17.5.09

Kultureller Beitrag der Religionen

Navid Kermani sollte zusammen mit dem Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden Salomon Korn, mit Kardinal Karl Lehmann und dem früheren evangelkischen Kirchenpräsidenten Peter Steinacker den hessischen Kulturpreis für den kulturellen Beitrag der Religionen bekommen.
Dann stellte Kardinal Lehmann fest, dass Kermani bei der Behandlung einer Fülle christlicher Kunstwerke aus Rom über eine Darstellung der gekreuzigten Christus von Guido Reni geschrieben hatte, sie gefalle ihm deutlich besser als andere, die das Leiden Jesu so drastisch darstellen, dass es ihm wie eine Beleidigung der Würde Gotes erscheine.
Daraufhin erklärte Lehmann, er werde den Preis keinesfalls mit Kermani gemeinsam empfangen. Kermani wurde er daraufhin aberkannt.
Vom Wortlaut des Briefes von Lehmann ist jetzt ein wenig durchgesickert.
Nachdem ich den Text Kermanis gelesen und nichts Schockierendes entdeckt habe, frage ich mich, ob Lehmann von jedem Muslim erwartet, dass er die gegenwärig gängige Kreuzestheologie der katholischen Kirche anerkennt, damit er als preiswürdig anerkannt werden kann.

Diese Frage habe ich mir freilich gestellt, ohne die Zusammenhänge genauer zu kennen.
Ein Streit lässt so manches deutlich werden, was vorher unbemerkt blieb. Wer wusste schon etwas über den Hessischen Kulturpreis? Jetzt erfährt man: Der Preis sollte Kultur und Religion als "mit Schnittmengen versehene Bereiche" verstehen lassen. So Helmut Seemann, Präsident der Klassik Stiftung Weimar und Jurymitglied des Hessischen Kulturpreises, im Deutschlandradio. Er selbst stellt im gleichen Interview freilich fest: "Die anderen Preisträger sind ja an sich, wenn ich das mal etwas böse sagen sollte, so etwas wie Religionsfunktionäre eher. Und das ist mir immer fremd gewesen, weil es doch hier um einen Kulturpreis geht."
Kurz gesagt: Wenn man Religionsfunktionäre für Tolerenz ehren will, muss das schiefgehen. Kermani als der einzige seiner Einstellung nach Tolerante passt wirklich nicht dazu.

Nachdem ich mich zunächst über Lehmann und Steinacker geärgert habe, habe ich jetzt wieder mehr Verständnis für sie.
Der Fehler liegt bei der Jury, die glaubte, führende Religionsvertreter als Beispiele für Toleranz ehren zu sollen. Der Papst würde einem schön etwas husten, wenn man ihn als religiös tolerant bezeichnen wollte (und er gibt sich auch große Mühe, da keine Missverständnisse aufkommen zu lassen). Manche deutsche evangelische Landeskirchen, die aufgrund der Mitwirkung evangelischer Kirchen bei der ökumenischen Zusammenarbeit schon weit eher als tolerant verdächtigt werden könnten, haben eine Kampagne "Evangelisch aus gutem Grund" gestartet.
Mir hat sie nicht so gefallen, ich bin aber wie die Söhne in Lessings Ringparabel Erbe meiner Konfession, nicht Konvertit oder offiziell bestellter Vertreter.
Vertreter christlicher Konfessionen treten wirklich "aus gutem Grund" für Religionsunterricht ein (wie er im Grundgesetz - was viele nicht wissen - in Artikel 7 Absatz 3 als "ordentliches Lehrfach" verankert ist). Ethik- und Religionskundeunterricht ist da etwas ganz anderes.
Nun komme mir aber niemand mit "Toleranzunterricht", denn tolerant kann nur jemand sein, der Überzeugungen "aus gutem Grund" hat und nicht wie viele heutige Schüler in jeder ethischen Frage erklärt "Das muss jeder für sich entscheiden".
Natürlich muss er das. Aber entscheiden kann nur, wer Kriterien hat. Und Kriterien sind es, die denjenigen, die stets mit der Formel kommen "Das muss jeder für sich entscheiden", leider meist abgehen.

Die Jury hat, wenn sie Religionsvertreter für ihre Toleranz ehren wollte, völlig falsche Kriterien angewandt. Schließlich hat der zunächst ausgewählte Vertreter des Islam, Fuat Sezgin, den Preis abgelehnt, weil ihm der jüdische Vertreter Salomon Korn nicht passte. Nur aus Verlegenheit hat man dann einen konsequent Toleranten wie Navid Kermani ausgewählt.

Und jetzt kommt Roland Koch ins Spiel. Er ist der einzige, der seine Rolle ganz so erfüllt, wie man sie vom "brutalst möglichen Aufklärer" des CDU-Spendenskandals erwartet. Er, der sich wie Dorfrichter Adam in Kleists Zerbrochenen Krug zum Richter in eigener Sache machte, um nicht entdeckt zu werden, er entscheidet, dass Navid Kermani den Preis nicht erhalten solle.
Eine Ehrung duch Roland Koch ist nun wirklich eine Peinlichkeit, die man Navid Kermani ersparen sollte. Das Preisgeld von 11 250 Euro sollte man Kermani freilich auszahlen. Wenn eine Internet-Spendenaktion für ihn ausgerufen würde, würde ich gern mit dazu beitragen. (Nicht nur weil ich Kermani für einen würdigen Preisträger halte, sondern auch .... Aber noch mehr möchte ich über Roland Koch in diesem Zusammenhang nicht sagen.)

Zur Ergänzung hatte ich Links beigefügt, die heute, am 19.10.15 nicht mehr gelten (Kermani gesprächsbereit, Huber, Kirchentagspräsidentin) statt dessen füge ich jetzt einen Link auf die FR vom 18.10.15 ein. Falls der auch bald ungültig wird, zitiere ich die m.E. wichtigsten Passagen des Artikels:
Der breiten Öffentlichkeit war der Autor erst wenige Jahre zuvor durch einen Skandal bekanntgeworden: Kermani sollte den hessischen Kulturpreis 2009 erhalten - gemeinsam mit dem Juden Salomon Korn, dem früheren evangelischen Kirchenpräsidenten Peter Steinacker und dem Mainzer katholischen Bischof Karl Lehmann. [...] Hessens damaliger Ministerpräsident Roland Koch (CDU) erkannte Kermani zunächst den Preis ab. Es kam zu einer Aussprache zwischen allen Beteiligten: Kermani erhielt den Preis am Ende doch.Aus dem Streit, der in den Feuilletons der großen Tageszeitungen ausgetragen wurde, ging Kermani gleichwohl gestärkt hervor: Die «Süddeutsche Zeitung» etwa würdigte ihn als «besonnenen und scharfen Denker». Keine zwei Jahre später ehrte die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit den Orientalisten, der als exzellenter Kenner islamischer, jüdischer und christlicher Traditionen gilt, mit ihrer Buber-Rosenzweig-Medaille. 2011 wurde er mit dem Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken ausgezeichnet.Dass der heute in Köln lebende und mit der Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur verheiratete Autor den Friedenspreis des Buchhandels bekommen soll, stieß im Juni auf breite öffentliche Zustimmung. Die Tageszeitung «Die Welt» bezeichnete Kermani als «die wohl wichtigste intellektuelle Vermittlungsinstanz zwischen dem islamischen und westlichen Kulturkreis, die wir in Deutschland haben». 

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