"Die Pisa-Ergebnisse zeigen: Deutsche Schüler sind gut darin, etwas auswendig zu lernen. Aber sie könnten besser daran sein, Ideen zu durchdringen und kreativ mit ihnen zu arbeiten.
[...] In Deutschland trainieren die Schüler oft Rechenprozeduren. In einer japanischen Klasse stellt der Lehrer ein Problem in den Raum – und alle entwickeln gemeinsam eine Herangehensweise für die Lösung. In Deutschland wird noch immer zu viel Stoff in zu geringer Tiefe vermittelt. Ich empfehle: weniger Stoff, mehr eigenständige Auseinandersetzung. Die deutschen Schüler haben nicht leichtere Abituraufgaben, sondern besseren Unterricht verdient. [...] Für mich zeigt sich hier einmal mehr: Es ist mit vielen Problemen verbunden, dass es keine einheitlichen Prüfungen für ganz Deutschland gibt. Gäbe es sie, dann wäre es doch so: Fällt eine Prüfung zu schwer aus, ist das zwar schmerzlich. Es hätte aber keine gravierenden Auswirkungen, weil es ein Jahrgang ist, der um Studienplätze konkurriert. Ein fairer Vergleichsmaßstab ist das Abitur bislang nicht. Das sollte sich ändern.
Mathematik gilt ohnehin schon als Fach, an dem viele scheitern. Wird dieser Frustrationsfaktor nicht noch größer, wenn sie von jedem eigenes mathematisches Denken erwarten?
Eben nicht. Dieses mathematische Denken kann man trainieren – das ist nicht einfach nur Begabungssache. Mathe kann man viel besser lernen als beispielsweise Musik, die viel mit Talent zu tun hat. Die Pisa-Ergebnisse aus China und Singapur zeigen, dass sich die Fähigkeiten zum mathematischen Denken an die gesamte Schülerschaft in hohem Maß vermitteln lassen. [...] Es geht darum zu lernen, dass Mathematik eine Sprache ist, mit der sich die Realität beschreiben und gestalten lässt. Dafür ist fächerübergreifender Projektunterricht sehr gut geeignet. Die Frage, wie es mit dem Klimawandel weitergehen könnte, ist auch ein gutes Thema für den Mathematikunterricht." (Oberhessische Presse Marburg 10.5.19 - Hervorhebungen von )
Der PISA-Chef ist weit begabter als ich und hat den viel besseren Überblick. Aber er geht entsprechend seiner Funktion vom internationalen Leistungsvergleich aus, nicht von der Aufgabe der bestmöglichen Förderung der Schüler.
An sich geht mich das laufende Mathematikabitur nichts an. Wohl aber interessieren mich verallgemeinernde Behauptungen.
Als wir in unserer Schule Besuch von japanischen Lehrern hatten, waren die beeindruckt von der Gesprächskultur im Mathematikunterricht, davon wie nach Lösungswegen gesucht wurde. Dann freilich sagten sie: Auf dieser Klassenstufe würden unsere Schüler nicht über solche Aufgaben diskutieren, sie haben sie schon weit früher behandelt.
Im Übrigen weiß ich über die Lernkultur aus Japan, China und Singapur nur aus der Presse (die Erfahrungen meines Sohnes mit Autoritätshörigkeit an einer japanischen Universität zählen hier nicht). Dass in Japan das Phänomen, dass Schüler den Lebenszwängen ausweichen, indem sie ihr Zimmer nicht mehr verlassen, häufiger ist als in Deutschland, ist aber wohl nicht aus der Luft gegriffen. Dass China und Singapur weniger Gesprächskultur, sondern Leistungskonkurrenz gepflegt wird, wohl auch nicht.
Die Klage von deutschen Englischlehrern, dass das Zentralabitur dazu geführt habe, dass im Abitur nur noch Mittelstufenniveau gefordert sei, weil Reflexion über komplexere Inhalte ohne ein Minimum an gemeinsamer Stoffkenntnis nicht möglich sei, höre und lese ich freilich aus erster Hand in der Familie und im Internet.
Und, mit Verlaub, die Frage, wie es mit dem Klimawandel weitergehen könnte, gehört nicht in den Mathematikunterricht, sondern in die Medien, auf die Straße und endlich in die Regierungen.
Hoffentlich denkt Herr Schleicher genauso und nicht wie Christian Lindner, aber dazu wurde er ja auch nicht gefragt.
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