaft der europäischen Expansion." Auch die aktuelle Frage nach der Verantwortung für die Fluchtursachen ist ein Grund, diese Hinterlassenschaft neu zu diskutieren."
Mein Interesse an dieser Arbeit ist außer dem allgemeinen historischen ein doppeltes: 
Zum einen beschäftigt mich das Thema Flüchtlinge und Flucht.
Zum anderen habe ich mich länger mit Jürgen Osterhammels: 
Die Verwandlung der Welt, einer Weltgeschichte des 19. Jahrhunderts, befasst, die mit Reinhards Unterwerfung der Welt nicht nur Parallelen in der Formulierung des Titels, den Verlag und eine Seitenzahl um die 1600, sondern auch eine Darstellung des europäischen Beitrags zur Globalisierung gemeinsam hat.