29.8.20

Schreiben im Internet - Ansätze einer Selbstreflexion

Homepage, Wikipedia, ZUM-Wiki, diverse Wikis und Bloggen. Das waren die Hauptstationen. Von jetzt ab konzentriert sich der Beitrag auf mein Bloggen.

Dieser Blog hier folgte auf einen, der als Fortsetzung meines politischen Tagebuchs diente. 2006 waren es noch thematisch weit gefächerte Einträge, während ab 2007 hier eine Spezialisierung auf Pädagogik einsetzte, während der Blog Fonty 2007 das politische Tagebuch fortsetzte.
Parallel habe ich allerlei Texte von mir und von anderen ins Netz gestellt. Das sind Textsammlungen, keine fortlaufenden Einträge.
Fortlaufend führe ich gegenwärtig Fontanefans Schnipsel. Wie der Name es sagt, ist das der Ersatz für die Zeitungsausschnitte, die zu sammeln und ordnen zu umständlich wurde (die vorher gesammelten versuche ich durch einen nicht-öffentlichen Blog zu erschließen).
Zum Internet passend sind die Beiträge/Schnipsel kommentierte Links. Doch immer wieder wachsen sich die aber auch in Artikel aus. Der Nachteil: Gegenwärtig muss ich zu politischen Themen in drei meiner Blogs suchen: FontyFontanefans Schnipsel und diesem. Die Vereinigung der Blogs fällt mir freilich schwer; denn ich versuche, in diesem Blog die Beiträge zu sammeln, die meine eigene Position darstellen und die aufzuheben mir wichtig scheint, in Fontanefans Schnipsel dagegen viele simple Links, während Fonty inzwischen wesentlich dazu dient, Beiträge von euro|topics aufzunehmen.
So viel für heute.

23.8.20

Welche Chancen böte ein "Green Deal" der EU?

Ratspräsidentschaft und Vorsitz der EU-Kommission in weiblicher Hand.

Merkel spricht mit führenden europäischen Vertreterinnen von Fridays for Future.

Ich will versuchen, mit einen Blick auf die jüngere "Geschichte des Westens" (H.A. Winkler), von den vorgegebenen Anforderungen, die vom Klimawandel ausgehend, über realistische - wenn auch von heute aus gesehen utopische Wege in die Zukunft zu reflektieren.

Zunächst ist das nichts weiter als ein Projekt neben mehreren anderen, die ich ins Auge gefasst habe, die ich aber immer nur von Zeit zu Zeit angehen kann und von denen auch ein Fragment ein sinnvolles Ergebnis sein könnte.


Hier gilt es die Frage offen zu halten und im Blick auf die jüngste Vergangenheit nach Punkten der Veränderung zu suchen und nach den Wegen, die sie versprachen, auch wenn sie nicht genutzt worden sind.
Winkler sieht 1990 als den tiefen Einschnitt, der Anfang unserer Gegenwart war. Fukujama hat ihn für das "Ende der Geschichte" gesehen, insofern ist der Gedanke Anfang der Gegenwart passend.
Im Westen hat man die Friedensdividende, Gorbatschow und Putin haben ein Europäisches Haus als Möglichkeit gesehen. Beides ist nicht genutzt worden.
Wie aber, wenn wir den Blick auf den vorhergehenden tiefen Einschnitt sehen? 1945 wurden die Vereinten Nationen gegründet als Antwort auf den verheerenden Weltkrieg. In gewisser Weise war es nur eine Neuauflage des Versuchs mit dem Völkerbund nach dem Ersten Weltkrieg. Ein dritter Versuch?


1990 war u.a. das Ergebnis eines "Wandels durch Annäherung". Böte ein neuer solcher Wandel eine zweite Chance auf ein Europäisches Haus?
Zu bedenken: "Wenn die Europäische Union so etwas wie ein "Wir-Gefühl" entwickeln wollte, musste sie die kommunistische Diktaturerfahrung als Teil ihres gemeinsamen Erbes begreifen" (Winkler). Ist die Furcht vor einem russischen Angriff durch Abschreckung durch eine überlegene europäische Streitmacht zu überwinden?
Wie soll die aufgebaut werden, wenn der wirtschaftliche Einbruch aufgrund der Coronakrise die Konzentration aller Kräfte auf eine wirtschaftliche Erholung verlangt?


