30.12.10

Die Rückkehr des Tafelbildes - Tafelarbeit statt Präsentation

In der amerikanischen Buisinesswelt macht Dan Roam gegenwärtig Furore, weil er statt vieler Powerpointfolien nur eine Tafel einsetzt, auf die er von Hand Strichmännchen, Kästchen und Pfeile zeichnet.
So führt er z.B. vor, wie er die Absurdität der Boni für amerikanische Banker erklärt.
Weshalb das ein sinnvolles Verfahren ist, erläutert sein Bestseller The Back of the Napkin (deutsch: Auf der Serviette erklärt: Mit ein paar Strichen schnell überzeugen statt lange präsentieren, 2010. ISBN 3868810161 (Rezension/Buchausschnitte).
Die 6 w-Fragen (wer/was, wie viel, wo, wann; wie, warum),  auf deren Beantwortung er seine Visualisierungen abstellt, tauchten sogar bei den Hirnforschern zur Bezeichnung wichtiger Nervenstänge im Gehirn auf.
Die Bilder, die dazu dienen, die Moderation einer Diskussion zu unterstützen (Visual Fascilitation) oder den Verlauf eines Gesprächs festzuhalten (Graphic Recording), sind dann freilich schon weniger simpel, wirken freilich ganz ähnlich wie ein - freilich sehr gut aufgeräumtes - Tafelbild nach einer Doppelstunde.
Zu den gehirnphysiologischen Hintergründen führt Roam den Titel Die blinde Frau, die sehen kann von Vilaynur S. Ranachandran an, der freilich noch eine Vielzahl anderer interessanter Bewusstseinsphänomene vorstellt.

28.12.10

Täterväter

Selbst Opfer fühlloser Väter und dennoch mit ihnen verbunden und sei es durch das Bedürnis, alles anders zu machen.
Ute Scheub, eine der Gründerinnen der taz schreibt 2006, 37 Jahre nach dem öffentlichen Selbstmord ihres Vaters auf dem Kirchentag in Stuttgart (1969), in ihrem Buch "Das falsche Leben" ihre Auseinandersetzung mit ihrem Vater nieder. (vgl. auch ihr Artikel in der taz vom Februar 2006)

19.12.10

Nachtrag zur von Knabe vorgetragenen Wahrheit

Am meisten freuen dürften sich die über das Buch, die im Wahlkampf noch nach Munition gegen die Linke suchen, also vor allem die bürgerlichen Parteien. Knabe liefert dazu in seinem Nachschlagewerk jedes nur erdenkliche Argument gegen die Linke und dazu noch jede Menge Argumentationshilfen gegen die SPD.

Das Problem ist nicht, dass Knabe immer wieder an das Unrechtssystem DDR erinnert. Auch nicht, dass er die Fakten über das skandalöse Finanzgebaren der PDS als Rechtsnachfolgerin der SED zusammenträgt. Das Problem ist, dass er den Parteigängern der Linken auch 20 Jahre nach der Wende noch pauschal abspricht, sich möglicherweise demokratisiert zu haben.
(aus der Besprechung der Süddeutschen Zeitung vom 19.3.2009)

Das hat Thomas Denkler drastisch formuliert. Aber für die Seiten 242-249 trifft die Charakterisierung durchaus. Da propagiert Knabe Wertvorstellungen, die nur von Schwarz-Gelb und allenfalls rechts davon vertreten werden.
Er mag diese Vorstellungen gern haben, als Grund eine Partei, die anderes vertritt, für undemokratisch zu halten, gelten sie mir nicht.

9.12.10

Weggefährtin Attatürks

Eben habe ich den Artikel der NZZ über die Memoiren von Halide Edip Adıvar gelesen und denke, man sollte auf die Frau und das Buch aufmerksam machen.
Dank an: Nachrichtendienst für Historiker

8.12.10

Deutschlands PISA-Werte verbessert

Intelligenz ist, was der Intelligenztest misst.
Die deutschen Schulen scheinen inzwischen besser auf die Fragen des PISA-Tests vorzubereiten. Hoffentlich ging darüber nicht zu viel anderes Wichtige verloren.
Hier einige Berichte zum diesjährigen Test.

6.12.10

Das Bildungsideal der deutschen Klassik und die moderne Arbeitswelt

Theodor Litt unterscheidet die deutsche Klassik und die moderne Arbeitswelt zunächst von ihren Zielsetzungen her. Während die Klassik in der Ausbildung der Menschlichkeit das höchste Ziel gesehen habe, sei dies in der sachbezogenen Arbeitswelt der technische Fortschritt.
Das sei schon in der Klassik so gesehen worden. Man orientierte sich an Rousseau, der den Menschen in seinem Eigentlichen durch die Kultur bedroht sah.
Im Sinne einer naturgerechten Auffassung der Natur wendete sich Goethe gegen ihre Mathematisierung (vgl. seine Farbenlehre im Unterschied zur Newtonschen).
Doch, so hebt Litt hervor, Freiheit bleibe dem Menschen beim Umgang mit der Sache erhalten, weil ja erst der freie Wille die Konzentration auf die Sache erreiche.
Das Bildungsideal der Klassik und das Bemühen um technischen Fortschritt stehen nach Litt aber gerade nicht in einem unversöhnbaren Gegensatz, denn:
Je, weniger das Selbst im sachlichen Ergebnis von sich zu entdecken vermag, um so fester darf es vertrauen, im Mühen um dies Ergebnis auch sich selbst vorwärtsgebracht, ja recht eigentlich „gebildet" zu haben. Der „Veräußerlichung", die sich im Ergreifen der Sache vollendet, gebührt ein Ehrenplatz im Kreise der Betätigungen, die in der „Bildung" der als Ganzes gesehenen Menschheit zusammenwirken. Und wenn man sich von dem Daß und dem Wie dieser Bildung des „Inneren" am „Äußeren" und durch das „Äußere" überzeugt hat, dann fühlt man sich versucht, in dem Tun des so sich Bildenden eine Äußerung jenes „lebhaften Triebes" zu finden, dem Goethes ungeteilter Beifall gilt: des Triebes, „mit der Welt verbunden ein Ganzes zu bilden". So enthüllt sich die theoretisch­praktische Einstellung, mit der sich Goethe so gar nicht befreunden kann, als Erfüllung einer von ihm selbst erhobenen Grundforderung. (S.94)
Theodor Litt: Das Bildungsideal der deutschen Klassik und die moderne Arbeitswelt, Bonn 1955, 148 S.

(Zwar enthält der Eintrag schon einige Hauptgedanken der Schrift. Er soll aber bei Gelegenheit ergänzt werden.)

Der deutsche Geist und das Christentum. Vom Wesen geschichtlicher Begegnung

Die Formulierung  "der deutsche Geist", 1938 im Jahre der Reichspogromnacht  von einem deutschen Universitätslehrer gebraucht, der sich 1933 zu Hitler bekannt haben soll, weckt den Verdacht, hier schreibe ein Mitläufer der Nazis. Doch diese Schrift von Theodor Litt bewahrt eine bemerkenswerte Unabhängigkeit, die Litt wohl nur möglich war, weil er im Jahr zuvor seine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand erreicht hatte.
Statt einer NS-Bekenntnisschrift erwartet den Leser eine kritische Auseinandersetzung mit Alfred Rosenbergs Mythus des 20. Jahrhunderts, freilich eine unpolemische.
Den in der damaligen Zeitsituation an sich nicht vorhandenen, für die Kritik aber notwendigen Argumentationsspielraum gewinnt Litt dadurch, dass er seine Haltung deutlich von der eines gläubigen Christen absetzt. Er betrachte das Christentum als geschichtliche Erscheinung und nicht, wie der Gläubige es müsse, als eine aller Zeitlichkeit überlegene Erhebung zum Transzendenten.
Seine Kritik an Rosenberg setzt an dessen Verständnis von Artgerechtheit an. Wenn es die einzige Aufgabe des Menschen sei, seiner Art gerecht zu werden und sie nicht zu verfehlen, dann könne er sich nicht zu etwas Höherem entwickeln. Das werde nur möglich durch die Begegnung mit etwas anderem.
Der Mensch sei nicht völlig bestimmt durch sein Erbgut, denn dann unterschiede er sich nicht vom Tier, aber auch nicht allein durch seine Umwelt geprägt, denn dann sei er unfrei. Vielmehr befinde er sich in einer Zwischenposition, wo er wählen könne, worauf er sich einlasse, wem er begegnen wolle. Förderlich für eine Entwicklung sei immer, wenn das Gegenüber besser oder größer sei als das Ich. ("Die Sicherheit also, in die das Evangelium der Selbstentfaltung den Menschen einwiegen möchte, ist eine Selbsttäuschung." S.29)