Außerdem: Die Pandemie führt eher zu Rückbesinnung auf nationale Lösungen. Kann Putin daran gelegen sein, mit einer Besatzungsarmee die Wege zu fremden Infektionsherden zu öffnen? Und noch wichtiger: Das Hauptproblem stellt für alle Nationen der Klimawandel dar. Hat es da Sinn, mehr Rüstung zu betreiben? Ist es nicht vielmehr vordringlich, die eingetretene Disruption für eine energische Umstellung der Wirtschaft zu nutzen?

Die osteuropäischen Staaten sehen ihre Hoffnung in Abschreckung. Sind die USA unter Trump eine glaubhafte Garantie für gemeinsame Verteidigungsleistungen von Europa und den USA?
Könnte es ein Wandel durch Annäherung Hoffnung auf Lösung des globalen Problems bieten?

China wird in den Medien immer wieder als die große Gefahr dargestellt. Wenn uns die USA nicht mehr schützen, sind wir China ausgeliefert. Oder Russland?
Was strebt China mit der neuen Seidenstraße an? Eine Hegemonie. 
Ist die Hegemonie der USA ein überzeugendes Vorbild? Könnte nicht doch eine Kooperation mehr Chancen bieten?
Könnte ein "Green Deal" nicht auch für China eine interessante Perspektive eröffnen?

Demokratie und Toleranz sehen wir im Westen als westliche Errungenschaften. Winkler sieht ältere Vorbilder im asiatischen Raum. Wie steht es mit an die Natur angepasstem Wirtschaften in Asien? Gab (und gibt) es nicht auch dafür gerade in Asien Vorbilder?

"Und ein Narr wartet auf Antwort." heißt es bei Heine.

Die Antworten liegen in der Zukunft, aber wir haben die Möglichkeit, auf sie Einfluss zu nehmen. Ist es närrisch, es wenigstens zu versuchen?

Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens – Die Zeit der Gegenwart

"Mehr als alles andere aber schwächte den Westen und damit auch seine Führungsmacht die Infragestellung jener transatlantischen Wertegemeinschaft, die Amerikaner und Europäer in der Vergangenheit so oft beschworen hatten. (Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens – Die Zeit der Gegenwart, 2015, S. 236) 


"Im gleichen Monat [Januar 2005, als die Zahl der Arbeitslosen über 5 Millionen stieg] gründeten Gewerkschaftler, linke Sozialdemokraten und Angehörige linker Splittergruppen eine neue Partei, die Wahlaternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG)." (Seite 245)
Wolfgang Clement, seit 2005 Minister für Wirtschaft und Arbeit, setzte jedoch im Zusammenspiel mit dem Kanzler, ein höheres Defizit und damit eine höhere Neuverschuldung durch, wobei die Beteiligten die Verletzung eines der Maastricht-Kriterien, nämlich die abermalige Überschreitung der Defizitgrenze von 3 Prozent des Bruttoinlandproduktes, bewusst in Kauf nahmen. [...] Den Bruch dieser Zusage vollzog die Bundesregierung in enger Abstimmung mit der französischen Regierung, der ebenfalls an einer Aufweichung der im Vertragswerk von Maastricht festgelegten Restriktionen lag. Schon 2003 hatten Berlin und Paris gemeinsam verhindert, dass die Kommission die Eurostaaten, die die Dreiprozentmarke überschritten hatten, durch einen "Blauen Brief" zur Haushaltsdisziplin ermahnte. Die beiden größten Volkswirtschaften der EU setzen damit ein Beispiel, dass Schule machen sollte. [...]
Die finanzpolitische Kehrtwende zeitigte nicht die Wirkungen, die sich Rot-Grün erhofft hatte. Am 22. Mai erlitten die beiden Düsseldorfer Koalitionspartteien, die SPD und die Grünen, bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen eine schwere Niederlage: Sie verloren ihre parlamentarische Mehrheit an CDU und FDP. Damit gab es in ganz Deutschland keine rot–grüne Landesregierung mehr. So wie Schröder die Lage beurteilte, war es für die SPD geradezu eine politische Überlebensfrage, nach dem Verlust ihres "Stammlandes" an Rhein und Ruhr wieder in die politische Offensive zu gehen. Noch am gleichen Abend kündigte der Kanzler daher in Absprache mit Müntefering an, er strebe nunmehr Neuwahlen an. Die "unechte" Vertrauensfrage, über die der Bundestag am 1. Juli abzustimmen hatte, führte zum gewünschten Ergebnis: dank 148 Enthaltungen aus den Reihen der Koalition wurde der Antrag abgelehnt." (Seite 246)
So kam es Im Sepember zu einer vorzeitigen Neuwahl des Bundestages.


"Am Abend des Wahltages, des 18. September, lagen die Unionsparteien mit 35,2 % nur knapp vor der SPD, die auf 34,2 % kam. Die FDP erhielt 9,8, die linke 8,7, Bündnis 90/die Grünen 8,1 %.
Eine Mehrheit gab es weder für Schwarz-Gelb noch für Rot-Grün. Rot-Rot-Grün war eine ebenso undenkbare Konstellation wie eine "Ampel" aus SPD, FDP und Grünen. Es blieb nur eine große Koalition aus Union und Sozialdemokraten, wie es sie schon einmal in den Jahren 1966-1969 in der "alten" Bundesrepublik gegeben hatte." (Seite 247)
"Von den inneren Reformen von Rot-Grün prägten sich den Zeitgenossen der Ausstieg aus der Kernenergie, die Ökosteuer, das neue Staatsbürgerschaftsrecht und die eingetragene Lebenspartnerschaft am stärksten ein. Unter Rot-Grün hatte Deutschland, um nicht allzu weit hinter die Pionierländer, die USA und Großbritannien, zurückzufallen, die Liberalisierung der Finanzmärkte vorangetrieben, indem es durch das Investment-modernisierungsgesetz vom September 2003 relativ restriktive Voraussetzungen für die Zulassung von Hedgefonds schuf." (Seite 248)

"Es sollten noch mehrere Jahre vergehen, bis in Deutschland die Einsicht reifte, dass die Reformen von 2003 Deutschland wirtschaftlich gestärkt und seinen Sozialstaat gefestigt hatte. Deutschland war aus Traditionen ausgebrochen, die sich als fesselnd erwiesen hatten. So reformbedürftig das Reformwerk in mancher Hinsicht auch war, in der Summe legte es den Grund dafür, dass Deutschland die Erschütterungen im Zeichen der Weltwirtschaftskrise von 2008 besser überstand als die meisten anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union." (S.249)


"Wenn die Europäische Union so etwas wie ein "Wir-Gefühl" entwickeln wollte, musste sie die kommunistische Diktaturerfahrung als Teil ihres gemeinsamen Erbes begreifen, ohne dass sie die unterschiedlichen Erscheinungsformen von totalitärer Herrschaft, der nationalsozialistischen beziehungsweise faschistischen und der kommunistischen, gleichsetzte." (S. 279)


"An den Emanzipationsprozessen des alten Westens vom Humanismus über die Reformation bis zur Aufklärung hatten Bulgarien und Rumänien ebenso wenig Anteil gehabt wie zuvor an der mittelalterlichen Trennung von geistlicher und weltlicher Gewalt, der Urform der politischen Gewaltenteilung überhaupt. Beiden Ländern fehlten infolgedessen die Traditionen des Rechtsstaats und des gesellschaftlichen Pluralismus: Hypotheken, die auf der politischen Kultur Bulgarien und Rumäniens lasteten und es ihnen erschwerten, das Erbe der kommunistischen Diktatur abzuschütteln." (S. 281)
"Das Ziel der Stabilisierung hatte für die Europäische Union inzwischen Vorrang vor der Absicht, die Erfüllung der Beitrittsbedingungen zur Vorbedingung der Mitgliedschaft zu machen. Der Prioritätenwechsel war vor allem der Erfahrung der jugoslawischen Nachfolgekriege geschuldet." (S.283)
"Der Vertrag von Lissabon enthielt das Minimum an Reformen, dass die EU der 27 brauchte, um funktionsfähig zu bleiben, und er stand zugleich für das Maximum an Integration, zu dem die Mitgliedstaaten bereit waren. Der Vertrag war ein klassisches Produkt der Exekutivsphäre [...]  Eine effektive Kontrolle der Regierenden war nur im Rahmen der demokratisch verfassten Nationalstaaten möglich, und dort musste sie fortan verstärkt ausgeübt werden.(Seite 290)
Der Euro hatte bei seiner Einführung als bargeldloses Zahlungsmittel keinen einfachen statt. Am ersten Handelstag, dem 1. Januar 1999, lag er bei 1,18 Dollar. Bis zum Jahresende sank eher auf Parität mit dem Dollar ab. [Doch:] 2007 musste man 1,3705 Dollar für einen Euro bezahlen." (Seite 291)
"Faktisch war das unabhängige Kosovo ein Protektorat der Europäischen Union und des Atlantischen Bündnisses." (Seite 294)