Entsprechendes gilt nach Litt auch für Völker und Kulturen. Eine solche Begegnung sei nicht rückgängig zu machen, indem man einfach eine neu entstandene obere Schicht abtrage und zu dem Urgrund seines Wesens zurückkehre, denn eine Begegnung erfasse immer den ganzen Menschen. So habe auch das Christentum die abendländische Kultur erfasst, so dass es "auch da noch fortwirkt, wo jeder Gedanke an Evangelium, Bekenntnis und Kirche ferne ist" (S.56).
Am Schluss kritisiert er von daher ganz allgemein "gewisse Formen humaner Lebensdeutung und Lebensausrichtung", wenn sie nicht auf die Begegnung mit dem Anderen ausgerichtet seien, und betont "wie streng alles Menschliche, sofern es seine Bestimmung erfüllen will, auf das "Andere" angewiesen ist, das seiner Verfügung nicht untersteht." (S.58)

Von heute aus gesehen verwundert die von der geisteswissenschaftlichen Pädagogik herkommende völlig unempirische Argumentation, mit der über Erb- und Umwelteinflüsse reflektiert wird. Zumal eine Aussage über die christlichen Völker und Einflüsse auf ihre Seele erscheint uns heute recht wolkig. ("Den christlichen Völkern ist, solange eine unerschütterliche Glaubensgewißheit in ihrem Leben die Führung hatte, dieser Anspruch und Auftrag umso tiefer in die Seele gedrungen, je weiter dieser Glaube das Göttliche vom Irdischen abrückte und je inbrünstiger er, gleichwohl und gerade deshalb, zu dem unendlich Fernen hin- und empordrängte." S.47)
Es ist aber eine Argumentation, die keine Kompromisse mit dem nationalsozialistischen Ungeist eingeht und die beweist, dass auch vom konservativen Standpunkt aus noch 1938 Kritik an nationalsozialistischen Positionen möglich war.

Theodor Litt: Der deutsche Geist und das Christentum. Vom Wesen geschichtlicher Begegnung, Leopold Klotz Verlag, Leipzig (3. und 4. Tausend) 1938, 63 S.

Wolfgang Klafki geht in seinem Aufsatz Die gegenwärtigen Kontroversen in der deutschen Erziehungswissenschaft über das Verhältnis der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik zum Nationalsozialismus, Marburg 1998 kurz auch auf Theodor Litt ein und stellt heraus, dass er sich nicht vom Nationalsozialismus habe korrumpieren lassen.

5.12.10

Knabe über die Strategie der PDS

Hubertus Knabe stellt in seinem Buch "Die Wahrheit über die Linke" (S.195) fest:
Die Strategie, sich als Ostpartei zu profilieren, war für die PDS ein voller Erfolg. Dabei kam ihr zugute, dass sich die Öffentlichkeit immer wieder mit den Problemen des Einigungsprozesses beschäftigte, während Fragen der Außenpolitik oder der inneren Sicherheit damals eine eher untergeordnete Rolle spielten. Nur wenige Jahre nach dem Ende des SED-Regimes konnte die PDS im Osten Deutschlands jedenfalls erstaunliche Wahlerfolge einheimsen. Diese hingen eng damit zusammen, dass sich dort das DDR-Bild in den i99oer Jahren zunehmend positiv färbte. Während im Jahr der Wiedervereinigung knapp drei Viertel der Ostdeutschen die Verhältnisse in der DDR für unerträglich hielten, waren es 1994 nur noch 56 Prozent und 2001 sogar nur noch 44 Prozent. Demgegenüber stieg der Anteil derjenigen, die die Lebensverhältnisse in der DDR für erträglich hielten, im selben Zeitraum von 19 auf 42 Prozent.
Was Hubertus Knabe als geschickte Strategie der PDS hinstellt, ergab sich einigermaßen zwangsläufig aus der Situation, dass die PDS praktisch nur in den neuen Bundesländern Mitglieder hatte und dass sich im Laufe des Einigungsprozesses einige Härten für ihre Bewohner ergaben, u.a. ein niedrigeres Lohnniveau als im Weten, eine steigende Arbeitslosigkeit und der Schock eines neuen Rechtssystems.

Verharmloser und Verteidiger von Verbrechen der SED-Diktatur?

Hubertus Knabe sieht gefährliche Geschichtsverfälschungen und Organisationen zur Verdunklung von Verbrechen aus der SED-Diktatur bei dem Insiderkomitee zur Förderung der kritischen Aneignung der Geschichte des MfS, bei der Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung (GRH), bei der ISOR und vielen anderen Organisationen, die er in seinen Büchern Die Täter sind unter uns und Die Wahrheit über die Linke anführt. (zu Die unterwanderte Republik und weiteren Rezensionen von Publikationen von Knabe)
Diese Versuche einer Geschichtspolitik zur Verhharmlosung der DDR-Geschichte lassen die Entwicklung eines Curriculums zur Geschichte der DDR besonders wichtig erscheinen. 

Als Notiz dazu hier ein Link zum DDR-Alltag und zum DDR-Lexikon.