Ukraine:
Die Empörung der um den Sieg betrogenen Opposition äußerte sich in Protestdemonstrationen, wie sie die Ukraine noch nicht erlebt hatte. Aus den Massenkundgebungen, vor allem auf dem Majdan, dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew, wurde binnen kurzem die "orangene Revolution" – benannt nach den orangefarbenen Flaggen und Schals der Anhänger von Juschtschenko und Timoschenko." (Seite 299)

Russland:
"Das russische Bruttoinlandsprodukt stieg zwischen 2002 und 2005 um 35 Prozent, die russischen Auslandsschulden sanken in dieser Zeit um ein Drittel.[...] Ende 2007 stand Putins Ansehen in Russland auf einem Höhepunkt. (S.309)
Deutschland:
"Im Mittelpunkt der "Föderalismusreform II", die im Juli 2009 in Kraft trat, standen die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern. [...] Die "Schuldenbremse" sollte Bund und Länder zu strikter Haushaltsdisziplin zwingen, weil andernfalls die Auflagen des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes nicht einzuhalten waren." (Seite 312/313) 
Frankreich:
Unter Sarkozy fand eine Verfassungsreform statt.
"Zu den bemerkenswertesten Neuerungen gehörten die Beschränkung der Amtszeit des Präsidenten auf zwei Mandate [...] In der Summe ergab sich daraus noch keine Parlamentarisierung der Fünften Republik, doch ein deutlicher Schritt in diese Richtung" (S.322)


"Ihren Anspruch, ein Bündnis freiheitlicher Demokratien zu sein, interpretierte die NATO sehr pragmatisch: Das autoritär regierte Portugal war ein Gründungsmitglied; die undemokratischen Strukturen der Türkei standen ihrer Aufnahme im Jahr 1952 nicht im Weg." (S.599)

Früher sprach man von Realpolitik, in der Politikwissenschaft spricht man von Realismus. Winkler beschreibt die NATO von 1952 als pragmatisch.
Winkler hat freilich weit mehr zu sagen. 

"Was die Demokratien angeht, [...] Schon im persischen Großreich gab es über Jahrhunderte hinweg einen gewählten Rat, eine Volksversammlung und Richter, die auf Vorschlag des Rats von der Volksversammlung gewählt wurden. Auch im Hinblick auf eine andere vermeintliche Errungenschaft des Westens, die Toleranz, sind Zweifel angebracht. [...] indischen Kaiser Aschoka, der schon im 3. Jahrhundert vor Christus für Toleranz eintrat. [...] Der alte Okzident brauchte lange, nämlich bis zur Aufklärung, bis er in der Toleranz eine Bedingung geistiger Freiheit erkannte und anerkannte." (S.606)

Rezensionen des Bandes bei Perlentaucher

Wikipedia Heinrich August Winkler:
"Angesichts der Coronakrise im Frühjahr 2020 hält es Winkler für illusorisch zu meinen, die Folgelasten seien allein durch neue Schulden zu meistern. Deutschland werde um eine „Umverteilung großen Stils“, einen Lastenausgleich zwischen den von den materiellen Folgen weniger Betroffenen und den in ihrer beruflichen Existenz Gefährdeten, nicht herumkommen. Diese Umverteilung werde den historischen Lastenausgleich zugunsten der Heimatvertriebenen und Ausgebombten nach dem Zweiten Weltkrieg weit übertreffen."
(Heinrich August Winkler: Plädoyer für einen neuen Lastenausgleich. Wir brauchen einen Corona-Soli. In: Der Tagesspiegel, 29. März 2020, S. 19.)